S. 7 / Nr. 2 Familienrecht (d)

BGE 72 II 7

2. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 28. März 1946 i. S. Blum
gegen Blum.

Regeste:
Scheidungsklage nach Ablauf der Trennung (Art. 147 Abs. 2 , 148 Abs. 1 ZGB).
Nur wenn die aus Art. 142 ZGB allein klageberechtigte Partei nach abgelaufener
Trennung nicht selber die Scheidung verlangt, hat die andere, mehrschuldige
Partei einen selbständigen Scheidungsanspruch aus Art. 147 /148 ZGB.
Action en divorce consécutive à la séparation de corps (art. 147 al. 2, 148
al. 1 CC). Celui des époux auquel la désunion est principalement imputable n'a
le droit de conclure au divorce en vertu des art. 147/148 CC que dans le cas
où son conjoint, qui serait seul recevable à ouvrir action au regard de l'art.
142, ne demande pas lui-même le divorce à l'expiration du délai de séparation.
Azione di divorzio conseguente alla separazione personale (art. 147 cp. 2, 148
cp. 1 CC). Il coniuge, cui è principalmente imputabile la disunione, ha il
diritto di chiedere il divorzio in virtù degli art. 147/148 CC soltanto se
l'altro coniuge, che solo potrebbe farsi attore in forza dell'art. 142 CC, non
domanda il divorzio allo spirare del termine di separazione.

A. - Mit Urteil vom 14. Juli 1942 hatte das Obergericht des Kantons Luzern die
Scheidungsklage und -Widerklage der Parteien abgewiesen, dagegen die Ehe wegen
tiefer Zerrüttung aus überwiegendem Verschulden der Ehefrau auf die Dauer von
zwei Jahren getrennt. Eine Versöhnung kam trotz beiderseitiger Versuche nicht
zustande. Nach Ablauf der Trennungszeit verlangten beide Parteien die
Scheidung. Mit Urteil vom 19. Dezember 1945 sprach das Obergericht diese auf
Begehren des Klägers allein aus....
B. - Gegen dieses Urteil richtet sich die vorliegende Berufung der Beklagten
mit den Anträgen,

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a) die Scheidung sei auf alleiniges Begehren der Beklagten, eventuell auf
Begehren beider Parteien auszusprechen.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Im Scheidungspunkt ging die Vorinstanz davon aus, dass für die Beurteilung
der Verschuldensfrage im Rahmen des Art. 148 ZGB die im Trennungsurteil
rechtskräftig festgestellten und die seither hinzugekommenen Verhältnisse
massgebend seien. Demgemäss müsse, nachdem im Trennungsurteil das überwiegende
Verschulden der Beklagten an der Zerrüttung festgestellt worden sei, dem
Scheidungsbegehren des Klägers ohne weiteres entsprochen werden. Das
selbständige Scheidungsbegehren der Beklagten (scil: aus Art. 142 ZGB) könne
nur geschützt werden, wenn während der Trennung Tatsachen eingetreten seien,
die den Kläger belasteten. Dies sei jedoch nicht der Fall. Der ihm gemachte
Hauptvorwurf, die Wiederaufnahme der ehelichen Gemeinschaft sei an seiner
Opposition gescheitert, treffe nicht zu. Bei ihren Wiederannäherungsversuchen
habe sich die Beklagte so verhalten, als ob nichts passiert wäre, und es
sorgfältig vermieden, irgendwelche Bindungen dem Kläger gegenüber einzugehen.
Nach dem Vorgefallenen habe jedoch dieser gewisse vorgängige Zusicherungen
verlangen dürfen; die der Beklagten unterbreiteten Bedingungen seien, wenn
auch etwas schroff formuliert, sachlich begründet und ihre Annahme der
Beklagten zuzumuten gewesen. Bei dieser Sachlage stehe letzterer weder ein
besonderer noch der allgemeine Scheidungsgrund zu.
Die Berufungsklägerin beanstandet diese Beurteilung ihres Scheidungsbegehrens
als eine Verletzung von Art. 148 ZGB, kraft dessen sie einen selbständigen
Scheidungsanspruch habe, weil sie selbst nach dem Trennungsurteil nicht als
ausschliesslich, sondern lediglich als überwiegend schuldiger Teil erklärt
worden sei. Die Vorinstanz habe

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ihr Scheidungsbegehren zu Unrecht nur unter dem Gesichtspunkt des Art. 142 ZGB
geprüft.
Diese Argumentation verkennt den Sinn und Zweck des Art. 148 ZGB. Diese
Bestimmung will nicht der blossen Tatsache der abgelaufenen bezw. dreijährigen
Trennung die Bedeutung eines selbständigen Scheidungsgrundes beilegen, den
auch die an der Scheidung überwiegend schuldige Partei anrufen könnte ohne
Rücksicht darauf, welche Stellung die Gegenpartei zur Scheidungsfrage
einnehme. Art. 148 will lediglich verhindern, dass ein am Zusammenbruch der
Ehe wenn auch überwiegend, so doch nicht allein schuldiger Ehegatte nach
Ablauf der Trennungszeit gegen seinen Wunsch und Willen wieder in die eheliche
Gemeinschaft zurückkehren muss. In diese Lage kommt der Mehrschuldige aber
nur, wenn der weniger Schuldige und daher aus Art. 142 (bezw. einem speziellen
Scheidungsgrund) allein klageberechtigte Ehegatte trotz abgelaufener Trennung
nicht selber die Scheidung verlangt, was zur Folge hätte, dass die Ehe nach
Dahinfallen der Trennung infolge Ablaufs der bestimmten Zeit gemäss Art. 147
Abs. 2 ZGB auf unbestimmte Zeit in der Schwebe belassen werden könnte. In
diesem Falle soll der andere Ehegatte, der die Gemeinschaft nicht wieder
aufnehmen will, ungeachtet seines grössern Verschuldens nach Art. 147 und 148
ZGB einen selbständigen Scheidungsanspruch haben. Diesen Behelf hat er aber
nicht nötig, wenn die klageberechtigte Partei selber von ihrem Anspruch
Gebrauch macht und ihrerseits die Scheidung verlangt; diesfalls besteht kein
Anlass, im Widerspruch zum Grundgedanken des Art. 142 Abs. 2 auch dem
mehrschuldigen Ehegatten das Recht einzuräumen, selbst ebenfalls als Kläger
aufzutreten. Vorliegend macht nun der Ehemann von seinem Anspruch Gebrauch,
indem er aus den Gründen, gestützt auf die er schon die Trennung erlangt
hatte, nach deren Ablauf jetzt auf Scheidung klagt. Das selbständige
Scheidungsbegehren der Ehefrau wäre daher. wie die Vorinstanz zutreffend
ausführt, nur dann

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zu schützen, wenn sich die Verschuldenslage seit der Trennung derart zu
Ungunsten des Klägers verschoben hätte, dass die Beklagte nicht mehr als die
überwiegend schuldige Partei bezeichnet werden könnte. Solche Verfehlungen des
Klägers sind - nach der verbindlichen Feststellung der Vorinstanz - nicht
nachgewiesen.... Das Verschuldensverhältnis hat sich jedenfalls seit dem
Trennungsurteil nicht so wesentlich zu Ungunsten des Mannes verschoben, dass
die Beklagte jetzt in der Gesamtabrechnung nicht mehr ein vorwiegendes
Verschulden am Scheitern der Ehe träfe. Bei dieser Sachlage steht der
Beklagten weder aus Art. 142 noch aus Art. 148 ZGB ein eigener
Scheidungsanspruch zu, sodass es beim Scheidungsdispositiv der Vorinstanz sein
Bewenden haben muss.
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Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 72 II 7
Datum : 01. Januar 1946
Publiziert : 28. März 1946
Quelle : Bundesgericht
Status : 72 II 7
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Scheidungsklage nach Ablauf der Trennung (Art. 147 Abs. 2, 148 Abs. 1 ZGB). Nur wenn die aus Art...


Gesetzesregister
ZGB: 142  147  148
BGE Register
72-II-7
Stichwortregister
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