S. 20 / Nr. 8 Strafgesetzbuch (d)

BGE 72 IV 20

8. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 29. März 1946 i.S. Buchmann
gegen Stirnimann.

Regeste:
1. Tätlichkeiten im Sinne des Art. 126
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 126 - 1 Wer gegen jemanden Tätlichkeiten verübt, die keine Schädigung des Körpers oder der Gesundheit zur Folge haben, wird, auf Antrag, mit Busse bestraft.
1    Wer gegen jemanden Tätlichkeiten verübt, die keine Schädigung des Körpers oder der Gesundheit zur Folge haben, wird, auf Antrag, mit Busse bestraft.
2    Der Täter wird von Amtes wegen verfolgt, wenn er die Tat wiederholt begeht:
a  an einer Person, die unter seiner Obhut steht oder für die er zu sorgen hat, namentlich an einem Kind;
b  an seinem Ehegatten während der Ehe oder bis zu einem Jahr nach der Scheidung; oder
bbis  an seiner eingetragenen Partnerin oder seinem eingetragenen Partner während der Dauer der eingetragenen Partnerschaft oder bis zu einem Jahr nach deren Auflösung; oder
c  an seinem hetero- oder homosexuellen Lebenspartner, sofern sie auf unbestimmte Zeit einen gemeinsamen Haushalt führen und die Tat während dieser Zeit oder bis zu einem Jahr nach der Trennung begangen wurde.184
StGB (Erw. 1).
2. Art. 177 Abs. 3
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 177 - 1 Wer jemanden in anderer Weise durch Wort, Schrift, Bild, Gebärde oder Tätlichkeiten in seiner Ehre angreift, wird, auf Antrag, mit Geldstrafe bis zu 90 Tagessätzen bestraft.234
1    Wer jemanden in anderer Weise durch Wort, Schrift, Bild, Gebärde oder Tätlichkeiten in seiner Ehre angreift, wird, auf Antrag, mit Geldstrafe bis zu 90 Tagessätzen bestraft.234
2    Hat der Beschimpfte durch sein ungebührliches Verhalten zu der Beschimpfung unmittelbar Anlass gegeben, so kann das Gericht den Täter von Strafe befreien.
3    Ist die Beschimpfung unmittelbar mit einer Beschimpfung oder Tätlichkeit erwidert worden, so kann das Gericht einen oder beide Täter von Strafe befreien.
StGB ist auch anwendbar, wenn die vergoltene oder die
vergeltungsweise verübte Handlung in Tätlichkeiten im Sinne des Art. 126
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 126 - 1 Wer gegen jemanden Tätlichkeiten verübt, die keine Schädigung des Körpers oder der Gesundheit zur Folge haben, wird, auf Antrag, mit Busse bestraft.
1    Wer gegen jemanden Tätlichkeiten verübt, die keine Schädigung des Körpers oder der Gesundheit zur Folge haben, wird, auf Antrag, mit Busse bestraft.
2    Der Täter wird von Amtes wegen verfolgt, wenn er die Tat wiederholt begeht:
a  an einer Person, die unter seiner Obhut steht oder für die er zu sorgen hat, namentlich an einem Kind;
b  an seinem Ehegatten während der Ehe oder bis zu einem Jahr nach der Scheidung; oder
bbis  an seiner eingetragenen Partnerin oder seinem eingetragenen Partner während der Dauer der eingetragenen Partnerschaft oder bis zu einem Jahr nach deren Auflösung; oder
c  an seinem hetero- oder homosexuellen Lebenspartner, sofern sie auf unbestimmte Zeit einen gemeinsamen Haushalt führen und die Tat während dieser Zeit oder bis zu einem Jahr nach der Trennung begangen wurde.184
StGB
besteht (Erw. 2).
1. Voies de fait au sens de l'art. 126 CP (consid. 1)
2. L'art. 177 al. 3 CP est aussi applicable lorsque l'acte que venge le
délinquant ou l'acte par lequel il se venge consiste dans des voies de fait au
sens de l'art. 126 CP (consid. 2).
1. Vie di fatto ai sensi dell'art. 126 CP (consid. 1)
2. L'art. 177 cp. 3 CP è applicabile anche quando l'atto che vendica il
delinquente o l'atto col quale egli si vendica consiste in vie di fatto ai
sensi dell'art. 126 CP (consid. 2).


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Aus den Erwägungen:
1. ­ Der Schlag der Frau Stirnimann hat beim Beschwerdeführer eine Schürfwunde
an der rechten Nasenseite und eine Quetschung und Verfärbung der rechten
Gesichtshälfte verursacht. Das sind Auswirkungen so geringfügiger Art, wie ein
nicht besonders heftiger Schlag sie gewöhnlich zur Folge hat, sonst hätte der
Arzt, von dem der Beschwerdeführer das Zeugnis eigens deshalb verlangt hat, um
es gegen Frau Stirnimann zu verwenden, weitergehende Feststellungen getroffen.
Die Vorinstanz hat daher den Schlag mit Recht nicht als Körperverletzung im
Sinne von Art. 123 Ziff. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 123 - 1. Wer vorsätzlich einen Menschen in anderer Weise an Körper oder Gesundheit schädigt, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
1    Wer vorsätzlich einen Menschen in anderer Weise an Körper oder Gesundheit schädigt, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2    Der Täter wird von Amtes wegen verfolgt,176
StGB, auch nicht als leichte, sondern als blosse
Tätlichkeit gewertet.
2. ­ Gemäss Art. 177 Abs. 3
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 177 - 1 Wer jemanden in anderer Weise durch Wort, Schrift, Bild, Gebärde oder Tätlichkeiten in seiner Ehre angreift, wird, auf Antrag, mit Geldstrafe bis zu 90 Tagessätzen bestraft.234
1    Wer jemanden in anderer Weise durch Wort, Schrift, Bild, Gebärde oder Tätlichkeiten in seiner Ehre angreift, wird, auf Antrag, mit Geldstrafe bis zu 90 Tagessätzen bestraft.234
2    Hat der Beschimpfte durch sein ungebührliches Verhalten zu der Beschimpfung unmittelbar Anlass gegeben, so kann das Gericht den Täter von Strafe befreien.
3    Ist die Beschimpfung unmittelbar mit einer Beschimpfung oder Tätlichkeit erwidert worden, so kann das Gericht einen oder beide Täter von Strafe befreien.
StGB kann der Richter einen oder beide Täter von
Strafe befreien, wenn eine Beschimpfung unmittelbar mit einer Beschimpfung
oder Tätlichkeit erwidert worden ist.
Diese Bestimmung trifft auch zu, wenn die erste Beschimpfung, wie dies nach
Art. 177 Abs. 1 möglich ist, in der Verübung einer Tätlichkeit, z. B. in der
Versetzung eines Backenstreichs, besteht. Vom Wortlaut des Art. 177 Abs. 3
werden dagegen nicht erfasst die Fälle, in denen die erste Tätlichkeit nicht
als Angriff auf die Ehre, sondern als Angriff auf den Körper mit Strafe
bedroht ist, also dem Art. 126 untersteht. Allein die Tätlichkeiten gegenüber
einem Erwachsenen richten sich selten bloss gegen den Körper; in den meisten
Fällen enthalten sie auch einen Angriff auf die Ehre. Wer eine Tätlichkeit
unmittelbar mit einer Beschimpfung oder Tätlichkeit erwidert, tut es in der
Regel, weil er sich in seiner Ehre gekränkt fühlt, ohne darnach zu fragen, ob
auch ein Angriff auf seinen Körper im Sinne des Art. 126 vorliegt. Es
rechtfertigt sich daher, diese Unterscheidung auch durch den Richter nicht
machen zu lassen, Art. 177 Abs. 3 also nicht nur anzuwenden, wenn die erste
Tätlichkeit eine reine Beschimpfung ist, sondern auch dann, wenn sie daneben
oder ausschliesslich

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einen Angriff auf den Körper enthält. Art. 177 Abs. 3 soll dem Richter die
Möglichkeit geben, von Strafe abzusehen, wenn die streitenden Teile sich
selber schon an Ort und Stelle Gerechtigkeit verschafft haben und der Streit
zu unbedeutend ist, als dass das öffentliche Interesse nochmalige Sühne
verlangen würde. Dieser Sinn des Gesetzes erlaubt es, von der Bestrafung auch
Umgang zu nehmen, wenn die erste Tätlichkeit unter Art. 126 fällt. Das
öffentliche Interesse steht dem in der Regel nicht im Wege, sind doch
Tätlichkeiten im Sinne des Art. 126 gleich wie Beschimpfungen bloss auf Antrag
zu verfolgen und im Unterschied zu letzteren sogar bloss mit
Übertretungsstrafe bedroht. Zudem stellt Art. 177 Abs. 3 selber die
Tätlichkeiten in gewisser Beziehung der Beschimpfung gleich, nämlich dann,
wenn sie als Vergeltungstat verübt werden. Dass das Gesetz damit nur die
Tätlichkeiten im Sinne des Art. 177 Abs. 1 meine, erlaubt weder der Wortlaut
noch der Werdegang des Gesetzes anzunehmen. Würde bloss die beschimpfende
Tätlichkeit als Vergeltungstat anerkannt, so brauchte sie neben der
Beschimpfung nicht besonders genannt zu werden. Die Bestimmung über Retorsion
wurde in der zweiten Expertenkommission vorgeschlagen, und zwar zuerst mit
einem Wortlaut der die Vergeltungstat als «Beschimpfung oder Körperverletzung
(«une injure ou une lésion corporelle») umschrieb (Protokoll 3 S. 30). Ohne
ersichtliche Begründung wurde dann beantragt und beschlossen,
«Körperverletzung» durch «Tätlichkeiten» (voies de fait) zu ersetzen
(Protokoll 3 88 f.). Das Wort «Tätlichkeiten» aber wurde damals mit dem Sinne
eines Angriffs auf den Körper, nicht eines Angriffs auf die Ehre, gebraucht,
kam es doch bloss im Randtitel und im Texte des Art. 244 vor, der unter den
Vorschriften über die Übertretungen gegen Leib und Leben stand (jetzt Art.
126), während Art. 108 Ziff. 1, der den Tatbestand der Beschimpfung umschrieb
und dem heutigen Art. 177 Abs. 1 entsprach, es noch nicht verwendete, sondern
von Angriffen auf die Ehre «durch Wort oder Tat»

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(par la parole ou par le geste) sprach. Darf aber Art. 177 Abs. 3
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 177 - 1 Wer jemanden in anderer Weise durch Wort, Schrift, Bild, Gebärde oder Tätlichkeiten in seiner Ehre angreift, wird, auf Antrag, mit Geldstrafe bis zu 90 Tagessätzen bestraft.234
1    Wer jemanden in anderer Weise durch Wort, Schrift, Bild, Gebärde oder Tätlichkeiten in seiner Ehre angreift, wird, auf Antrag, mit Geldstrafe bis zu 90 Tagessätzen bestraft.234
2    Hat der Beschimpfte durch sein ungebührliches Verhalten zu der Beschimpfung unmittelbar Anlass gegeben, so kann das Gericht den Täter von Strafe befreien.
3    Ist die Beschimpfung unmittelbar mit einer Beschimpfung oder Tätlichkeit erwidert worden, so kann das Gericht einen oder beide Täter von Strafe befreien.
StGB
angewendet werden, wenn Tätlichkeiten im Sinne des Art. 126
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 126 - 1 Wer gegen jemanden Tätlichkeiten verübt, die keine Schädigung des Körpers oder der Gesundheit zur Folge haben, wird, auf Antrag, mit Busse bestraft.
1    Wer gegen jemanden Tätlichkeiten verübt, die keine Schädigung des Körpers oder der Gesundheit zur Folge haben, wird, auf Antrag, mit Busse bestraft.
2    Der Täter wird von Amtes wegen verfolgt, wenn er die Tat wiederholt begeht:
a  an einer Person, die unter seiner Obhut steht oder für die er zu sorgen hat, namentlich an einem Kind;
b  an seinem Ehegatten während der Ehe oder bis zu einem Jahr nach der Scheidung; oder
bbis  an seiner eingetragenen Partnerin oder seinem eingetragenen Partner während der Dauer der eingetragenen Partnerschaft oder bis zu einem Jahr nach deren Auflösung; oder
c  an seinem hetero- oder homosexuellen Lebenspartner, sofern sie auf unbestimmte Zeit einen gemeinsamen Haushalt führen und die Tat während dieser Zeit oder bis zu einem Jahr nach der Trennung begangen wurde.184
StGB als
vergeltende Tat verübt werden, so darf es auch geschehen, wenn sie die Rolle
der vergoltenen Tat gespielt haben, denn es ist nicht einzusehen, weshalb
jemand sollte bestraft werden müssen, wenn er durch Tätlichkeiten im Sinne des
Art. 126 Tätlichkeiten gleicher Art, nicht aber, wenn er damit eine
Beschimpfung (inbegriffen beschimpfende Tätlichkeiten) vergilt. Es kann
deshalb dahingestellt bleiben, ob die Tätlichkeiten der Parteien bloss
beschimpfender Natur waren oder Angriffe auf den Körper mitenthielten.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 72 IV 20
Date : 01. Januar 1946
Published : 29. März 1946
Source : Bundesgericht
Status : 72 IV 20
Subject area : BGE - Strafrecht und Strafvollzug
Subject : 1. Tätlichkeiten im Sinne des Art. 126 StGB (Erw. 1).2. Art. 177 Abs. 3 StGB ist auch anwendbar...


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