BGE 73 I 103
11. Urteil vom 3. Juli 1947 i. S. Durrer gegen Kantonsrat von Obwalden.
Regeste:
Initiativrecht: Obwaldnisches, als Gesetzesinitiative bezeichnetes
Volksbegehren auf Austritt des Kantons aus dem Bistum Chur und Anschluss an
das Bistum Basel-Lugano. Unzulässigkeit des Volksbegehrens, da es in
Wirklichkeit keine Gesetzesinitiative, sondern eine Staatsvertragsinitiative
darstellt und eine solche dem schweizerischen Staatsrecht unbekannt ist.
Droit d'initiative: Initiative populaire d'un citoyen du canton d'Obwald,
qualifiée d'initiative législative et tendant à ce que le canton cesse de
faire partie de l'évêché de Coire pour se rattacher ù l'évêché de Bâle et
Lugano. Irrecevabilité de l'initiative, parce qu'elle constitue en réalité,
non une initiative législative, mais l'initiative d'un traité entre Etats, et
qu'une telle initiative n'est pas connue du droit public suisse.
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Diritto d'iniziativa: Iniziativa popolare d'un cittadino del Cantone
d'Obwalden designata come iniziativa legislativa e volta ad ottenere che il
Cantone cessi dal far parte del Vescovado di Coira per unirsi al Vescovado di
Basilea-Lugano. Irricevibilità dell'iniziativa, perché in realtà non
costituisce un'iniziativa legislativa, ma un'iniziativa d'un trattato tra
Stati, la quale non è prevista dal diritto pubblico svizzero.
A. Das Gebiet der Innerschweiz gehörte ursprünglich zusammen mit der
Ostschweiz zum Bistum Konstanz. Nachdem dieses 1803 säkularisiert worden war,
wurden die schweizerischen Teile im Jahre 1814 durch päpstliches Breve davon
abgetrennt, zunächst einem apostolischen Generalvikar und dann 1819 der
provisorischen Verwaltung des Bischofs von Chur unterstellt. Von den
Urkantonen schloss sich Schwyz im Jahre 1824 endgültig dem Bistum Chur an,
während es bei den übrigen bis heute bei der provisorischen Unterstellung
unter dieses blieb. Die Behörden dieser Kantone haben zwar wiederholt
versucht, die Bistumszugehörigkeit endgültig zu regeln; doch waren ihre
Bemühungen aus hier nicht zu erörternden Gründen erfolglos (vgl. LAMPERT,
Kirche und Staat in der Schweiz Bd. II S. 295 ff., 335/6; HIS, Schweiz
Staatsrecht Bd. II S. 549 ff., III S. 860/61).
B. Nach Art. 26 der Obwaldner Kantonsverfassung hat jeder Stimmfähige das
Recht, dem Landammannamt bis 1. Januar Anträge auf Erlass, Abänderung oder
Aufhebung von Gesetzen, Steuerbeschlüssen und Verordnungen einzureichen. Die
Eingabe muss schriftlich abgefasst, begründet und unterzeichnet sein. Verletzt
sie weder die Bundes- oder Kantonsverfassung noch Privatrechte, so ist sie mit
einem Gutachten des Kantonsrates der nächsten Landsgemeinde zu unterbreiten.
Am 31. Dezember 1946 reichte Josef Durrer in Kerns dem Landammannamt ein
Initiativbegehren auf Erlass folgenden Gesetzes ein:
«Art. 1: Der Kanton Obwalden unterstellt sich dem Bistum Basel-Lugano.
Art. 2: Sämtliche vertraglichen und nicht vertraglichen Beziehungen zwischen
dem Kanton Obwalden und dem Bistum Chur
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sind sofort, und wenn Fristen laufen, auf Ablauf derselben, zu losen.
Art. 3: Der Regierungsrat ist mit dem Vollzug beauftragt. Seine Vereinbarungen
und Abmachungen mit dem Bistum Basel-Lugano unterliegen der Genehmigung des
Volkes in geheimer Abstimmung.
Der Kantonsrat erklärte das Initiativbegehren durch Beschluss vom 17. März
1947 als verfassungswidrig und ordnete an, dass es deshalb der Volksabstimmung
nicht zu unterbreiten sei. Er zog dabei in Erwägung,
«dass die römisch-katholische Kirche im Kanton Obwalden gemäss Art. 3 KV den
vollen Schutz des Staates geniesst und als Landeskirche anerkannt wird,
dass die Umschreibung territorialer Einteilungen in Bistümer in erster Linie
in den Kompetenzbereich der kirchlichen Obrigkeit fällt,
dass den betreffenden Bistumskantonen ein Mitspracherecht als Vertragspartner
zusteht,
dass überdies der Anschluss eines Kantons an ein anderes Bistum dem Entscheid
der Bundesbehörden untersteht,
dass die Initiative nicht einen Gesetzesantrag im Sinne von Art. 25 lit. a
Abs. 2 KV darstellt».
C. Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 24. März 1947 beantragt Josef
Durrer, diesen Beschluss des Kantonsrats von Obwalden aufzuheben. Aus dem
Selbstbestimmungsrecht des Volkes (Art. 2 KV) folge, dass die Entscheidung
darüber, welchem Bistum der Kanton angehören wolle, dem Volke zustehe, und
dass dieses die Möglichkeit haben müsse, seinem Willen Ausdruck zu geben.
Vorbehalten sei freilich die Genehmigung des Bundes (Art. 50 Abs. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 50 - 1 Die Gemeindeautonomie ist nach Massgabe des kantonalen Rechts gewährleistet. |
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1 | Die Gemeindeautonomie ist nach Massgabe des kantonalen Rechts gewährleistet. |
2 | Der Bund beachtet bei seinem Handeln die möglichen Auswirkungen auf die Gemeinden. |
3 | Er nimmt dabei Rücksicht auf die besondere Situation der Städte und der Agglomerationen sowie der Berggebiete. |
Zustimmung des Papstes und, bei Anschluss an das Bistum Basel-Lugano, das
Mitspracherecht der Basler Diözesanstände, doch zuerst habe das Volk seinen
Willen zu äussern. Der einzelne Bürger könne zuhanden des Volkes sein Begehren
nur vermittelst der (Gesetzes-)Initiative zur Diskussion und Beschlussfassung
stellen (Art. 25, 26 KV).
D. Der Kantonsrat beantragt Abweisung der
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Beschwerde. Die Frage der Bistumszugehörigkeit könne vom Kanton Obwalden nicht
einseitig durch ein Gesetz, sondern nur durch vertragliche Vereinbarung mit
andern souveränen Subjekten des öffentlichen Rechtes gelöst werden.
Vorbereitung, Abschluss und Ausführung solcher Vereinbarungen seien nach der
KV Sache des Regierungsrates oder des Kantonsrates (Art. 32 lit. h, 34 lit. r
KV). Welche dieser beiden Behörden zuständig sei, könne offen bleiben, da
jedenfalls der Weg der Gesetzgebung ausgeschlossen sei. Art. 50 Abs. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 50 - 1 Die Gemeindeautonomie ist nach Massgabe des kantonalen Rechts gewährleistet. |
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1 | Die Gemeindeautonomie ist nach Massgabe des kantonalen Rechts gewährleistet. |
2 | Der Bund beachtet bei seinem Handeln die möglichen Auswirkungen auf die Gemeinden. |
3 | Er nimmt dabei Rücksicht auf die besondere Situation der Städte und der Agglomerationen sowie der Berggebiete. |
wonach die Errichtung von Bistümern auf schweizerischem Gebiet der Genehmigung
des Bundes unterliege, gelte nach der Praxis auch für die gebietsmässige
Veränderung von Bistümern. Das zeige, dass kein Kanton kraft eigenen Rechtes
durch ein Gesetz bestimmen könne, dass er sich diesem oder jenem Bistum
anschliesse.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1./2. .....
3. Art. 2 KV, wonach die Souveränität im Volke ruht, sagt weiter, sie werde
nach den Bestimmungen der Verfassung ausgeübt. Unmittelbar aus Art. 2 KV kann
daher der Beschwerdeführer nichts für sich ableiten. Es kann sich nur fragen,
ob der von ihm angestrebte Anschluss des Kantons Obwalden an das Bistum
Basel-Lugano nach den weiterhin angerufenen Art. 25 und 26 KV auf dem Wege der
Gesetzgebung herbeigeführt werden, Gegenstand einer Gesetzesinitiative sein
kann. Dabei ist von der Bedeutung der Bistümer und ihrem Verhältnis zum Staat
auszugehen.
4. Die katholischen Bistümer sind zunächst rein kirchliche Einrichtungen,
deren Organisation durch das Verfassungsrecht der Kirche bestimmt wird. Nach
diesem erfolgt die Errichtung, gebietsmässige Veränderung und Aufhebung von
Bistümern durch einen Erlass des Papstes (can. 215). Die schweizerischen
Staatsbehörden haben indessen von jeher ein Mitspracherecht in den Fragen der
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Bistumorganisation in Anspruch genommen. Insbesondere haben die Bundesbehörden
seit 1848 die Auffassung vertreten, dass kirchliche Massnahmen, welche die
Zahl, die Umschreibung und die Trennung schweizerischer Bistümer zum
Gegenstand haben, zugleich konfessionelle und politische Bedeutung haben und
der ausdrücklichen Zustimmung des Bundes bedürfen (SALIS, Bundesrecht, 2.
Aufl., Bd. III Nr. 1082). Darauf beruht der bei der Revision der BV von 1874
aufgenommene Abs. 4 des Art. 50. Diese Bestimmung, wonach die Errichtung von
Bistümern auf schweizerischem Gebiete der (vom Bundesrat zu erteilenden)
Genehmigung des Bundes unterliegt, ist auch auf jede gebietsmässige
Veränderung bestehender Bistümer anwendbar (BURCKHARDT, Komm. z. BV S. 477;
FLEINER, Bundesstaatsrecht S. 347; LAMPERT, Kirche und Staat in der Schweiz
Bd. II S. 285; SALIS, Bundesrecht, Bd. III Nr. 1083; BURCKHARDT, Bundesrecht,
Bd. II Nr. 519). Dies gilt jedenfalls für Änderungen, durch die entweder ein
bisher nicht einem Bistum angeschlossenes Gebiet einem solchen einverleibt
oder ein Gebiet von einem Bistum abgetrennt und einem andern angeschlossen
wird. Dagegen ist es zweifelhaft, ob auch der Austritt eines Kantons aus einem
Bistumsverband der Genehmigung des Bundes bedarf (vgl. BURCKHARDT, Komm. S.
477, LAMPERT a.a.O. Bd. II S. 286). Diese Frage braucht jedoch nicht
entschieden zu werden, da die verschiedenen Teile der Initiative des
Beschwerdeführers eine untrennbare Einheit bilden, der Austritt des Kantons
Obwalden aus dem Bistum Chur nicht für sich allein, sondern nur bei
gleichzeitigem Anschluss an das Bistum Basel-Lugano angestrebt wird.
Dar Umstand, dass eine gebietsmässige Veränderung von Bistümern nach
Kirchenrecht vom Papst verfügt wird, nach schweizerischem Staatsrecht aber der
Zustimmung der beteiligten Kantone und ausserdem der Genehmigung des Bundes
bedarf, hat zur Folge, dass eine solche Massnahme nur auf Grund einer
staatsvertragsähnlichen
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Vereinbarung zwischen Kirche und Staat (Konkordat) herbeigeführt werden kann.
Der Entscheid über die Bistumszugehörigkeit der Kantone betrifft das
Verhältnis zwischen Staat und Kirche, ist also grundsätzlich Sache der Kantone
(vgl. FLEINER a.a.O. S. 346). Inwieweit diese jedoch befugt sind, über Fragen
der Bistumsorganisation mit den Bischöfen zu verhandeln und (unter Vorbehalt
der nachherigen Zustimmung des Bundesrates und des Papstes) Verträge zu
schliessen, ist umstritten (vgl. BURCKHARDT, Bundesrecht Bd. II Nr. 510, Komm.
z. BV S. 86/7, 477; FLEINER a.a.O. S. 729; LAMPERT a.a.O. Bd. I S. 76-83). In
der Praxis sind Konkordate über Bistumsfragen jeweils unmittelbar mit der
Kurie abgeschlossen worden, wobei der Bundesrat entweder nur die Verhandlungen
leitete (so bei der Übereinkunft vom 11. Juni 1864 über die Einverleibung des
alten Kantonsteils Bern in das Bistum Basel) oder die Verträge namens des
Bundes und als bevollmächtigter Vertreter der beteiligten Kantone abschloss
(so beim Vertrag vom 23. Oktober 1869 über die Einverleibung der Gemeinden
Poschiavo und Brusio in die Diözese Chur, bei den Verträgen vom 1. September
1884 über die kirchlichen Verhältnisse im Kanton Tessin und im Bistum Basel
und beim Vertrag vom 16. März 1888 über die endgültige Regelung der
kirchlichen Verhältnisse im Kanton Tessin).
5. Nach Art. 26 Abs. 3 der Obwaldner KV hat jeder Stimmfähige das Recht, auf
Erlass, Abänderung oder Aufhebung von Gesetzen gerichtete Anträge zu stellen,
über welche die Landsgemeinde zu beraten und das Volk in geheimer
Urnenabstimmung zu entscheiden hat (Art. 25 lit. a, 23 Abs. 2 KV). Was Inhalt
des Gesetzes und daher Gegenstand der Gesetzesinitiative sein kann, bestimmt
sich nach Art. 25 lit. a KV. Beim Entscheid darüber, ob ein Initiativbegehren
auf Erlass eines Gesetzes im Sinne dieser Vorschrift, d. h. auf den Erlass von
Rechtssätzen gerichtet ist, kann es nicht auf die Bezeichnung und äussere
Form, sondern nur auf den wirklichen Inhalt ankommen.
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Ist eine Initiative auf Vornahme einer Verwaltungshandlung gerichtet, die nach
dem Grundsatz der Gewaltentrennung in die ausschliessliche Zulässigkeit des
Regierungsrats fällt (z. B. Wahl oder Entlassung eines bestimmten Beamten), so
darf sie auch dann als verfassungswidrig erklärt werden, wenn sie in die Form
eines Gesetzes gekleidet ist.
Der vom Beschwerdeführer angestrebte Anschluss des Kantons Obwalden an das
Bistum Basel-Lugano kann nach dem Gesagten nur durch eine Vereinbarung (ein
Konkordat) zwischen Staat und Kirche herbeigeführt werden. Das
Initiativbegehren des Beschwerdeführers geht somit, obwohl es als
Gesetzesinitiative bezeichnet ist, auf den Abschluss eines Staatsvertrages,
denn seine Annahme würde nicht den Erlass von Rechtssätzen bedeuten, sondern
die zuständigen Behörden (Regierungsrat oder Kantonsrat) verpflichten, durch
Vermittlung des Bundesrates mit dem Papst über den Anschluss des Kantons
Obwalden an das Bistum Basel-Lugano zu verhandeln und ein Konkordat
abzuschliessen. Eine solche auf Abschluss eines Staatsvertrags gerichtete
Initiative ist zwar nicht undenkbar, jedoch dem schweizerischen Staatsrecht
nicht bekannt (KELLER, Das Volksinitiativrecht, Zürcher Diss. 1889, S. 124 f.;
SEILER, Die Organe der Rechtssetzung im Kanton Graubünden, Zürcher Diss. 1939,
S. 61 f.; GIACOMETTI, Staatsrecht der Schweizer Kantone, S. 485). Die
Vorbereitung und der Abschluss internationaler und interkantonaler Verträge
ist nach schweizerischem Staatsrecht Sache der Regierangen und der
Volksvertretung. Soweit die Verfassungen ein Mitspracherecht des Volkes
vorsehen, besteht es im obligatorischen oder fakultativen Referendum (Art. 89
Abs. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 89 Energiepolitik - 1 Bund und Kantone setzen sich im Rahmen ihrer Zuständigkeiten ein für eine ausreichende, breit gefächerte, sichere, wirtschaftliche und umweltverträgliche Energieversorgung sowie für einen sparsamen und rationellen Energieverbrauch. |
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1 | Bund und Kantone setzen sich im Rahmen ihrer Zuständigkeiten ein für eine ausreichende, breit gefächerte, sichere, wirtschaftliche und umweltverträgliche Energieversorgung sowie für einen sparsamen und rationellen Energieverbrauch. |
2 | Der Bund legt Grundsätze fest über die Nutzung einheimischer und erneuerbarer Energien und über den sparsamen und rationellen Energieverbrauch. |
3 | Der Bund erlässt Vorschriften über den Energieverbrauch von Anlagen, Fahrzeugen und Geräten. Er fördert die Entwicklung von Energietechniken, insbesondere in den Bereichen des Energiesparens und der erneuerbaren Energien. |
4 | Für Massnahmen, die den Verbrauch von Energie in Gebäuden betreffen, sind vor allem die Kantone zuständig. |
5 | Der Bund trägt in seiner Energiepolitik den Anstrengungen der Kantone und Gemeinden sowie der Wirtschaft Rechnung; er berücksichtigt die Verhältnisse in den einzelnen Landesgegenden und die wirtschaftliche Tragbarkeit. |
Bestimmungen der Kantonsverfassungen; vgl. immerhin den Bundesbeschluss über
den Beitritt der Schweiz zum Völkerbund, vom 5. März 1920, wonach Art. 121
betreffend die Volksanregung [Initiative] auch für die Kündigung des
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Völkerbundsvertrages und den Rücktritt von diesem anwendbar ist). Die
Obwaldner KV kennt das Staatsvertragsreferendum nicht (weshalb Art. 3 Abs. 2
der Gesetzesinitiative des Beschwerdeführers verfassungswidrig ist).
Umsoweniger kann mangels einer ausdrücklichen Bestimmung der KV angenommen
werden, dass die Staatsvertragsinitiative, die dem schweizerischen Staatsrecht
unbekannt ist, zulässig sein soll Die Annahme des Kantonsrats, dass das
Initiativbegehren des Beschwerdeführers verfassungswidrig sei, erscheint daher
als zutreffend.
Demnach erkennt das Bundesgericht. Die Beschwerde wird abgewiesen.