S. 63 / Nr. 20 Strafgesetzbuch (d)

BGE 72 IV 63

20. Urteil des Kassationshofes vom 12. April 1946 i.S. Decurtins gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden.

Regeste:
Art. 148 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 148 - 1 Wer, obschon er zahlungsunfähig oder zahlungsunwillig ist, eine ihm vom Aussteller überlassene Check- oder Kreditkarte oder ein gleichartiges Zahlungsinstrument verwendet, um vermögenswerte Leistungen zu erlangen und den Aussteller dadurch am Vermögen schädigt, wird, sofern dieser und das Vertragsunternehmen die ihnen zumutbaren Massnahmen gegen den Missbrauch der Karte ergriffen haben, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.
1    Wer, obschon er zahlungsunfähig oder zahlungsunwillig ist, eine ihm vom Aussteller überlassene Check- oder Kreditkarte oder ein gleichartiges Zahlungsinstrument verwendet, um vermögenswerte Leistungen zu erlangen und den Aussteller dadurch am Vermögen schädigt, wird, sofern dieser und das Vertragsunternehmen die ihnen zumutbaren Massnahmen gegen den Missbrauch der Karte ergriffen haben, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2    Handelt der Täter gewerbsmässig, so wird er mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.207
StGB. Der zahlungswillige, aber zahlungsunfähige Käufer
handelt nicht ohne weiteres arglistig, wenn er auf Kredit kauft, ohne dem
Vorkäufer unaufgefordert seine Vermögenslage bekannt zu geben.
Art. 148 al. 1 CP. L'acheteur disposé à s'exécuter, mais qui est insolvable,
n'agit pas nécessairement do façon astucieuse du fait qu'il achète à crédit,
sans révéler de son propre chef au vendeur sa situation do fortune.
Art. 148 cp. 1 CP. Il compratore disposto a pagare, ma insolvente non agisco
necessariamente con astuzia, so compera a credito senza rivelare
spontaneamente al venditore la sua situazione patrimoniale.

A. ­ Johann Anton Decurtins, der seit vielen Jahren den Beruf eines
Viehhändlers ausgeübt hatte, trat am

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1. Januar 1944 das Geschäft seinem Sohne ab und war von da an nur noch Inhaber
eines Nebenpatentes, das ihn nicht berechtigte, den Viehhandel weiterhin auf
eigene Rechnung auszuüben. Trotzdem kaufte er in der Zeit vom 11. September
bis 2. Oktober 1944 bei Metzgermeister Sonderegger zum Preise von Fr. 1426.80
sieben Kälber auf eigene Rechnung, wobei er dem Verkäufer, der ihn nicht
darnach fragte, verschwieg, dass er, Decurtins, das Hauptpatent, das nur
zahlungsfähigen Viehhändlern erteilt wird, nicht mehr besass, und dass gegen
ihn seit März 1944 ein Verlustschein von Fr. 3458.85 bestand und er auch noch
andere Schulden hatte. Während er Sonderegger im Sommer 1944 bei andern Käufen
den Preis anstandslos bezahlt hatte, beabsichtigte er diesmal nicht, seiner
Verpflichtung sofort nachzukommen. Er verkaufte die sieben Kälber an den
Tagen, an denen er sie erworben hatte, weiter, zog den Erlös von. Fr. 1600.­
sofort ein und befriedigte mit diesem Gelde andere Gläubiger. In der
Betreibung gegen Decurtins kam Sonderegger am 13. April 1945 vollständig zu
Verlust, worauf er anfangs Juni 1945 gegen seinen Schuldner Strafklage wegen
Betruges einreichte.
B. ­ Das Kantonsgericht von Graubünden verurteilte Decurtins am 23. Januar
1946 wegen fortgesetzten Betruges zu einer bedingt vollziehbaren
Gefängnisstrafe von drei Monaten. Es führte aus, er habe beim Kaufe der Kälber
seine Zahlungsunfähigkeit dem Sonderegger absichtlich verschwiegen. Letzterer
habe beim Schweigen Decurtins annehmen müssen, dieser sei selbständiger
Viehhändler und daher zahlungsfähig. Darin liege die Täuschung. Decurtins habe
diesen Eindruck absichtlich erweckt und den bestehenden Irrtum absichtlich
ausgenützt. Hätte Sonderegger gewusst, mit wem er es zu tun habe, so hätte er
die Kälber nur gegen Nachnahme oder Vorausbezahlung oder überhaupt nicht
geliefert. Decurtins habe den Willen zur sofortigen Bezahlung der Kälber nicht
gehabt. Er habe sich unrechtmässig bereichern wollen.

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C. ­ Decurtins hat mit dem Antrag auf Freisprechung gegen das Urteil des
Kantonsgerichts die Nichtigkeitsbeschwerde erklärt. Er bestreitet die
objektiven Merkmale - des Betruges und die Absicht unrechtmässiger
Bereicherung.
D. ­ Die Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden verweist auf das
angefochtene Urteil und verzichtet auf weitere Bemerkungen.
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1. ­ Betrug liegt nicht jedesmal schon dann vor, wenn sich jemand durch einen
Irrtum zu einem Verhalten bestimmen lässt, das ihn am Vermögen schädigt, und
ein anderer in der Absicht unrechtmässiger Bereicherung den Irrtum bewusst und
gewollt herbeigeführt oder ausgenützt hat. Der Täter muss arglistig handeln
(Art. 148 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 148 - 1 Wer, obschon er zahlungsunfähig oder zahlungsunwillig ist, eine ihm vom Aussteller überlassene Check- oder Kreditkarte oder ein gleichartiges Zahlungsinstrument verwendet, um vermögenswerte Leistungen zu erlangen und den Aussteller dadurch am Vermögen schädigt, wird, sofern dieser und das Vertragsunternehmen die ihnen zumutbaren Massnahmen gegen den Missbrauch der Karte ergriffen haben, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.
1    Wer, obschon er zahlungsunfähig oder zahlungsunwillig ist, eine ihm vom Aussteller überlassene Check- oder Kreditkarte oder ein gleichartiges Zahlungsinstrument verwendet, um vermögenswerte Leistungen zu erlangen und den Aussteller dadurch am Vermögen schädigt, wird, sofern dieser und das Vertragsunternehmen die ihnen zumutbaren Massnahmen gegen den Missbrauch der Karte ergriffen haben, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2    Handelt der Täter gewerbsmässig, so wird er mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.207
StGB). Arglist aber kann ihm nicht vorgeworfen werden, wenn
er nicht verpflichtet ist, den Irrenden aufzuklären. Diese Pflicht bestand für
den Beschwerdeführer nicht. Der Käufer, der nicht über seine Vermögenslage
befragt wird, ist beim Abschluss eines Kreditkaufes nicht ohne weiteres
gehalten, dem Verkäufer mitzuteilen, dass gegen ihn, den Käufer,
Verlustscheine bestehen oder dass er überschuldet ist. Verlustscheine und
Überschuldung hindern den. Käufer nicht unbedingt, den Kaufpreis zu bezahlen.
Der Beschwerdeführer ist denn auch früheren Verpflichtungen gegenüber
Sonderegger noch im Sommer 1944 nachgekommen, trotz des Verlustscheines, der
im März des gleichen. Jahres einem anderen Gläubiger ausgestellt worden war.
Wenn der Verkäufer Wert darauf legt, die Vermögenslage des Käufers zu kennen,
so kann er ihn darnach fragen. Tut er das nicht, so handelt der Käufer nicht
arglistig, wenn auch er darüber schweigt. Das gilt jedenfalls dann, wenn der
Käufer den. Willen hat, den Kaufpreis wirklich zu bezahlen. Für den
Beschwerdeführer trifft dies zu, denn die Vorinstanz stellt nicht fest, dass
er überhaupt

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nicht habe zahlen wollen, sondern bloss, dass er dies nicht sofort habe tun
wollen. Aus der blossen Säumnis allein darf übrigens, wie der Kassationshof
schon wiederholt erklärt hat, nicht geschlossen werden, der Schuldner sei VON.
Anfang an nicht gewillt gewesen, zu zahlen. Wäre dieser Schluss zulässig, so
liefe das in Wirklichkeit auf die strafrechtliche Verfolgung wegen
Nichterfüllung der zivilrechtlichen Verpflichtung hinaus. Selbst wenn der
Schuldner beim Abschluss des Vertrages überschuldet ist, darf nachher, wenn er
in Verzug kommt, nicht kurzerhand angenommen werden, die Absicht, zu zahlen,
habe ihm von Anfang an gefehlt.
Auch nicht dadurch hat der Beschwerdeführer arglistig gehandelt, dass er auf
eigene Rechnung einkaufte, ohne Sonderegger zu sagen, dass er bloss das
Nebenpatent eines Viehhändlers besass. Wenn die Vorinstanz davon ausgeht,
Sonderegger habe ein Interesse gehabt, zu wissen, ob der Beschwerdeführer das
Hauptpatent oder das Nebenpatent besitze, so bloss deshalb, weil sie annimmt,
er hätte daraus auf die Vermögenslage seines Vertragsgegners schliessen
können. Allein der Beschwerdeführer war, wie gesagt, nicht verpflichtet, über
seine Vermögenslage Auskunft zu geben, ohne darnach gefragt worden zu sein.
Folglich kann ihm auch nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass er nicht von
sich aus erklärt hat, er besitze bloss das Nebenpatent. Damit wäre übrigens
nicht gesagt gewesen, dass gegen ihn ein Verlustschein bestand und dass er
noch andere Schulden hatte, denn auch der Inhaber eines Nebenpatentes kann
zahlungsfähig sein. Positiv behauptet, er besitze das Hauptpatent und sei
folglich zahlungsfähig, hat der Beschwerdeführer nicht.
2. ­ Fehlt somit die Arglist, so ist der Beschwerdeführer freizusprechen. Ob
zur Absicht unrechtmässiger Bereicherung genügte, dass er nicht sofort zahlen
wollte, oder ob er vielmehr die Absicht hätte haben müssen, überhaupt nie zu
zahlen, kann deshalb dahingestellt bleiben.

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Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das angefochtene Urteil
aufgehoben und die Sache zur Freisprechung des Beschwerdeführers an die
Vorinstanz zurückgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 72 IV 63
Datum : 01. Januar 1946
Publiziert : 12. April 1946
Quelle : Bundesgericht
Status : 72 IV 63
Sachgebiet : BGE - Strafrecht und Strafvollzug
Gegenstand : Art. 148 Abs. 1 StGB. Der zahlungswillige, aber zahlungsunfähige Käufer handelt nicht ohne weiteres...


Gesetzesregister
StGB: 148
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 148 - 1 Wer, obschon er zahlungsunfähig oder zahlungsunwillig ist, eine ihm vom Aussteller überlassene Check- oder Kreditkarte oder ein gleichartiges Zahlungsinstrument verwendet, um vermögenswerte Leistungen zu erlangen und den Aussteller dadurch am Vermögen schädigt, wird, sofern dieser und das Vertragsunternehmen die ihnen zumutbaren Massnahmen gegen den Missbrauch der Karte ergriffen haben, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.
1    Wer, obschon er zahlungsunfähig oder zahlungsunwillig ist, eine ihm vom Aussteller überlassene Check- oder Kreditkarte oder ein gleichartiges Zahlungsinstrument verwendet, um vermögenswerte Leistungen zu erlangen und den Aussteller dadurch am Vermögen schädigt, wird, sofern dieser und das Vertragsunternehmen die ihnen zumutbaren Massnahmen gegen den Missbrauch der Karte ergriffen haben, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2    Handelt der Täter gewerbsmässig, so wird er mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.207
BGE Register
72-IV-63
Stichwortregister
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