S. 187 / Nr. 42 Strafgesetzbuch (d)

BGE 71 IV 187

42. Auszug uns dem Urteil des Kassationshofes vom 14. September 1945 i.S.
Eggenberger gegen Waser.


Seite: 187
Regeste:
Art. 173
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 173 - 1. Wer jemanden bei einem andern eines unehrenhaften Verhaltens oder anderer Tatsachen, die geeignet sind, seinen Ruf zu schädigen, beschuldigt oder verdächtigt,
1    Wer jemanden bei einem andern eines unehrenhaften Verhaltens oder anderer Tatsachen, die geeignet sind, seinen Ruf zu schädigen, beschuldigt oder verdächtigt,
2    Beweist der Beschuldigte, dass die von ihm vorgebrachte oder weiterverbreitete Äusserung der Wahrheit entspricht, oder dass er ernsthafte Gründe hatte, sie in guten Treuen für wahr zu halten, so ist er nicht strafbar.
3    Der Beschuldigte wird zum Beweis nicht zugelassen und ist strafbar für Äusserungen, die ohne Wahrung öffentlicher Interessen oder sonst wie ohne begründete Veranlassung, vorwiegend in der Absicht vorgebracht oder verbreitet werden, jemandem Übles vorzuwerfen, insbesondere, wenn sich die Äusserungen auf das Privat- oder Familienleben beziehen.
4    Nimmt der Täter seine Äusserung als unwahr zurück, so kann er milder bestraft oder ganz von Strafe befreit werden.
5    Hat der Beschuldigte den Wahrheitsbeweis nicht erbracht oder sind seine Äusserungen unwahr oder nimmt der Beschuldigte sie zurück, so hat das Gericht dies im Urteil oder in einer andern Urkunde festzustellen.
StGB. Aufstellung unrichtiger ehrenrühriger Behauptungen im Prozess;
Voraussetzungen, unter denen der Täter wegen Wahrung berechtigter Interessen
nicht bestraft wird.
Art. 173 CP. Partie avançant dans un procès des affirmations fausses portant
atteinte à l'honneur d'autrui. Conditions auxquelles l'auteur peut invoquer la
défense d'intérêts légitimes pour être exempté de toute peine.
Art. 173 CP. False affermazioni lesive dell'onore altrui fatte in un processo;
condizioni, alle quali l'autore può invocare la difesa d'interessi legittimi
per essere esente da pena.

Der Präsident des Bezirksgerichtes See teilte am 24. April 1944 die aus der
Ehe des Ulrich und der Rosa Eggenberger-Waser hervorgegangenen Kinder für die
Dauer des Ehescheidungsprozesses der Eltern vorsorglich der Mutter zu. Ulrich
Eggenberger beauftragte seinen Anwalt, beim Richter die Abänderung dieser
Verfügung nachzusuchen. Zu diesem Zwecke machte er dem Anwalt Angaben, die
diesen veranlassten, in seiner Eingabe vom 27. Mai 1944 an den Richter zu
schreiben: «Die Familie Waser (Eltern und Geschwister der Impetratin), die von
Untervaz stammt, betreibt das Schirmflicker-, Pfannenflicker- und
Hausiergeschäft. Die Familie besteht aus Vater, Mutter, einer Tochter von 20
Jahren und zwei Söhnen von 17 und 13 Jahren, die gemeinsam dem nämlichen
Geschäft obliegen. Die Familie lebt in ausserordentlich primitiven, sagen wir
es ruhig, eben in Kesselflicker-Verhältnissen. Nach gemachten Feststellungen
verfügen diese fünf erwachsenen Personen nur über drei Betten als
Schlafgelegenheit. Alles schläft Krethi-Plethi nachts bei- und durcheinander.
Ordnung und Sauberkeit lassen in allerbedenklichster Weise zu wünschen übrig
und sollen in keiner Beziehung unserer landläufigen bürgerlichen Auffassung
entsprechen.»
Auf Klage des Mathias Waser, des Vaters der Rosa Eggenberger-Waser, erklärte
das Kantonsgericht von

Seite: 188
St. Gallen Ulrich Eggenberger am 24. April 1945 der üblen Nachrede schuldig
und verurteilte ihn zu dreissig Franken Busse. Das Gericht nahm an, die
Angaben, welche der Beklagte seinem Anwalt gemacht hatte, hätten sich im
wesentlichen mit dem beanstandeten Inhalt der Eingabe vom 27. Mai 1944
gedeckt.
Ulrich Eggenberger ficht dieses Urteil mit der Nichtigkeitsbeschwerde an. Er
beantragt dessen Aufhebung und Rückweisung der Sache an das Kantonsgericht zur
Freisprechung. Er hält sich nicht für strafbar, weil er die ehrverletzende
Äusserung gutgläubig zur Wahrung berechtigter Interessen getan habe.
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1. ­ .....
2. ­ Nach den Feststellungen des Kantonsgerichts enthalten die Behauptungen
des Beschwerdeführers einen Kern von Wahrheit. Sollte das heissen, dass sie
zur Hauptsache begründet seien, so könnte Art. 173
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 173 - 1. Wer jemanden bei einem andern eines unehrenhaften Verhaltens oder anderer Tatsachen, die geeignet sind, seinen Ruf zu schädigen, beschuldigt oder verdächtigt,
1    Wer jemanden bei einem andern eines unehrenhaften Verhaltens oder anderer Tatsachen, die geeignet sind, seinen Ruf zu schädigen, beschuldigt oder verdächtigt,
2    Beweist der Beschuldigte, dass die von ihm vorgebrachte oder weiterverbreitete Äusserung der Wahrheit entspricht, oder dass er ernsthafte Gründe hatte, sie in guten Treuen für wahr zu halten, so ist er nicht strafbar.
3    Der Beschuldigte wird zum Beweis nicht zugelassen und ist strafbar für Äusserungen, die ohne Wahrung öffentlicher Interessen oder sonst wie ohne begründete Veranlassung, vorwiegend in der Absicht vorgebracht oder verbreitet werden, jemandem Übles vorzuwerfen, insbesondere, wenn sich die Äusserungen auf das Privat- oder Familienleben beziehen.
4    Nimmt der Täter seine Äusserung als unwahr zurück, so kann er milder bestraft oder ganz von Strafe befreit werden.
5    Hat der Beschuldigte den Wahrheitsbeweis nicht erbracht oder sind seine Äusserungen unwahr oder nimmt der Beschuldigte sie zurück, so hat das Gericht dies im Urteil oder in einer andern Urkunde festzustellen.
StGB nicht angewendet
werden; denn dass schon verhältnismässig unbedeutende Übertreibungen
strafrechtlich geahndet werden sollen, ist nicht der Sinn der Bestimmung.
Allein so sind die Feststellungen nicht gemeint. Das Kantonsgericht erklärt
vielmehr, der Beschwerdeführer sei weit über das hinausgegangen, wozu ihn der
wahre Sachverhalt berechtigt hätte; vieles an seiner Kritik habe sich als arg
übertrieben erwiesen. Das bezieht sich insbesondere auf die schwerste der
Beschuldigungen, es seien für die fünf Personen nur drei Betten vorhanden, es
schlafe alles Krethi-Plethi bei- und durcheinander......
3. ­ Wer jemanden bei einem andern eines unehrenhaften Verhaltens oder anderer
Tatsachen, die geeignet sind, seinen Ruf zu schädigen, beschuldigt oder
verdächtigt, macht sich strafbar ohne Rücksicht darauf, ob er an die Wahrheit
seiner Beschuldigung oder Verdächtigung glaubt; erbebt er sie wider besseres
Wissen, so trifft die Bestimmung über Verleumdung (Art. 174
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 174 - 1. Wer jemanden wider besseres Wissen bei einem andern eines unehrenhaften Verhaltens oder anderer Tatsachen, die geeignet sind, seinen Ruf zu schädigen, beschuldigt oder verdächtigt,
1    Wer jemanden wider besseres Wissen bei einem andern eines unehrenhaften Verhaltens oder anderer Tatsachen, die geeignet sind, seinen Ruf zu schädigen, beschuldigt oder verdächtigt,
2    Ist der Täter planmässig darauf ausgegangen, den guten Ruf einer Person zu untergraben, so wird er mit Freiheitsstrafe von einem Monat bis zu drei Jahren oder Geldstrafe nicht unter 30 Tagessätzen bestraft.229
3    Zieht der Täter seine Äusserungen vor dem Gericht als unwahr zurück, so kann er milder bestraft werden. Das Gericht stellt dem Verletzten über den Rückzug eine Urkunde aus.
StGB)

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andernfalls jene über üble Nachrede (Art. 173
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 173 - 1. Wer jemanden bei einem andern eines unehrenhaften Verhaltens oder anderer Tatsachen, die geeignet sind, seinen Ruf zu schädigen, beschuldigt oder verdächtigt,
1    Wer jemanden bei einem andern eines unehrenhaften Verhaltens oder anderer Tatsachen, die geeignet sind, seinen Ruf zu schädigen, beschuldigt oder verdächtigt,
2    Beweist der Beschuldigte, dass die von ihm vorgebrachte oder weiterverbreitete Äusserung der Wahrheit entspricht, oder dass er ernsthafte Gründe hatte, sie in guten Treuen für wahr zu halten, so ist er nicht strafbar.
3    Der Beschuldigte wird zum Beweis nicht zugelassen und ist strafbar für Äusserungen, die ohne Wahrung öffentlicher Interessen oder sonst wie ohne begründete Veranlassung, vorwiegend in der Absicht vorgebracht oder verbreitet werden, jemandem Übles vorzuwerfen, insbesondere, wenn sich die Äusserungen auf das Privat- oder Familienleben beziehen.
4    Nimmt der Täter seine Äusserung als unwahr zurück, so kann er milder bestraft oder ganz von Strafe befreit werden.
5    Hat der Beschuldigte den Wahrheitsbeweis nicht erbracht oder sind seine Äusserungen unwahr oder nimmt der Beschuldigte sie zurück, so hat das Gericht dies im Urteil oder in einer andern Urkunde festzustellen.
StGB) zu. Diese Strenge des
Gesetzes, das den Täter die Gefahr der Unwahrheit seiner ehrenrührigen
Beschuldigung oder Verdächtigung tragen lässt, kann dann nicht gewollt sein,
wenn der Täter in einer Lage, die ihn zwecks Wahrnehmung berechtigter
Interessen zur Äusserung zwingt, seine Behauptung in angemessener Form
gutgläubig aufstellt, nachdem er gewissenhaft alles Zumutbare vorgekehrt hat,
um sich von ihrer Richtigkeit zu überzeugen. In einer solchen Zwangslage, mit
der sich eine strafrechtliche Sanktion nicht verträgt, wenn sich die
Beschuldigung oder Verdächtigung nachträglich als falsch herausstellt,
befindet sich beispielsweise, wer eine Strafanzeige einreicht (BGE 69 IV 116).
Würde er sich der Gefahr der Bestrafung aussetzen, so müsste er von der
Einreichung der Anzeige absehen, selbst wenn sie ihm begründet scheint und
nach den Umständen scheinen darf. Das vertrüge sich mit dem öffentlichen
Interesse an der Erforschung strafbarer Handlungen nicht. In ähnlicher Lage
befindet sich die Partei im Prozess. Ja der Zwang, die sachdienliche
ehrenrührige Äusserung zu tun, ist für sie noch grösser. Sie wendet sich zur
Wahrung ihrer Rechte an den Richter, damit er ihre Behauptungen auf ihre
Begründetheit hin prüfe. Will sie ihre Interessen richtig wahren, so ist sie
bisweilen genötigt, sogar gewagte Behauptungen aufzustellen, die nach den ihr
zur Verfügung stehenden Anhaltspunkten wahr sein können, für deren eigene
Abklärung ihr aber zuverlässige Mittel fehlen. Ohne solche Anhaltspunkte
handelt sie dagegen mutwillig und kann sie sich nicht auf die Wahrung
berechtigter Interessen berufen, wie denn mutwillige Prozessführung gewöhnlich
auch der Ahndung durch Ordnungsstrafe nach Prozessgesetz unterliegt.
4. ­ Der Beschwerdeführer hat mit den Behauptungen, welche Gegenstand des
Strafverfahrens bilden, erwirken wollen, dass ihm die Kinder während des
Scheidungsprozesses zugeteilt werden. Würden sie sich als wahr erwiesen haben.
so hätten sie denn auch den Entscheid des

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Richters stark beeinflussen müssen. Sie dienten also der Sache. Allein der
Beschwerdeführer kann nicht damit gerechnet haben, dass sie in dieser Form und
Schärfe möglicherweise wahr seien. Das Kantonsgericht stellt verbindlich fest,
dass sie zum mindesten für die Zeit, während welcher die Familie Waser in
Freienbach wohnt (seit September 1942), im wesentlichen nicht den Tatsachen
entsprechen. Als Schwiegersohn hatte aber der Beschwerdeführer Einblick in die
Verhältnisse, dies jedenfalls bis zur Einleitung des Scheidungsprozesses im
Frühjahr 1944. Zudem stellt das Kantonsgericht auch für die frühern
Verhältnisse nur fest, dass es damit nicht zum besten bestellt gewesen sei.
Der Beschwerdeführer durfte sie daher nicht als derart verwildert hinstellen,
wie er es getan hat. Er hat seine ehrverletzende Kritik an den Verhältnissen
mutwillig übertrieben.
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 71 IV 187
Datum : 01. Januar 1945
Publiziert : 13. September 1945
Quelle : Bundesgericht
Status : 71 IV 187
Sachgebiet : BGE - Strafrecht und Strafvollzug
Gegenstand : Art. 173 StGB. Aufstellung unrichtiger ehrenrühriger Behauptungen im Prozess; Voraussetzungen...


Gesetzesregister
StGB: 173 
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 173 - 1. Wer jemanden bei einem andern eines unehrenhaften Verhaltens oder anderer Tatsachen, die geeignet sind, seinen Ruf zu schädigen, beschuldigt oder verdächtigt,
1    Wer jemanden bei einem andern eines unehrenhaften Verhaltens oder anderer Tatsachen, die geeignet sind, seinen Ruf zu schädigen, beschuldigt oder verdächtigt,
2    Beweist der Beschuldigte, dass die von ihm vorgebrachte oder weiterverbreitete Äusserung der Wahrheit entspricht, oder dass er ernsthafte Gründe hatte, sie in guten Treuen für wahr zu halten, so ist er nicht strafbar.
3    Der Beschuldigte wird zum Beweis nicht zugelassen und ist strafbar für Äusserungen, die ohne Wahrung öffentlicher Interessen oder sonst wie ohne begründete Veranlassung, vorwiegend in der Absicht vorgebracht oder verbreitet werden, jemandem Übles vorzuwerfen, insbesondere, wenn sich die Äusserungen auf das Privat- oder Familienleben beziehen.
4    Nimmt der Täter seine Äusserung als unwahr zurück, so kann er milder bestraft oder ganz von Strafe befreit werden.
5    Hat der Beschuldigte den Wahrheitsbeweis nicht erbracht oder sind seine Äusserungen unwahr oder nimmt der Beschuldigte sie zurück, so hat das Gericht dies im Urteil oder in einer andern Urkunde festzustellen.
174
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 174 - 1. Wer jemanden wider besseres Wissen bei einem andern eines unehrenhaften Verhaltens oder anderer Tatsachen, die geeignet sind, seinen Ruf zu schädigen, beschuldigt oder verdächtigt,
1    Wer jemanden wider besseres Wissen bei einem andern eines unehrenhaften Verhaltens oder anderer Tatsachen, die geeignet sind, seinen Ruf zu schädigen, beschuldigt oder verdächtigt,
2    Ist der Täter planmässig darauf ausgegangen, den guten Ruf einer Person zu untergraben, so wird er mit Freiheitsstrafe von einem Monat bis zu drei Jahren oder Geldstrafe nicht unter 30 Tagessätzen bestraft.229
3    Zieht der Täter seine Äusserungen vor dem Gericht als unwahr zurück, so kann er milder bestraft werden. Das Gericht stellt dem Verletzten über den Rückzug eine Urkunde aus.
BGE Register
69-IV-114 • 71-IV-187
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
kantonsgericht • familie • kassationshof • richtigkeit • mutter • wahrheit • vater • entscheid • strafgesetzbuch • dauer • beschuldigter • busse • strafanzeige • form und inhalt • abklärung • richterliche behörde • angabe • minderheit • mutwillige prozessführung • beklagter
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