S. 94 / Nr. 18 Organisation und Bundesrechtspflege (d)

BGE 72 I 94

18. Auszug aus dem Urteil vom 18. Juni 1946 i. S. Kölbener gegen Huber.

Regeste:
Art. 86 OG Letztinstanzlichkeit eines kantonalen Entscheides erst nach
Erschöpfung auch der ausserordentlichen kantonalen Rechtsmittel (in casu der
Rechtsverweigerungsbeschwerde).
Art. 86 OJ: Une décision n'est prise en dernière instance que lorsque les
moyens extraordinaires de droit cantonal ont aussi été épuisés (en l'espèce,
le recours pour déni de justice).
Art. 86 OGF: Una decisione è emanata in ultima istanza soltanto se anche i
rimedi straordinari di diritto cantonale sono stati esauriti (in concreto, il
ricorso per diniego di giustizia).

Die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung verfassungemässiger Rechte
ist gemäss Art. 86 OG - abgesehen von den darin ausdrücklich bezeichneten
Ausnahmen - erst zulässig, nachdem der Beschwerdeführer von den kantonalen
Rechtsmitteln Gebrauch gemacht hat. Das gilt insbesondere bei Beschwerden aus
Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV. Der kantonale Instanzenzug im Sinne dieser Vorschrift ist aber
nicht schon dann erschöpft, wenn gegen den Entscheid kein kantonales
Rechtsmittel mehr besteht, das die Prozeserechtstheorie als ordentliches
bezeichnet, sondern

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erst, wenn der Beschwerdeführer auch die ausserordentlichen Rechtsmittel
ergriffen hat, mit denen eine Heilung der Verfassungswidrigkeit möglich
gewesen wäre. Zu diesen Rechtsmitteln gehört die Nichtigkeitsbeschwerde wegen
Verletzung klaren Rechts oder offensichtlich willkürlicher tatsächlicher
Feststellungen, ferner, falls Willkür geltend gemacht werden will, auch eine
Rechtsverweigerungsteschwerde, mit der materielle Rechtsverweigerung, d. h.
offensichtliche Verletzung, Missachtung klaren Rechts gerügt werden kann. Das
galt schon unter der Herrschaft des aOG (vgl. für die Nichtigkeitsbeschwerde
BGE 51 I 51; Urteile vom 18. Januar 1935 i. S. Stift Beromünster, 5. Oktober
1942 i. S. Buchmann und 28. August 1944 i. S. Bühlmann; für die
Rechtsverweigerungsbeschwerde BGE 67 I 213 Erw. 1; Urteil vom 26. Mai 1939 i.
S. Sturzenegger; GIACOMETTI, Verfassungsgerichtsbarkeit S. 129 f.; PETER, Die
Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges S. 84 f.). Gleiches gilt für Art. 86
OG, der lediglich die bisherige Praxis bestätigt (Urteile vom 10. Dezember
1945 i. S. Vogel, 11. März 1946 i. S. Lang, 8. April 1946 i. S. Protekta). Der
Entscheid in BGE 51 III 193, auf den der Beschwerdeführer sich für seine
abweichende Meinung beruft, bezieht sich auf die zivilrechtliche Beschwerde
des Art. 87 aOG, für die - ebenso wie für die Berufung - der kantonale
Entscheid nach bisherigem wie nach geltendem Recht schon dann letztinstanzlich
ist, wenn kein ordentliches Rechtsmittel mehr zur Verfügung steht.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 72 I 94
Datum : 01. Januar 1946
Publiziert : 17. Juni 1946
Quelle : Bundesgericht
Status : 72 I 94
Sachgebiet : BGE - Verwaltungsrecht und internationales öffentliches Recht
Gegenstand : Art. 86 OG Letztinstanzlichkeit eines kantonalen Entscheides erst nach Erschöpfung auch der...


Gesetzesregister
BV: 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
OG: 86
BGE Register
51-I-51 • 51-III-189 • 67-I-210 • 72-I-94
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
kantonales rechtsmittel • entscheid • staatsrechtliche beschwerde • bundesrechtspflegegesetz • willkürverbot • nichtigkeitsbeschwerde • vogel • ausserordentliches rechtsmittel • ordentliches rechtsmittel • abweichende meinung • wille • verfassungsgerichtsbarkeit