S. 18 / Nr. 5 Familienrecht (d)

BGE 71 II 18

5. Urteil der II. Zivilabteilung vom 25. Januar 1945 i. S. Hofmann.


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Regeste:
Beistandschaft auf eigenes Begehren. Art. 394
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 394 - 1 Eine Vertretungsbeistandschaft wird errichtet, wenn die hilfsbedürftige Person bestimmte Angelegenheiten nicht erledigen kann und deshalb vertreten werden muss.
1    Eine Vertretungsbeistandschaft wird errichtet, wenn die hilfsbedürftige Person bestimmte Angelegenheiten nicht erledigen kann und deshalb vertreten werden muss.
2    Die Erwachsenenschutzbehörde kann die Handlungsfähigkeit der betroffenen Person entsprechend einschränken.
3    Auch wenn die Handlungsfähigkeit nicht eingeschränkt ist, muss die betroffene Person sich die Handlungen des Beistands oder der Beiständin anrechnen oder gefallen lassen.
ZGB.
1. Kann sie nur zur Vermögensverwaltung angeordnet werden? 2. Auf Antrag des
Verbeiständeten ist sie ohne weiteres wieder aufzuheben. Gleiches gilt bei
einer nach Art. 393 Ziff. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 393 - 1 Eine Begleitbeistandschaft wird mit Zustimmung der hilfsbedürftigen Person errichtet, wenn diese für die Erledigung bestimmter Angelegenheiten begleitende Unterstützung braucht.
1    Eine Begleitbeistandschaft wird mit Zustimmung der hilfsbedürftigen Person errichtet, wenn diese für die Erledigung bestimmter Angelegenheiten begleitende Unterstützung braucht.
2    Die Begleitbeistandschaft schränkt die Handlungsfähigkeit der betroffenen Person nicht ein.
ZGB angeordneten Beistandschaft. Art. 417
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 417 - Die Erwachsenenschutzbehörde kann aus wichtigen Gründen anordnen, dass ihr weitere Geschäfte zur Zustimmung unterbreitet werden.
. 439
ZGB.
Curatelle volontaire, art. 394 CC.
1. Peut-elle être ordonnée seulement pour la gestion de la fortune?
2. Elle doit être levée sur simple demande de l'intéressé. Il en est de même
de la curatelle ordonnée en vertu de l'art. 393 ch. 2 CC (art. 417, 439 CC).
Curatela volontaria, art. 394 CC.
1. Può essere ordinata esclusivamente per l'amministrazione della sostanza?
2. Va revocata su domanda dell'interessato. Ciò vale anche per In curatela ai
sensi dell'art. 393 cifra 2 CC. Art. 417 e 439 CC.

A. ­ Willi Hofmann, geboren 1907, ein Mann von zwerghaftem Wuchs, ist
Lederwarenarbeiter («Portefeuiller»). Da er öfters nicht zur Arbeit erschien
und übermässig dem Alkohol zusprach, beantragte sein Prinzipal die
Entmündigung. Auch das Fürsorgeamt der Stadt Schaffhausen hielt diese
Massnahme für angezeigt. Hofmann suche sich durch Witzemachen zur Geltung zu
bringen. «Leider finden sich immer wieder Leute, die Freude an dem Knirps
haben und ihm, wenn er selbst kein Geld besitzt, bezahlen und ihn trunken
machen». Hofmann schrieb das ihm vorgeworfene Verhalten seiner Unzufriedenheit
über die geringe Entlöhnung und eine gelegentlich unwürdige Behandlung zu; er
habe im Alkohol Vergessen gesucht. Am 10. Mai 1941 ersuchte er indessen die
Vormundschaifsbehörde um Bestellung eines Beistandes, bei dem er Schutz finden
könnte. Die Behörde erachtete einen Grund zur Entmündigung als nicht gegeben,
dagegen sei Hofmann wegen seiner zwerghaften Gestalt und seines schüchternen
Wesens beistandsbedürftig. Sie entsprach deshalb seinem Begehren in Anwendung
von Art. 394
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 394 - 1 Eine Vertretungsbeistandschaft wird errichtet, wenn die hilfsbedürftige Person bestimmte Angelegenheiten nicht erledigen kann und deshalb vertreten werden muss.
1    Eine Vertretungsbeistandschaft wird errichtet, wenn die hilfsbedürftige Person bestimmte Angelegenheiten nicht erledigen kann und deshalb vertreten werden muss.
2    Die Erwachsenenschutzbehörde kann die Handlungsfähigkeit der betroffenen Person entsprechend einschränken.
3    Auch wenn die Handlungsfähigkeit nicht eingeschränkt ist, muss die betroffene Person sich die Handlungen des Beistands oder der Beiständin anrechnen oder gefallen lassen.
ZGB wegen Gebrechens.

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B. ­ Infolge der Bombardierung Schaffhausens vom 1. April 1944 verlor Hofmann
seine bisherige Stelle. Er fand bald eine andere mit besserer Entlöhnung. Nun
beantragt er die Aufhebung der Beistandschaft. Nach Abweisung durch den
Regierungsrat hält er mit der vorliegenden zivilrechtlichen Beschwerde an
diesem Antrage fest
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Die Beistandschaft ist auf das Begehren Hofmanns wieder aufzuheben. Die
Vorinstanz hält dafür, er müsste sich zuerst während längerer Zeit bewähren,
um den Wegfall seiner Schutzbedürftigkeit darzutun. Aber diese
Betrachtungsweise verkennt das Wesen der Beistandschaft.
Zunächst ist fraglich, ob seinerzeit überhaupt ein Grund zur Anordnung einer
Beistandschaft bestanden habe. Das Gesetz sieht zwei Arten der Beistandschaft
vor: zur Vertretung in einer bestimmten Angelegenheit (Art. 392
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 392 - Erscheint die Errichtung einer Beistandschaft wegen des Umfangs der Aufgaben als offensichtlich unverhältnismässig, so kann die Erwachsenenschutzbehörde:
1  von sich aus das Erforderliche vorkehren, namentlich die Zustimmung zu einem Rechtsgeschäft erteilen;
2  einer Drittperson für einzelne Aufgaben einen Auftrag erteilen; oder
3  eine geeignete Person oder Stelle bezeichnen, der für bestimmte Bereiche Einblick und Auskunft zu geben sind.
ZGB) und zur
Vermögensverwaltung (Art. 393 und 394, gemeinsamer Randtitel). Hier wurde Art.
394 angewendet; es stand aber keine Vermögensverwaltung in Frage; denn Hofmann
besitzt kein Vermögen. Freilich gibt der Wortlaut des Art. 394 einer weiteren
Auslegung Raum. Er knüpft die Anordnung einer Beistandschaft auf eigenes
Begehren an die gleichen Voraussetzungen, wie sie nach Art. 372 für die
Bevormundung auf eigenes Begehren gelten. Daraus möchte geschlossen werden,
ein solches Begehren brauche im einen so wenig wie im andern Falle notwendig
nur die Vermögensverwaltung im Auge zu haben. Es lässt sich auch ein
praktisches Bedürfnis zu solch weitherziger Auslegung nicht wohl verneinen.
Sonst stünde die betreffende Person, die persönliche Fürsorge im allgemeinen
oder in bestimmter Beziehung wünscht, ohne doch Anlass zu einer Bevormundung
von Amtes wegen zu geben, vor der Wahl, sich entmündigen zu lassen oder auf
behördlichen Schutz zu verzichten.
Ob diese Gründe gegenüber der durch die erwähnten

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Randtitel anscheinend gegebenen Umgrenzung aufzukommen vermögen, kann indessen
hier dahingestellt bleiben. Auch wenn die vorliegende Beistandschaft nicht als
von Anfang an grundlos erachtet wird, ist sie auf das Begehren des
Beschwerdeführers ohne weiteres aufzuheben. Art. 439 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 439 - 1 Die betroffene oder eine ihr nahestehende Person kann in folgenden Fällen schriftlich das zuständige Gericht anrufen:
1    Die betroffene oder eine ihr nahestehende Person kann in folgenden Fällen schriftlich das zuständige Gericht anrufen:
1  bei ärztlich angeordneter Unterbringung;
2  bei Zurückbehaltung durch die Einrichtung;
3  bei Abweisung eines Entlassungsgesuchs durch die Einrichtung;
4  bei Behandlung einer psychischen Störung ohne Zustimmung;
5  bei Massnahmen zur Einschränkung der Bewegungsfreiheit.
2    Die Frist zur Anrufung des Gerichts beträgt zehn Tage seit Mitteilung des Entscheids. Bei Massnahmen zur Einschränkung der Bewegungsfreiheit kann das Gericht jederzeit angerufen werden.
3    Das Verfahren richtet sich sinngemäss nach den Bestimmungen über das Verfahren vor der gerichtlichen Beschwerdeinstanz.
4    Jedes Begehren um gerichtliche Beurteilung ist unverzüglich an das zuständige Gericht weiterzuleiten.
ZGB verlangt den
Wegfall der Gründe, aus denen die Beistandschaft angeordnet wurde. Diese
Vorschrift ist aber lückenhaft, insofern sie den besondern Verhältnissen bei
der Beistandschaft für handlungsfähige Personen nicht Rechnung trägt. Nach
Art. 417 Abs. 1 hat die Beistandschaft keinen Einfluss auf die
Handlungsfähigkeit. Ist sie von einem Handlungsfähigen gemäss Art. 394
anbegehrt und der Schutzbefohlene auch nicht etwa tatsächlich gehindert,
selbst zu handeln, so ist ihre Ausübung vom guten Willen des Schutzbefohlenen
abhängig. Dieser kann die Handlungen des Beistandes durch eigene Handlungen
durchkreuzen oder ihnen zuvorkommen. Die Beistandschaft wird daher zwecklos,
wenn er sie nicht mehr gelten lassen will und ihre Aufhebung beantragt. Diesem
Antrag ist also ohne weiteres zu entsprechen, auch ohne ausdrückliche
Vorschrift nach Art von § 1920 des deutschen BGB (wonach die von einem
handlungsfähigen Schutzbefohlenen wegen Gebrechens begehrte Pflegschaft
aufzuheben ist, «wenn der Pflegebefohlene die Aufhebung beantragt,»).
Gleiches gilt übrigens, aus entsprechenden Gründen, bei einer Beistandschaft,
die gegenüber einem Handlungsfähigen von Amtes wegen nach Art. 393 Ziff. 2
angeordnet worden war. Auch eine solche Beistandschaft sollte angesichts der
ihrer Wirksamkeit nach Art. 417 Abs. 1 gezogenen Schranken nicht gegen den
Willen des Schutzbefohlenen angeordnet werden. Und wenn dieser später die
Aufhebung der Beistandschaft verlangt, kann sich nur fragen, ob ein Grund zu
wirksameren Massnahmen, sei es Beiratschaft oder Vormundschaft, bestehe.
Im vorliegenden Verfahren ist indessen nicht die Rede davon, dass der
Beschwerdeführer noch schutzbedürftiger geworden sei, als er seinerzeit war.
Das führt dazu, die

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Beistandschaft vorbehaltlos aufzuheben. Sollten später vormundschaftliche
Massnahmen als geboten erscheinen, so. wäre ein neues Verfahren anzuheben.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird gutgeheissen und die Beistandschaft aufgehoben.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 71 II 18
Datum : 01. Januar 1945
Publiziert : 25. Januar 1945
Quelle : Bundesgericht
Status : 71 II 18
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Beistandschaft auf eigenes Begehren. Art. 394 ZGB.1. Kann sie nur zur Vermögensverwaltung...


Gesetzesregister
ZGB: 392 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 392 - Erscheint die Errichtung einer Beistandschaft wegen des Umfangs der Aufgaben als offensichtlich unverhältnismässig, so kann die Erwachsenenschutzbehörde:
1  von sich aus das Erforderliche vorkehren, namentlich die Zustimmung zu einem Rechtsgeschäft erteilen;
2  einer Drittperson für einzelne Aufgaben einen Auftrag erteilen; oder
3  eine geeignete Person oder Stelle bezeichnen, der für bestimmte Bereiche Einblick und Auskunft zu geben sind.
393 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 393 - 1 Eine Begleitbeistandschaft wird mit Zustimmung der hilfsbedürftigen Person errichtet, wenn diese für die Erledigung bestimmter Angelegenheiten begleitende Unterstützung braucht.
1    Eine Begleitbeistandschaft wird mit Zustimmung der hilfsbedürftigen Person errichtet, wenn diese für die Erledigung bestimmter Angelegenheiten begleitende Unterstützung braucht.
2    Die Begleitbeistandschaft schränkt die Handlungsfähigkeit der betroffenen Person nicht ein.
394 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 394 - 1 Eine Vertretungsbeistandschaft wird errichtet, wenn die hilfsbedürftige Person bestimmte Angelegenheiten nicht erledigen kann und deshalb vertreten werden muss.
1    Eine Vertretungsbeistandschaft wird errichtet, wenn die hilfsbedürftige Person bestimmte Angelegenheiten nicht erledigen kann und deshalb vertreten werden muss.
2    Die Erwachsenenschutzbehörde kann die Handlungsfähigkeit der betroffenen Person entsprechend einschränken.
3    Auch wenn die Handlungsfähigkeit nicht eingeschränkt ist, muss die betroffene Person sich die Handlungen des Beistands oder der Beiständin anrechnen oder gefallen lassen.
417 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 417 - Die Erwachsenenschutzbehörde kann aus wichtigen Gründen anordnen, dass ihr weitere Geschäfte zur Zustimmung unterbreitet werden.
439
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 439 - 1 Die betroffene oder eine ihr nahestehende Person kann in folgenden Fällen schriftlich das zuständige Gericht anrufen:
1    Die betroffene oder eine ihr nahestehende Person kann in folgenden Fällen schriftlich das zuständige Gericht anrufen:
1  bei ärztlich angeordneter Unterbringung;
2  bei Zurückbehaltung durch die Einrichtung;
3  bei Abweisung eines Entlassungsgesuchs durch die Einrichtung;
4  bei Behandlung einer psychischen Störung ohne Zustimmung;
5  bei Massnahmen zur Einschränkung der Bewegungsfreiheit.
2    Die Frist zur Anrufung des Gerichts beträgt zehn Tage seit Mitteilung des Entscheids. Bei Massnahmen zur Einschränkung der Bewegungsfreiheit kann das Gericht jederzeit angerufen werden.
3    Das Verfahren richtet sich sinngemäss nach den Bestimmungen über das Verfahren vor der gerichtlichen Beschwerdeinstanz.
4    Jedes Begehren um gerichtliche Beurteilung ist unverzüglich an das zuständige Gericht weiterzuleiten.
BGE Register
71-II-18
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
wille • beistandschaft auf eigenes begehren • frage • bundesgericht • von amtes wegen • dauer • weisung • richtlinie • wucher • stelle • mann • vorinstanz • verhalten • regierungsrat • beiratschaft • trunkenheit • besteller • geld