S. 401 / Nr. 60 Familienrecht (d)

BGE 72 II 401

60. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 19. September 1946 i. S.
Studer-Schildknecht gegen Studer.


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Regeste:
Ehescheidung: Tiefe Zerrüttung, Art. 142 ZGB. Zumutbarkeit der Fortsetzung der
ehelichen Gemeinschaft.
Divorce: Atteinte profonde au lien conjugal, art. 142 CC. Devoir de continuer
la vie conjugale.
Divorzio: Profonda turbazione delle relazioni coniugali (art. 142 CC). Dovere
di continuare l'unione coniugale.

Aus den Erwägungen:
1. ­ Die Vorinstanz gelangt zum Schlusse, dass die Ehe der Parteien tief und
unheilbar zerrüttet sei und dass diese Zerrüttung nicht auf ein vorwiegendes
Verschulden des Ehemannes zurückgeführt werden könne, weshalb dessen Klage
gutzuheissen sei. Sowohl hinsichtlich der Frage der Zerrüttung als derjenigen
des überwiegenden Verschuldens an derselben wird das Urteil von der Beklagten
angefochten, in beiden Richtungen hält es der Überprüfung nicht stand.
a) In der Frage nach der Zerrüttung der Ehe erwähnt die Vorinstanz die Aussage
des Zeugen Pfr. Nidecker, es könne in dieser Ehe noch gehen, wenn die Parteien
wollten ­ und sie könnten wollen. Sie führt dann aus, dieses Urteil des Zeugen
sei vielleicht nicht unrichtig, gehe aber an den Voraussetzungen des Art. 142
ZGB vorbei. Danach komme es lediglich auf den objektiven Sachverhalt der
Zerrüttung an; ob die Parteien ihn mit gutem Willen zu ändern vermöchten, sei
nicht zu prüfen. Diese Auffassung wird dem Art. 142 nicht gerecht. Als
Scheidungsgrund genügt die Zerrüttung nur, wenn sie so

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tief ist, dass den Ehegatten die Fortsetzung der ehelichen Gemeinschaft nicht
zugemutet werden darf. Wo die Grenze dieser Zumutbarkeit im einzelnen Falle
liegt, ist Rechtsfrage. Sie geht dahin, ob kraft der aus der Ehe sich
ergebenden Pflicht von den Parteien verlangt werden kann, in der Ehe zu
verharren. Diese Pflicht richtet sich gerade an den Willen der Parteien; sie
sind gehalten, ihren guten Willen für die Aufrechterhaltung der ehelichen
Gemeinschaft einzusetzen. Es kommt daher, entgegen der Annahme der Vorinstanz,
wesentlich darauf an, ob eine Änderung des Zerrüttungszustandes der Ehe in der
Willensmacht der Parteien liegt oder nicht und ein wie grosser Aufwand an
gutem Willen und Selbstverleugnung zur Aufrechterhaltung der Gemeinschaft
erforderlich wäre. Auf Grund der vorliegenden Feststellungen der Vorinstanz
kann das Vorliegen einer Zerrüttung von der in Art. 142 vorausgesetzten Tiefe
und Unheilbarkeit weder bejaht noch verneint werden.
...
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 72 II 401
Datum : 01. Januar 1946
Publiziert : 18. September 1946
Quelle : Bundesgericht
Status : 72 II 401
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Ehescheidung: Tiefe Zerrüttung, Art. 142 ZGB. Zumutbarkeit der Fortsetzung der ehelichen...


Gesetzesregister
ZGB: 142
BGE Register
72-II-401
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
ehe • vorinstanz • wille • eheliche gemeinschaft • frage • zeuge • ehegatte • beklagter • scheidungsgrund • sachverhalt