S. 92 / Nr. 29 Verfahren (d)

BGE 72 IV 92

29. Entscheid der Anklagekammer vom 31. Juli 1946 i.S. Staatsanwaltschaft des
Kantons Basel-Stadt gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich.

Regeste:
1. Die Entgegennahme und vorläufige Behandlung der ersten Strafanzeige durch
die Behörden eines Kantons, dem die Gerichtsbarkeit zur Verfolgung der
angezeigten Tat nicht zusteht,

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begründet in diesem Kanton nicht den Gerichtsstand des Art. 350 Ziff. 1 Abs. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 350 - 1 Das Bundesamt für Polizei nimmt die Aufgaben eines Nationalen Zentralbüros im Sinne der Statuten der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (INTERPOL) wahr.
1    Das Bundesamt für Polizei nimmt die Aufgaben eines Nationalen Zentralbüros im Sinne der Statuten der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (INTERPOL) wahr.
2    Es ist zuständig für die Informationsvermittlung zwischen den Strafverfolgungsbehörden von Bund und Kantonen einerseits sowie den Nationalen Zentralbüros anderer Staaten und dem Generalsekretariat von INTERPOL andererseits.

StGB.
2. Abweichung vom Gerichtsstand des Art. 350
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 350 - 1 Das Bundesamt für Polizei nimmt die Aufgaben eines Nationalen Zentralbüros im Sinne der Statuten der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (INTERPOL) wahr.
1    Das Bundesamt für Polizei nimmt die Aufgaben eines Nationalen Zentralbüros im Sinne der Statuten der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (INTERPOL) wahr.
2    Es ist zuständig für die Informationsvermittlung zwischen den Strafverfolgungsbehörden von Bund und Kantonen einerseits sowie den Nationalen Zentralbüros anderer Staaten und dem Generalsekretariat von INTERPOL andererseits.
StGB gestützt auf Art. 263
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 350 - 1 Das Bundesamt für Polizei nimmt die Aufgaben eines Nationalen Zentralbüros im Sinne der Statuten der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (INTERPOL) wahr.
1    Das Bundesamt für Polizei nimmt die Aufgaben eines Nationalen Zentralbüros im Sinne der Statuten der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (INTERPOL) wahr.
2    Es ist zuständig für die Informationsvermittlung zwischen den Strafverfolgungsbehörden von Bund und Kantonen einerseits sowie den Nationalen Zentralbüros anderer Staaten und dem Generalsekretariat von INTERPOL andererseits.
BStP
(Art. 399 lit. e
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 350 - 1 Das Bundesamt für Polizei nimmt die Aufgaben eines Nationalen Zentralbüros im Sinne der Statuten der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (INTERPOL) wahr.
1    Das Bundesamt für Polizei nimmt die Aufgaben eines Nationalen Zentralbüros im Sinne der Statuten der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (INTERPOL) wahr.
2    Es ist zuständig für die Informationsvermittlung zwischen den Strafverfolgungsbehörden von Bund und Kantonen einerseits sowie den Nationalen Zentralbüros anderer Staaten und dem Generalsekretariat von INTERPOL andererseits.
StGB).
1. Le fait que les autorités d'un canton se saisissent d'une première
dénonciation et y donnent suite provisoirement, alors qu'elles ne sont pas
compétentes pour poursuivre l'infraction dénoncée, ne crée pas dans ce canton
le for de l'art. 350 ch. 1 al. 2 CP.
2. Dérogation au for de l'art. 350 CP par application de l'art. 263 PPF (art.
399 litt. e CP).
1. Il fatto che le autorità d'un cantone accettano e trattano una prima
denuncia penale, mentre non sono competenti a perseguire il reato denunciato,
non crea in questo cantone il foro dell'art. 350, cifra 1 cp. 2 CP.
2. Deroga al foro dell'art. 350 CP in virtù dell'art. 263 PPF (art. 399 lett.
e CP).

A. ­ Am 21. Juni 1946 reichte der in Steffisburg (Bern) wohnende Johann Urfer
bei der Kantonspolizei Zürich gegen den in Zürich wohnenden und im Kanton
Zürich heimatberechtigten Otto Keller Strafanzeige wegen Betruges ein. Urfer
war mit Keller auf Grund eines Inserates, durch das dieser in der Allgemeinen
Volkszeitung einen Chauffeur suchte, bekannt geworden und hatte ihm, nachdem
er mit ihm zuerst in Thun und nachher in Basel verhandelt hatte, im Hinblick
auf die versprochene Anstellung Fr. 2500.­ geliehen. Die Kantonspolizei von
Zürich nahm Keller fest, verhörte ihn am 22. und 23. Juni und überwies ihn
samt den Akten am 23. Juni der als zuständig erachteten Staatsanwaltschaft des
Kantons Basel-Stadt, welche die Untersuchung weiterführte und später auf
folgende strafbare Handlungen ausdehnte:
a) Betrug und versuchter Betrug, begangen in Zürich dadurch, dass Keller den
in Winterthur wohnenden Anton Hochstrasser zur Leistung von Fr. 300.­
veranlasste und zur Leistung weiterer Fr. 300.­ zu veranlassen versuchte;
b) Betrug zum Nachteil des Arnold Gubler in Kienberg, (Solothurn), begangen in
Zürich durch Erheben eines Lastwagens;
c) Betrug, begangen in Zürich gegenüber dem in der gleichen Stadt wohnenden
Fred Diezi durch Erschwindeln eines Wechsels über Fr. 2500.­;

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d) Veruntreuung zum Nachteil der in Zürich wohnenden Gertrud Illi, begangen in
Zürich durch teilweisen Verbrauch eines anvertrauten Geldbetrages von Fr.
1000.­;
e) Betrug und Betrugsversuch, begangen in St. Gallen dadurch, dass Keller den
in Basel wohnenden Johann Limberger zur Leistung von Fr. 200.­ veranlasste und
zur Leistung weiterer Fr. 300.­ zu veranlassen versuchte, eventuell
Veruntreuung, begangen in Zürich durch Verbrauch der erwähnten Fr. 200.­.
B. ­ In einem Schreiben vom 10. Juli 1946 an die Staatsanwaltschaft des
Kantons Zürich vertrat die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt die
Auffassung, die zürcherischen Behörden seien zur Verfolgung und Beurteilung
Kellers zuständig, weil in Zürich die erste Strafanzeige eingegangen sei, der
Beschuldigte von dort aus die schwindelhaften Zeitungsinserate erlassen und
die ersten Verhandlungen mit den Geschädigten geführt habe und der Schwerpunkt
der strafbaren Tätigkeit in diesem Kanton liege.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich lehnte am 12. Juli 1946 die
Übernahme der Strafverfolgung ab mit der Begründung, die Untersuchung sei
zuerst im Kanton Basel-Stadt angehoben worden. Die in Zürich eingegangene
erste Strafanzeige habe nämlich einen Fall betroffen, für den die Behörden von
Basel-Stadt zuständig gewesen seien. Was die Zürcher Polizei in diesem Falle
vorgekehrt habe, habe sie im Sinne einer freiwilligen Rechtshilfe getan.
C. ­ Mit Gesuch vom 15. Juli 1946 beantragt die Staatsanwaltschaft des Kantons
Basel-Stadt der Anklagekammer des Bundesgerichts, gemäss Art. 350
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 350 - 1 Das Bundesamt für Polizei nimmt die Aufgaben eines Nationalen Zentralbüros im Sinne der Statuten der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (INTERPOL) wahr.
1    Das Bundesamt für Polizei nimmt die Aufgaben eines Nationalen Zentralbüros im Sinne der Statuten der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (INTERPOL) wahr.
2    Es ist zuständig für die Informationsvermittlung zwischen den Strafverfolgungsbehörden von Bund und Kantonen einerseits sowie den Nationalen Zentralbüros anderer Staaten und dem Generalsekretariat von INTERPOL andererseits.
StGB,
eventuell Art. 263
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 350 - 1 Das Bundesamt für Polizei nimmt die Aufgaben eines Nationalen Zentralbüros im Sinne der Statuten der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (INTERPOL) wahr.
1    Das Bundesamt für Polizei nimmt die Aufgaben eines Nationalen Zentralbüros im Sinne der Statuten der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (INTERPOL) wahr.
2    Es ist zuständig für die Informationsvermittlung zwischen den Strafverfolgungsbehörden von Bund und Kantonen einerseits sowie den Nationalen Zentralbüros anderer Staaten und dem Generalsekretariat von INTERPOL andererseits.
BStP, seien die Behörden des Kantons Zürich als zur
weiteren Verfolgung und Aburteilung sämtlicher dem Beschuldigten vorgeworfenen
strafbaren Handlungen berechtigt und verpflichtet zu erklären.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich beantragt, das Gesuch sei abzuweisen
und Basel-Stadt als zuständig zu erklären.

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Die Anklagekammer zieht in Erwägung:
1. ­ Mit der schwersten Strafe bedroht sind die Fälle von Betrug. Da Keller in
mehreren Kantonen (Zürich, Basel, Bern, St. Gallen) solche Verbrechen
ausgeführt haben soll, ist er nach der Regel des Art. 350 Ziff. 1 Abs. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 350 - 1 Das Bundesamt für Polizei nimmt die Aufgaben eines Nationalen Zentralbüros im Sinne der Statuten der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (INTERPOL) wahr.
1    Das Bundesamt für Polizei nimmt die Aufgaben eines Nationalen Zentralbüros im Sinne der Statuten der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (INTERPOL) wahr.
2    Es ist zuständig für die Informationsvermittlung zwischen den Strafverfolgungsbehörden von Bund und Kantonen einerseits sowie den Nationalen Zentralbüros anderer Staaten und dem Generalsekretariat von INTERPOL andererseits.
StGB
dort zu verfolgen, wo die Untersuchung zuerst angehoben worden ist.
Als Anhebung der Untersuchung gilt nach der Rechtsprechung der Anklagekammer
schon der Eingang einer Strafanzeige, selbst wenn die angegangene Behörde, z.
B. weil sie sich für örtlich unzuständig hält, die Anzeige von der Hand weist
(BGE 71 IV 59). Voraussetzung ist aber, dass die Gerichtsbarkeit zur
Verfolgung und Beurteilung der angezeigten Tat dem Kanton zusteht, bei dessen
Behörden die Anzeige eingeht. Ist dies nicht der Fall, so wird der betreffende
Kanton nicht deshalb zuständig, weil andere strafbare Handlungen des
Beschuldigten auf seinem Gebiet ausgeführt worden sind (Anklagekammer 17.3.45
i.S. Suter o. Gerichtsstatthalter von Olten-Gösgen, 8.3.46 i.S. Uri c. Bern).
Die Entgegennahme der Strafanzeige Urfers und die übrigen Handlungen, welche
die Kantonspolizei von Zürich auf diese Anzeige hin vorgenommen hat, begründen
daher den Gerichtsstand Zürich nicht. Der Betrug zum Nachteil Urfers ist nicht
in Zürich, sondern in Thun und Basel ausgeführt worden und müsste daher, wenn
er die einzige strafbare Handlung Kellers wäre, im Kanton Bern oder in Basel
verfolgt werden (Art. 346
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 350 - 1 Das Bundesamt für Polizei nimmt die Aufgaben eines Nationalen Zentralbüros im Sinne der Statuten der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (INTERPOL) wahr.
1    Das Bundesamt für Polizei nimmt die Aufgaben eines Nationalen Zentralbüros im Sinne der Statuten der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (INTERPOL) wahr.
2    Es ist zuständig für die Informationsvermittlung zwischen den Strafverfolgungsbehörden von Bund und Kantonen einerseits sowie den Nationalen Zentralbüros anderer Staaten und dem Generalsekretariat von INTERPOL andererseits.
StGB). Unerheblich ist, dass Keller möglicherweise
das Inserat, das ihn mit Urfer zusammengeführt hat, durch einen von Zürich aus
erteilten Auftrag hat erscheinen lassen, denn dieser Auftrag gehörte nicht zur
Ausführung des Betruges, sondern diente bloss dessen Vorbereitung.
Die Untersuchung ist demnach nicht in Zürich, sondern in Basel, wohin die
Zürcher Behörden die Anzeige Urfers und den festgenommenen Beschuldigten
gewiesen haben, zuerst angehoben worden.

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2. ­ Es rechtfertigt sich indessen, gestützt auf Art. 263
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 350 - 1 Das Bundesamt für Polizei nimmt die Aufgaben eines Nationalen Zentralbüros im Sinne der Statuten der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (INTERPOL) wahr.
1    Das Bundesamt für Polizei nimmt die Aufgaben eines Nationalen Zentralbüros im Sinne der Statuten der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (INTERPOL) wahr.
2    Es ist zuständig für die Informationsvermittlung zwischen den Strafverfolgungsbehörden von Bund und Kantonen einerseits sowie den Nationalen Zentralbüros anderer Staaten und dem Generalsekretariat von INTERPOL andererseits.
BStP (Art. 399 lit.
e
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 350 - 1 Das Bundesamt für Polizei nimmt die Aufgaben eines Nationalen Zentralbüros im Sinne der Statuten der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (INTERPOL) wahr.
1    Das Bundesamt für Polizei nimmt die Aufgaben eines Nationalen Zentralbüros im Sinne der Statuten der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (INTERPOL) wahr.
2    Es ist zuständig für die Informationsvermittlung zwischen den Strafverfolgungsbehörden von Bund und Kantonen einerseits sowie den Nationalen Zentralbüros anderer Staaten und dem Generalsekretariat von INTERPOL andererseits.
StGB) die Behörden des Kantons Zürich zuständig zu erklären. In diesem
Kanton liegt offensichtlich das Schwergewicht der strafbaren Tätigkeit
Kellers, nicht nur nach der Zahl der begangenen. Verbrechen und Vergehen,
sondern auch im Hinblick auf die insgesamt erschwindelten und veruntreuten
Werte. Keller wohnt zudem in Zürich und ist im Kanton Zürich heimatberechtigt.
Er ist nach dem Vorstrafenbericht und den vorliegenden neuen Straffällen. ein
wiederholt rückfälliger Betrüger, zu dessen Verfolgung, Korrektion und
allfälligen Verwahrung in erster Linie der Wohn- und Heimatkanton berufen ist,
wenn, wie hier, in dessen Gebiet zugleich die meisten zu verfolgenden Delikte
begangen worden sind.
Demnach erkennt die Anklagekammer:
Die Behörden des Kantons Zürich werden berechtigt und verpflichtet erklärt,
Keller für alle ihm zur Last gelegten strafbaren Handlungen zu verfolgen und
zu beurteilen.
Vgl. auch Nr. 23 und 25. ­ Voir aussi nos 23 et 25.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 72 IV 92
Datum : 01. Januar 1946
Publiziert : 30. Juli 1946
Quelle : Bundesgericht
Status : 72 IV 92
Sachgebiet : BGE - Strafrecht und Strafvollzug
Gegenstand : 1. Die Entgegennahme und vorläufige Behandlung der ersten Strafanzeige durch die Behörden eines...


Gesetzesregister
BStP: 263
StGB: 346  350 
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 350 - 1 Das Bundesamt für Polizei nimmt die Aufgaben eines Nationalen Zentralbüros im Sinne der Statuten der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (INTERPOL) wahr.
1    Das Bundesamt für Polizei nimmt die Aufgaben eines Nationalen Zentralbüros im Sinne der Statuten der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (INTERPOL) wahr.
2    Es ist zuständig für die Informationsvermittlung zwischen den Strafverfolgungsbehörden von Bund und Kantonen einerseits sowie den Nationalen Zentralbüros anderer Staaten und dem Generalsekretariat von INTERPOL andererseits.
399
BGE Register
71-IV-55 • 72-IV-92
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