S. 116 / Nr. 29 Schuldbetreibungs- und Konkursrecht (d)

BGE 71 III 116

29. Entscheid vom 8. August 1945 i.S. Konkursamt Kreuzlingen.


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Regeste:
Rechtshilfepflicht der Konkursämter untereinander. Jedes Konkursamt der
Schweiz kann aus einem in seiner Amtsführung liegenden Grunde die bei einem
andern Konkursamt archivierten Konkursakten zur Benützung herausverlangen
(Auslegung von Art. 12 KV).
Obligation des offices de faillite de se prêter mutuellement leur concours
dans l'accomplissement de leur tâche.
Les préposés aux offices de faillite qui ont besoin pour l'accomplissement de
leur tâche de consulter un dossier de faillite se trouvant dans un autre
office sont en droit d'en obtenir communication par ce dernier (art. 12 Ord.
fail.).
Obbligo degli uffici dei fallimenti di prestarsi aiuto nel compimento delle
loro mansioni.
Il funzionario preposto all'ufficio dei fallimenti che per compiere le sue
mansioni ha bisogno di consultare atti d'un fallimento che si trovano presso
un altro ufficio, ha il diritto di ottenerne la consegna (interpretazione
dell'art. 12 Reg. Fall.).

A. ­ Im Konkurs über den Nachlass des im Juli 1944 verstorbenen Rudolf Ammann
verlangte das Konkursamt Kreuzlingen vom Konkursamt Winterthur zunächst
Abschriften aus dem Protokoll und in der Folge Herausgabe der Akten des über
Ammann im Jahre 1924 in Winterthur durchgeführten Konkurses. Das ersuchte
Konkursamt sowie die zürcherischen Aufsichtsbehörden lehnten letzteres
Begehren ab. Die obere führt aus, auf den eventuell angerufenen § 10 der
zürcherischen Archivverordnung von 1930 könne sich das Gesuch nicht stützen,
da Konkursämter zu den in Abs. 2 genannten « Amtsstellen und Privatpersonen »
gehörten, die nur auf Einsichtnahme in den Räumen des angesuchten Amtes selbst
Anspruch hätten, wozu das Konkursamt Winterthur ohne weiteres Hand zu bieten
bereit sei. Für die Anwendung des Art. 12 KV fehle es an der Voraussetzung,
dass « die Umstände den Ersatz durch beglaubigte Abschriften oder durch die
persönliche Einvernahme des Konkursverwalters nicht erlauben »; denn das
Konkursamt Kreuzlingen mache zur Begründung seines Editionsbegehrens lediglich
geltend, die Akten von 1924 könnten noch weitere wertvolle Aufschlüsse über
den

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Gang jenes Konkurses für den heutigen, speziell hinsichtlich der
Forderungsüberprüfung und des Frauengutsanspruches, geben. Das Gesuch verfolge
demnach kein konkretes Ziel, sondern werde ganz allgemein zu
Informationszwecken, also aufs Geratewohl gestellt. Das Konkursamt Kreuzlingen
könne im Amtslokal in Winterthur von den Akten Einsicht nehmen und dann ev.
diejenigen Akten bezeichnen, von denen es Abschriften wünsche.
B. ­ Mit dem vorliegenden Rekurs hält das Konkursamt Kreuzlingen an seinem
Begehren fest. Es führt aus, im Verlassenschaftskonkurs des R. Ammann und im
gleichzeitigen Konkurs der von diesem geleiteten Baugeschäft Kreuzlingen A.-G.
spielten gewisse Forderungen und Eigentumsansprachen derart ineinander, dass
nicht zum voraus gesagt werden könne, welche bestimmten Aktenstücke zur
Aufklärung von Nutzen sein könnten; dies sei nur von der Gesamtheit der Akten
zu erwarten. Die Überprüfung der Forderungen könne nicht mit der
Akteneinsichtnahme nach Winterthur verlegt werden.
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
Der Grundsatz der Rechtshilfepflicht der Schuldbetreibungs- und
Konkursbehörden untereinander ist allerdings nicht, wie es auf andern
Rechtsgebieten der Fall ist, im SchKG allgemein ausgesprochen, sondern nur für
einzelne Akte der Ämter vorgeschrieben. Wie das Bundesgericht
(staatsrechtliche Abteilung) indessen ausgesprochen hat, « wäre es ein mit dem
Wesen des einheitlichen Rechtsgebietes für das Exekutionsverfahren
unverträglicher Rechtszustand, wenn die Rechtshilfepflicht nicht als
allgemeines Prinzip für alle, ihre Zuständigkeiten aus dem Bundesgesetz
schöpfenden Behörden gelten ... würde » (BGE 54 I 174). Wäre im vorliegenden
Falle der frühere Konkurs vom gleichen Konkursamt durchgeführt worden, das den
Nachlasskonkurs durchzuführen hat, so stände ausser Frage, dass es seine
eigenen frühern Akten unbeschränkt

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konsultieren dürfte und würde, um nachzusehen, ob sie ihm für die Durchführung
des laufenden Verfahrens eine Erleichterung gewähren, sei es durch Vermeidung
von doppeltem Arbeitsaufwand, sei es zur Ermöglichung exakteren Arbeitens zum
Vorteil der Beteiligten. Es dürfte allenfalls sogar als Amtspflicht bezeichnet
werden, dass von einer solchen Möglichkeit Gebrauch gemacht werde. Der
Umstand, dass das Konkursrechtsgebiet in Oberkreise, die Kantone, und
innerhalb derselben in engere Kreise eingeteilt ist, darf der Benutzung
solcher Vorteile im Interesse der Rechtspflege nicht entgegenstehen. Es ergibt
sich daraus die Forderung, dass irgendein Konkursamt der Schweiz die bei einem
andern Konkursamt archivierten Konkursakten soll benützen können, als ob es
seine eigenen wären. Die Aufbewahrung derselben gemäss Art. 10-14 KV erfolgt
nicht um ihrer selbst willen, sondern zu einem justizmässigen Zweck, und wenn
dessen Verfolgung die Herausgabe voraussetzt, so darf sie nicht verweigert
werden. Etwas anderes kann auch aus Art. 12 KV nicht abgeleitet werden. Diese
Bestimmung will die Herausgabepflicht nicht erschöpfend regeln. Der Umstand,
dass Art. 12 als bedingt Editionsberechtigte nur « Drittpersonen oder Gerichte
» nennt, zwingt keineswegs dazu, andere Konkursämter unter eine dieser
Kategorien zu subsumieren. Die Gleichstellung von Gerichten und Drittpersonen
erklärt sich gerade aus der beiden gemeinsamen Eigenschaft, dass sie dem
Konkursverwaltungsapparat fernstehen. Dies trifft nicht zu auf andere
Konkursämter; sie sind in Art. 12 KV offenbar deshalb nicht genannt, weil ihr
Recht auf Edition von Konkursakten zufolge des Grundsatzes ihrer
uneingeschränkten Rechtshilfepflicht untereinander im Gebiet des einheitlichen
Verfahrensrechtes eine Selbstverständlichkeit ist, die in der KV besonders zu
erwähnen oder näher zu regeln gar keine Veranlassung bestand.
Bedingung der Herausgabe von Akten an ein anderes Konkursamt ist nur, dass es
einen in seiner Amtsführung liegenden plausiblen Grund angebe. Dies ist hier
der Fall.

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Wie das ersuchende Konkursamt einleuchtend ausführt, wird erst die
vollumfängliche Akteneinsicht erweisen können, ob sich daraus etwas für den
laufenden Konkurs Interessantes ergibt. Diesem Zweck kann ein einmaliges
kursorisches Durchgehen der Akten im Lokal des ersuchten Amtes nicht genügen.
Sollte sich die vom rekurrierenden Konkursamt gehegte Erwartung nicht
bestätigen, so wäre damit nicht dargetan, dass das Editionsbegehren ohne
hinreichenden Anlass gestellt worden sei.
Der bei jeder Hervornahme der archivierten Akten ­ nicht zuletzt zum Zwecke
der Vorlage oder der Abschrift in den eigenen Räumen des ersuchten Amtes ­
vorhandenen Verlustgefahr kann dadurch vorgebeugt werden, dass die Versendung
mit gewissen Vorsichtsmassregeln umgeben und eine Frist für die Rücksendung
gesetzt wird bezw. das edierende Konkursamt sich von Zeit zu Zeit wieder um
die Rückgabe bekümmert.
Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:
Der Rekurs wird gutgeheissen und das Konkursamt Winterthur-Altstadt
angewiesen, dem Konkursamt Kreuzlingen die Konkursakten Rudolf Ammann aus dem
Jahre 1924 zur Einsichtnahme zuzustellen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 71 III 116
Datum : 01. Januar 1945
Publiziert : 07. August 1945
Quelle : Bundesgericht
Status : 71 III 116
Sachgebiet : BGE - Schuldbetreibungs- und Konkursrecht
Gegenstand : Rechtshilfepflicht der Konkursämter untereinander. Jedes Konkursamt der Schweiz kann aus einem in...


BGE Register
54-I-166 • 71-III-116
Stichwortregister
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