S. 100 / Nr. 21 Bundesrechtliche Abgaben (d)

BGE 72 I 100

21. Auszug aus dem Urteil vom 14. Juni 1946 i. S. Wehropferverwaltung des
Kantons Zürich gegen D.


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Regeste:
Wehropfer: 1. Anwartschaften auf Invaliden- und Alterspensionen sind
Bestandteile des steuerbaren Vermögens.
2. Bewertung solcher Anwartschaften.
Sacrifice pour la défense nationale: 1. Les droits d'expectative sur les
pensions pour le cas d'invalidité ou de vieillesse font partie de la fortune
imposable.
2. Evaluation de tels droits d'expectative.
Sacrificio per la difesa nazionale: 1. I diritti d'aspettativa su pensioni in
caso d'invalidità o di vecchiaia fanno parte della sostanza imponibile.
2. Valutazione di siffatti diritti.

A. ­ Die S. R. und ihre Tochtergesellschaften haben, in Form einer Stiftung,
eine Angestelltenfürsorge geschaffen und in einem Statut der Stiftung näher
geordnet. Die Fürsorge umfasst alle Angestellten, die monatlichen Gehalt
beziehen; Mitglieder der Direktion nur, wenn ihr Anstellungsvertrag sie nicht
ausschliesst (§ 2 des Stiftungsstatuts). Neben obligatorischen
Lebensversicherungen, die für jeden Angestellten abgeschlossen werden, und
anderen, hier nicht in Betracht fallenden

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Fürsorgemassnahmen sind auch Alters- und Invalidenpensionen vorgesehen (§ 13
ff.). Voraussetzung für die Pensionsberechtigung ist eine ununterbrochene
Dienstzeit von 7 Jahren und Vollendung des 32. Altersjahres (§ 13). Die
Pensionierung wegen Alters findet auf Begehren des Angestellten oder des
Arbeitgebers statt, wenn der Angestellte das 60. Altersjahr vollendet hat und
mindestens 10 Dienstjahre aufweist (Alterspension, § 14). Vorher kann der
Angestellte - sofern die Voraussetzungen nach § 13 erfüllt sind - pensioniert
werden, wenn er seinen Dienst wegen dauernder Arbeitsunfähigkeit nicht mehr zu
versehen vermag (Invalidenpension, § 15). Die Pension richtet sich nach dem
Jahresgehalt des Angestellten bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit und nach der
Zahl der anrechenbaren Dienstjahre (§ 16). § 17 enthält sodann Bestimmungen
über die Invalidenpension und ihre Abwandlung nach dem Grade der
Arbeitsfähigkeit. Das Recht der Arbeitgeber, das Dienstverhältnis durch
Kündigung aufzulösen, wird von der Alters- und Invalidenfürsorge nicht
berührt; Angestellte, die aus andern Gründen als wegen Alter oder Invalidität
aus dem Dienstverhältnis ausscheiden, verlieren die Pensionsberechtigung (§
19). Die Kosten der Alters- und Invalidenpension trägt die Stiftung (§ 20).
B. ­ Der Beschwerdebeklagte, geboren 1896, ist Subdirektor der S. R.; er hat
sein Vermögen für das II. Wehropfer mit Fr. 40,500.­ angegeben. Er ist für Fr.
52,500.­ eingeschätzt worden. Der Betrag von Fr. 12,000.­, um den das
steuerbare Vermögen heraufgesetzt wurde, betrifft seine Anwartschaft auf die
Alters- und Invalidenpension nach Massgabe der Angestelltenfürsorge seiner
Arbeitgeberin. Es ist die Jahresleistung, auf die der Beschwerdebeklagte
Anspruch gehabt hätte, wenn er am 1. Januar 1945 wegen vorzeitiger Invalidität
hätte pensioniert werden müssen.
C. ­ Die Wehropfer-Rekurskommission des Kantons Zürich hat einen gegen die
Besteuerung erhobenen Rekurs des heutigen Beschwerdebeklagten geschützt und
das dem

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Wehropfer unterliegende Vermögen auf Fr. 40500.­ festgesetzt. Zur Begründung
wird ausgeführt, aus Art. 5 WOB II gehe hervor, dass nur derjenige
anwartschaftliche Anspruch zu besteuern sei, der bei normaler Abwicklung der
Verhältnisse voraussichtlich realisiert werde. Wo die Realisierung eines
Anspruches von einem Ereignis abhänge, das nur selten eintrete, könne von
einem anwartschaftlichen Anspruch nicht mehr gesprochen werden. Hier handle es
sich einzig um den Anspruch auf Leistungen aus Invalidenfürsorge. Solche
Ansprüche würden nur in ganz seltenen Fällen realisiert. Wollte man aber
Ansprüche auf Invaliditätsrenten zu den anwartschaftlichen Ansprüchen rechnen,
so wären sie den in Art. 5 WOB II aufgezählten Ausnahmen vom Wehropfer
gleichzustellen, bei denen die Realisierung durch besondere Ereignisse
ausgelöst werde (Entscheid vom 27. Dezember 1945).
D. ­ Die Wehrsteuer- und Wehropferverwaltung des Kantons Zürich erhebt die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Sie beantragt, den angefochtenen Entscheid
aufzuheben und das beim Wehropfer II steuerbare Vermögen des
Beschwerdebeklagten auf Fr. 52500.­ festzusetzen.
Das Bundesgericht hat die Beschwerde geschützt.
Aus den Erwägungen:
1. ­ .....
2. ­ Es kommt nicht darauf an, ob dem Beschwerdebeklagten am 1. Januar 1945
ein vermögensrechtlicher Anspruch auf Pensionsleistungen zustand, sondern ob
er eine Anwartschaft auf solche Leistungen hatte.
a) Anwartschaften sind Rechte, die im Werden begriffen sind, deren
Verwirklichung eingeleitet, aber noch nicht abgeschlossen ist. Sie ergeben
sich daraus, dass für den Erwerb eines Rechts mehrere Tatsachen erfüllt sein
müssen, die nacheinander eintreten. Von Anwartschaft spricht man meistens
dann, wenn nur noch eine Entstehungstatsache, z. B. die Erfüllung einer Frist
oder der Eintritt einer Bedingung fehlt (VON TUHR, bürg. Recht I S. 180

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und Schweiz. Obligationenrecht, II. Aufl. S. 142, 707 ff.). Inzwischen
bestehen die Vorwirkungen des Rechtsgeschäfts, die das Rechtsverhältnis als
Anwartschaft charakterisieren. Die Anwartschaft wird, sofern das aus ihr
später erwachsende Recht einen Vermögenswert hat, zivilrechtlich als
Vermögensstück des bedingt Berechtigten angesehen. Der Wert der Anwartschaft
bestimmt sich nach dem Wert des künftigen Rechtes, sowie nach der Sicherheit
der Anwartschaft und der Wahrscheinlichkeit ihrer Verwirklichung (VON TUHR,
allg. Teil II 2 S. 305; Obligationenrecht S. 712).
b) In Art. 5 WOB II werden anwartschaftliche Ansprüche auf Leibrenten und
andere wiederkehrende Leistungen als Bestandteile des steuerbaren Vermögens
erklärt. Die Bewertung derartiger Vermögensobjekte ist in Art. 8, 9 und 10 WOB
II näher geordnet.
Am 1. Januar 1945 hatte der Beschwerdebeklagte, als Angestellter der S. R.,
eine Anwartschaft auf die Leistungen, die im Statut der
Angestelltenfürsorgestiftung dieser Unternehmung und ihrer
Tochtergesellschaften vorgesehen werden. Denn nach § 2 des Stiftungsstatuts
umfasst die Tätigkeit der Stiftung alle Angestellten mit Monatsgehalt; dass
die für Mitglieder der Direktion vorgesehene Ausnahme gegeben sei, ist nicht
behauptet worden. Von den aus der Stiftungsordnung hervorgehenden Rechten
fällt in Betracht die Anwartschaft auf eine Alters- und Invalidenpension. Nach
dem Stiftungsstatut wird der Beschwerdeführer, wenn er es verlangt oder die
Arbeitgeberin es von sich aus anordnet, nach Vollendung des 60. Altersjahres
pensioniert, er kann von der Arbeitgeberin schon vorher pensioniert werden,
wenn er dauernd arbeitsunfähig (invalid im Sinne des Statuts) werden sollte.
In beiden Fällen hat er den im Stiftungsstatut (§§ 16 und 17) umschriebenen
Pensionsanspruch, gerichtet auf fortlaufende (wiederkehrende) Leistungen nach
Massgabe des Jahresgehalts und des Dienstalters im Zeitpunkt der
Pensionierung. Solange die Bedingungen für die

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Verwirklichung des Anspruchs (Invalidität oder Erreichung der Altersgrenze)
nicht erfüllt sind, hat er eine Anwartschaft auf die ihm aus seinem
Anstellungsverhältnis künftig erwachsenden Leistungen. Diese Anwartschaft
unterliegt der Besteuerung nach Art. 5 WOB II.
Ob die Besteuerung auch stattzufinden hätte, wenn es sich lediglich um eine
Pension für den Fall der Invalidität handeln würde, kann dahingestellt
bleiben. Das Stiftungsstatut sieht Alters- und Invalidenpensionen vor. Sie
gehören zusammen und sind dazu bestimmt, sich zu ergänzen. Die Ordnung ist
die, dass der Angestellte nach Erreichung der Altersgrenze auf sein Begehren
oder auf dasjenige des Arbeitgebers hin pensioniert werden muss, dass der
Arbeitgeber aber das Pensionierungsalter nicht abzuwarten braucht, sondern die
Pensionierung schon früher anordnen kann, sobald Arbeitsunfähigkeit eintritt.
Dass die Pensionierung in diesem Falle nicht vorgeschrieben ist, sondern eine
Anordnung des Arbeitgebers voraussetzt, mag ermöglichen, den jeweiligen
Verumständungen Rechnung zu tragen, wie denn auch für den Fall der Invalidität
eine besondere, verschiedene Fälle berücksichtigende Regelung getroffen ist (§
17 des Stiftungsstatuts). Der Sinn der Stiftungsordnung ist offensichtlich
darauf gerichtet, dass für die Fälle von Invalidität und Alter die
statutarisch vorgeschriebenen Pensionsleistungen verwirklicht werden. Damit
ist durchaus vereinbar, dass die Auflösung des Dienstverhältnisses durch
Kündigung vorbehalten bleibt und die Ansprüche auf Dienstaustritt zufolge
Alter und Invalidität beschränkt werden. Es liegt im Wesen der Anwartschaft,
als eines bedingten und insofern nicht völlig sichern Rechtes, dass die in
Aussicht stehende Leistung unter Umständen nicht verwirklicht wird. Die hierin
begründete Unsicherheit berührt nicht den Bestand der Anwartschaft als
Vermögensobjekt, sondern höchstens ihren Vermögenswert.
c) Die Bewertung der nach Art. 5 WOB II steuerbaren Anwartschaften für das
Wehropfer ist einzeln geordnet.

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Ansprüche auf Ruhegehälter aus Alters- und Invalidenfürsorge werden mit dem
Betrage einer Jahresleistung angerechnet, auf die der Anwärter Anspruch gehabt
hätte, wenn er am 1. Januar vom Dienste (altershalber) zurückgetreten oder
wegen Invalidität pensioniert worden wäre (Art. 10, Abs. 3). Es wird also, für
die Bewertung, angenommen, der Pensionierungsfall sei auf den Stichtag
eingetreten. Es ist nicht bestritten worden, dass der Ansatz von Fr. 12000.­,
der der ursprünglichen Einschätzung zu Grunde gelegt worden war und der in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt worden ist, der Rente entspricht, auf
die der Beschwerdebeklagte Anspruch gehabt hätte, wenn er auf den 1. Januar
1945 wegen Invalidität pensioniert worden wäre.
3. ­ Die kantonale Rekurskommission ist davon ausgegangen, dass die
Besteuerung für eine Anwartschaft von Fr. 12000.­ sich nur auf die Leistungen
für den Fall der Invalidität beziehe. Sie hat dabei übersehen, dass die
Invalidenrente nach der Stiftungsordnung lediglich eine der Leistungen ist,
die dem Beschwerdeführer im Rahmen der Fürsorge für den Fall der
Arbeitsunfähigkeit zustehen, dass der Beschwerdeführer, wenn er bis zur
Altersgrenze im Dienste der an die Stiftung angeschlossenen Unternehmungen
bleibt, den Rechtsanspruch auf die Pension überhaupt verwirklicht, auch wenn
er nicht invalid wird. Unter diesen Umständen kommt nichts darauf an, dass
beim Personal der S. R. Pensionierungen wegen Invalidität selten vorkommen.
Der Normalfall ist die Verwirklichung der Alterspension. Er ist als die
ordnungsgemässe Abwicklung der dem Beschwerdeführer nach der Stiftungsordnung
zustehenden Anwartschaft anzusehen. Eine vorherige Auflösung des
Dienstverhältnisses durch die Arbeitgeberin fällt, als eine ausserordentliche
Massnahme, die von der Norm abweichen würde, so wenig in Betracht, wie eine
allfällige Nichtverwirklichung des Anspruchs zufolge vorzeitigen Todes des
Anwärters. Unerheblich für den Bestand der Anwartschaft ist schliesslich auch
die

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Möglichkeit, dass der Anwärter selbst auf die Verwirklichung des Rechts
dadurch verzichtet, dass er das Dienstverhältnis aufgibt, das ihm später
Anspruch auf Pensionierung gegeben hätte.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 72 I 100
Datum : 01. Januar 1946
Publiziert : 13. Juni 1946
Quelle : Bundesgericht
Status : 72 I 100
Sachgebiet : BGE - Verwaltungsrecht und internationales öffentliches Recht
Gegenstand : Wehropfer: 1. Anwartschaften auf Invaliden- und Alterspensionen sind Bestandteile des steuerbaren...


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72-I-100
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