S. 36 / Nr. 11 Doppelbesteuerung (d)
BGE 74 I 36
11. Urteil vom 11. März 1948 i. S. Veraguth gegen Kantone Basel-Stadt und
Graubünden.
Regeste:
Art. 46 Abs. 2 BV. Der Kanton des Sommerwohnsitzes ist auch berechtigt, die
auf einem Dienst- oder Beamtenverhältnis beruhenden Renten anteilsmässig zu
besteuern.
Art. 46 al. 2 Cst. Le canton du séjour de vacances est aussi en droit de
prélever l'impôt pro rata temporis sur les pensions versées par une caisse de
retraite privée ou publique.
Art. 46, cp. 2 CF. Il Cantone del soggiorno di vacanze ha pure il diritto di
prelevare l'imposta pro rata temporis sulle pensioni corrisposte da una cassa
pensioni privata o pubblica.
A. Als früherer Angestellter der Firma Ciba A.-G. in Basel bezog der
Rekurrent, Dr. Hans Veraguth, im Jahre 1946 aus dem durch Beiträge der
Arbeitnehmer und der Arbeitgeberin gespiesenen Personalfürsorgefonds der Firma
eine Pension von Fr. X.
Im Jahre 1946 hielt sich Dr. Veraguth während 193 Tagen in Basel und während
172 Tagen auf seiner eigenen Liegenschaft in der bündnerischen Gemeinde Parpan
auf. Es steht fest, dass er während dieses Jahres seinen ordentlichen
Steuerwohnsitz in Basel und einen 172 Tage dauernden Sommerwohnsitz in Parpan
hatte. Streitig ist, ob das Pensionseinkommen von Fr. X, wie der Kanton
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Basel-Stadt annimmt, ausschliesslich am ordentlichen Steuerwohnsitz Basel oder
aber, wie der Kanton Graubünden geltend macht, teilweise, d. h. pro rata
temporis (172/365), am Sommerwohnsitz in Parpan zu versteuern ist.
B. Mit Eingabe vom 8. Dezember 1947 stellt Dr. Veraguth beim Bundesgericht
das Gesuch, den Doppelbesteuerungsstreit zwischen den Kantonen Basel-Stadt und
Graubünden zu entscheiden und den unterliegenden Kanton zur Rückerstattung der
zuviel bezahlten Steuern zu verpflichten.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Wie das Bundesgericht wiederholt erklärt hat, erstreckt sich das
Besteuerungsrecht des Kantons des Sommer- oder Saisonaufenthaltes zwar auf
einen Anteil am beweglichen Vermögen und Vermögensertrag des
Saisonaufenthalters, dagegen nicht auf dessen Erwerb aus der im Kanton des
ordentlichen Wohnsitzes ausgeübten geschäftlichen Tätigkeit (BGE 39 I S. 326
ff. insbes. S. 333 und Inhaltsangabe des Entscheides auf S. 326; Urteil des
Bundesgerichts in Sachen Vidoudez vom 28. März 1929, S. 8). In Erläuterung und
Ergänzung dieser Praxis hat das Bundesgericht in einem Entscheide vom 21. Juni
1940 (BGE 66 I S. 149 ff) dem Kanton des Saisonaufenthaltes auch das in einer
Rente bestehende Einkommen zur Besteuerung pro rata temporis zugewiesen,
«jedenfalls» für den Fall, dass die Rente «durch die Hingabe eines Kapitals»
oder «in anderer Weise vertraglich begründet» worden sei; denn eine solche
Rente sei innerlich dem Kapitaleinkommen verwandt, fliesse wie dieses aus
einem dem Steuerpflichtigen zustehenden Rechte und werde «gewissermassen jeden
Tag durch die Existenz des Berechtigten erworben», sodass eine solche Rente
steuerrechtlich dorthin gehöre, wo sich dieser aufhalte. Im vorliegenden Falle
berufen sich beide Kantone auf dieses Urteil. Der Kanton Basel-Stadt nimmt an,
das
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Bundesgericht habe mit seinem Entscheide nur die durch Hingabe eines Kapitals
erworbene, nicht aber auch die auf einem frühern Dienstverhältnis beruhende
Rente dem Kanton des Saisonaufenthaltsortes zur anteilsmässigen Besteuerung
zugewiesen; denn nur im ersten, nicht auch im zweiten Falle könne man sagen,
dass das Recht auf die Rente gewissermassen jeden Tag durch die (blosse)
Existenz des Berechtigten erworben werde. Doch weist der Kanton Graubünden mit
Recht darauf hin, dass das Bundesgericht der durch Hingabe eines Kapitals
erworbenen Rente auch die in anderer Weise vertraglich (also auch
dienstvertraglich) begründete Rente gleichgestellt habe und dass von dieser
gerade so gut wie von der durch die Hingabe eines Kapitals begründeten Rente
gesagt werden könne, dass sie aus einem dem Steuerpflichtigen zustehenden
Rechte fliesse und gewissermassen jeden Tag durch die Existenz des
Berechtigten erworben werde. Nun hat freilich das Bundesgericht dadurch, dass
es im Entscheide vom 21. Juni 1940 das Wort «jedenfalls» einfügte, die Frage
offen gelassen, ob es nicht Renten gebe, die bei der Steuerausscheidung
zwischen ordentlichem Wohnsitz und Saisonaufenthaltsort ausschliesslich dem
ersten zuzuweisen sind. Doch kann sich dieser Vorbehalt nur auf die nicht
vertraglich begründeten Renten, also besonders die Beamtenpensionen, beziehen.
Da der Rekurrent die Rente, deren Besteuerung heute streitig ist, auf Grund
seines frühern (privaten) Dienstverhältnisses bezieht, ist der vorliegende
Doppelbesteuerungsstreit durch den bundesgerichtlichen Entscheid vom 21. Juni
1940 zu Gunsten des Kantons Graubünden präjudiziert.
2. Der vorliegende Doppelbesteuerungsstreit müsste übrigens, auch wenn er
nicht bereits durch das Urteil vom 21. Juni 1940 zu Gunsten des Kantons
Graubünden präjudiziert wäre, in diesem Sinne entschieden werden. Gewiss ist
das Steuerdomizil des Saisonaufenthaltes eine Ausnahme vom allgemeinen
Grundsatz der Besteuerung
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am zivilrechtlichen Wohnsitz und sind nach einer allgemeinen Regel
Ausnahmevorschriften eher einschränkend als ausdehnend auszulegen. Bei
Beurteilung der Frage, ob die Voraussetzungen für die Annahme eines
Steuerdomizils des Saisonaufenthalters gegeben sind, muss daher ein strenger
Massstab angelegt werden. Liegen aber diese Voraussetzungen vor worüber im
vorliegenden Fall kein Zweifel bestehen kann , so hat grundsätzlich zwischen
dem Kanton des ordentlichen Wohnsitzes und dem Kanton des
Saisonaufenthaltsortes eine Steuerteilung pro rata temporis einzutreten, d. h.
es ist von der Regel auszugehen, dass alle Vermögensstücke und
Vermögenseingänge, soweit hiefür nicht das Spezialsteuerdomizil des
Grundeigentums oder des Geschäftsbetriebes besteht, in die Teilung
einzubeziehen sind. In verschiedenen Entscheiden hat freilich das
Bundesgericht erklärt, dass der Kanton des Saisonaufenthalts zwar einen
anteilsmässigen Anspruch am beweglichen Vermögen und dessen Ertrag, nicht aber
auch am Einkommen aus Erwerbstätigkeit besitze. Doch hiebei bildet der
Nichteinbezug des Einkommens aus Erwerbstätigkeit die Ausnahme. Die Regel aber
wurde mit dem Hinweis auf das bewegliche Vermögen und dessen Ertrag zu eng
gefasst. Dies ergibt sich daraus, dass auch das Einkommen aus
Erwerbstätigkeit, wie in verschiedenen Entscheiden bemerkt wird (BGE 39 I S.
326 ff, insbes. S. 333 und Urteil des Bundesgerichtes i. S. Vidoudez vom 28.
März 1929 S. 8), nur dann nicht in die Teilung einbezogen wird, wenn dieser
Erwerb im Kanton des ordentlichen Wohnsitzes erzielt wurde und infolgedessen
mit diesem Kanton in einem viel engern Zusammenhang steht als mit dem Kanton
des Saisonaufenthaltsortes (Ferienortes), wo ganz regelmässig keine
Erwerbstätigkeit ausgeübt wird. Gerade so gut wie das Einkommen aus einer
ausserhalb des Kantons des ordentlichen Wohnsitzes ausgeübten Erwerbstätigkeit
in die Teilung einbezogen wird, so sind auch die auf einem Dienst- oder
Beamtenverhältnis beruhenden Renten in
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die Teilung einzubeziehen, da auch hier in der massgebenden Zeit am Orte des
ordentlichen Wohnsitzes keine Erwerbstätigkeit ausgeübt wird, um die Rente
erhältlich zu machen. Gewiss bestehen zwischen den durch die Hingabe eines
Kapitals begründeten und den auf einem Beamten- oder Dienstverhältnis
beruhenden Renten wesentliche Unterschiede, die in verschiedenen Punkten eine
steuerrechtlich verschiedene Behandlung zu rechtfertigen vermögen. Doch bei
der Umschreibung des am Saisonaufenthaltsort pro rata temporis
steuerpflichtigen Einkommens rechtfertigt sich eine unterschiedliche
Behandlung der Renten nicht, da auch bei den auf einem Beamten- oder
Dienstverhältnis beruhenden Renten in der massgebenden Zeit am ordentlichen
Wohnsitz keine Erwerbstätigkeit ausgeübt wird, um die Rente erhältlich zu
machen. Der alleinige Umstand, dass der Bezüger einer solchen Rente häufig in
frühern Jahren am ordentlichen Wohnsitz eine Erwerbstätigkeit ausgeübt hat,
vermag für den Kanton dieses Wohnsitzes das Recht zur ausschliesslichen
Besteuerung der Rente nicht zu begründen. Die Fälle, in denen ein Beamter oder
Angestellter nach der Pensionierung seinen ordentlichen Wohnsitz wechselt,
sind übrigens nicht selten. Noch weniger kann für die Steuerausscheidung von
Bedeutung sein, dass der Personalfürsorgefonds oder die Pensionskasse, die die
Rente ausbezahlt, ihren Sitz im Kanton hat, wo sich der ordentliche Wohnsitz
des Rentenbezügers befindet; denn sonst müsste auch die durch Hingabe eines
Kapitals begründete Rente dem Kanton des ordentlichen Wohnsitzes zur
ausschliesslichen Besteuerung zugewiesen werden, wenn sich der Sitz oder
Wohnsitz des Rentenschuldners in diesem Kanton befände.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird gegenüber dem Kanton Basel-Stadt in dem Sinne
gutgeheissen, dass dieser das Pensionseinkommen des Beschwerdeführers im Jahre
1946 nur
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während 193 Tagen besteuern darf. Der Kanton Basel-Stadt wird verpflichtet,
dem Beschwerdeführer die zu viel bezogenen Steuern zurückzuerstatten.