S. 68 / Nr. 22 Strafgesetzbuch (d)

BGE 72 IV 68

22. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 7. Juni 1946 i.S. Heiz gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau.


Seite: 68
Regeste:
Art. 238 Abs. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 238
, Art. 239 Ziff. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 239 - 1. Wer vorsätzlich den Betrieb einer öffentlichen Verkehrsanstalt, namentlich den Eisenbahn-, Post-, Telegrafen- oder Telefonbetrieb hindert, stört oder gefährdet,
1    Wer vorsätzlich den Betrieb einer öffentlichen Verkehrsanstalt, namentlich den Eisenbahn-, Post-, Telegrafen- oder Telefonbetrieb hindert, stört oder gefährdet,
2    Handelt der Täter fahrlässig, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe.319
StGB. Wenn die fahrlässige Gefährdung des
Eisenbahnverkehrs unerheblich und daher nach Art. 238 Abs. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 238
StGB nicht
strafbar ist, darf sie nicht als fahrlässige Gefährdung des Eisenbahnbetriebes
nach Art. 239 Ziff. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 239 - 1. Wer vorsätzlich den Betrieb einer öffentlichen Verkehrsanstalt, namentlich den Eisenbahn-, Post-, Telegrafen- oder Telefonbetrieb hindert, stört oder gefährdet,
1    Wer vorsätzlich den Betrieb einer öffentlichen Verkehrsanstalt, namentlich den Eisenbahn-, Post-, Telegrafen- oder Telefonbetrieb hindert, stört oder gefährdet,
2    Handelt der Täter fahrlässig, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe.319
StGB dennoch bestraft werden.
Art. 238 al. 2, art. 239 ch. 2 CP. Lorsque l'entrave par négligence au service
des chemins de fer n'a pas créé un danger sérieux et qu'elle n'est par
conséquent pas punissable en vertu de l'art. 238 al. 2 CP, elle ne peut pas
être punie à titre d'entrave à l'exploitation des chemins de fer en vertu de
l'art. 239 ch. 2 CP.
Art. 238, cp. 2; art. 239, cifra 2 CP. Se il perturbamento del servizio
ferroviario per negligenza non ha creato un grave pericolo e non è quindi
punibile in virtù dell'art. 238 cp. 2 CP, non può essere punito quale
perturbamento dell'esercizio ferroviario giusta l'art. 239, cifra 2, CP.

Aus den Erwägungen:
Nach Art. 239
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 239 - 1. Wer vorsätzlich den Betrieb einer öffentlichen Verkehrsanstalt, namentlich den Eisenbahn-, Post-, Telegrafen- oder Telefonbetrieb hindert, stört oder gefährdet,
1    Wer vorsätzlich den Betrieb einer öffentlichen Verkehrsanstalt, namentlich den Eisenbahn-, Post-, Telegrafen- oder Telefonbetrieb hindert, stört oder gefährdet,
2    Handelt der Täter fahrlässig, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe.319
StGB ist strafbar, wer «den Betrieb einer öffentlichen
Verkehrsanstalt, namentlich den Eisenbahn-, Post-, Telegraphen- oder
Telephonbetrieb», oder wer a den Betrieb einer zur allgemeinen Versorgung mit
Wasser, Licht, Kraft oder Wärme dienenden Anstalt oder Anlage» hindert, stört
oder gefährdet. Unter dem Betrieb (exploitation, esercizio) ist die Abwicklung
der gesamten technischen, administrativen und kommerziellen Vorgänge
verstanden, durch welche die Anstalt den öffentlichen Verkehr besorgt oder die
Allgemeinheit mit Wasser, Licht, Kraft oder Wärme versorgt. Art. 239 schützt
das Interesse der Allgemeinheit, dass die Anstalt ungestört ihren Dienst
versehe (vgl. Randtitel «Störung von Betrieben, die der Allgemeinheit dienen»,
«entrave aux services d'intérêt général»). Enger als der Begriff des Betriebes
im Sinne dieser Bestimmung ist der Begriff des Verkehrs (service, servizio)
gemäss Art. 238
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 238
StGB. Nach dieser Bestimmung ist strafbar, «wer den
Eisenbahnverkehr hindert, stört oder gefährdet und dadurch Leib und Leben von
Menschen oder fremdes Eigentum in Gefahr bringt, namentlich die Gefahr einer
Entgleisung oder eines

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Zusammenstosses herbeiführt». Hier wird das Interesse an einer die Sicherheit
von Leib, Leben und Eigentum gewährleistenden Abwicklung des technischen
Vorganges des Verkehrens geschützt, gleich wie Art. 237 den Schutz des
Verkehrs (circulation, circolazione) auf der Strasse, auf dem Wasser und in
der Luft bezweckt. Die erste Expertenkommission hat denn auch das Wort
«Betrieb» in Art. 167 des Vorentwurfes, aus dem Art. 238 des Gesetzes
hervorgegangen ist, als zu weit gefunden und durch «Verkehr» ersetzt, in der
Meinung, dass dieser Ausdruck enger sei (Verhandlungen III S. 664). Auch der
revidierte Art. 67 BStR, der die Gefährdung der «Sicherheit des Eisenbahn-,
Dampfschiff- oder Postwagenverkehrs» unter Strafe stellte, wurde als
Bestimmung zum Schutze bloss des technischen Teils des Betriebes ausgelegt
(BGE 54 I 57, 296362).
Durch Hinderung, Störung oder Gefährdung des Eisenbahnverkehrs wird in der
Regel auch der Betrieb der Eisenbahn gehindert, gestört oder gefährdet. Ist
das besondere Merkmal, dass die Tat "Leib und Leben von Menschen oder fremdes
Eigentum in Gefahr bringt", in einem solchen Falle erfüllt, so ist nur Art.
238, nicht auch Art. 239 anzuwenden; letzterer ist die allgemeine, ersterer
die besondere Norm (BGE 72 IV 30). Aus diesem Verhältnis der beiden
Vorschriften ergibt sich eine Unstimmigkeit, wenn die Tat fahrlässig begangen
wird. Art. 238 Abs. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 238
StGB droht für fahrlässige Begehung Strafe nur an, wenn
Leib und Leben von Menschen oder fremdes Eigentum erheblich gefährdet werden,
was nach der Rechtsprechung des Kassationshofes heisst, dass der Schaden, der
bei voller Auswirkung der Gefahr eintreten würde, erheblich sein muss (BGE 72
IV 27
). Diese Beschränkung war im Entwurf des Bundesrates (Art. 204) nicht
vorgesehen; sie wurde in der parlamentarischen Beratung eingeführt, weil man
den Tatbestand der fahrlässigen Gefährdung des Eisenbahnverkehrs gegenüber dem
früheren Rechtszustand (rev. Art. 67 Abs. 2 BStR) nicht erweitern, sondern

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wie bis anhin unerhebliche Gefährdungen namentlich im Interesse der
Eisenbahner straflos lassen wollte (StenBull, Sonderausgabe NatR S. 440 ff.).
Sie darf daher nicht als fahrlässige Gefährdung des Betriebes (Art. 239 Ziff.
2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 239 - 1. Wer vorsätzlich den Betrieb einer öffentlichen Verkehrsanstalt, namentlich den Eisenbahn-, Post-, Telegrafen- oder Telefonbetrieb hindert, stört oder gefährdet,
1    Wer vorsätzlich den Betrieb einer öffentlichen Verkehrsanstalt, namentlich den Eisenbahn-, Post-, Telegrafen- oder Telefonbetrieb hindert, stört oder gefährdet,
2    Handelt der Täter fahrlässig, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe.319
StGB) dennoch bestraft werden, umso weniger, als Art. 239 Ziff. 2 die
gleiche Strafe androht wie Art. 238 Abs. 2 und daher für die erwähnten Fälle
nicht als subsidiär anwendbares milderes Gesetz einen vernünftigen Sinn hat.
Da der Wortlaut des Art. 239 Ziff. 2 nicht nur die erhebliche Gefährdung des
Betriebes mit Strafe bedroht, hat diese Auslegung freilich zur Folge, dass
Betriebsstörungen, welche sich in einer Gefährdung der Verkehrssicherheit
auswirken ­ wo sich der Fehler ereignet, ob im technischen oder im
administrativen und kommerziellen Betrieb, ist gleichgültig ­, nur bei
Erheblichkeit der Gefährdung strafbar sind, Betriebsstörungen, welche die
Verkehrssicherheit nicht aufs Spiel setzen, dagegen immer. Daran braucht
jedoch entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht Anstoss genommen zu
werden. Die Möglichkeit, dass jemand die Verkehrssicherheit gefährde, ist
wegen der dem Eisenbahnverkehr innewohnenden Gefahren wesentlich grösser als
die Möglichkeit blosser Gefährdung des administrativen und kommerziellen
Betriebes. Während sich eine Milderung der strafrechtlichen Haftung für
Gefährdung der Verkehrssicherheit im Interesse der Eisenbahner und anderer
Personen, die mit der Bahn in Berührung kommen, aufdrängt, braucht gegenüber
dem, der bloss den administrativen und kommerziellen Betrieb gefährdet, solche
Rücksicht nicht genommen zu werden, weil ihm eine Nachlässigkeit weniger
leicht zum Verhängnis wird.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 72 IV 68
Datum : 01. Januar 1946
Publiziert : 06. Juni 1946
Quelle : Bundesgericht
Status : 72 IV 68
Sachgebiet : BGE - Strafrecht und Strafvollzug
Gegenstand : Art. 238 Abs. 2, Art. 239 Ziff. 2 StGB. Wenn die fahrlässige Gefährdung des Eisenbahnverkehrs...


Gesetzesregister
StGB: 238 
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 238
239
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 239 - 1. Wer vorsätzlich den Betrieb einer öffentlichen Verkehrsanstalt, namentlich den Eisenbahn-, Post-, Telegrafen- oder Telefonbetrieb hindert, stört oder gefährdet,
1    Wer vorsätzlich den Betrieb einer öffentlichen Verkehrsanstalt, namentlich den Eisenbahn-, Post-, Telegrafen- oder Telefonbetrieb hindert, stört oder gefährdet,
2    Handelt der Täter fahrlässig, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe.319
BGE Register
54-I-50 • 72-IV-23 • 72-IV-30 • 72-IV-68
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