BGE-73-IV-9
S. 9 / Nr. 3 Strafgesetzbuch (d)
BGE 73 IV 9
3. Urteil des Kassationshofes vom 31. Januar 1947 i.S. Kipfer gegen
Generalprokurator des Kantons Bern.
Regeste:
Art. 43

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 43 - 1 Das Gericht kann den Vollzug einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr und höchstens drei Jahren teilweise aufschieben, wenn dies notwendig ist, um dem Verschulden des Täters genügend Rechnung zu tragen.37 |
Der Verurteilte darf selbst dann in die Arbeitserziehungsanstalt eingewiesen
werden, wenn die Strafe durch Anrechnung von Untersuchungshaft oder infolge
vorzeitigen Strafantritts (Art. 123 bern. StrV) getilgt ist
Der getilgte Teil der Strafe wird nicht auf die Fristen angerechnet, die als
Mindest- und als Höchstdauer der Arbeitserziehung vorgeschrieben sind.
Art. 43 CP.
Le condamné peut être renvoyé dans une maison d'éducation au travail même
lorsque la peine est éteinte par l'imputation de la détention préventive ou
par suite du transfert dans un établissement pénitentiaire (art. 123 CPP
bernois).
La partie de la peine que le condamné a subie ne peut pas être imputée sur les
délais prévus comme durée minimum et durée maximum de l'éducation au travail.
Art. 43 CP
Il condannato pub essere collocato in una casa di educazione al lavoro anche
se la pena è estinta col computo del carcere preventivo o in seguito al
trasferimento in uno stabilimento penitenziario (art. 123 CPP bernese).
La parte della pena che il condannato ha subita non pub essere imputata sui
termini di durata minima o di durata massima previsti per l'educazione al
lavoro.
A. Das Obergericht des Kantons Bern verurteilte Kipfer am 25. Oktober 1946
wegen Raubversuchs zu sechs Monaten Gefängnis, die es getilgt erklärte, weil
der Verurteilte vom 12. Januar bis 27. Februar 1946 in Untersuchungshaft und
von da an bis zum Urteil gemäss Art. 123 bern. StrV auf eigenes Verlangen in
Strafhaft gewesen war. Gestützt auf Art. 43

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 43 - 1 Das Gericht kann den Vollzug einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr und höchstens drei Jahren teilweise aufschieben, wenn dies notwendig ist, um dem Verschulden des Täters genügend Rechnung zu tragen.37 |
wegen Arbeitsscheu in eine Arbeitserziehungsanstalt ein.
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B. Kipfer führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, dieses Urteil sei
aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an das Obergericht
zurückzuweisen. Er macht geltend, die Einweisung in die
Arbeitserziehungsanstalt sei nicht zulässig, weil die Strafe getilgt sei.
Eventuell wäre die in der Strafanstalt verbrachte Zeit auf die in Art. 43

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 43 - 1 Das Gericht kann den Vollzug einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr und höchstens drei Jahren teilweise aufschieben, wenn dies notwendig ist, um dem Verschulden des Täters genügend Rechnung zu tragen.37 |
aufgestellten Fristen anzurechnen.
C. Der Generalprokurator des Kantons Bern beantragt, die Beschwerde sei
abzuweisen.
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1. Ein zur Arbeit erziehbarer Täter, dessen Verbrechen oder Vergehen mit
Liederlichkeit oder Arbeitsscheu zusammenhängt, kann gemäss Art. 43 Ziff. 1

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 43 - 1 Das Gericht kann den Vollzug einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr und höchstens drei Jahren teilweise aufschieben, wenn dies notwendig ist, um dem Verschulden des Täters genügend Rechnung zu tragen.37 |
StGB in eine Arbeitserziehungsanstalt eingewiesen werden, wenn er zu Gefängnis
verurteilt wird. Es genügt also, dass diese Strafe gegen ihn ausgesprochen
wird; dass sie auch noch vollziehbar sei, verlangt das Gesetz nicht. Erziehung
zur Arbeit wird nicht als Vergünstigung verhängt, um dem Verurteilten den
Strafvollzug zu ersparen, sondern um die Liederlichkeit oder Arbeitsscheu zu
beheben, mit welcher sein Verbrechen oder Vergehen zusammenhängt. Da sie nicht
der Sühne dient, steht ihr die Sühne nicht im Wege, welche der Verurteilte
durch Untersuchungshaft oder vorzeitigen Strafantritt, wie ihn Art. 123 des
bernischen Gesetzes über das Strafverfahren auf Verlangen des Beschuldigten
zulässt, geleistet hat. Freilich wird der Vollzug der Strafe aufgeschoben
(Art. 43 Ziff. 1 Abs. 1

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 43 - 1 Das Gericht kann den Vollzug einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr und höchstens drei Jahren teilweise aufschieben, wenn dies notwendig ist, um dem Verschulden des Täters genügend Rechnung zu tragen.37 |
sich nach der bedingten Entlassung aus der Anstalt während der Probezeit
bewährt (Art. 43 Ziff. 5). Der Gedanke ist der, dass es unbillig wäre, diese
Massnahme nicht auch den Sühnezweck der Strafe übernehmen zu lassen, nachdem
sich herausgestellt hat, dass sie deren Besserungszweck hat erfüllen können.
Daraus ergibt sich aber nicht, dass die Arbeitserziehung unzulässig sei, wenn
feststeht, dass sie den Sühnezweck der schon getilgten Strafe nicht mehr
übernehmen kann. Das hiesse,
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um der geleisteten Sühne willen auf die Besserung verzichten. Das will das
Gesetz nicht; die Behebung der festgestellten Liederlichkeit oder Arbeitsscheu
geht allem vor, wie denn auch dem Eingewiesenen der Strafvollzug nur dann
erspart bleibt, wenn dieses Ziel erreicht wird (Art. 43 Ziff. 4). Die
gegenteilige Auffassung des Beschwerdeführers hätte zur Folge, dass die
Zulässigkeit der Arbeitserziehung davon abhinge, ob der Verurteilte in
Untersuchungshaft gewesen ist und ob diese genügend lange gedauert hat. Die
Kantone hätten es dann in der Hand, durch weitgehende Zulassung von
Untersuchungshaft oder, wie das bernische Recht, durch Gestattung des
vorzeitigen Strafantritts die Anwendung der eidgenössischen Norm des Art. 43

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 43 - 1 Das Gericht kann den Vollzug einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr und höchstens drei Jahren teilweise aufschieben, wenn dies notwendig ist, um dem Verschulden des Täters genügend Rechnung zu tragen.37 |
StGB zu verhindern. Das gestattet das Bundesrecht umsoweniger, als die
Untersuchungshaft etwas ganz anderes bezweckt als Erziehung zur Arbeit. Auch
in der Strafhaft ist diese Erziehung nicht in gleicher Weise möglich wie in
der Arbeitsanstalt. Das geht schon daraus hervor, dass sich der Eingewiesene
mindestens ein Jahr in der Anstalt aufhalten muss, auch wenn die Strafe von
kürzerer Dauer ist (Art. 43 Ziff. 5). Dass in Fällen, wo die Strafe im
Zeitpunkt des Urteils schon getilgt ist, gewisse Bestimmungen des Art. 43, z.
B. Ziff. 5 Abs. 2, gegenstandslos sind, bildet keinen Grund, von der
Einweisung abzusehen, denn auch in solchen Fällen bietet sie noch genügend
Möglichkeiten der erzieherischen Einwirkung auf den Verurteilten (vgl.
namentlich Art. 43 Ziff. 3

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 43 - 1 Das Gericht kann den Vollzug einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr und höchstens drei Jahren teilweise aufschieben, wenn dies notwendig ist, um dem Verschulden des Täters genügend Rechnung zu tragen.37 |

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 5 - 1 Diesem Gesetz ist ausserdem unterworfen, wer sich in der Schweiz befindet, nicht ausgeliefert wird und im Ausland eine der folgenden Taten begangen hat: |

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 3 - 1 Diesem Gesetz ist unterworfen, wer in der Schweiz ein Verbrechen oder Vergehen begeht. |
für den analogen Fall der Verwahrung (Art. 42

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 42 - 1 Das Gericht schiebt den Vollzug einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe von höchstens zwei Jahren in der Regel auf, wenn eine unbedingte Strafe nicht notwendig erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten.33 |
Massnahme auch zulässig ist, wenn die Strafe durch Untersuchungshaft getilgt
ist (BGE 69 IV 53). Gleich verhält es sich in Fällen der Verwahrung,
Versorgung oder Behandlung gemäss Art. 14

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 14 - Wer handelt, wie es das Gesetz gebietet oder erlaubt, verhält sich rechtmässig, auch wenn die Tat nach diesem oder einem andern Gesetz mit Strafe bedroht ist. |

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 15 - Wird jemand ohne Recht angegriffen oder unmittelbar mit einem Angriff bedroht, so ist der Angegriffene und jeder andere berechtigt, den Angriff in einer den Umständen angemessenen Weise abzuwehren. |
dass die Tilgung der Strafe der Massnahme nicht im Wege steht, ist diese doch
sogar zulässig, wenn der Täter wegen Unzurechnungsfähigkeit freigesprochen
wird.
2. Aus den gleichen Erwägungen darf die Zeit, die
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der Beschwerdeführer gestützt auf Art. 123 bern. StrV in der Strafanstalt
verbracht hat, nicht auf die Fristen angerechnet werden, die als Mindest- und
als Höchstdauer der Arbeitserziehung vorgeschrieben sind (Art. 43 Ziff. 5 Abs.
1

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 43 - 1 Das Gericht kann den Vollzug einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr und höchstens drei Jahren teilweise aufschieben, wenn dies notwendig ist, um dem Verschulden des Täters genügend Rechnung zu tragen.37 |
Demnach erkennt der Kassationshof: Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.
Gesetzesregister
StGB 3
StGB 5
StGB 14
StGB 15
StGB 42
StGB 43
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 3 - 1 Diesem Gesetz ist unterworfen, wer in der Schweiz ein Verbrechen oder Vergehen begeht. |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 5 - 1 Diesem Gesetz ist ausserdem unterworfen, wer sich in der Schweiz befindet, nicht ausgeliefert wird und im Ausland eine der folgenden Taten begangen hat: |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 14 - Wer handelt, wie es das Gesetz gebietet oder erlaubt, verhält sich rechtmässig, auch wenn die Tat nach diesem oder einem andern Gesetz mit Strafe bedroht ist. |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 15 - Wird jemand ohne Recht angegriffen oder unmittelbar mit einem Angriff bedroht, so ist der Angegriffene und jeder andere berechtigt, den Angriff in einer den Umständen angemessenen Weise abzuwehren. |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 42 - 1 Das Gericht schiebt den Vollzug einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe von höchstens zwei Jahren in der Regel auf, wenn eine unbedingte Strafe nicht notwendig erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten.33 |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 43 - 1 Das Gericht kann den Vollzug einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr und höchstens drei Jahren teilweise aufschieben, wenn dies notwendig ist, um dem Verschulden des Täters genügend Rechnung zu tragen.37 |