S. 49 / Nr. 16 Strafgesetzbuch (d)

BGE 72 IV 49

16. Urteil des Kassationshofes vom 16. April 1946 i.S. Läubli gegen
Generalprokurator des Kantons Bern.


Seite: 49
Regeste:
Art. 41 Ziff. 3
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 41 - 1 Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
1    Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
a  eine solche geboten erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten; oder
b  eine Geldstrafe voraussichtlich nicht vollzogen werden kann.
2    Es hat die Wahl der Freiheitsstrafe näher zu begründen.
3    Vorbehalten bleibt die Freiheitsstrafe anstelle einer nicht bezahlten Geldstrafe (Art. 36).
StGB. Die Strafe ist auch dann vollziehen zu lassen:
a) wenn sie wegen einer bloss fahrlässig begangenen Tat ausgesprochen wurde
(Erw. 1);
b) wenn das während der Probezeit begangene Verbrechen oder Vergehen (Art. 9
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 9 - 1 Dieses Gesetz ist nicht anwendbar auf Personen, soweit deren Taten nach dem Militärstrafrecht zu beurteilen sind.
1    Dieses Gesetz ist nicht anwendbar auf Personen, soweit deren Taten nach dem Militärstrafrecht zu beurteilen sind.
2    Für Personen, welche zum Zeitpunkt der Tat das 18. Altersjahr noch nicht vollendet haben, bleiben die Vorschriften des Jugendstrafgesetzes vom 20. Juni 200313 (JStG) vorbehalten. Sind gleichzeitig eine vor und eine nach der Vollendung des 18. Altersjahres begangene Tat zu beurteilen, so ist Artikel 3 Absatz 2 JStG anwendbar.14

StGB) bloss mit Haft oder Busse gesühnt wurde (Erw. 2).
Art. 41 ch. 3 CP La peine doit aussi être mise à exécution:
a) lorsqu'elle a été prononcée pour une infraction commise simplement par
négligence (consid. 1)
b) lorsque le crime ou le délit (art. 9 CP) commis durant le délai d'épreuve
n'a été puni que d'arrêts ou d'amende (consid. 2).
Art. 41, cifra 3 CP. La pena dev'essere eseguita anche:
a) quando sia stata pronunciata a motivo d'un'infrazione commessa soltanto per
negligenza (consid. 1);
b) quando il crimine o il delitto (art. 9 CP) commesso durante il periodo di
prova è stato punito soltanto con l'arresto o la multa (consid. 2).

A. ­ Läubli wurde am 22. Mai 1942 vom Gerichtspräsidenten IV von Bern wegen
fahrlässiger Tötung im Sinne des Art. 117
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 117 - Wer fahrlässig den Tod eines Menschen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
StGB und Widerhandlung gegen die
Vorschriften über den Fahrradverkehr unter Auferlegung einer dreijährigen
Probezeit zu einer bedingt vollziehbaren Gefängnisstrafe von dreissig Tagen
und zu dreissig Franken Busse verurteilt. Am 5. Februar 1946 ordnete das
Obergericht des Kantons Bern gestützt auf Art. 41 Ziff. 3
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 41 - 1 Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
1    Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
a  eine solche geboten erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten; oder
b  eine Geldstrafe voraussichtlich nicht vollzogen werden kann.
2    Es hat die Wahl der Freiheitsstrafe näher zu begründen.
3    Vorbehalten bleibt die Freiheitsstrafe anstelle einer nicht bezahlten Geldstrafe (Art. 36).
StGB den Vollzug der
Gefängnisstrafe an, weil der Verurteilte seinem Bruder am 12. Dezember 1942
vier stehende Fichten hat stehlen helfen und deshalb vom Gerichtspräsidenten
von Burgdorf am 5. März 1943 wegen Gehülfenschaft

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zu Diebstahl mit dreissig Franken gebüsst worden ist.
B. ­ Läubli hat gegen das Urteil des Obergerichts die Nichtigkeitsbeschwerde
erklärt mit dem Antrag, es sei aufzuheben und die Gefängnisstrafe nicht
vollziehen zu lassen. Er macht geltend, Art. 41 Ziff. 3
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 41 - 1 Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
1    Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
a  eine solche geboten erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten; oder
b  eine Geldstrafe voraussichtlich nicht vollzogen werden kann.
2    Es hat die Wahl der Freiheitsstrafe näher zu begründen.
3    Vorbehalten bleibt die Freiheitsstrafe anstelle einer nicht bezahlten Geldstrafe (Art. 36).
StGB sei dahin
auszulegen, dass der Vollzug nur angeordnet werden dürfe, wenn die Tat, für
welche die bedingt vollziehbare Strafe ausgesprochen wurde, eine vorsätzliche
war und die während der Probezeit begangene neue Tat durch die ausgefällte
Strafe als Verbrechen oder Vergehen charakterisiert sei oder mindestens eine
gewisse Schwere habe. Im vorliegenden Falle seien diese Voraussetzungen nicht
erfüllt.
a. ­ Der Generalprokurator des Kantons Bern beantragt, die Beschwerde sei
gutzuheissen. Er ist der Meinung, dass nach dem Sinne des Art. 41 Ziff. 3
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 41 - 1 Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
1    Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
a  eine solche geboten erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten; oder
b  eine Geldstrafe voraussichtlich nicht vollzogen werden kann.
2    Es hat die Wahl der Freiheitsstrafe näher zu begründen.
3    Vorbehalten bleibt die Freiheitsstrafe anstelle einer nicht bezahlten Geldstrafe (Art. 36).
StGB
unter den während der Probezeit vorsätzlich begangenen Verbrechen und Vergehen
nur solche zu verstehen seien, die wegen ihrer Schwere zu einer Verurteilung
zu Zuchthaus oder Gefängnis Anlass geben. Dagegen lehnt er die Auffassung ab,
dass der bedingte Strafvollzug nicht zu widerrufen sei, wenn er für eine bloss
fahrlässig begangene Tat gewährt wurde.
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1. ­ Art. 41 Ziff. 3
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 41 - 1 Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
1    Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
a  eine solche geboten erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten; oder
b  eine Geldstrafe voraussichtlich nicht vollzogen werden kann.
2    Es hat die Wahl der Freiheitsstrafe näher zu begründen.
3    Vorbehalten bleibt die Freiheitsstrafe anstelle einer nicht bezahlten Geldstrafe (Art. 36).
StGB weist den Richter an, die Strafe, die als bedingt
vollziehbare ausgefällt wurde, unter anderem dann vollziehen zu lassen, wenn
der Verurteilte während der Probezeit vorsätzlich ein Verbrechen oder ein
Vergehen begeht. Ob die erste Tat vorsätzlich oder bloss fahrlässig begangen
wurde, unterscheidet das Gesetz nicht. Wesentlich ist ihm nur, ob sich der
Verurteilte mit Wissen und Willen über die Warnung, die ihm durch Verurteilung
zu einer bedingt vollziehbaren Strafe und Auferlegung einer Probezeit erteilt
wurde, hinwegsetzt. Das tut er immer, wenn er sich während der Probezeit
vorsätzlich vergeht, ob ihm nun die Warnung wegen

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eines bloss fahrlässigen oder ob sie ihm wegen eines vorsätzlichen Vergehens
oder Verbrechens erteilt wurde. Der Beschwerdeführer sieht sich zu Unrecht als
Opfer eines Zufalles, der darin liegen soll, dass er die vorsätzliche Tat nach
der fahrlässigen begangen hat statt umgekehrt. Wer wegen einer vorsätzlichen
Handlung zu einer bedingt vollziehbaren Strafe verurteilt wird und sich
nachher bloss fahrlässig vergeht, schlägt nicht bewusst eine richterliche
Warnung in den Wind wie der Beschwerdeführer, der wegen der fahrlässigen Tat
unter Bewährungsprobe gestellt worden ist und sich nachher vorsätzlich
vergangen hat.
2. ­ Der Strafvollzug wird angeordnet, wenn die während der Probezeit
vorsätzlich begangene Tat ein Verbrechen oder ein Vergehen ist. Ein Verbrechen
ist sie dann, wenn sie mit Zuchthaus, ein Vergehen, wenn sie mit Gefängnis als
Höchststrafe bedroht ist (Art. 9
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 9 - 1 Dieses Gesetz ist nicht anwendbar auf Personen, soweit deren Taten nach dem Militärstrafrecht zu beurteilen sind.
1    Dieses Gesetz ist nicht anwendbar auf Personen, soweit deren Taten nach dem Militärstrafrecht zu beurteilen sind.
2    Für Personen, welche zum Zeitpunkt der Tat das 18. Altersjahr noch nicht vollendet haben, bleiben die Vorschriften des Jugendstrafgesetzes vom 20. Juni 200313 (JStG) vorbehalten. Sind gleichzeitig eine vor und eine nach der Vollendung des 18. Altersjahres begangene Tat zu beurteilen, so ist Artikel 3 Absatz 2 JStG anwendbar.14
StGB). Es genügt also, dass diese Strafen für
Handlungen der betreffenden Art angedroht sind; dass auch die ausgesprochene
Strafe auf Zuchthaus oder Gefängnis laute, ist nach dem klaren Wortlaut des
Gesetzes nicht erforderlich. Wie der Kassationshof bereits in Sachen
Gammenthaler ausgeführt hat (BGE 70 IV 108), steht es auch nicht im Ermessen
des Richters, von der Anordnung des Vollzugs dann abzusehen, wenn das während
der Probezeit begangene Verbrechen oder Vergehen geringfügig ist. Diese
Strenge des Gesetzes, die von der Ordnung abweicht, wie sie z. B. im Kanton
Bern galt, ist gewollt. Art: 41 Ziff. 3 StGB war als Art. 39 Ziff. 3 schon im
Entwurf von 1918 enthalten, mit dem Unterschiede, dass dort Vergehen und
Verbrechen mit dem gemeinsamen Ausdruck Vergehen bezeichnet waren. Auch war
schon im Entwurf auf zahlreiche Vergehen neben Gefängnis wahlweise Busse
angedroht und allgemein für den Fall der Strafmilderung wegen Versuchs,
Gehülfenschaft usw. die Möglichkeit vorgesehen, statt Gefängnis Haft oder
Busse auszusprechen. Auf dieser Grundlage hat die parlamentarische Beratung
stattgefunden.

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Dem Gesetzgeber ist weder entgangen, dass der Richter häufig in die Lage
kommen kann, für ein Verbrechen oder Vergehen bloss Haft oder Busse
auszusprechen, noch dass in diesem Falle der bedingte Strafvollzug für eine
frühere Tat in gleicher Weise widerrufen werden muss, wie wenn für das während
der Probezeit begangene Verbrechen oder Vergehen Zuchthaus oder Gefängnis
ausgesprochen wurde. Als man im Nationalrat erfolglos beantragte, der Richter
solle ermächtigt werden, die Strafe ausnahmsweise nicht vollziehen zu lassen,
wenn das neue Verbrechen oder Vergehen geringfügiger Art ist, wies der
Antragsteller darauf hin, dass sonst beispielsweise eine achtmonatige
Gefängnisstrafe auch vollzogen werden müsse, wenn der Verurteilte wegen einer
während der Probezeit begangenen Ehrverletzung bloss mit dreissig oder vierzig
Franken gebüsst wird (StenBull, Sonderausgabe 636). Die Auffassung der
gesetzgebenden Behörden wird verstanden, wenn man bedenkt, dass der bedingte
Strafvollzug auch Gegner hatte und man daher die Gewähr haben wollte, dass die
Probezeit zu einer wirklichen Erprobungszeit werde, in welcher der Verurteilte
sich mustergültig hüten soll, vorsätzlich ein Verbrechen oder Vergehen zu
verüben, mag es auch bloss ein leichtes sein. Übrigens ist nicht jedes
Vergehen, für das bloss Haft oder Busse ausgesprochen wird, so leicht, dass es
die Anordnung des Vollzugs einer bedingten Freiheitsstrafe, die ja ihrerseits
auch bloss auf Haft gelautet zu haben braucht, nie rechtfertigen würde, kann
doch Haft bis drei Monate dauern und die Busse in der Regel bis zwanzigtausend
Franken, beim Handeln aus Gewinnsucht sogar noch mehr betragen. Haft und Busse
in dieser Höhe können freilich auch für blosse Übertretungen verhängt werden
und führen in solchen Fällen nicht zum Widerruf des bedingten Strafvollzuges.
Wenn aber nach der Strafandrohung schon ein Verbrechen oder Vergehen vorliegt
und eine so lange Haft oder eine so hohe Busse ausgesprochen wird, lassen sich
gegen den Wortlaut des Art. 41 Ziff. 3 keine Billigkeitserwägungen

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mehr anrufen. Nicht folgerichtig ist dann eher, dass bei gleichen Strafen
nicht auch die Übertretungen den Widerruf nach sich ziehen.
Demnach erkennt der Kassationshof: Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.
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Document : 72 IV 49
Date : 01. Januar 1946
Published : 15. April 1946
Source : Bundesgericht
Status : 72 IV 49
Subject area : BGE - Strafrecht und Strafvollzug
Subject : Art. 41 Ziff. 3 StGB. Die Strafe ist auch dann vollziehen zu lassen:a) wenn sie wegen einer bloss...


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