S. 162 / Nr. 20 Bundesrechtliche Angaben (d)

BGE 73 I 162

20. Urteil vom 24. Januar 1947 i. S. Wittwer gegen eidg. Steuerverwaltung.


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Regeste:
Warenumsatzsteuer: Der bei der Herstellung vorgearbeiteter Uhrensteine
(préparages) für Sciage- und Lapidagezwecke verwendete Rohdiamant (Boart) ist
nicht Werkstoff im Sinne des WUStB.
Impôt sur le chiffre d'affaires: Le diamant brut (boart) employé pour le
«préparage» des pierres pour l'horlogerie («sciage» et «lapidage») n'est pas
une matière première au sens de l'ACA.
Imposta sulla cifra d'affari: Il diamante greggio (boart) utilizzato per la
preporzione delle pietre d'orologeria («sciage» e «lapidage») non è una
materia prima ai sensi del DICA.

A. ­ Die Préparage-Industrie verarbeitet im wesentlichen synthetischen Rubin
und Saphir (Brut) zu vorgearbeiteten Uhrensteinen, d. h. zu Teilstücken
derjenigen Form und Grösse, wie sie die Uhrensteinfabrikation braucht, z. B.
sog. Assortiments, vorgearbeitete Ankersteine für Hemmungen und Lochsteine für
Lager. Der Arbeitsvorgang besteht einerseits im Zerlegen des im Handel in
konischen Stücken von 7 bis 10 cm Länge und 1,5 bis 2,5 cm Durchmesser
bezogenen Rohstoffs durch Aufspalten und Sägen (sciage) und anderseits in der
Anpassung der so gewonnenen Teilstücke an die von der Kundschaft geforderten
Masse und Formen, wobei u. a. zu grosse Stücke auf das richtige Mass
abgeschliffen werden (lapidage). Hiebei wird Diamantpulver verwendet, das aus
im Handel meist in Körnern bis zu Erbsengrösse bezogenem Rohdiamant
(Industriediamant, Boart) hergestellt wird. Für Lapidagezwecke wird das Pulver
so in Metallwalzen eingepresst, dass es fest auf der Unterlage haftet; für die
Verwendung zum Sägen wird es zunächst in Pastenform gebracht. Das Zersägen
(sciage) des Rohrubins (Brut) geschieht mit kleinen Fräsen, die als Träger des
Diamants dienen. Es sind runde Metallscheiben (Kupfer oder Weissmetall) von
ca. 9 cm Durchmesser. Der Rand dieser Scheiben wird etwa 2 mm tief gezähnt und
mit jener Paste versehen, die das Diamantpulver

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enthält. Bei der Berührung mit dem Rubin nützen sich die Zähnchen, die weicher
sind als jener, ab und das Diamantpulver bewirkt den gewünschten Schnitt. Es
ist also nicht die Fräse, sondern der darauf aufgetragene Diamant, der das
Zersägen des Rubins bewirkt. Beim Abschleifen und beim Sägen geht der Diamant
praktisch vollständig verloren.
C. ­ Die eidg. Steuerverwaltung hatte, gestützt auf die ursprüngliche Fassung
von Art. 18 WUStB, den in der Uhrensteinfabrikation verwendeten
Industriediamanten, als Schleif- und Poliermittel, auf Zusehen hin als
Werkstoff anerkannt. Im September 1944 (Merkblatt 7 für Grossisten) zog sie
die Anerkennung für alle Arten von Schleif- und Poliermitteln (u. a. auch für
Boart) mit Wirkung ab 1. Oktober 1944 zurück, soweit die Stoffe nicht
nachweisbar mit ihrer Substanz in die bearbeitete Ware übergehen. Einen Antrag
des Beschwerdeführers, die Unterstellung des zur Bearbeitung von Brut und von
Uhrenrohsteinen benötigten Diamanten unter die Umsatzsteuer aufzuheben und den
Boart weiterhin als Werkstoff zu behandeln, hat sie mit Entscheid vom 2. März
1945 abgelehnt. Diese Stellungnahme wurde mit Einspracheentscheid vom 2.
September 1946 bestätigt.
D. ­ Hiegegen richtet sich die Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag,
den angefochtenen Entscheid aufzuheben und den von der Préparage-Industrie zum
Sägen, Schleifen und Polieren verwendeten Industriediamanten (Boart) als
Werkstoff im Sinne von Art. 18 WUStB anzuerkennen, unter Kostenfolge. Zur
Begründung wird im wesentlichen ausgeführt, der Industriediamant müsse unter
die Werkstoffe im Sinne des Warenumsatzsteuergesetzes eingereiht werden, weil
sein Verlust, das Aufgebrauchtwerden, nicht mit Nebenerscheinungen des
Arbeitsvorganges zusammenhänge, sondern durch den verfolgten Zweck, das Sägen
und Schleifen, verursacht werde. Das Konsumieren des Boarts sei zwangsläufig
durch das Erzielen des Zweckes bedingt: ohne Aufgebrauchtwerden

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des Boart keine Säge- oder Schleifwirkung. Der Verlust liege dabei nicht an
einem technischen Mangel oder an der Unvollkommenheit des Boart, sondern an
seiner stofflichen Natur. Der Boart sei daher als ein Stoff zu betrachten, der
bei der Herstellung von Uhrenstein-Préparagen für ähnliche Zwecke wie
Energieerzeugung aufgebraucht werde oder abfalle. Es verhalte sich bei ihm
ähnlich wie bei Stoffen, die der Energieerzeugung dienen. Auch mit diesen
werde die erwünschte Wirkung durch den Verbrauch erzielt.
Das Bundesgericht hat die Beschwerde abgewiesen
in Erwägung:
1. ­ Der BRB über die Warenumsatzsteuer (WUStB) ordnet die Befreiung des
Werkstoffes an, weil nach dem Grundsatze nur einmaliger Belastung jeder Ware
(Einphasensteuer), der ihm zu Grunde liegt, der Stoff für die Warenerzeugung
erst im Endprodukt erfasst werden und während des Herstellungsprozesses in der
Regel unbelastet bleiben soll. Darum bezeichnet der Beschluss als Werkstoff
den Rohstoff und die Zwischenerzeugnisse, die in die Ware übergehen, und den
Abfall davon. Die Verwendung dieser Stoffe im Herstellungsprozess erscheint
als Durchgangsstadium im Hinblick auf ein dem endgültigen Verbrauche später
zuzuführendes Erzeugnis, zum Unterschied von Stoffen, die mit der Verwendung
im Herstellungsprozess aus dem Verkehr ausscheiden.
Dem Rohstoff und den Zwischenerzeugnissen gleichgehalten werden Stoffe, die im
Herstellungsprozess für die Energieerzeugung oder für ähnliche Zwecke
aufgebraucht werden. Es wird angenommen, dass die bei der Fabrikation
verwendete Energie in das Erzeugnis übergeht und aus diesem Grunde (im System
einer Einphasensteuer) im Endprodukt miterfasst werden kann. «Ähnliche Zwecke»
sind Vorgänge im Herstellungsprozess, die ähnlich der Verwendung von Energie
ein Aufgehen des Stoffes im Endprodukt bewirken. Stoffe und Erzeugnisse, die

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nicht in das Endprodukt übergehen und sich darin auch bei weitester
Betrachtung nicht nachweisen lassen, können nicht als Werkstoff im Sinne von
Art. 18 WUStB angesehen werden. Die Werkstoffeigenschaft bestimmt sich nicht
nach der Notwendigkeit eines Stoffes oder Gegenstandes für die Produktion
(auch Werkzeuge und Maschinen sind dazu unerlässlich), sondern danach, ob der
Stoff oder Gegenstand irgendwie im Endprodukt aufgeht (BGE 71 I S. 452).
Graphitelektroden wurde Werkstoffeigenschaft im wesentlichen deshalb
zuerkannt, weil sie zu Zwecken der Energieerzeugung eingesetzt werden
(Umwandlung von elektrischer in Wärmeenergie), weil sie sich auf das
Enderzeugnis auswirken (Desoxydation) und weil der Stoff mit dazu bestimmt
ist, vom Endprodukt aufgenommen zu werden (Aufkohlung). Dies führte dazu, die
Abnützung der Elektrode als notwendige Funktion im Herstellungsprozess und
nicht als auf technischer Unvollkommenheit des Stoffes beruhende und deshalb
als an sich unerwünschte Begleiterscheinung, Nebenfolge seiner Verwendung, zu
charakterisieren (BGE 70 I S. 289 und 290 f.). Wo solche Auswirkungen fehlen,
kommt den in der Fabrikation verwendeten Stoffen und Gegenständen
Werkstoffeigenschaft nicht zu; die Waren finden vielmehr im
Herstellungsprozess selbst die bestimmungsgemäss endgültige Verwendung. Dieser
sollen sie, nach der Ordnung des Warenumsatzsteuerbeschlusses, nicht zugeführt
werden, ohne dass zuvor (beim Bezuge der Ware beim Lieferanten oder beim
Eigenverbrauch, Art. 13, lit. a WUStB) die Abgabe entrichtet worden ist oder
entrichtet wird. Dies gilt vor allem für Stoffe und Gegenstände, die im
Herstellungsprozess lediglich der äusseren, mechanischen Bearbeitung dienen.
Sie sind Hilfsmittel für die Produktion, meist ein Werkzeug in der Hand des
Herstellers. Ihre Abnützung ist eine unerwünschte Begleiterscheinung ihrer
Verwendung, eine Folge technischer Unvollkommenheit, die der Hersteller
vermeiden würde, wenn es sich in rationeller Weise erreichen liesse.

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2. ­ Im Betriebe des Beschwerdeführers wird der Industriediamant zur äusseren
Bearbeitung des Rohstoffes und der daraus hergestellten Zwischenerzeugnisse
eingesetzt. Er geht nicht in das Endprodukt über und kann, selbst bei
weitgehender Betrachtung im Sinne der Praxis, nicht als Bestandteil des
Endproduktes angesehen werden. Er ist daher nicht Werkstoff und muss der
Umsatzsteuer spätestens beim Übergang in den Betrieb des Beschwerdeführers,
als des Verbrauchers, unterworfen werden.
Eine Unsicherheit in der warenumsatzsteuerrechtlichen Charakterisierung hat
sich daraus ergeben, dass der WUStB in seiner ursprünglichen Fassung unter den
Beispielen von Stoffen für Energieerzeugung und ähnliche Zwecke u. a. auch
Schleifmittel aufführte. Der Beschluss ist aber abgeändert worden und umfasst
in seiner heutigen Umschreibung des Werkstoffes Schleifmittel, die lediglich
äusserer Bearbeitung dienen, bestimmt nicht. Übrigens liesse sich sogar die
Auffassung vertreten, dass der Industriediamant in der Préparage-Industrie
nicht unmittelbar als Stoff verwendet wird, sondern zur Herstellung
eigentlicher Werkzeuge oder Maschinenbestandteile dient, der Fräsen und
Walzen, mit denen der Rohstoff bearbeitet, zerlegt und abgeschliffen wird
(sciage und lapidage). Er hat hiebei eine ähnliche Funktion wie der Bohrstahl
von Gesteinbohrern, welchem Werkeigenschaft ebenfalls nicht zuerkannt werden
konnte (BGE 71 I S. 186).
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 73 I 162
Datum : 01. Januar 1947
Publiziert : 24. Januar 1947
Quelle : Bundesgericht
Status : 73 I 162
Sachgebiet : BGE - Verwaltungsrecht und internationales öffentliches Recht
Gegenstand : Warenumsatzsteuer: Der bei der Herstellung vorgearbeiteter Uhrensteine (préparages) für Sciage- und...


BGE Register
70-I-283 • 71-I-179 • 71-I-451 • 73-I-162
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
werkstoff • endprodukt • diamant • rohstoff • weiler • produktion • werkzeug • warenumsatzsteuer • bezogener • mass • funktion • entscheid • ware • handel und gewerbe • begründung des entscheids • benutzung • teilung • bestandteil • verhalten • bundesgericht
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