S. 338 / Nr. 51 Erbrecht (d)

BGE 72 II 338

51. Urteil der II. Zivilabteilung vom 31. Oktober 1946 i.S. M. gegen H.


Seite: 338
Regeste:
Enterbung (Art. 477 ff
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 477 - Der Erblasser ist befugt, durch Verfügung von Todes wegen einem Erben den Pflichtteil zu entziehen:
1  wenn der Erbe gegen den Erblasser oder gegen eine diesem nahe verbundene Person eine schwere Straftat begangen hat;
2  wenn er gegenüber dem Erblasser oder einem von dessen Angehörigen die ihm obliegenden familienrechtlichen Pflichten schwer verletzt hat.
. ZGB).
Zeugenaussagen zum Nachteil des Erblassers als Enterbungsgrund?
Exhérédation (art. 477 et suiv. CC)
Le fait d'avoir témoigné en justice contre le testateur constitue-t-il un
motif d'exhérédation?
Diseredazione (art. 477 e seg. CC).
Una deposizione testimoniale a pregiudizio del disponente è un motivo di
diseredazione?

A. ­ H., der Ehemann der Klägerin, war seinerzeit Direktor einer A.-G., die
ihr Vater M. gegründet hatte, und in deren Verwaltungsrat ihr älterer Bruder
den Vorsitz führte. Am 10. Juli 1935 stellten die beiden letztgenannten gegen
H. Strafklage wegen Betrugs und Unterschlagung zum Nachteil der A.-G. Er wurde
hierauf verhaftet.
Am 2. September 1935, während er sich noch in Untersuchungshaft befand,
verzeigte H. seinen Schwiegervater M. seinerseits wegen Betruges. Er
beschuldigte ihn, das Testament vernichtet zu haben, mit welchem die im Jahre
1930 gestorbene Schwester von Frau M. diese letztere auf den Pflichtteil
gesetzt und den verfügbaren Teil ihres Nachlasses einem Altersheim vermacht
hatte. In der hierauf eingeleiteten Strafuntersuchung wurde die Klägerin am 4.
September 1935 als Zeugin vor das Bezirksamt S. geladen. Sie machte vom Rechte
der Zeugnisverweigerung, das ihr als Tochter des Angeschuldigten zustand,
keinen Gebrauch, sondern erklärte sich bereit, Zeugnis abzulegen, und
bestätigte die Richtigkeit der Sachdarstellung in der Strafanzeige ihres
Ehemannes.

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M. gab in der Folge zu, die ihm vorgeworfene Handlung begangen zu haben.
Auf Grund einer «gütlichen Vereinbarung» vom 2. Dezember 1935 zogen beide
Streitparteien ihre Strafklagen zurück. Hierauf wurde H. aus der Haft
entlassen und das Verfahren gegen ihn eingestellt; ebenso das Verfahren gegen
M., nachdem er das Altersheim mit einer erheblichen Summe abgefunden hatte.
Am 3. Dezember 1935 errichtete M. ein eigenhändiges Testament, laut welchem
sein ganzer Nachlass seiner Ehefrau und seinen beiden Söhnen zufallen sollte.
Die Klägerin, seine einzige Tochter, enterbte er, indem er bestimmte:
«Meine Tochter enterbe ich total. Ich entziehe ihr also auch den Pflichtteil,
weil sie und ihr Ehemann an mir ein schweres Verbrechen begangen haben, durch
ihre Zeugenaussagen resp. Strafanzeigen und Strafklage beim Bezirksamte S...»
B. ­ Nachdem M. im März 1943 gestorben war, leitete die Klägerin gegen ihre
Mutter und ihre beiden Brüder Klage ein mit den Begehren, das ihre Enterbung
aussprechende Testament sei als ungültig aufzuheben, alle weiteren
Verfügungen, die der Erblasser von Todes wegen oder unter Lebenden zugunsten
der Beklagten getroffen habe, seien ebenfalls für ungültig zu erklären oder
wenigstens herabzusetzen, der Nachlass und der Erbteil der Klägerin seien
gerichtlich festzustellen, und die amtliche Teilung sei anzuordnen. Die
kantonalen Instanzen behandelten im Einverständnis der Parteien vorweg die
Frage, ob die Enterbung nach Art. 477 ff
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 477 - Der Erblasser ist befugt, durch Verfügung von Todes wegen einem Erben den Pflichtteil zu entziehen:
1  wenn der Erbe gegen den Erblasser oder gegen eine diesem nahe verbundene Person eine schwere Straftat begangen hat;
2  wenn er gegenüber dem Erblasser oder einem von dessen Angehörigen die ihm obliegenden familienrechtlichen Pflichten schwer verletzt hat.
. ZGB gültig sei, während sie alle
andern Streitpunkte in ein gesondertes Verfahren verwiesen. Mit Urteil vom 8.
Juli 1946 hat das Obergericht in Übereinstimmung mit der ersten Instanz die
Enterbung mangels eines Enterbungsgrundes aufgehoben.
C. ­ Vor Bundesgericht beantragen die Beklagten, die Enterbung sei als gültig
zu erklären. Die Klägerin schliesst auf Abweisung der Berufung.

Seite: 340
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Gemäss Art. 477
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 477 - Der Erblasser ist befugt, durch Verfügung von Todes wegen einem Erben den Pflichtteil zu entziehen:
1  wenn der Erbe gegen den Erblasser oder gegen eine diesem nahe verbundene Person eine schwere Straftat begangen hat;
2  wenn er gegenüber dem Erblasser oder einem von dessen Angehörigen die ihm obliegenden familienrechtlichen Pflichten schwer verletzt hat.
ZGB ist der Erblasser befugt, durch Verfügung von Todes wegen
einem Erben den Pflichtteil zu entziehen, wenn der Erbe (1) gegen den
Erblasser oder gegen eine diesem nahe verbundene Person ein schweres
Verbrechen begangen oder (2) gegenüber dem Erblasser oder einem von dessen
Angehörigen die ihm obliegenden familienrechtlichen Pflichten schwer verletzt
hat. Eine solche Enterbung ist jedoch nach Art. 479 Abs. 1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 479 - 1 Eine Enterbung ist nur dann gültig, wenn der Erblasser den Enterbungsgrund in seiner Verfügung angegeben hat.
1    Eine Enterbung ist nur dann gültig, wenn der Erblasser den Enterbungsgrund in seiner Verfügung angegeben hat.
2    Ficht der Enterbte die Enterbung wegen Unrichtigkeit dieser Angabe an, so hat der Erbe oder Bedachte, der aus der Enterbung Vorteil zieht, deren Richtigkeit zu beweisen.
3    Kann dieser Nachweis nicht erbracht werden oder ist ein Enterbungsgrund nicht angegeben, so wird die Verfügung insoweit aufrecht erhalten, als sich dies mit dem Pflichtteil des Enterbten verträgt, es sei denn, dass der Erblasser die Verfügung in einem offenbaren Irrtum über den Enterbungsgrund getroffen hat.
ZGB nur dann
gültig, wenn der Erblasser den Enterbungsgrund in seiner Verfügung angegeben
hat. Ficht der Enterbte die Enterbung wegen Unrichtigkeit dieser Angabe an, so
hat nach Art. 479 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 479 - 1 Eine Enterbung ist nur dann gültig, wenn der Erblasser den Enterbungsgrund in seiner Verfügung angegeben hat.
1    Eine Enterbung ist nur dann gültig, wenn der Erblasser den Enterbungsgrund in seiner Verfügung angegeben hat.
2    Ficht der Enterbte die Enterbung wegen Unrichtigkeit dieser Angabe an, so hat der Erbe oder Bedachte, der aus der Enterbung Vorteil zieht, deren Richtigkeit zu beweisen.
3    Kann dieser Nachweis nicht erbracht werden oder ist ein Enterbungsgrund nicht angegeben, so wird die Verfügung insoweit aufrecht erhalten, als sich dies mit dem Pflichtteil des Enterbten verträgt, es sei denn, dass der Erblasser die Verfügung in einem offenbaren Irrtum über den Enterbungsgrund getroffen hat.
ZGB der Erbe oder Bedachte, der aus der Enterbung
Vorteil zieht, deren Richtigkeit zu beweisen.
1. ­ Die Strafanzeige beim Bezirksamte S. die der Erblasser in seinem
Testament neben den Zeugenaussagen vor jener Behörde erwähnte, um die
Enterbung der Klägerin zu begründen, ist nun gar nicht von ihr, sondern von
ihrem Ehemann ausgegangen. Schon deswegen fällt sie als Enterbungsgrund ausser
Betracht. Dabei bleibt es auch dann, wenn die Klägerin von der Absicht ihres
Ehemannes, ihren Vater zu verzeigen, Kenntnis hatte. Dass sie nicht bloss
Mitwisserin, sondern geradezu Miturheberin der Verzeigung gewesen sei, ist
nicht dargetan, ja der Erblasser hat das in der Enterbungsklausel selber nicht
oder jedenfalls nicht deutlich behauptet, sodass dahingestellt bleiben kann,
ob eine solche Teilnahme an der Verzeigung ­ die nach dem Geständnis des
Erblassers begründet war ­ die Enterbung der Klägerin gerechtfertigt hätte.
2. ­ Was die Zeugenaussagen der Klägerin vor Bezirksamt S. anlangt, so ist
keineswegs nachgewiesen, dass sie falsch gewesen seien. Im Gegenteil steht
fest, dass sie mindestens in der Hauptsache, nämlich insoweit, als sie
bestätigten, dass der Erblasser das Testament seiner

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Schwägerin vernichtet habe, der Wahrheit entsprachen. Die Klägerin und der
Erblasser weichen in ihren Darstellungen nur darin voneinander ab, dass jene
erklärt, der Erblasser habe das Testament in ihrer Wohnung zerrissen, wogegen
dieser behauptet, er habe es bei sich zuhause verbrannt. Wie es bei der
Vernichtung des Testamentes im einzelnen zugegangen sei, war jedoch für die
Beurteilung der dem Erblasser vorgeworfenen Verfehlung belanglos, und hievon
abgesehen fehlt auch mit Bezug auf diesen Nebenpunkt jeder Beweis dafür, dass
die Klägerin falsch ausgesagt habe. Zur Rechtfertigung ihrer Enterbung lässt
sich also nicht anführen, dass sie sich mit ihren Zeugenaussagen des falschen
Zeugnisses zum Nachteil des Erblassers schuldig gemacht habe. Ebensowenig
lässt sich diese Massnahme damit stützen, dass sie ihre Aussagen in unnötig
verletzender Form gemacht habe, da auch hiefür kein Beweis vorliegt. Es kann
sich daher einzig noch fragen, ob sie dem Erblasser dadurch Grund gegeben
habe, sie zu enterben, dass sie das Zeugnis in der gegen ihn gerichteten
Strafuntersuchung nicht verweigerte, obschon sie hiezu befugt gewesen wäre.
3. ­ Wer von dem Zeugnisverweigerungsrecht, das ihm um seiner Verwandtschaft
mit dem Angeschuldigten willen zusteht, keinen Gebrauch macht, sondern sich
bereit erklärt, Zeugnis abzulegen, tut nichts Strafwürdiges, selbst wenn er
weiss, dass er den Angeschuldigten mit seinen Aussagen belasten muss, und wenn
der Angeschuldigte sein eigener Vater ist. Im Verhalten der Klägerin liegt
also kein schweres Verbrechen im Sinne von Art. 477
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 477 - Der Erblasser ist befugt, durch Verfügung von Todes wegen einem Erben den Pflichtteil zu entziehen:
1  wenn der Erbe gegen den Erblasser oder gegen eine diesem nahe verbundene Person eine schwere Straftat begangen hat;
2  wenn er gegenüber dem Erblasser oder einem von dessen Angehörigen die ihm obliegenden familienrechtlichen Pflichten schwer verletzt hat.
Zif. 1 ZGB, wie es ihr in
der Enterbungsklausel vorgeworfen wird. Dagegen wäre die Enterbung gleichwohl
zu schützen, wenn die Klägerin damit, dass sie ohne gesetzlichen Zwang Zeugnis
gegen ihren Vater ablegte, die familienrechtlichen Pflichten schwer verletzt
hätte, die ihr ihm gegenüber oblagen. Der Vorschrift, dass die Verfügung des
Erblassers den Enterbungsgrund angeben muss, geschieht Genüge, wenn darin die
Tatsachen

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genannt sind, mit denen die Enterbung begründet wird. Ob diese Tatsachen unter
Art. 477
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 477 - Der Erblasser ist befugt, durch Verfügung von Todes wegen einem Erben den Pflichtteil zu entziehen:
1  wenn der Erbe gegen den Erblasser oder gegen eine diesem nahe verbundene Person eine schwere Straftat begangen hat;
2  wenn er gegenüber dem Erblasser oder einem von dessen Angehörigen die ihm obliegenden familienrechtlichen Pflichten schwer verletzt hat.
Zif. 1 oder 2 ZGB fallen, ist eine vom Richter zu entscheidende
Rechtsfrage. Der Gültigkeit der Enterbung schadet es daher nicht, wenn der
Erblasser unrichtigerweise von einem schweren Verbrechen statt von einer
schweren Verletzung der familienrechtlichen Pflichten gesprochen hat.
4. ­ Die Beklagten machen gelten, nach Art. 275 Abs. 1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 275 - 1 Für Anordnungen über den persönlichen Verkehr ist die Kindesschutzbehörde am Wohnsitz des Kindes zuständig und, sofern sie Kindesschutzmassnahmen getroffen hat oder trifft, diejenige an seinem Aufenthaltsort.
1    Für Anordnungen über den persönlichen Verkehr ist die Kindesschutzbehörde am Wohnsitz des Kindes zuständig und, sofern sie Kindesschutzmassnahmen getroffen hat oder trifft, diejenige an seinem Aufenthaltsort.
2    Regelt das Gericht nach den Bestimmungen über die Ehescheidung und den Schutz der ehelichen Gemeinschaft die elterliche Sorge, die Obhut oder den Unterhaltsbeitrag, so regelt es auch den persönlichen Verkehr.337
3    Bestehen noch keine Anordnungen über den Anspruch von Vater und Mutter, so kann der persönliche Verkehr nicht gegen den Willen der Person ausgeübt werden, welcher die elterliche Sorge oder Obhut zusteht.
ZGB seien auch die
mündigen Kinder den Eltern Ehrerbietung schuldig; mit ihren Aussagen über die
Verfehlungen ihres Vaters habe die Klägerin diesen in seiner Ehre tief
gekränkt und damit jene familienrechtliche Pflicht schwer verletzt. Daran ist
soviel richtig, dass grobe Verstösse gegen die Pflicht zu gegenseitiger
Rücksichtnahme, die Art. 271
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 271 - 1 Das Kind erhält das Kantons- und Gemeindebürgerrecht des Elternteils, dessen Namen es trägt.
1    Das Kind erhält das Kantons- und Gemeindebürgerrecht des Elternteils, dessen Namen es trägt.
2    Erwirbt das Kind während der Minderjährigkeit den Namen des anderen Elternteils, so erhält es dessen Kantons- und Gemeindebürgerrecht anstelle des bisherigen.
ZGB den Eltern und Kindern auferlegt, oder gegen
die Pflicht zur Ehrerbietung, die den Kindern gemäss Art. 275
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 275 - 1 Für Anordnungen über den persönlichen Verkehr ist die Kindesschutzbehörde am Wohnsitz des Kindes zuständig und, sofern sie Kindesschutzmassnahmen getroffen hat oder trifft, diejenige an seinem Aufenthaltsort.
1    Für Anordnungen über den persönlichen Verkehr ist die Kindesschutzbehörde am Wohnsitz des Kindes zuständig und, sofern sie Kindesschutzmassnahmen getroffen hat oder trifft, diejenige an seinem Aufenthaltsort.
2    Regelt das Gericht nach den Bestimmungen über die Ehescheidung und den Schutz der ehelichen Gemeinschaft die elterliche Sorge, die Obhut oder den Unterhaltsbeitrag, so regelt es auch den persönlichen Verkehr.337
3    Bestehen noch keine Anordnungen über den Anspruch von Vater und Mutter, so kann der persönliche Verkehr nicht gegen den Willen der Person ausgeübt werden, welcher die elterliche Sorge oder Obhut zusteht.
ZGB obliegt, den
Tatbestand von Art. 477 Ziff. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 477 - Der Erblasser ist befugt, durch Verfügung von Todes wegen einem Erben den Pflichtteil zu entziehen:
1  wenn der Erbe gegen den Erblasser oder gegen eine diesem nahe verbundene Person eine schwere Straftat begangen hat;
2  wenn er gegenüber dem Erblasser oder einem von dessen Angehörigen die ihm obliegenden familienrechtlichen Pflichten schwer verletzt hat.
ZGB erfüllen können (vgl. BGE 55 II 165 ff.).
Eine derartige Pflichtverletzung ist jedoch, wie die kantonalen Instanzen zu
Recht erklärt haben, der Klägerin nicht vorzuwerfen.
Wo das Strafprozessrecht den nächsten Verwandten des Angeschuldigten das
Zeugnisverweigerungsrecht einräumt, geschieht dies nur zur Schonung der
persönlichen Gefühle und Interessen dieser Verwandten und in der Erwägung,
dass erzwungenen Aussagen eines nahen Verwandten ohnehin kein grosser
Beweiswert zukäme, dagegen nicht etwa deswegen, um den Angeschuldigten davor
zu bewahren, durch Aussagen seiner Verwandten überführt zu werden. Es muss
daher der freien Entschliessung der zur Verweigerung des Zeugnisses befugten
Verwandten überlassen sein, ob sie von diesem Recht Gebrauch machen wollen
oder nicht. Erklären sie sich bereit, Zeugnis abzulegen, und sagen sie der
Wahrheit gemäss aus, so kommt dies der Verwirklichung des Strafrechts zugute,
der das Strafprozessrecht in erster Linie zu dienen hat. Wäre nun der
Angeschuldigte berechtigt, Verwandte

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deswegen zu enterben, weil sie wahre Aussagen zu seinen Ungunsten gemacht
haben, statt das Zeugnis zu verweigern, so könnten sie sich nicht mehr frei
entscheiden, ob sie Zeugnis ablegen wollen oder nicht, sondern das Gesetz gäbe
dem Angeschuldigten ein Mittel in die Hand, ihre Entscheidung zu beeinflussen.
Das Zeugnisverweigerungsrecht würde auf diese Weise Interessen dienstbar
gemacht, denen es seiner Bestimmung gemäss nicht zu dienen hat, und die
Strafrechtspflege würde dementsprechend über Gebühr in ihrem Gange gehemmt.
Deshalb kann im Umstande, dass ein zur Zeugnisverweigerung berechtigter
Verwandter wahrheitsgemäss Zeugnis ablegt, mindestens der Regel nach keine
Verletzung der aus Art. 271
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 271 - 1 Das Kind erhält das Kantons- und Gemeindebürgerrecht des Elternteils, dessen Namen es trägt.
1    Das Kind erhält das Kantons- und Gemeindebürgerrecht des Elternteils, dessen Namen es trägt.
2    Erwirbt das Kind während der Minderjährigkeit den Namen des anderen Elternteils, so erhält es dessen Kantons- und Gemeindebürgerrecht anstelle des bisherigen.
und 275
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 275 - 1 Für Anordnungen über den persönlichen Verkehr ist die Kindesschutzbehörde am Wohnsitz des Kindes zuständig und, sofern sie Kindesschutzmassnahmen getroffen hat oder trifft, diejenige an seinem Aufenthaltsort.
1    Für Anordnungen über den persönlichen Verkehr ist die Kindesschutzbehörde am Wohnsitz des Kindes zuständig und, sofern sie Kindesschutzmassnahmen getroffen hat oder trifft, diejenige an seinem Aufenthaltsort.
2    Regelt das Gericht nach den Bestimmungen über die Ehescheidung und den Schutz der ehelichen Gemeinschaft die elterliche Sorge, die Obhut oder den Unterhaltsbeitrag, so regelt es auch den persönlichen Verkehr.337
3    Bestehen noch keine Anordnungen über den Anspruch von Vater und Mutter, so kann der persönliche Verkehr nicht gegen den Willen der Person ausgeübt werden, welcher die elterliche Sorge oder Obhut zusteht.
ZGB hervorgehenden Pflichten und mithin
kein Enterbungsgrund erblickt werden. Ob es sich ausnahmsweise auch einmal
anders verhalten könne, braucht im vorliegenden Falle nicht untersucht zu
werden, da hier noch weitere Gründe die Annahme verbieten, dass die Klägerin
mit ihren Zeugenaussagen die erwähnten Pflichten schwer verletzt habe.
Die Aufdeckung der Verfehlung, die der Erblasser mit der Vernichtung des
Testamentes begangen hatte, diente nicht nur der Durchsetzung des Strafrechts,
sondern sie lag auch im Interesse des im Testament bedachten Altersheims. Der
Erblasser hätte das Unrecht, das er diesem zugefügt hatte, kaum je gutgemacht,
wenn seine Tat nicht nachgewiesen worden wäre. Dass dieser Nachweis auch
gelungen wäre, wenn die Klägerin geschwiegen hätte, ist keineswegs sicher und
stand jedenfalls für die Klägerin nicht von vornherein fest. Wo die Aussagen
eines Verwandten, der das Zeugnis verweigern dürfte, in dieser Weise zur
Wiedergutmachung eines vom Erblasser begangenen Unrechts beitragen, kann dem
letzteren nicht gestattet werden, sie durch Enterbung zu ahnden, und zwar auch
dann nicht, wenn die Wahrung der Interessen des Geschädigten nicht der
entscheidende Beweggrund für die Ablegung des Zeugnisses war. Die Rücksicht,
die

Seite: 44
dem Erblasser gemäss Art. 271
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 271 - 1 Das Kind erhält das Kantons- und Gemeindebürgerrecht des Elternteils, dessen Namen es trägt.
1    Das Kind erhält das Kantons- und Gemeindebürgerrecht des Elternteils, dessen Namen es trägt.
2    Erwirbt das Kind während der Minderjährigkeit den Namen des anderen Elternteils, so erhält es dessen Kantons- und Gemeindebürgerrecht anstelle des bisherigen.
ZGB geschuldet wird, geht nicht so weit, dass er
davor bewahrt werden müsste, die Früchte seiner Verfehlungen zu verlieren, und
es war weniger das Zeugnis der Klägerin als sein eigenes verwerfliches
Verhalten, was seine Ehre (Art. 275
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 275 - 1 Für Anordnungen über den persönlichen Verkehr ist die Kindesschutzbehörde am Wohnsitz des Kindes zuständig und, sofern sie Kindesschutzmassnahmen getroffen hat oder trifft, diejenige an seinem Aufenthaltsort.
1    Für Anordnungen über den persönlichen Verkehr ist die Kindesschutzbehörde am Wohnsitz des Kindes zuständig und, sofern sie Kindesschutzmassnahmen getroffen hat oder trifft, diejenige an seinem Aufenthaltsort.
2    Regelt das Gericht nach den Bestimmungen über die Ehescheidung und den Schutz der ehelichen Gemeinschaft die elterliche Sorge, die Obhut oder den Unterhaltsbeitrag, so regelt es auch den persönlichen Verkehr.337
3    Bestehen noch keine Anordnungen über den Anspruch von Vater und Mutter, so kann der persönliche Verkehr nicht gegen den Willen der Person ausgeübt werden, welcher die elterliche Sorge oder Obhut zusteht.
ZGB) befleckte.
Im übrigen ist die Strafanzeige gegen den Erblasser, deren Richtigkeit die
Klägerin bestätigte, durch die Strafanzeige des Erblassers gegen ihren
Ehemann, mit der im wesentlichen pekuniäre Ziele verfolgt wurden, veranlasst
worden. Die Klägerin konnte hoffen, dass ihr Zeugnis dazu beitragen werde, den
Erblasser, der sich bis dahin allen Einigungsversuchen hartnäckig widersetzt
hatte, zum Abschluss einer Vereinbarung und zum Rückzug seiner Anzeige zu
bestimmen, und dass sich auf diese Weise die Freilassung ihres Ehemannes und
die Einstellung des gegen ihn anhängigen Strafverfahrens erreichen lasse, wie
es dann auch wirklich geschehen ist. Hätte sie das Zeugnis zur Schonung des
Erblassers verweigert, so hätte sie diesen Erfolg, an dem ihr als Ehefrau des
Verhafteten sehr gelegen sein musste, in Frage gestellt. Diese besondern
Umstände sind bei der Würdigung ihres Verhaltens zu berücksichtigen. Wäre ihr
noch vorzuwerfen, dass sie mit ihren Aussagen ihre Pflichten als Tochter
verletzt habe, so könnte es sich dabei also auf jeden Fall nicht um eine
schwere Verletzung handeln, wie Art. 477 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 477 - Der Erblasser ist befugt, durch Verfügung von Todes wegen einem Erben den Pflichtteil zu entziehen:
1  wenn der Erbe gegen den Erblasser oder gegen eine diesem nahe verbundene Person eine schwere Straftat begangen hat;
2  wenn er gegenüber dem Erblasser oder einem von dessen Angehörigen die ihm obliegenden familienrechtlichen Pflichten schwer verletzt hat.
ZGB sie voraussetzt.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das angefochtene Urteil bestätigt.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 72 II 338
Datum : 01. Januar 1946
Publiziert : 31. Oktober 1946
Quelle : Bundesgericht
Status : 72 II 338
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Enterbung (Art. 477 ff. ZGB).Zeugenaussagen zum Nachteil des Erblassers als...


Gesetzesregister
ZGB: 271 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 271 - 1 Das Kind erhält das Kantons- und Gemeindebürgerrecht des Elternteils, dessen Namen es trägt.
1    Das Kind erhält das Kantons- und Gemeindebürgerrecht des Elternteils, dessen Namen es trägt.
2    Erwirbt das Kind während der Minderjährigkeit den Namen des anderen Elternteils, so erhält es dessen Kantons- und Gemeindebürgerrecht anstelle des bisherigen.
275 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 275 - 1 Für Anordnungen über den persönlichen Verkehr ist die Kindesschutzbehörde am Wohnsitz des Kindes zuständig und, sofern sie Kindesschutzmassnahmen getroffen hat oder trifft, diejenige an seinem Aufenthaltsort.
1    Für Anordnungen über den persönlichen Verkehr ist die Kindesschutzbehörde am Wohnsitz des Kindes zuständig und, sofern sie Kindesschutzmassnahmen getroffen hat oder trifft, diejenige an seinem Aufenthaltsort.
2    Regelt das Gericht nach den Bestimmungen über die Ehescheidung und den Schutz der ehelichen Gemeinschaft die elterliche Sorge, die Obhut oder den Unterhaltsbeitrag, so regelt es auch den persönlichen Verkehr.337
3    Bestehen noch keine Anordnungen über den Anspruch von Vater und Mutter, so kann der persönliche Verkehr nicht gegen den Willen der Person ausgeübt werden, welcher die elterliche Sorge oder Obhut zusteht.
477 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 477 - Der Erblasser ist befugt, durch Verfügung von Todes wegen einem Erben den Pflichtteil zu entziehen:
1  wenn der Erbe gegen den Erblasser oder gegen eine diesem nahe verbundene Person eine schwere Straftat begangen hat;
2  wenn er gegenüber dem Erblasser oder einem von dessen Angehörigen die ihm obliegenden familienrechtlichen Pflichten schwer verletzt hat.
479
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 479 - 1 Eine Enterbung ist nur dann gültig, wenn der Erblasser den Enterbungsgrund in seiner Verfügung angegeben hat.
1    Eine Enterbung ist nur dann gültig, wenn der Erblasser den Enterbungsgrund in seiner Verfügung angegeben hat.
2    Ficht der Enterbte die Enterbung wegen Unrichtigkeit dieser Angabe an, so hat der Erbe oder Bedachte, der aus der Enterbung Vorteil zieht, deren Richtigkeit zu beweisen.
3    Kann dieser Nachweis nicht erbracht werden oder ist ein Enterbungsgrund nicht angegeben, so wird die Verfügung insoweit aufrecht erhalten, als sich dies mit dem Pflichtteil des Enterbten verträgt, es sei denn, dass der Erblasser die Verfügung in einem offenbaren Irrtum über den Enterbungsgrund getroffen hat.
BGE Register
55-II-164 • 72-II-338
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
erblasser • testament • strafanzeige • vater • richtigkeit • verhalten • familienrechtliche pflichten • altersheim • beklagter • bundesgericht • frage • erbe • pflichtteil • beschuldigter • verwandtschaft • strafprozess • wahrheit • betrug • ehre • strafuntersuchung
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