S. 121 / Nr. 14 Bundesrechtliche Abgaben (d)

BGE 73 I 121

14. Urteil vom 13. Juni 1947 i. S. Einwohnergemeinde Kerns gegen eidg.
Steuerverwaltung.


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Regeste:
Stempelabgaben auf Kassenobligationen und deren Coupons: Begriff der
Kassenobligationen.
Droits de timbre sur des obligations de caisse et leurs coupons: Notion de
l'obligation de caisse.
Diritto di bollo sulle obbligazioni di cassa e loro cedole: Concetto
dell'obbligazione di cassa.

A. ­ Seit 1933 pflegt die Gemeinde Kerns Gemeindeaufgaben, für die ihr die
erforderlichen Mittel fehlen, von Fall zu Fall durch Darlehen zu finanzieren,
die sie sich von Gemeindebürgern gewähren lässt, meist in runden Beträgen die
sich im Rahmen von Fr. 500.­ bis Fr. 50000.­ bewegen. Die Darlehen sind
beidseitig auf einen Monat kündbar und werden zu einem Satz verzinst, der ein
Viertel Prozent unter dem Satze liegt, zu dem die Obwaldner Kantonalbank
Gemeinde-Darlehen gewährt. Es werden darüber Schuldscheine ausgestellt, die im
wesentlichen diese Darlehensbedingungen wiedergeben. Am 31. Dezember 1944
machte der Gesamtbetrag dieser Darlehen rund

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Fr. 218000.­ aus. Er verteilte sich auf 20 Gläubiger; einzelne von ihnen
besitzen mehrere Titel. Die genaue Zahl lässt sich aus den Angaben der
Gemeinde nicht mit Sicherheit ermitteln. Es mögen damals etwa 30 bis 35 Titel
gewesen sein.
B. ­ Die eidg. Steuerverwaltung hat die Schuldscheine als Kassenobligationen
angesprochen und fordert von der Beschwerdeführerin die Emissionsabgabe für
die Jahre 1935 bis 1945 und die auf den Zinsen der Jahre 1940-1945 verfallene
Couponabgabe.
C. ­ Die Einwohnergemeinde Kerns erhebt die Verwaltungsgerichtsbeschwerde und
beantragt festzustellen, dass sie die geforderten Abgaben nicht schulde. Zur
Begründung wird im wesentlichen ausgeführt, die Darlehensschuldscheine seien,
entgegen der Annahme der eidgenössischen Steuerverwaltung, keine
Kassenobligationen. Es fehle den Darlehen das dafür erforderliche Merkmal
kollektiver Mittelbeschaffung oder Anlagegewährung. Die verschiedenen Darlehen
ständen weder zeitlich noch sachlich in einem Zusammenhang; vor allem dienten
sie nicht der Abwicklung eines bestimmten Finanzprogramms, und von
gewerbsmässiger Inanspruchnahme öffentlichen Kredites sei nicht die Rede. Es
handle sich nicht darum, dass die Einwohnergemeinde Kerns ihrer Bürgerschaft
Gelegenheit gegeben hätte, ihr Gelder nach Belieben zur Verfügung zu stellen.
Vielmehr habe sich die Gemeinde, wenn eine aktuelle Aufgabe gelöst werden
musste, die grössere Aufwendungen erforderte, die Mittel gelegentlich so
beschafft, dass statt fremden Kredites Gelder der Gemeindeeinwohner beigezogen
wurden. Es sei auch nicht der Tatbestand, der in BGE 60 I 378 beurteilt worden
sei, weiterhin seien die Merkmale nicht gegeben, die nach BGE 71 I S. 393 auf
Kassenobligationen schliessen lassen.
Art. 11
SR 641.10 Bundesgesetz vom 27. Juni 1973 über die Stempelabgaben (StG)
StG Art. 11 - Die Abgabe wird fällig:
a  auf Genossenschaftsanteilen: 30 Tage nach Geschäftsabschluss;
b  auf Beteiligungsrechten: 30 Tage nach Ablauf des Vierteljahres, in dem die Abgabeforderung entstanden ist (Art. 7);
c  in allen andern Fällen: 30 Tage nach Entstehung der Abgabeforderung (Art. 7).
, Abs. 2, lit. c StG ordne für Darlehen, die Kantonalbanken den
Einwohnergemeinden zu Vorzugsbedingungen gewähren, Abgabefreiheit an. Die
Gemeinde Kerns hätte danach die Freiheit gehabt, die für ihre

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Gemeindeaufgaben benötigten Mittel bei der Obwaldner Kantonalbank aufzunehmen
und in diesem Falle wären die Darlehen niemals als Kassenobligationen
angesprochen worden. Es sei nun aber nicht gerechtfertigt, die einzelnen,
zusammenhanglosen, für Gemeindebedürfnisse gewährten Darlehen zu
abgabepflichtigen Kassenobligationen umzuwerten, nur weil statt der
Kantonalbank einige Gemeindeeinwohner die Geldgeber waren.
D. ­ Die eidg. Steuerverwaltung beantragt Abweisung der Beschwerde.
Das Bundesgericht hat die Beschwerde abgewiesen
in Erwägung:
1. ­ Nach feststehender Praxis gelten als Obligationen, die der
eidgenössischen Stempelabgabe unterliegen (Art. 10
SR 641.10 Bundesgesetz vom 27. Juni 1973 über die Stempelabgaben (StG)
StG Art. 10 - 1 Für Beteiligungsrechte ist die Gesellschaft oder Genossenschaft abgabepflichtig.64 Für die beim Handwechsel der Mehrheit von Beteiligungsrechten (Art. 5 Abs. 2 Bst. b) geschuldete Abgabe haftet der Veräusserer der Beteiligungsrechte solidarisch.
1    Für Beteiligungsrechte ist die Gesellschaft oder Genossenschaft abgabepflichtig.64 Für die beim Handwechsel der Mehrheit von Beteiligungsrechten (Art. 5 Abs. 2 Bst. b) geschuldete Abgabe haftet der Veräusserer der Beteiligungsrechte solidarisch.
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3    und 4...66
, Abs. 1 StG) schriftliche,
auf feste Beträge lautende Schuldanerkennungen, die zum Zwecke kollektiver
Beschaffung von Leihkapital oder Anlagegewährung oder zur Konsolidierung von
Verbindlichkeiten in einer Mehrzahl von Exemplaren zu gleichartigen
Bedingungen ausgegeben werden und den Gläubigern zur Nachweisung,
Geltendmachung oder Übertragung von Forderungen dienen (BGE 60 I S. 377, 71 I
S. 393). Anleihensobligationen lauten auf Teilbeträge einer bestimmten Anleihe
und weisen deshalb einheitliche Bedingungen auf. Kassenobligationen werden
einzeln ausgegeben, die Bedingungen werden einzeln oder serienweise
festgesetzt, weshalb den Kassenobligationen die Einheitlichkeit in der Regel
fehlt, die die Anleihensobligationen charakterisiert. Eine Gleichartigkeit der
Urkunden muss in diesen Fällen genügen. Die Kennzeichnung derart einzeln
abgegebener Titel als Kassenobligationen, nämlich als Instrumente kollektiver
Mittelbeschaffung oder Anlagegewährung, wodurch sie sich vom nicht
abgabepflichtigen Einzelschuldschein unterscheiden, muss aus den Umständen
geschlossen werden. Als Indiz für kollektive Mittelbeschaffung wurden u. a.
gekennzeichnet ein Angebot an die Allgemeinheit oder an bestimmte

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Personenkreise, gewohnheitsmässige Entgegennahme von Mitteln (BGE 60 I S. 378)
Oder sonstige Umstände, die auf einen bestimmten zeitlichen oder sachlichen
Zusammenhang, auf-planmässige Ausgabe der Titel zur Abwicklung eines
bestimmten Finanzprogramms schliessen lassen (BGE 71 I S. 393).
2. ­ Hier hat man es offensichtlich mit derart planmässig ausgegebenen
Schuldurkunden zu tun. Die Einwohnergemeinde Kerns wendet sich seit Jahren,
wenn ein Finanzbedarf eintritt, an ihre Einwohner, nimmt von ihnen Darlehen
entgegen in Beträgen von Fr. 500.­, Fr. 1000.­, Fr. 2000.­ und mehr und stellt
darüber Schuldurkunden aus oder sie nimmt, im Rahmen des jeweiligen:Bedarfes
Darlehen an, wenn sie ihr angeboten werden. Heute sind über 30 Titel im
Umlauf. Einer derartigen Mittelbeschaffung kann der Charakter der
Kollektivität im Sinne der Rechtsprechung nicht wohl abgesprochen werden. Das
gemeinsame Merkmal, das die Planmässigkeit und den sachlichen Zusammenhang
kennzeichnet, liegt hier u. a. in der Regelmässigkeit, die darauf schliessen
lässt, dass die Ausgabe solcher Schuldurkunden zur Gewohnheit geworden ist. Es
ist nicht gelegentlich einmal ein einzelnes Darlehen aufgenommen worden,
sondern es werden je nach Bedarf oder Angebot von Fall zu Fall, einzelne oder
mehrere Titel ausgegeben. Nach einer Zusammenstellung in der Einsprache wurden
z. B. auf den 1. Januar 1933 Fr. 75000.­ in 5 Posten, 1934 Fr. 28000.­ in 3
Posten aufgenommen; von da an fallen die Ausgabedaten nicht mehr zusammen,
sondern verteilen sich auf das ganze Jahr: 1935 und 1936 wurde je ein Titel
ausgestellt, 1937: 4, 1938: 6 (wovon 2 auf den nämlichen Zeitpunkt, die
übrigen verstreut), 1939: 2, 1940: 1, 1941: 2, 1942: 2, 1943: 8, 1944: 2 und
1945: 4. In den Jahren 1933 und 1934 wurden offenbar die Mittel für bestimmte
Gemeindeaufgaben aufgebracht und zwar schon damals kollektiv durch
Inanspruchnahme einer Mehrzahl von Darlehensgebern und durch Ausstellung der
entsprechenden Titel; später wurde

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die Aufnahme der Darlehen nicht mehr auf bestimmte Zeitpunkte konzentriert, es
lebte sich die fortlaufende Entgegennahme von Geldern für Gemeindezwecke ein.
Eine solche fortlaufende Entgegennahme von Geldern ist aber ebenfalls
kollektive Mittelbeschaffung. Sie ist recht eigentlich die Form, der die
Ausgabe von Kassenobligationen entspricht. Dass die Anzahl der Darlehen und
damit die Zahl der in Umlauf gesetzten Titel durch den Finanzbedarf der
Gemeinde begrenzt ist, die Titel daher nicht eine «sehr grosse Zahl» (BGE 71 I
S. 393
) annehmen, ändert daran nichts. Eine sehr grosse Zahl von
Schuldurkunden lässt unter Umständen auf Planmässigkeit der Mittelbeschaffung
schliessen. Die Planmässigkeit kann aber auch aus andern Gesichtspunkten
hervorgehen. Hier ist sie nach den oben gemachten Feststellungen gegeben. Die
Schuldurkunden der Beschwerdeführerin sind daher mit Recht als
Kassenobligationen angesprochen worden und die eidgenössische Stempelabgabe
auf den Titeln und die Couponabgabe auf den Zinsen wird geschuldet. Die
Berechnung ist nicht bestritten.
Ob die Beschwerdeführerin die durch Ausgabe von mit Stempelabgaben belasteten
Kassenobligationen erhaltenen Mittel auf anderem Wege abgabefrei hätte
beschaffen können, kann dahingestellt bleiben. Es muss dabei sein Bewenden
haben, dass ein Weg gewählt wurde, den das Gesetz den Abgaben unterwirft.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 73 I 121
Datum : 01. Januar 1947
Publiziert : 12. Juni 1947
Quelle : Bundesgericht
Status : 73 I 121
Sachgebiet : BGE - Verwaltungsrecht und internationales öffentliches Recht
Gegenstand : Stempelabgaben auf Kassenobligationen und deren Coupons: Begriff der Kassenobligationen.Droits de...


Gesetzesregister
StG: 10 
SR 641.10 Bundesgesetz vom 27. Juni 1973 über die Stempelabgaben (StG)
StG Art. 10 - 1 Für Beteiligungsrechte ist die Gesellschaft oder Genossenschaft abgabepflichtig.64 Für die beim Handwechsel der Mehrheit von Beteiligungsrechten (Art. 5 Abs. 2 Bst. b) geschuldete Abgabe haftet der Veräusserer der Beteiligungsrechte solidarisch.
1    Für Beteiligungsrechte ist die Gesellschaft oder Genossenschaft abgabepflichtig.64 Für die beim Handwechsel der Mehrheit von Beteiligungsrechten (Art. 5 Abs. 2 Bst. b) geschuldete Abgabe haftet der Veräusserer der Beteiligungsrechte solidarisch.
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SR 641.10 Bundesgesetz vom 27. Juni 1973 über die Stempelabgaben (StG)
StG Art. 11 - Die Abgabe wird fällig:
a  auf Genossenschaftsanteilen: 30 Tage nach Geschäftsabschluss;
b  auf Beteiligungsrechten: 30 Tage nach Ablauf des Vierteljahres, in dem die Abgabeforderung entstanden ist (Art. 7);
c  in allen andern Fällen: 30 Tage nach Entstehung der Abgabeforderung (Art. 7).
BGE Register
60-I-374 • 71-I-390 • 73-I-121
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
darlehen • kassenobligation • gemeinde • zahl • kantonalbank • geld • bedingung • stempelabgabe • anleihensobligation • couponabgabe • abgabefreiheit • coupon • sachlicher zusammenhang • abweisung • entscheid • begründung des entscheids • ausgabe • bewilligung oder genehmigung • annahme des antrags • gerichts- und verwaltungspraxis
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