S. 27 / Nr. 7 Sachenrecht (d)

BGE 71 II 27

7. Urteil der II. Zivilabteilung vom 1. März 1945 i. S. Spitz, Streiff & Co.
gegen Knobel.


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Regeste:
Durchleitungsrecht, Änderung der Verhältnisse, Art. 693
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 693 - 1 Ändern sich die Verhältnisse, so kann der Belastete eine seinen Interessen entsprechende Verlegung der Leitung verlangen.
1    Ändern sich die Verhältnisse, so kann der Belastete eine seinen Interessen entsprechende Verlegung der Leitung verlangen.
2    Die Kosten der Verlegung hat in der Regel der Berechtigte zu tragen.
3    Wo besondere Umstände es rechtfertigen, kann jedoch ein angemessener Teil der Kosten dem Belasteten auferlegt werden.
ZGB: Der Belastete
kann wegen veränderten Interessen seines Grundstückes (Überbauung) statt
Verlegung der Durchleitung die weniger weitgehende Massnahme baulicher
Sicherungsvorrichtungen ­ ganz oder teilweise auf Kosten des Berechtigten ­
verlangen.
Conduites. Modification des lieux, art. 693 CC.: La propriétaire dont le fonds
est traversé par une conduite installée au profit d'un voisin et qui entend
construire sur le terrain où se trouve la conduite n'est pas tenu d'en
demander le déplacement; il peut se borner à offrir d'exécuter les travaux
propres à la maintenir en bon état, les frais de ces travaux étant d'ailleurs
supportés en tout ou en partie par le voisin.
Condotte, cambiamento di circostanze, art. 693 CC.: Modificandosi gl'interessi
del proprietario gravato (costruzione di una casa) questi, in luogo di
disporre per lo spostamento della condotta pub esigere che gl'interessi
dell'avente diritto siano tutelati con provvedimenti meno onerosi, ugualmente
atti a mantenere in efficienza la condotta; le relative spese verranno
sopportate, in tutto o in parte, dall'avente diritto.

A. ­ Die Beklagte ist Eigentümerin der Parzelle Nr. 1234, der Kläger
Eigentümer der Parzelle Nr. 1066/1244 in Ennenda. Ursprünglich befand sich auf
der Parzelle Nr. 1244 als natürlicher Wasserablauf ein offener Graben, der das
Wasser ab der Liegenschaft der Beklagten nach der nordwestlich der
Liegenschaft des Klägers durchfliessenden Linth abführte. Im Jahre 1899 wurde
zwischen dem damaligen Eigentümer der Liegenschaft Nr. 1234 (Jenny) und der
Gemeinde Ennenda, Rechtsvorgängerin des Klägers im Eigentum an der Parzelle
Nr. 1244, ein Vertrag abgeschlossen, wonach Jenny eine Leitung in den Graben
zu legen und den Graben zuzudecken hatte. Als im Jahre 1932 ein neues Wuhr an
der Linth gebaut wurde, führte

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man den Graben durch dieses, wie es im Vertrag von 1899 vorgesehen war. Bei
der Grundbuchbereinigung im Jahre 1941 meldete die Beklagte ein Servitutsrecht
hinsichtlich der Wasserdurchleitung an, machte aber schon vor Obergericht
nicht mehr eine Privatrechtsservitut, sondern nur ein nachbarrechtliches
Durchleitungsrecht geltend.
B. ­ Heute will der Kläger auf seinem Grundstück Nr. 1244 ein Gebäude für
Bureau und Warenlager errichten. Die Beklagte erhob dagegen Einspruch und
erwirkte ein a Spezialrechtbot» gegen die Bauausführung, weil durch dieses
eine Verlegung der Durchleitung nötig würde, was aber praktisch unmöglich sei,
weil die Leitung dann das nötige Gefälle nicht mehr hätte, und weil durch die
geplante Baute dem Gebiete der Beklagten die Tageshelle und das Sonnenlicht
entzogen würden.
C. ­ Mit vorliegender Klage verlangt der Kläger Beseitigung dieses Verbotes,
während die Beklagte Abweisung der Klage beantragte und ev. verlangte, dass
der Kläger zu verpflichten sei, den Bau so auszuführen, dass ihr
Ableitungsrecht gewahrt bleibe, und zu verurteilen, ihr eine Entschädigung von
Fr. 5000.­ wegen Entzug von Licht und Sonne zu bezahlen.
D. ­ Die Vorinstanz hob das Rechtsverbot auf und erklärte den Kläger zur
Ausführung der geplanten Baute befugt, verpflichtete ihn aber, die
Durchleitungsanlage in ihrem jetzigen Bestand bestehen zu lassen, sie durch
die nötigen Vorkehren gegen Bruch und Einsturz zu schützen und sie zur
Reinigung zugänglich zu erhalten. Die Kosten dieser Vorkehren legte sie zu 2/3
der Beklagten, zu 1/3 dem Kläger auf. Das Entschädigungsbegehren der Beklagten
wurde abgewiesen.
E. ­ Mit seiner Berufung an das Bundesgericht verlangt die Beklagte neuerdings
die Abweisung der Klage, ev. die Verpflichtung des Klägers, die zum Schutze
der Durchleitung nötigen Vorkehren auf eigene Kosten zu treffen. Ein Begehren
um Entschädigung wegen Licht- und Sonneentzug wird nicht mehr gestellt.

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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Die Beklagte stützt ihr Recht zur Wasserableitung über das klägerische
Grundstück vor Bundesgericht ausschliesslich auf Art. 691
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 691 - 1 Jeder Grundeigentümer ist verpflichtet, die Durchleitung von Röhren und Leitungen zur Versorgung und Entsorgung gegen volle Entschädigung zu gestatten, wenn ein anderes Grundstück sonst nicht oder nur mit unverhältnismässigen Kosten erschlossen werden kann.598
1    Jeder Grundeigentümer ist verpflichtet, die Durchleitung von Röhren und Leitungen zur Versorgung und Entsorgung gegen volle Entschädigung zu gestatten, wenn ein anderes Grundstück sonst nicht oder nur mit unverhältnismässigen Kosten erschlossen werden kann.598
2    Das Recht auf Durchleitung aus Nachbarrecht kann in den Fällen nicht beansprucht werden, in denen das kantonale Recht oder das Bundesrecht auf den Weg der Enteignung verweist.
3    Verlangt es der Berechtigte oder der Belastete, so werden die Durchleitungen auf Kosten des Berechtigten als Dienstbarkeit in das Grundbuch eingetragen. Das Durchleitungsrecht kann einem gutgläubigen Erwerber auch ohne Eintragung entgegengehalten werden.599
ZGB. Sie findet den
angefochtenen Entscheid deshalb im Widerspruch mit den bestehenden
eidgenössischen Vorschriften, weil Art. 693 für den Fall der Veränderung der
Verhältnisse im Interesse des Eigentümers des belasteten Grundstückes nur die
Möglichkeit einer Verlegung der Leitung, nicht aber andere Vorkehren vorsehe;
und auf jeden Fall müssten nach ihr alle Kosten anderer Vorkehren dem Kläger
auferlegt werden.
1. ­ Die Pflicht, Ableitungen durch das Grundstück führen zu lassen, wie sie
in Art. 691
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 691 - 1 Jeder Grundeigentümer ist verpflichtet, die Durchleitung von Röhren und Leitungen zur Versorgung und Entsorgung gegen volle Entschädigung zu gestatten, wenn ein anderes Grundstück sonst nicht oder nur mit unverhältnismässigen Kosten erschlossen werden kann.598
1    Jeder Grundeigentümer ist verpflichtet, die Durchleitung von Röhren und Leitungen zur Versorgung und Entsorgung gegen volle Entschädigung zu gestatten, wenn ein anderes Grundstück sonst nicht oder nur mit unverhältnismässigen Kosten erschlossen werden kann.598
2    Das Recht auf Durchleitung aus Nachbarrecht kann in den Fällen nicht beansprucht werden, in denen das kantonale Recht oder das Bundesrecht auf den Weg der Enteignung verweist.
3    Verlangt es der Berechtigte oder der Belastete, so werden die Durchleitungen auf Kosten des Berechtigten als Dienstbarkeit in das Grundbuch eingetragen. Das Durchleitungsrecht kann einem gutgläubigen Erwerber auch ohne Eintragung entgegengehalten werden.599
ZGB ausgesprochen ist, ist ein Ausfluss der gesetzlichen
Eigentumsbeschränkung im Interesse der Nachbarn. Diese Beschränkung geht nicht
weiter als das Interesse der Nachbarn als Berechtigten. Im vorliegenden Fall
ist das Interesse der Beklagten gewahrt, wenn die Baute auf dem klägerischen
Grundstück so ausgeführt wird, dass die Wasserableitung aus dem Grundstück der
Beklagten sichergestellt und der Bestand der dazu dienenden Anlage geschützt
ist. Das trifft nach dem angefochtenen Urteil zu. Der Kläger ist nicht nur
verpflichtet, die Baute so zu erstellen, dass sie gegen Bruch und Einsturz
gesichert und in ihrem Bestand und ihrer Funktionsfähigkeit erhalten ist; er
muss sie auch zu ihrer Reinigung und Unterhaltung zugänglich erhalten, und
weiter ist er verpflichtet, der Beklagten die Pläne vorzulegen, damit sie
dagegen Einspruch erheben kann, wenn sie ihre Interessen durch die geplante
Ausführung nicht hinlänglich gewahrt findet; für diesen Fall ist ein
besonderer gerichtlicher Entscheid vorbehalten. Es ist nicht einzusehen, wie
unter diesen Umständen die Interessen der Beklagten noch verletzt sein
könnten. Ihr Standpunkt, dass neue Interessen des belasteten Grundstückes nur
in Form einer Verlegung der Servitut wahrgenommen werden können, nicht auch
durch bauliche

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Schutzvorrichtungen, geht fehl. Solche Vorkehren sind der Verlegung gegenüber
ein Minus, das im Gesetz nicht besonders erwähnt zu werden brauchte, weil es
sich schon aus dem Grundsatz ergibt, dass die Interessen des Belasteten in
allen diesen Nachbarrechtsfragen nach Möglichkeit gewahrt werden müssen (Art.
692
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 692 - 1 Der belastete Grundeigentümer hat Anspruch darauf, dass auf seine Interessen in billiger Weise Rücksicht genommen werde.
1    Der belastete Grundeigentümer hat Anspruch darauf, dass auf seine Interessen in billiger Weise Rücksicht genommen werde.
2    Wo ausserordentliche Umstände es rechtfertigen, kann er bei oberirdischen Leitungen verlangen, dass ihm das Stück Land, über das diese Leitungen geführt werden sollen, in angemessenem Umfange gegen volle Entschädigung abgenommen werde.
ZGB; vgl. auch HAAB, N. 18 zu Art. 691-93).
2. ­ Ernstlich in Diskussion kann nur die Frage stehen, ob die Kosten der
Sicherungsmassnahmen vom Kläger oder ganz oder teilweise auch von der
Beklagten zu tragen sind. Hier ist der Gedanke wegleitend, der in Art. 693
Abs. 2 Ausdruck findet, wonach die Verlegung einer Leitung in der Regel auf
Kosten des Berechtigten erfolgt, der Gedanke nämlich, dass, wer ohne
vertraglich begründetes Recht und ohne Gegenleistung einzig auf Grund einer
dem Nachbarn von Gesetzes wegen obliegenden Verpflichtung den Vorteil der
Durchleitungsberechtigung geniesst, den Nachbarn in der freien Benützung und
Auswertung seines Grundstückes nicht weiter behindern soll, als die Ausübung
seiner nachbarrechtlichen Berechtigung und sein rechtlich anerkanntes
Interesse es verlangen, daher gegebenenfalls auf eigene Kosten eine bestehende
Leitung verlegen muss, wenn es durch das Interesse des Nachbarn verlangt wird.
Der belastete Nachbar soll für diese Kosten nicht aufzukommen haben, sofern
nicht besondere Gründe die Auferlegung eines Teiles der Kosten an ihn billig
erscheinen lassen, z. B. weil die Leitung ursprünglich auf seinen besondern
Wunsch an die Stelle gelegt wurde, die sie nun wieder verlassen soll. Die
gleiche Überlegung, wonach der Berechtigte grundsätzlich für die Kosten einer
Verlegung aufkommen soll, gilt auch, wo statt der Verlegung eine andere
Vorkehr zur Wahrung der berechtigten Interessen des Eigentümers des belasteten
Grundstückes erforderlich erscheint. Wenn die Vorinstanz diesem letztern 1/3
der Kosten auferlegt (wogegen er keinen Einspruch erhebt), hat sie den Rahmen
vernünftigen richterlichen Ermessens jedenfalls nicht zu Ungunsten der
Beklagten überschritten.

Seite: 31
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichts des Kantons
Glarus vom 5. Dezember 1944 bestätigt.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 71 II 27
Datum : 01. Januar 1945
Publiziert : 01. März 1945
Quelle : Bundesgericht
Status : 71 II 27
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Durchleitungsrecht, Änderung der Verhältnisse, Art. 693 ZGB: Der Belastete kann wegen veränderten...


Gesetzesregister
ZGB: 691 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 691 - 1 Jeder Grundeigentümer ist verpflichtet, die Durchleitung von Röhren und Leitungen zur Versorgung und Entsorgung gegen volle Entschädigung zu gestatten, wenn ein anderes Grundstück sonst nicht oder nur mit unverhältnismässigen Kosten erschlossen werden kann.598
1    Jeder Grundeigentümer ist verpflichtet, die Durchleitung von Röhren und Leitungen zur Versorgung und Entsorgung gegen volle Entschädigung zu gestatten, wenn ein anderes Grundstück sonst nicht oder nur mit unverhältnismässigen Kosten erschlossen werden kann.598
2    Das Recht auf Durchleitung aus Nachbarrecht kann in den Fällen nicht beansprucht werden, in denen das kantonale Recht oder das Bundesrecht auf den Weg der Enteignung verweist.
3    Verlangt es der Berechtigte oder der Belastete, so werden die Durchleitungen auf Kosten des Berechtigten als Dienstbarkeit in das Grundbuch eingetragen. Das Durchleitungsrecht kann einem gutgläubigen Erwerber auch ohne Eintragung entgegengehalten werden.599
692 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 692 - 1 Der belastete Grundeigentümer hat Anspruch darauf, dass auf seine Interessen in billiger Weise Rücksicht genommen werde.
1    Der belastete Grundeigentümer hat Anspruch darauf, dass auf seine Interessen in billiger Weise Rücksicht genommen werde.
2    Wo ausserordentliche Umstände es rechtfertigen, kann er bei oberirdischen Leitungen verlangen, dass ihm das Stück Land, über das diese Leitungen geführt werden sollen, in angemessenem Umfange gegen volle Entschädigung abgenommen werde.
693
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 693 - 1 Ändern sich die Verhältnisse, so kann der Belastete eine seinen Interessen entsprechende Verlegung der Leitung verlangen.
1    Ändern sich die Verhältnisse, so kann der Belastete eine seinen Interessen entsprechende Verlegung der Leitung verlangen.
2    Die Kosten der Verlegung hat in der Regel der Berechtigte zu tragen.
3    Wo besondere Umstände es rechtfertigen, kann jedoch ein angemessener Teil der Kosten dem Belasteten auferlegt werden.
BGE Register
71-II-27
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
beklagter • weiler • bundesgericht • belastetes grundstück • durchleitungsrecht • nachbarrecht • linth • reinigung • vorinstanz • baute und anlage • rohrleitung • entscheid • schutzmassnahme • glarus • einsprache • richterliche behörde • richtlinie • weisung • gemeinde • wille
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