S. 193 / Nr. 39 Bundesrechtliche Abgaben (d)

BGE 74 I 193

39. Urteil vom 13. Juli 1948 i. S. eidg. Steuerverwaltung gegen A.-G.
Baugeschäft Trippel und kantonale Steuerrekurskommission Graubünden.


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Regeste:
Wehrsteuer: 1. Fehler in Veranlagungen werden im Einspracheverfahren von
amteswegen berichtigt.
2. Stille Reserven im Warenlager als Bestandteile des anrechenbaren
Reingewinns.
Impôt pour la défense nationale: 1. Les erreurs de taxation doivent être
corrigées d'office dans la procédure de réclamation.
2. Réserves tacites sur le compte marchandises considérées comme éléments du
bénéfice net.
Imposta per la difesa nozionale: 1. Gli errori di tassazione debbono essere
rettificati d'officio nella procedura di reclamo.
2. Riserve tacite figuranti nel conto «merci» considerate come elementi
dell'utile netto

A. ­ Die A.-G. Baugeschäft Trippel in Chur und Arosa hat in der Erklärung für
die III. Periode der Wehrsteuer und für das neue Wehropfer verlangt, dass ihr
bei Feststellung des Verhältniskapitals für die Wehrsteuer eine stille Reserve
auf Waren im Betrage von Fr. 40,000.­ angerechnet werde; beim Wehropfer hat
sie den Steuerwert des Warenlagers Fr. 40,000.­ über dem Bilanzwert vom 31.
Dezember 1944 eingesetzt. Hiezu stellte der Revisor der kantonalen
Steuerverwaltung auf Grand einer am 16. Dezember 1946 durchgeführten
Buchprüfung fest, die Vorräte seien zum Vorkriegspreis bilanziert, unter Abzug
einer Reserve für Schwankungen. Für das Wehropfer sei aber der Anschaffungs-
bezw. Marktwert massgebend. Er rechnete, im Anschluss an seine Einschätzung
für die kantonalen Steuern, mit einem steuerbaren Mehrwert des Warenlagers von
Fr. 41,500.­ und verlegte diesen bei Feststellung des Reingewinns gleichmässig
auf die Jahre 1943 und 1944, sodass auf jedes Jahr Fr. 20,750.­ entfielen. Er
behielt sich indessen vor, den Mehrbetrag der Reserve in späteren Jahren zu
erfassen. Beim Verhältniskapital (Stand 1 Januar 1944) rechnete er die stille
Reserve mit Fr 20,750.­ als dem Betrage an, den er im Jahre 1943 als
Reingewinnbestandteil erfasst hatte; er ging

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dabei von der ­ der damaligen Verwaltungspraxis entsprechenden ­ Auffassung
aus, dass nur die als Geschäftsertrag versteuerten stillen Reserven beim
Verhältniskapital zu berücksichtigen seien. Beim Wehropfer wurde der Marktwert
des Warenlagers (= 130 % des Inventarwertes) eingesetzt.
B. - In ihrer Einsprache gegen die Einschätzung vom 26. April 1947 beschwerte
sich die Steuerpflichtige über die Festsetzung des Wehropfers in Punkten, die
hier unerheblich sind. Bei der Wehrsteuereinschätzung wurde die Berechnung des
Verhältniskapitals angefochten mit dem Begehren, «die stille Reserve im
Warenlager in ihrer vollen als Vermögen bestimmten Höhe» für beide Jahre der
Bemessungsperiode zu berücksichtigen. Diesem Begehren ist in dem am 20.
Oktober 1947 ergangenen Einspracheentscheid stattgegeben worden. Für 1943
wurde auf Grund neuer Berechnungen beim Verhältniskapital eine stille Reserve
von Fr. 46,000.­, für 1944 Fr. 98,000.­ eingesetzt. Anderseits wurden in den
Reingewinn des Jahres 1943 Fr. 98,000.­ (stille Reserve Warenlager) einbezogen
und 1944 zufolge teilweiser Auflösung der Reserve Fr. 14,000.­ in Abzug
gebracht.
C. ­ Die kantonale Rekurskommission hat ein Begehren, die auf den Reingewinn
anrechenbare Reserve um Fr. 46,000.­ herabzusetzen, gutgeheissen. Der
steuerbare Reingewinn ist damit um Fr. 23,000.­ (Fr. 46,000.­: 2) herabgesetzt
worden. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Erhöhung der steuerbaren
Einschätzung für Reingewinn im Einspracheverfahren sei schon deshalb
unzulässig gewesen, weil in der Einsprache nur die Berechnung des
Verhältniskapitals angefochten war, gegen die Festsetzung des Reingewinnes
dagegen keine Einwendungen vorgelegen hätten. Bei der Einschätzung sei die
Höhe der Reserven den Steuerbehörden bekannt gewesen. Diese hätten trotzdem
nur einen Teil der Reserven, nämlich ungefähr den Betrag der Neubildung in den
Bemessungsjahren 1943 und 1944, in die Veranlagung einbezogen.

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Hierauf im Einspracheentscheid zurückzukommen, verstosse gegen Treu und
Glauben. Art. 105 WStB lasse zwar Änderungen der ursprünglichen Einschätzung
im Einspracheverfahren zu; doch müsse sie auf neue, bei Erlass der Taxation
nicht bekannte Tatsachen beschränkt bleiben. «Auf keinen Fall kann es der
Wille des Gesetzgebers sein, den Einsprecher hinsichtlich solcher Positionen
schlechter zu stellen, die der Veranlagungsbehörde schon vor Eröffnung der
Veranlagung in vollem Umfange bekannt waren.» Die Beschwerde sei aber auch
deshalb begründet, weil die im Warenlager vorhandene Reserve im Umfange von
Fr. 46,000.­ vor dem für die III. Wehrsteuerperiode massgebenden
Bemessungszeitraume gebildet worden sei. «Auch steht es fest, dass diese
Reserve mit Wissen der Steuerverwaltung in früheren Jahren nicht bei der
Bildung besteuert wurde. Ohne Verletzung des Grundsatzes der Periodizität, wie
er in Art. 105 WStB niederlegt ist, kann daher die unterlassene Besteuerung
nicht beliebig nachgeholt werden. Dies wird im Entscheid der kantonalen
Steuerverwaltung verkannt. ­ Auch wenn die Reserve von Fr. 46,000.­, die am 1.
Januar 1943 bereits vorhanden war, als Abschreibung betrachtet wird, die die
kantonale Wehrsteuerverwaltung in früheren Jahren toleriert hat, kann sie
diese nicht mit dem Einwand, diese sei geschäftsmässig nicht begründet und
objektmässig als aufgelöst zu betrachten, zu beliebiger Zeit besteuern. Eine
Besteuerung ist nur nach erfolgter Realisierung oder Verbuchung möglich, wobei
die blosse Umschichtung des Warenlagers keine Realisierung darstellt. Eine
ganze oder teilweise Realisierung liegt aber nicht vor.»
D. ­ Die eidg. Steuerverwaltung erhebt die Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Sie
halte dafür, dass die ins Verhältniskapital einbezogenen Warenreserven dem
steuerbaren Reingewinn zuzurechnen seien.
Steuerrechtlich betrachtet, seien in einem Geschäftsjahre neu erworbene
Aktiven zu den Anschaffungs- oder

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Herstellungskosten zu bilanzieren. Davon sei nur abzuweichen, wenn bis zum
Bilanztage eine durch Abschreibung auszugleichende Wertverminderung
eingetreten sei oder Verlustgefahren eine Rückstellung rechtfertigen. Bei
Waren speziell sei vom Betrage der Anschaffungs- oder Herstellungskosten nur
abzuweichen, wenn der Marktpreis tiefer gefallen sei oder wenn in naher
Zukunft Preisabschläge oder Verluste drohten. Jede Unterbewertung bedeute eine
Schmälerung des Reingewinns und rufe einer Korrektur bei der Gewinnberechnung
für Steuerzwecke.
Die A.-G. Baugeschäft Trippel habe das Warenlager in den Bilanzen auf den 31.
Dezember 1943 und den 31. Dezember 1944 unterbewertet und damit eine
steuerrechtlich nicht zulässige Abschreibung vorgenommen. Auch für eine
Rückstellung habe kein Anlass bestanden. Der Saldo der Gewinn- und
Verlustrechnung sei um den vollen Betrag der unzulässigen Unterbewertung zu
erhöhen. ­ Dass das Warenlager auch schon in der Bilanz auf den 31. Dezember
1942 unterbewertet war, diese Unterbewertung den Steuerbehörden bekannt war
und von ihnen nicht beanstandet wurde, sei unerheblich. Die Gesellschaft habe
die zu niedrig bewerteten Warenvorräte, wie aus der Bewegung des Warenkontos
zu schliessen sei, zweifellos bis zum Abschluss des Geschäftsjahres 1944
verkauft und damit die stillen Reserven realisiert. Mit der Bewertung unter
den Anschaffungs- oder Herstellungskosten, resp. unter dem Marktpreis habe sie
steuerbaren Reingewinn in ungerechtfertiger Weise geschmälert. Demgemäss sei
die ganze am 31. Dezember 1944 vorhandene stille Reserve in die
Steuerberechnung einzubeziehen und nicht nur der Differenzbetrag zur Reserve
vom 1. Januar 1943.
Aus dem kantonalen Rekursentscheid gehe hervor, dass die Rücklagen dazu
bestimmt seien, gegen Konjunkturrückschläge vorzusorgen. Es handle sich also
um stille Reserven, die zwar zivilrechtlich zulässig seien, aber
steuerrechtlich nicht anerkannt werden könnten. (Art. 49 Abs. 1 lit. c WStB).
Sie seien in dem Zeitpunkte bei der

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Ermittlung des steuerbaren Reingewinns zu berücksichtigen, in dem sie
festgestellt werden. Dass die Steuerbehörde in Fällen, wo sie stille
Warenreserven aus früheren Jahren feststellt, mit der Besteuerung zuwarten
müsse, bis die Reserven buchmässig aufgelöst werden, könne nicht die Absicht
des Gesetzgebers gewesen sein. Das Bundesgericht habe in einem Entscheide vom
10. Oktober 1947 festgestellt, dass eine Besteuerung vor der Auflösung
zulässig sei, wenn mit Sicherheit angenommen werden könne, dass für die
Reserve keine geschäftsmässige Begründetheit mehr bestehe. Das Recht der
Steuerbehörden, den stillen Reserven nachzugehen, dürfe nicht derart eingeengt
werden, dass nur die in der Berechnungsperiode «gebildeten» stillen
Warenreserven in die Berechnung einbezogen werden. Vielmehr müsse die
Möglichkeit bestehen, festgestellte stille Reserven, die steuerlich nicht
begründet sind, in die Gewinnberechnung einzubeziehen, bevor sie in den
Büchern aufgelöst werden.
Die hievon abweichende Praxis bei der Besteuerung im Kanton Zürich erkläre
sich aus Verschiedenheiten des massgebenden Steuerrechts; sie sei für die
Wehrsteuer ohne Bedeutung.
E. ­ Die kantonale Steuerrekurskommission und die steuerpflichtige
Gesellschaft beantragen Abweisung der Beschwerde, im wesentlichen unter
Berufung auf die Begründung des angefochtenen Entscheides. Die
Steuerpflichtige macht erneut geltend, das Vorgehen der Steuerbehörden sei
schon unter dem Gesichtspunkte von Treu und Glauben zu beanstanden. Die
Reserven, die vor dem 1. Januar 1943 bestanden hätten, seien den
Steuerbehörden bekannt gewesen. Die Steuerbehörde habe sie zugelassen (a
toleriert») und sich damit zur Besteuerung im Zeitpunkt der Auflösung oder
Verbuchung entschieden. Von den in den Berechnungsjahren für die III.
Wehrsteuerperiode aufgerechneten stillen Reserven von Fr. 84,000.­ seien nur
Fr. 38,000.­ in den Jahren 1943 und 1944 gebildet worden, Fr. 46,000.­
stammten aus der Zeit vor dem

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1. Januar 1943 und seien daher nicht Ertrag der III. Wehrsteuerperiode, da
dieser nur die wirklich auf den Bemessungszeitraum entfallende
Vermögenszunahme umfasse.
Das Recht der Steuerverwaltung, stille Reserven bei ihrer Bildung zu
besteuern, werde nicht bestritten, da damit wirkliches Einkommen besteuert
werde. Anders verhalte es sich aber beim Einbezug vorgetragener stiller
Reserven aus früheren Jahren. Hier sei eine Auflösung der stillen Reserve
nicht anzunehmen, solange ein Unternehmen die Reserve vortrage und damit zum
Ausdruck bringe, dass es sie nicht auflösen wolle weder durch Verkauf, noch
durch Verbuchung. Die richtige Lösung in solchen Fällen sei diejenige der
Zürcher Oberrekurskommission (Zentralblatt 22, S. 515). Auf alle Fälle werde
eine stille Reserve im Warenlager nicht durch blosse Umschichtung des Lagers
frei. Die abweichende Auffassung der Steuerverwaltung sei unrichtig.
Nach Art. 49 WStB und nach der daran anschliessenden Praxis komme es auf die
Verbuchung an. Die Vorschrift habe formalrechtliche Bedeutung in dem Sinne
dass, bei ordnungsgemässer Buchführung, das in der Gewinn- und Verlustrechnung
errechnete Ergebnis auch für die Steuerbemessung massgebend sein solle. Eine
Abweichung sei nur zulässig, insoweit für das kaufmännische Geschäftsergebnis
massgebende Posten nicht oder nicht richtig gewürdigt wurden, oder der
Gesetzgeber selbst bestimmte Korrekturen vorschreibe.
Das Vorgehen der Steuerverwaltung und die Änderung ihrer seit Jahren
eingehaltenen Praxis führe übrigens zu grossen Ungerechtigkeiten. Die
Besteuerung bisher zugelassener Reserven in einem einzigen Jahre bedeute eine
untragbare Härte, zumal im System einer Belastung nach Ertragsintensität.
Das Bundesgericht hat dem Begehren der eidg. Steuerverwaltung stattgegeben

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in Erwägung:
1. ­ Nach Art. 49 Abs. 1 lit. c WStB sind Abschreibungen und Rückstellungen,
die nicht geschäftsmässig begründet sind, in die Berechnung des Reingewinns
einzubeziehen. Das Steuergesetz lässt demnach nicht ohne weiteres diejenigen
Abschreibungen und Rückstellungen zum Abzuge vom Rohgewinn zu, die der
Unternehmer nach Handelsrecht und Handelsbrauch im Rahmen geschäftlichen
Ermessens vornehmen darf, sondern es beschränkt den Abzug auf die Beträge, die
eine besondere geschäftsmässige Rechtfertigung aufweisen. Diese liegt in der
Funktion, das Bruttoerträgnis der Unternehmung auf den Reingewinn
zurückzuführen, diejenigen Bestandteile aus der Rechnung auszuschalten, die
nicht Reingewinn sind. Demgemäss gelten Abschreibungen als geschäftsmässig
begründet, soweit sie einen Minderwert des Bilanzobjektes ausgleichen, z.B.
dessen Buchwert auf den Wert zurückführen, der ihm am Bilanztage noch zukommt,
wobei auf das einzelne Jahr in der Regel nur die in seinem Verlaufe
eingetretene Wertverminderung angerechnet werden soll (BGE- 62 I S. 148, 157;
63 I 83), Rückstellungen, soweit sie dazu dienen, unsichere Posten zu sichern
und (unmittelbar drohenden) Verlustgefahren zu begegnen (BGE 69 I 275).
Abschreibungen und Rückstellungen, bei denen diese Erfordernisse nicht erfüllt
sind, gehören zum steuerrechtlichen Reingewinn und sind gemäss Art. 49 Abs. 1
lit. c in die Steuerberechnung einzubeziehen. Dies gilt besonders auch für
Rückstellungen, die lediglich allgemeiner Sicherung der geschäftlichen
Unternehmung dienen, und nicht jenem besonderen Sicherungszweck. Vor allem
genügt der Gesichtspunkt eines Schutzes im:E alle späterer Verluste nicht, um
die Anrechnung einer Rückstellung bei der Steuerberechnung auszuschliessen.
2. ­ Steuerfrei zurückgestellte Vermögenswerte bleiben unbesteuert, solange
der Grund fortbesteht, der die Ausnahme von der Besteuerung rechtfertigt.
Fällt er dahin

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und entfällt damit die geschäftsmässige Begründetheit, so ist die Besteuerung
vorzunehmen. Solange eine Rückstellung durch ihren Grund, einer Unsicherheit
Rechnung zu tragen oder einer unmittelbar drohenden Verlustgefahr zu begegnen
(BGE 69 I 275), gebunden ist, unterbleibt die Besteuerung, weil ungewiss ist,
ob und inwieweit wirklich Reingewinn vorhanden ist. Der Entscheid über die
Steuerbarkeit wird ausgestellt, und es wird die weitere Entwicklung
abgewartet. Der Steuerpflichtige, der für Rückstellungen Steuerfreiheit in
Anspruch nimmt, muss es indessen auf sich nehmen, dass die Besteuerung
eintritt, wenn es sich ergibt, dass die Reserve unnötig ist, für den Zweck,
der Grund der Befreiung war, nicht mehr in Anspruch genommen werden muss. Auf
jeden Fall können Reserven in dem Zeitpunkte erfasst werden, in welchem der
Steuerpflichtige sie liquidiert oder realisiert (BGE 69 I l.c. und das nicht
publizierte Urteil vom 10. Oktober 1947 i.S. Wisa-Gloria-Werke A.-G., Erw. 3).
3.- Die Beschwerdegegnerin hat ihr Warenlager, im wesentlichen Vorräte an
Bauholz, nicht zu ihrem wirklichen Werte ­ den Anschaffungskosten oder dem
Marktpreis an den jeweiligen Bilanztagen ­ sondern zu sogenannten
Friedenspreisen bewertet, die hier etwa 1/3 tiefer liegen. Es ist
unbestritten, dass für die Unterbewertung eine geschäftliche Rechtfertigung im
Sinne von Art 49 Abs. 1 lit. c WStB nicht bestanden hat. In der Tat kann eine
Bewertung zu Friedenspreisen nur dort und insoweit als «geschäftsmässig
begründet» im Sinne des Steuergesetzes charakterisiert werden, als mit der
Möglichkeit eines unmittelbar drohenden oder eines von unvoraussehbaren
Ereignissen abhängigen und ausserordentlichen Preiszerfalls und mit einer
darin begründeten unabwendbaren und aussergewöhnlichen Verlustgefahr zu
rechnen ist. Ein solches Risiko bestand aber in der in Frage kommenden Zeit
für den Geschäftszweig der Beschwerdegegnerin und das hier in Frage stehende
Material offenbar nicht. Die Beschwerdegegnerin hat denn auch nichts vor

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gebracht, was für jene Zeit die Annahme eines solchen Risikos rechtfertigen
würde.
Die grundsätzliche Steuerbarkeit der durch die Unterbewertung geschaffenen
Reserve ist übrigens nicht bestritten. Der Streit geht um die Höhe des im
Bemessungszeitraum als Gewinnbestandteil anzurechnenden Betrages, darum, ob
die ganze am 31. Dezember 1943 vorhandene Reserve im Warenlager, im Betrage
von Fr. 98,000.­, als Bestandteil des Jahresgewinns 1943 anzurechnen ist, oder
nur die auf Ende 1943 eingetretene Erhöhung gegenüber dem Stande, den die
Reserve am Anfang dieses Geschäftsjahres aufwies (ca. Fr. 46,000.­). Die
kantonale Rekurskommission hat die Besteuerung auf Fr. 41,500.­ beschränkt als
den Betrag, den die Einschätzungsbehörde bei der Veranlagung angerechnet hatte
und von dem nachträglich zu Ungunsten des Steuerpflichtigen abzuweichen Treu
und Glauben widersprechen würde; zudem sei die aus dem Jahre 1942 übernommene
Reserve von Fr. 46,000.­ nicht realisiert, sondern weitergeführt worden.
a) Der erste Gesichtspunkt beruht auf dem Gedanken einer Art Rechtskraft für
den Teil der Einschätzung, der in der Einsprache nicht angefochten war. Es
soll eine abweichende rechtliche Beurteilung nicht zulässig sein, wenn der
Sachverhalt der Einschätzungsbehörde bereits bekannt war, als sie die
Einschätzung vornahm. Indessen ordnet Art. 105 WStB ausdrücklich an, dass die
Veranlagungsbehörde im Einspracheverfahren gestützt auf die von ihr
vorgenommene Untersuchung sämtliche Steuerfaktoren des Einsprechers neu
festsetzt. Eine Beschränkung der Änderungen auf neue, bei Vornahme der
Einschätzung nicht bekannte Tatsachen, ist damit nicht vereinbar. Sie wäre
auch nicht gerechtfertigt. Das Einsprache- und Beschwerdeverfahren soll zu
einer möglichst sachgemässen Veranlagung führen. Das bedingt, dass die
Einschätzungsbehörde die Veranlagung unbeschränkt berichtigen kann, wo sie
sich als fehlerhaft erweist. Die Berichtigung unrichtiger Einschätzungen ist
übrigens auch den kantonalen

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Rekursbehörden vorgeschrieben, und sie ist im bundesgerichtlichen
Beschwerdeverfahren nicht ausgeschlossen (Art. 109 Abs. 1 OG). Solange die
Einschätzung nicht in Rechtskraft erwachsen ist, sollen alle Instanzen dahin
wirken können, dass Fehler behoben werden, damit die Besteuerung möglichst
richtig ausfällt.
b) Aber auch die Annahme, es handle sich um eine aus dem Vorjahre übernommene
Reserve, ist nicht begründet. Eine Reserve im Warenlager stammt nur dann aus
dem Vorjahre, und ist nur dann und insoweit nicht im Rechnungsjahre selbst
gebildet worden, als Warenvorräte, die aus dem Vorjahr mit einer
Unterbewertung übernommen wurden, am Ende des Rechnungsjahres noch vorhanden
waren. Bei ihnen bildet die Unterbewertung keine Belastung des Jahresgewinns.
Waren dagegen, die zur Ergänzung des Lagers angeschafft oder hergestellt
werden, treten zu den Anschaffungs- oder zu den Herstellungskosten in den
Betrieb ein. Bewertungen unter diesen Kosten bilden eine Belastung der
Gewinnberechnung. Sie sind neue Reservestellungen und können daher bei der
Steuerberechnung von der Überprüfung auf geschäftsmässige Begründetheit nicht
deshalb ausgenommen werden, weil früher ­ inzwischen realisierte ­ Reserven in
entsprechenden Beträgen vorhanden waren. Soweit solchen neuen Reserven die
geschäftsmässige Begründetheit fehlt, bedeutet die Unterbewertung eine
Verwendung von Geschäftsgewinn, und sie kann ­ gemäss Art. 49 Abs. 1 lit. c
WStB ­ bei der Ermittlung des steuerbaren Reingewinns angerechnet werden.
Der Ausschluss der anfangs 1943 vorhandenen Warenreserve von der Anrechnung
bei der Gewinnberechnung hätte daher hier höchstens mit der Behauptung
begründet werden können, die Vorräte, auf denen die Reserve gebildet worden
war, seien alte, aus dem Jahre 1942 übernommene und 1943 liegen gebliebene
Bestände gewesen. Dass es sich so verhalte, ist aber nicht behauptet worden.
Die Rekurskommission und die Beschwerdegegnerin gehen

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vielmehr von der Auffassung aus, dass Reserven im Warenlager in den bisherigen
Beträgen überhaupt ohne Anrechnung bei der Gewinnberechnung weitergeführt
werden können, soweit keine endgültige Ganz- oder Teilliquidation des
Warenlagers ­ ohne Ersatz ­ stattgefunden hat. Sie berufen sich im
wesentlichen auf eine Praxis der Zürcher Oberrekurskommission, wonach eine
Auflösung bisher bestehender stiller Reserven im Warenlager nur anzunehmen
sei, soweit das Warenlager im Laufe der Berechnungsperiode mengenmässig
verkleinert wurde oder der Steuerpflichtige selbst eine Aufwertung vorgenommen
hat (Entscheid vom 7. März 1947, Rechenschaftsbericht 1947, No. 29,
Zentralblatt f. Staats- und Gemeindeverwaltung 48, S. 515 ff.; Blätter für
zürcherische Rechtsprechung 46, No. 30). Die Rekurskommission begründet die
von ihr für das Zürcher Steuergesetz getroffene Lösung mit der allgemeinen
betriebswirtschaftlichen Funktion der stillen Reserven in Warenlagern, auf
lange Sicht für Konjunkturrückschläge vorzusorgen, welche Funktion von der
blossen Umschichtung des Warenlagers zufolge Verkauf und Ergänzung meist nicht
berührt werde.
Bei der Wehrsteuer gelten aber Rückstellungen für allgemeine Betriebszwecke
als Gewinnverwendungen, und sie sind beim Reingewinn anzurechnen. So ist es
hier, wo es sich um Reserven handelt, die nicht zur Deckung unsicherer
Positionen dienen, sondern nur als allgemeine Rücklagen für Betriebsverluste
angesehen werden können. Solche Reservestellungen bilden, nach Art. 49 Abs. 1 ,
lit. e WStB Bestandteile des anrechenbaren Gewinns.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 74 I 193
Datum : 01. Januar 1948
Publiziert : 12. Juli 1948
Quelle : Bundesgericht
Status : 74 I 193
Sachgebiet : BGE - Verwaltungsrecht und internationales öffentliches Recht
Gegenstand : Wehrsteuer: 1. Fehler in Veranlagungen werden im Einspracheverfahren von amteswegen berichtigt.2...


Gesetzesregister
OG: 109
WStB: 49  105
BGE Register
62-I-148 • 63-I-79 • 69-I-270 • 74-I-193
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
stille reserve • weiler • herstellungskosten • bestandteil • richtigkeit • funktion • treu und glauben • bundesgericht • marktpreis • realisierung • wert • berechnung • jahresgewinn • frage • einspracheentscheid • verhalten • unternehmung • gerichts- und verwaltungspraxis • zeitliche bemessung • sachverhalt
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