S. 91 / Nr. 9 Befreiung von kantonalen Abgaben (d)

BGE 73 I 91

9. Urteil vom 21. März 1947 i. S. Schweizerische Bundesbahnen gegen Kanton
Schwyz.


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Regeste:
Befreiung von kantonalen Abgaben: 1. Der Anspruch kann beim Bundesgericht
direkt, ohne vorherige Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges, erhoben
werden.
2. Die Lagerhäuser der SBB sind, jedenfalls soweit sie nicht für bahnfremde
Zwecke vermietet sind, von jeder Besteuerung durch die Kantone und die
Gemeinden befreit.
3. Die Befreiung gilt vom 1. Januar 1946 an. Die Rechtskraft früher ergangener
Steuerfestsetzungen kantonaler Behörden kann ihr nicht entgegengehalten
werden.
Exemption des contributions cantonales: 1. La demande peut être portée
directement devant le Tribunal fédéral même si tous les degrés de juridiction
cantonaux n'ont pas été parcourus au préalable.
2. Les entrepôts des CFF sont exempts de toute imposition cantonale et
communale, dans la mesure en tout cas où ils ne sont pas donnés à bail pour
des usages étrangers au trafic des chemins de fer.
3. L'exemption commence le 1er janvier 1946. La force de chose jugée de
taxations cantonales antérieures ne saurait la tenir en échec
Esonero dalle contribuzioni cantonali: 1. La domanda può essere presentata
direttamente davanti al Tribunale federale, anche se tutte le istanze
cantonali non sono state previamente adite.
2. I magazzini delle SFF sono esonerati da ogni imposta cantonale e comunale
nella misura in cui non sono dati in locazione a utenti estranei al traffico
ferroviario.
3. L'esonero comincia il primo di gennaio 1946. La forza di cosa giudicata di
antecedenti tassazioni cantonali non è opponibile a un siffatto esonero.

A. ­ Die Schweizerischen Bundesbahnen hatten sich bisher der Besteuerung ihrer
Lagerhäuser in Brunnen (Gemeinde Ingenbohl) ohne Anerkennung einer
Rechtspflicht unterzogen. Nachdem auf den 1. Januar 1946 das neue
Bundesbahngesetz, vom 23. Juni 1944, in Kraft getreten war, erhoben sie
Anspruch auf Herabsetzung des im Kanton Schwyz steuerbaren Vermögens um den

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Steuerwert jener Lagerhäuser, von Fr. 918800.­ auf Fr. 256800.­, mit der
Begründung, dass nach Art. 6 dieses Gesetzes die Lagerhauser ausdrücklich von
jeder Besteuerung durch die Kantone und Gemeinden befreit seien.
Die Steuerkommission lehnte die Befreiung mit Entscheid vom 24. Mai 1946 ab
und bestätigte ihre Stellungnahme mit Einspracheentscheid vom 22. August 1946.
B. ­ Die Schweizerischen Bundesbahnen haben diesen Entscheid nicht
weitergezogen, sondern wenden sich mit Klageschrift vom 23. September 1946 an
das Bundesgericht mit dem Begehren festzustellen, dass sie für ihre
Lagerhäuser einschliesslich Verwaltungsgebäude in der Gemeinde Ingenbohl von
jeder Besteuerung durch Kanton; Bezirk und Gemeinde befreit seien und der
Kanton Schwyz demzufolge diese Steuerbefreiung rückwirkend auf den 1. Januar
1946 zu anerkennen habe. Zur Begründung wird im wesentlichen ausgeführt, die
Klage werde erhoben gemäss Art. 18 lit. a VDG. Nach Art. 6 des neuen
Bundesbahngesetzes seien die Nebenbetriebe der Bundesbahnen, darunter
Lagerhäuser, ausdrücklich steuerfrei erklärt. Der Entscheid der
Steuerkommission vom 22. August 1946 sei bundesrechtswidrig.
C. ­ Der Regierungsrat des Kantons Schwyz beantragt, auf die Klage nicht
einzutreten, eventuell sie abzuweisen und die Klägerin zu verhalten, ihre
Lagerhäuser in Ingenbohl nach der kantonalen Steuergesetzgebung voll oder
wenigstens für eine richterlich festzustellende Quote zu versteuern. Er führt
zur Begründung im wesentlichen aus, es bestehe kein Grund, die im Jahre 1943
für die Veranlagungsperiode von 6 Jahren getroffene und in Rechtskraft
erwachsene Einschätzung vor Ablauf der Veranlagungsperiode aufzuheben. Die vom
kantonalen Rechte (§ 30, Abs. 2 schwyz. ErwerbsStG) vorgesehenen
Voraussetzungen für eine ausserordentliche Steuerveranlagung
(Vermögensvermehrung oder -verminderung) seien nicht erfüllt, und das neue
Bundesbahngesetz enthalte keine

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Bestimmung, wonach eine rechtskräftige kantonale Einschätzung aufzuheben wäre.
Zudem sei im Rahmen der partiellen Steuerrevision das kantonale Verfahren
nicht abgeschlossen, da gegen den Einspracheentscheid der Steuerkommission die
Rekurskommission hätte angerufen werden können. Erst der kantonale
Rekursentscheid unterliege gerichtlicher Klage.
Ein Anspruch auf Steuerbefreiung bestehe, auch nach dem neuen Bahngesetz, Art.
6, hier nicht. Die Klägerin habe die bisherige Besteuerung unter dem alten
Gesetz im Prinzip nie angefochten, und Art. 6 des neuen Gesetzes habe die
bisherige Regelung eigentlich nur redaktionell abgeändert, insofern nun im
Sinne der bisherigen Praxis einige Objekte aufgezählt werden, die als
Nebenbetriebe der Bahn aufgefasst werden können. Es sei aber wie unter dem
alten Gesetz daran festgehalten worden, dass sich die Steuerbefreiung nicht
auf die Liegenschaften erstreckt, die keine notwendige Beziehung zum
Bahnbetrieb haben.
Eine notwendige Beziehung zwischen zwei Objekten sei aber nur dann vorhanden,
wenn das eine nicht ohne das andere bestehen könne. Auch das neue
Bundesbahngesetz stelle keine gesetzliche Vermutung dafür auf, dass ein
Lagerhaus der SBB eine notwendige Beziehung zum Bahnbetrieb aufweise. Vielmehr
sei die Beziehung in jedem Falle nachzuweisen. Hier fehle nicht nur ein
solcher Nachweis, sondern es stehe fest, dass die Lagerhäuser in Brunnen zum
Bahnbetrieb der Station Brunnen zum grössten Teil keine und auf keinen Fall
eine notwendige Beziehung aufweisen. Vielmehr seien sie, wie schon unter der
Gotthardbahngesellschaft (Urteil des Schiedsgerichtes i. S. der Kantone Schwyz
und Uri gegen die Gotthardbahngesellschaft, vom 5. Oktober 1900) ein
Nebengeschäft, das ebensogut von privaten Lagerhausgeschäften übernommen
werden könnte. Die Klägerin gebe selbst zu, dass die in den Lagerhäusern
Brunnen aufbewahrten Güter nicht bahneigene Vorräte, sondern fremde Waren

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seien. Die Lagerung von Transportgütern durch die Bahn selbst könne nur dann
als wesentlich mit dem Bahnbetrieb zusammenhängend betrachtet werden, wenn die
Transportgüter am Orte der Lagerung zum Transport aufgegeben, dorthin
transportiert oder dort umgelagert werden müssten. Nur die kurzfristige
Lagerung zwischen Aufgabe, Abholung und Bahntransport könne als bahnnotwendig
in Frage kommen. Sie treffe bei den in Brunnen gelagerten Gütern nicht zu. In
den Lagerhäusern in Brunnen würden zu einem grossen Teil Güter gelagert, die
überhaupt nie mit der Bahn transportiert, sondern mit Motorfahrzeugen zu- und
weggeführt würden. Die Klägerin betreibe also ihre Lagerhäuser in Brunnen zu
einem grossen, wahrscheinlich zum überwiegenden Teil, als reines Nebengeschäft
zu privaten, bahnfremden Erwerbszwecken. Die Station Brunnen sei weder
Verkehrsknotenpunkt, Warenumschlagsplatz, Zollstation, noch sonst ein Platz,
an dem Waren gelagert oder umgelagert werden müssten. Für die lokalen
Transport- und Bahnlagerungsbedürfnisse bestehe ein durchaus genügender
Güterschuppen; dieser werde vom Kanton selbstverständlich steuerfrei belassen.
Für den Lagerhausbetrieb rechtfertige sich die Steuerbefreiung nicht.
Das Bundesgericht hat die Klage geschützt
in Erwägung:
1. ­ Der Streit betrifft die Frage, ob die in Art. (i Bundesbahngesetz
vorgesehene Befreiung der Schweizerischen Bundesbahnen von kantonalen und
Gemeindesteuern auf die Lagerhäuser der SBB in Brunnen anwendbar ist. Anstände
über im Bundesrecht vorgesehene Befreiungen von kantonalen Abgaben werden vom
Bundesgericht als einziger Instanz im direkten verwaltungsrechtlichen Prozess
beurteilt (Art. 111 , lit. a OG). Das bedeutet, dass der Richter nicht als
Oberinstanz gegenüber Verfügungen kantonaler Behörden angerufen wird, sondern
dass sich die Partei, die sich auf eine bundesrechtliche Befreiung

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berufen will, unmittelbar an ihn wendet. Demgemäss knüpft die Klage nicht an
das kantonale Rekursverfahren an; sie kann ohne vorgängige Durchführung dieses
Verfahrens eingeleitet werden (BGE 67 I S. 49, Erw. 1, und Zitate). Es ist
daher unerheblich, dass die Klägerin davon abgesehen hat, den
Einspracheentscheid der Steuerkommission an die kantonale Rekurskommission
weiterzuziehen.
Ob sich ein Kanton, angesichts dieser Unabhängigkeit des
verwaltungerechtlichen Prozesses von etwa vorausgegangenen Entscheidungen
kantonaler Behörden, überhaupt auf Rechtskraft berufen kann, wenn einer
Einschätzung Bundesrechtswidrigkeit im Wege des direkten
verwaltungsrechtlichen Prozesses entgegengehalten wird, kann dahingestellt
bleiben. Hier war durch Erlass des neuen Bundesbahngesetzes, soweit damit der
bisherige Rechtszustand abgeändert wurde, eine neue Rechtslage geschaffen
worden, die sich von gesetzeswegen auf früher ergangene Entscheide auswirkt.
Der Wille des Bundesgesetzgebers, entgegenstehende Entscheide aufzuheben,
kommt zum Ausdruck in der Ordnung über das Inkrafttreten (Art. 22, Abs. 1).
Das Gesetz ist allgemein auf den 1. Januar 1946 in Kraft gesetzt worden (BRB
vom 1. Oktober 1946, Ges. Sammlg. S. 792). Eine Ausnahme für
Steuerfestsetzungen, die auf 1946 und spätere Jahre übergreifen, wurde dabei
nicht gemacht. Vor allem ist keine Übergangsperiode im Hinblick auf
kantonalrechtliche Veranlagungsperioden vorgesehen. Einer ausdrücklichen
Bestimmung, dass rechtskräftige kantonale Einschätzungen aufgehoben seien,
bedurfte es neben der Inkraftsetzung nicht.
2. ­ Durch Art. 6 des neuen Bundesbahngesetzes ist eindeutig klargestellt,
dass Lagerhäuser zu den Hilfs- und Nebenbetrieben der SBB als
Transportunternehmung gehören, die von jeder Besteuerung durch die Kantone und
Gemeinden befreit sind. Dass es sich so verhält, ergibt sich unzweifelhaft aus
der parlamentarischen

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Beratung des Gesetzes, wo die Wünschbarkeit, die Lagerhäuser unter die
Beispiele steuerfreier Nebenbetriebe aufzunehmen, speziell mit der bisherigen
Besteuerung der Lagerhäuser in Brunnen begründet wurde (Votum des
Kommissionsreferenten in Nationalrat, Sten. Bull. 1938 Nat. Rat S. 81.) Die
Annahme des Beklagten, dass ­ gemäss dem Zusatz über Liegenschaften, die keine
notwendige Beziehung zum Betrieb des Unternehmens haben ­ in jedem Falle noch
untersucht werden müsste, ob bei einem Lagerhaus eine solche Beziehung
bestehe, ist unhaltbar.
Inwieweit und unter welchen Voraussetzungen eine allfällige Vermietung von
Lagerräumen für bahnfremde Zwecke es rechtfertigen würde, von der in Art. 6
Abs. 1 vorgesehenen Befreiung Ausnahmen zu machen, kann dahingestellt bleiben,
da in Brunnen keine Lagerräume für bahnfremde Zwecke vermietet sind. Soweit
Mietverträge bestehen, handelt es sich um Verträge mit Bahnkunden, und die
Vermietung unterliegt, nach ausdrücklicher Bestimmung in den dem Gericht
vorliegenden Mietverträgen, den Vorschriften vom 1. Oktober 1945 über die
Vermietung von Lagerplätzen auf Stationen; danach dürfen ­ ausgenommen die
Waren für den Lokalverkehr im Umkreis von 15 km ­ auf dem gemieteten Platz
grundsätzlich nur Güter gelagert werden, die mit der Bahn eingetroffen sind
und mit dieser abbefördert werden.
Vgl. 8 und 9. ­ Voir nos 8 et 9.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 73 I 91
Datum : 01. Januar 1947
Publiziert : 21. März 1947
Quelle : Bundesgericht
Status : 73 I 91
Sachgebiet : BGE - Verwaltungsrecht und internationales öffentliches Recht
Gegenstand : Befreiung von kantonalen Abgaben: 1. Der Anspruch kann beim Bundesgericht direkt, ohne vorherige...


Gesetzesregister
OG: 111
BGE Register
67-I-42 • 73-I-91
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
brunnen • gemeinde • sbb • bundesgericht • kantonale behörde • einspracheentscheid • wille • frage • entscheid • inkrafttreten • bruchteil • kantons- und gemeindesteuer • unternehmung • steuererlass • richterliche behörde • begründung des entscheids • ermässigung • lagergebäude • einzige instanz • rechtspflicht
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