S. 121 / Nr. 31 Wohnungsnot (d)

BGE 74 IV 121

31. Urteil des Kassationshofes vom 28. Mai 1948 i. S. Brügger gegen
Statthalteramt Sursee.

Regeste:
Art. 23 BMW. Zuwiderhandlung gegen den Erlass ist nicht schon die
Niederlassung ohne vorausgegangene Bewilligung.
Art. 23 APL. L'établissement sans autorisation préalable ne constitue pas une
infraction à l'arrêté.
Art. 23 DPA. La residenza senza autorizzazione preventiva non costituisce
un'infrazione al decreto.

Im September 1947 vermietete der Beschwerdeführer dem Gottlieb Duss, der von
Adligenswil zuzog, eine

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Wohnung in seinem Hause an der Stadtstrasse in Sempach. Als der Mieter die
Wohnung am 13. September beziehen wollte, widersetzte sich der Gemeindeammann
von Sempach diesem Vorhaben. Doch bestanden Mieter und Vermieter darauf, dass
die Wohnung bezogen werden dürfe. Der Gemeinderat von Sempach erstattete
daraufhin gegen Brügger und Duss Strafanzeige. Er machte geltend, das Haus
Brüggers sei wegen Reparaturbedürftigkeit in der Brandversicherung eingestellt
worden und hätte nicht ohne vorherige Instandstellung bezogen werden dürfen;
ausserdem sei Duss nicht befugt gewesen, in die den Vorschriften über
Wohnungsnot unterstellte Gemeinde ohne Bewilligung einzuziehen. Das
Statthalteramt Sursee erliess gegen beide Angeschuldigte Strafbefehle. Duss
unterzog sich; Brügger verlangte gerichtliche Beurteilung. Mit Urteil vom 8.
April 1948 hat das Amtsgericht Sursee Brügger gestützt auf die Art. 19 und 23
des BRB über Massnahmen gegen die Wohnungsnot (BMW) mit Fr. 100.­ gebüsst. Dem
Angeschuldigten sei bekannt gewesen, dass Duss keine Niederlassungsbewilligung
besitze. Trotz des Widerstandes des Gemeindeammanns habe er sich beim Einzug
des Duss in die Wohnung aktiv beteiligt und damit diesem bei der
Zuwiderhandlung gegen die Vorschriften des BMW vorsätzlich Beihilfe geleistet.
Mit der Nichtigkeitsbeschwerde beantragt Brügger, ihn von Schuld, Strafe und
Kosten freizusprechen.
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
Das Amtsgericht erklärt den Beschwerdeführer weder der Widerhandlung gegen
Vorschriften der kantonalen Vollziehungsverordnung zum BMW bezw. der Beihilfe
hiezu, noch der Übertretung eines andern Tatbestandes des kantonalen
Übertretungsstrafrechte schuldig. Das verurteilende Erkenntnis stützt sich
vielmehr ausschliesslich auf die Art. 19 und 23 BMW. Nach Abs. 2 der letzten
Vorschrift ist strafbar, wer sich vorsätzlich den gestützt auf diesen
Beschluss getroffenen rechtskräftigen

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Verfügungen widersetzt, oder dessen Vorschriften in anderer Weise vorsätzlich
oder fahrlässig zuwiderhandelt. Dadurch, dass Duss ohne Bewilligung der
Gemeindebehörde von Sempach in die gemietete Wohnung eingezogen ist, hat er
den Vorschriften des Erlasses weder vorsätzlich noch fahrlässig
zuwidergehandelt. Die Niederlassung in einer Gemeinde wird darin nicht von
einer vorausgegangenen Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung abhängig
gemacht, noch der Bezug einer Wohnung ohne solche Bewilligung unter Strafe
gestellt. Er hat nur zur Folge, dass der Bewerber um die Niederlassung dann,
wenn diese ihm durch rechtskräftige Verfügung verweigert wird, zum Verlassen
der Gemeinde aufgefordert werden kann, und, falls er dieser Aufforderung keine
Folge leistet, Strafe zu gewärtigen hat wegen Nichtbeachtung der ihm gegenüber
ergangenen Verfügung. Gegen Duss lag, als er am 13. September nach Sempach
übersiedelte, auch keine rechtskräftige Verfügung vor, die ihm den Zuzug
untersagt hätte. Dass die Gemeindekanzlei Adligenswil vor der Übersiedlung des
Duss nach Sempach dort angefragt hatte, ob Aussicht vorhanden sei, dass dieser
die Niederlassung erhalten könnte, und dass die Anfrage abschlägig beantwortet
worden war, stellt keine derartige Verfügung dar. Es handelte sich dabei, wie
das Amtsgericht in seinem Urteil zutreffend annimmt, und auch der Gemeinderat
selbst angenommen hat, um die Antwort auf ein Gesuch um Auskunft, die Duss
nicht hindern konnte, beim Gemeinderat selbst ein förmliches Gesuch um
Niederlassung zu stellen. Die Verweigerung erfolgte erst durch die Verfügung
des Gemeinderates vom 26. September 1947 und wurde rechtskräftig mit dem
Entscheid des Regierungsrates vom 12. Januar 1948, mit dem dieser auf ein
Wiedererwägungsgesuch der Gemeinde hin dem Beschwerdeführer die vorher
bewilligte Niederlassung verweigerte. War aber Duss nicht deshalb strafbar,
weil er am 13. September 1947 die im Hause des Beschwerdeführers gemietete
Wohnung bezog, so durfte auch dieser

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selbst nicht bestraft werden, weil er Duss dabei vorsätzlich Hilfe geleistet
habe. Denn die Bestrafung wegen Gehilfenschaft setzt voraus, dass sich ein
Haupttäter strafbar gemacht hat. Die Anerkennung des Strafantrages durch Duss
genügt dafür natürlich nicht.
Die Sache ist deshalb zur Freisprechung des Beschwerdeführers von Schuld und
Strafe an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Beschwerde wird gutgeheissen und die Sache zur Freisprechung des
Beschwerdeführers von Schuld und Strafe an das Amtsgericht von Sursee
zurückgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 74 IV 121
Datum : 01. Januar 1948
Publiziert : 27. Mai 1948
Quelle : Bundesgericht
Status : 74 IV 121
Sachgebiet : BGE - Strafrecht und Strafvollzug
Gegenstand : Art. 23 BMW. Zuwiderhandlung gegen den Erlass ist nicht schon die Niederlassung ohne...


BGE Register
74-IV-121
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