S. 252 / Nr. 42 Verwaltungs- und Disziplinarrecht (d)

BGE 75 I 252

42. Auszug aus dem Urteil vom 21. Oktober 1949 i. S. Fischer gegen Kantonale
Rekurskommission Aargau.


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Regeste:
Wehrsteuer: Die Atelierbilder eines Malers sind nicht als steuerbares Vermögen
anzurechnen; Bilder, die als ein Bestandteil seiner privaten Bildersammlung
erscheinen, sind zum Verkehrswert zu besteuern.
Impôt pour la défense nationale: Les oeuvres d'un peintre qui se trouvent dans
son atelier ne doivent pas être comptées dans sa fortune imposable. En
revanche, les tableaux qui apparaissent comme faisant partie de sa collection
particulière seront imposés pour leur valeur vénale.
Imposta per la difesa nazionale: I quadri di un pittore, che si trovano nel
suo studio, non sono imputati nella sostanza soggetta all'imposta. I quadri,
che fanno invece parte della sua collezione privata, debbono essere imposti
per il loro valore venale.

A. ­ Der Beschwerdeführer ist Kunstmaler. Bei der Wehrsteuer IV sind ihm unter
dem Titel « Gewerbefonds » die unverkauften Bilder mit 10 % des
Brandversicherungswertes als Vermögen angerechnet worden. Zur Begründung wird
u. a. ausgeführt, es sei mit grosser Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass der
Beschwerdeführer bei einer Veräusserung am Stichtag mindestens diesen Betrag
erzielt hätte. Der Beschwerdeführer behaupte nicht, dass den Gemälden
jeglicher Verkehrswert abgehe. Es bestehe denn auch hier kein Anlass, im Sinne
der Zürcher Praxis (LEEMANN STADELMANN, Praxis zum Zürcher StG, Nr. 45 zu §
16; Rechenschaftsbericht der zürch. Oberrekurskommission 1931 Nr. 3; Blätter
für zürch. Rechtsprechung 31, S. 97 f., Zentralblatt für Staats- und
Gemeindeverwaltung 32, S. 474) auszusprechen, dass die unverkauften Bilder
eines wenig bekannten Malers überhaupt kein zu dessen Vermögen gehörendes
Aktivum darstellen. Mit der beträchtlichen Reduktion des Steuerwertes der
Sammlung des Pflichtigen sei den massgebenden Verhältnissen angemessen
Rechnung getragen worden.
B. ­ Mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird beantragt, das
wehrsteuerpflichtige Vermögen um den Betrag des Postens « Gewerbefonds »
herabzusetzen. Zur

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Begründung wird ausgeführt, die kantonale Rekurskommission anerkenne, dass
Bilder im Eigenbesitz eines Künstlers nicht als Warenlager im gewerblichen
Sinn anzusehen seien, dagegen erblicke sie in ihnen eine Art Kunstsammlung,
die nach Art. 30 WStB zum Verkehrswert zu besteuern sei.
Charakteristisch für eine private Kunstsammlung sei, dass sie von einem
Kunstfreund angelegt werde und aus abgeschlossenen Werken verschiedener
Künstler bestehe. Zum mindesten seien die Bilder dem schöpferischen Einfluss
des Künstlers entzogen. Bilder im Eigenbesitz des Künstlers könnten nicht als
Sammlung bezeichnet werden. Es handle sich nur zum Teil um abgeschlossene
Werke. Der Künstler werde sie jederzeit überarbeiten und verändern, wenn das
dargestellte Problem ihn zu erneuter Gestaltung verlocke und das vorliegende
Resultat nicht befriedige. Es könne sich nicht darum handeln, bei
grundsätzlicher Bejahung der Steuerpflicht Zugeständnisse an den Künstler zu
machen, je nachdem man seinen Namen einschätze. Für solche Bewertungen seien
die Steuerbehörden offensichtlich nicht kompetent. Es werde niemandem
einfallen, die Manuskripte von Schriftstellern oder Musikern als Steuerobjekte
zu betrachten. Der Unterschied von diesen zu den Bildern eines Malers aber
bestehe allein in der Verschiedenheit des materiellen Aufwandes, der übrigens
eine absolut nebensächliche Rolle spiele. In beiden Fällen seien es geistige
Werte, die erst mit ihrer Weggabe existent würden. Die Interessen des Fiskus
seien in der Erfassung durch die Einkommenssteuer gewahrt.
Das Bundesgericht hat die Besteuerung aufgehoben
in Erwägung:
1. ­ Nach Art. 27 Abs. 1 WStB fällt in die Steuerberechnung das gesamte, um
die nachgewiesenen Schulden gekürzte, bewegliche und unbewegliche Vermögen.
Vermögen ist die Gesamtheit der einer Person privatrechtlich zustehenden
Sachen und Rechte (Urteil vom 2. Oktober 1942 i. S. Widmer, Erw. 1, nicht
publiziert, und

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BLUMENSTEIN: Steuerrecht, Seite 172). Zwar werden nach der heute herrschenden
Lehre die geistigen Urheberrechte als Immaterialgüter betrachtet, die einer
sachenrechtlichen Beherrschung nicht zugänglich sind (vgl. HAAB: Sachenrecht,
Einleitung, N. 48). Am Original jedoch besteht unbestrittenermassen das
Eigentum des Schöpfers, also ein Sachenrecht (vgl. KoEsFEn: Der
sachenrechtliche Charakter der sog. immateriellen Güter, S. 9). Dennoch stellt
sich die Frage, ob das nicht verkaufte Bild eines Malers gleich wie das nicht
veröffentlichte Manuskript eines Schriftstellers oder Musikers nach dem
positiven Recht den Gegenstand einer Besteuerung als Vermögensobjekt bilden
kann. Kunstwerke im Werden erscheinen zunächst als Material in der Hand des
gestaltenden Künstlers. Dieser bestimmt darüber, wann der Gestaltungsprozess
abgeschlossen ist, das Ergebnis seiner schöpferischen Tätigkeit als Kunstwerk
frei wird. Es kommt zu einer gewissen Loslösung von der Person des Schöpfers.
Solange sie nicht eingetreten ist, fehlt Kunstwerken die Selbständigkeit, die
Voraussetzung für eine Charakterisierung der Werte als Vermögensobjekt ist.
Die Loslösung des Werkes vom Künstler findet entweder dadurch statt, dass sich
der Künstler der Verfügungsmacht über das Werk begibt, es z. B. verkauft, oder
dass er es sonstwie von den Werken ausscheidet, die er noch bearbeiten will
oder wenigstens weiter bedenken möchte; eine solche Ausscheidung kann z. B. in
einer Überführung in seine private Sammlung zum Ausdruck kommen. Anderseits
kann das Werk auch durch Ereignisse von seinem Schöpfer losgelöst werden, die
unabhängig von dessen Willen eintreten (z. B. Tod des Künstlers).
Bei Bildern, die sich im Arbeitsbereiche des Künstlers vorfinden, vor allem
bei Atelierbildern, wird die Loslösung im angegebenen Sinne in der Regel nicht
anzunehmen sein. Sie befinden sich mindestens im Bedenkbereiche des Künstlers.
Der Künstler kann seine Atelierbilder, auch wenn er sie bereits zum Verkauf
bestimmt hat, jederzeit

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überarbeiten, wenn sie ihm nicht oder nicht mehr gefallen, er kann sie
verändern, ja vernichten (sog. « droit de repentir » der französischen
Rechtsprechung, vgl. das Urteil des Trib. de la Seine vom 1. Juli 1946 i. S.
Rouault gegen Vollart, Rec. Sirey 1947 II S. 3 ff.). Die Atelierbilder eines
Malers sind daher steuerrechtlich nicht als Vermögen zu betrachten. Um solche
Bilder handelt es sich hier.
Sind Bilder im Eigentum eines Künstlers nicht zum Verkauf bestimmt, sondern
bilden sie einen Bestandteil seiner privaten Bildersammlung, dann handelt es
sich um steuerpflichtiges Vermögen, das nach der allgemeinen Regel nach Art.
30 WStB zu bewerten ist.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 75 I 252
Datum : 01. Januar 1948
Publiziert : 21. Oktober 1949
Quelle : Bundesgericht
Status : 75 I 252
Sachgebiet : BGE - Verwaltungsrecht und internationales öffentliches Recht
Gegenstand : Wehrsteuer: Die Atelierbilder eines Malers sind nicht als steuerbares Vermögen anzurechnen; Bilder...


Gesetzesregister
WStB: 27  30
BGE Register
75-I-252
Stichwortregister
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maler • sachenrecht • sammlung • kunstwerk • wert • wille • musik • bestandteil • eigentum • schriftsteller • malerei • begründung des entscheids • berechnung • gerichts- und verwaltungspraxis • kauf • autonomie • minderheit • frage • aargau • original
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