S. 76 / Nr. 17 Strafgesetzbuch (d)

BGE 74 IV 76

17. Urteil des Kassationshofes vom 21. Juni 1948 i. S. Scherrer gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau.


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Regeste:
Art. 41 Ziff. 3 StGB. Vollzug einer bedingt aufgeschobenen Strafe weil der
Verurteilte während der Probezeit im Rückfall ein Motorfahrzeug in
angetrunkenem Zustand geführt hat (Art. 59 Abs. 2 MFG)
Art. 41 ch. 3 CP. Exécution d'une peine conditionnelle, parce que, durant le
délai d'épreuve, le condamné a, en état de récidive, conduit un véhicule à
moteur, alors qu'il était pris de boisson (art. 59 al. 2 LA).
Art. 41 cifra 3 CP. Esecuzione di una pena condizionale perchè durante il
periodo di prova, il condannato ha recidivato nei condurre un veicolo a motore
in istato di ebrietà (art. 59 cp. 2 LA)

A. ­ Scherrer wurde am 15. Oktober 1945 vom Bezirksgericht Bischofszell wegen
falscher Anschuldigung zu sechs Monaten und am 3. November 1945 von der
Bezirksgerichtskommission Weinfelden wegen Diebstahls zu acht Tagen Gefängnis
verurteilt. Der Vollzug der Strafen wurde unter Festsetzung einer Probezeit
von fünf bzw. drei Jahren aufgeschoben. Am 7. Oktober 1946 wurde Scherrer von
der Bezirksgerichtskommission Weinfelden wegen Führens eines Motorrades in
angetrunkenem Zustande mit einer Busse von Fr. 200.­ belegt. Aus dem gleichen
Grunde wurde ihm damals der Lernfahrausweis. für einige Zeit entzogen. Im
April 1947 führte er wieder ein Motorrad in angetrunkenem Zustande, weshalb er
vom Obergericht des Kantons Thurgau am 23. September 1947 nach Art. 59 Abs. 2
MFG zu einer Busse von Fr. 400.­ verurteilt wurde.
Das Bezirksgericht Bischofszell ordnete darauf den Vollzug der am 15. Oktober
1945 verhängten Strafe an, da der Verurteilte während der Probezeit
vorsätzlich ein Vergehen begangen habe. Auf Beschwerde des Verurteilten hin
schützte das Obergericht mit Beschluss vom 30. März 1948 diesen Entscheid. Es
fand, Scherrer habe, indem er wieder in angetrunkenem Zustande gefahren sei,
das vom

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Richter in ihn gesetzte Vertrauen getäuscht, aber auch ein vorsätzliches
Vergehen verübt.
B. ­ Scherrer führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrage,- den Entscheid des
Obergerichts vom 30. März 1948 aufzuheben und die kantonale Behörde
anzuweisen, auf den Vollzug der Gefängnisstrafe zu verzichten. Er macht
geltend, das Fahren in angetrunkenem Zustande könne nicht vorsätzlich begangen
werden. Davon könne keine Rede sein, dass er von Anfang an den Vorsatz gefasst
habe, erstens soviel Alkohol zu trinken, dass dadurch der Zustand der
Angetrunkenheit erreicht würde, und zweitens in diesem Zustand dann ein
Motorfahrzeug zu führen. Sodann liege auch kein Vergehen, sondern eine
Uebertretung vor; denn massgebend sei nicht der Rückfalls-, sondern der
Grundtatbestand, also nicht Abs. 2, sondern Abs. 1 des Art. 59 MFG. Abs. 2 sei
nicht deshalb angewendet worden, weil ein schwerer Fall angenommen worden sei,
sondern nur wegen Rückfalls. Ebensowenig habe der Beschwerdeführer das
Vertrauen des Richters getäuscht.
C. ­ Die Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau beantragt, die Beschwerde
abzuweisen.
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1. ­ Nach Art. 41 Ziff. 3 StGB ordnet der Richter den Vollzug einer Strafe,
der bedingt aufgeschoben worden ist, nicht nur dann an, wenn der Verurteilte
während der Probezeit vorsätzlich ein Verbrechen oder Vergehen begeht oder
trotz förmlicher Mahnung des Richters einer ihm erteilten Weisung
zuwiderhandelt oder sich beharrlich der Schutzaufsicht entzieht, sondern auch
dann, wenn er in anderer Weise das auf ihn gesetzte Vertrauen täuscht.
Scherrer hatte sich schon im Jahre 1946 wegen Führens eines Motorfahrzeugs in
angetrunkenem Zustand eine Busse und den zeitweiligen Entzug des
Lernfahrausweises zugezogen. Das hinderte ihn nicht, im April 1947 neuerdings
durch Fahren in solchem Zustand sich und die

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andern Strassenbenützer zu gefährden. Beide Vorkommnisse fallen in die
Probezeit. Dieses Verhalten lässt erkennen, dass der Beschwerdeführer sich
nicht anstrengte, durch Wohlverhalten sich des Vertrauens würdig zu erweisen,
das ihm durch zweimalige Gewährung des bedingten Strafvollzuges geschenkt
worden war. Es zeugt von einer Schwäche, die er mit Rücksicht auf die
Bewährungsprobe, unter der er stand, hätte meistern sollen. Unter diesen
Umständen durfte aber die Vorinstanz eine Täuschung des Vertrauens im Sinne
von Art. 41 Ziff. 3 StGB annehmen (vgl. BGE 72 IV 147).
2. ­ Aber auch die weitere Erwägung der Vorinstanz, der Beschwerdeführer habe
darüber hinaus während der Probezeit durch sein nochmaliges Fahren in
angetrunkenem Zustand ein vorsätzliches Vergehen begangen, ist nicht zu
beanstanden. Weil ein Rückfall vorlag, war Art. 59 Abs. 2 MFG anwendbar. Da
diese Bestimmung, anders als Abs. 1, eine Freiheitsstrafe von mehr als drei
Monaten androht, hat man es nach Art. 333 Abs. 2 StGB nicht mit einer blossen
Uebertretung, sondern mit einem Vergehen zu tun. Die Auffassung des
Beschwerdeführers, massgebend sei nicht der Rückfalls-, sondern der
Grundtatbestand, ist irrig. Die Strafe für das Fahren in angetrunkenem Zustand
im Rückfall wird nicht nach Art. 59 Abs. 1 MFG in Verbindung mit Art. 67 StGB
bemessen, sondern eben nach Art. 59 Abs. 2 MFG. Der Rückfall ist hier nicht
allgemeiner Strafschärfungsgrund, sondern qualifizierendes Merkmal des in Art.
59 Abs. 2 MFG aufgestellten besonderen Straftatbestandes. Er ist den
(sonstigen) schweren Fällen gleichgestellt, welche durch diese Bestimmung als
Vergehen erfasst werden. Der Einwand des Beschwerdeführers, es liege kein
schwerer Fall vor, da Art. 59 Abs. 2 MFG `` nur» wegen Rückfalls angewendet
worden sei, ist daher unbegründet.
Kein Zweifel kann auch darüber bestehen, dass Scherrer vorsätzlich gehandelt
hat. Zwar ist ihm ohne weiteres zu glauben, dass er sich nicht geradezu mit
dem Willen

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angetrunken hat, in diesem Zustand dann ein Motorfahrzeug zu führen. Darauf
kommt aber nichts an. Das Sichantrinken gehört noch nicht zum Tatbestand des
Fahrens in angetrunkenem Zustand; es ist bloss dessen Vorstadium (vgl. BGE 65
I 338
). Entscheidend ist also' ob der Beschwerdeführer die Tat selbst, das
Fahren in angetrunkenem Zustand, mit Wissen und Willen verübt hat. Dass dem so
ist, liegt aber auf der Hand; führt doch die Vorinstanz aus, dass er sein
Motorrad ungeachtet des genossenen Alkohols gebrauchen wollte und diesen
Willen selbst dann noch durchsetzte, als ihn ein Bekannter vom Weiterfahren
abzuhalten suchte. Das sind tatsächliche Feststellungen; der Kassationshof ist
daran gebunden (Art. 277 bis BStP).
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 74 IV 76
Datum : 01. Januar 1948
Publiziert : 20. Juni 1948
Quelle : Bundesgericht
Status : 74 IV 76
Sachgebiet : BGE - Strafrecht und Strafvollzug
Gegenstand : Art. 41 Ziff. 3 StGB. Vollzug einer bedingt aufgeschobenen Strafe weil der Verurteilte während der...


Gesetzesregister
BStP: 277bis
StGB: 41  67  333
BGE Register
65-I-336 • 72-IV-145 • 74-IV-76
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
alkoholismus • bedingter strafvollzug • busse • diebstahl • entscheid • fahren in angetrunkenem zustand • falsche anschuldigung • freiheitsstrafe • kantonale behörde • kassationshof • monat • motorrad • probezeit • sachverhalt • schutzaufsicht • schwerer fall • straf- und massnahmenvollzug • strafgesetzbuch • sucht • tag • thurgau • trunkenheit • verhalten • verurteilter • vorinstanz • vorsatz • weiler • weisung • wille • wissen • wohlverhalten • zweifel