S. 167 / Nr. 33 Obligationenrecht (d)

BGE 71 II 167

33. Urteil der I. Zivilabteilung vom 12. Juni 1945 i. S. Giger gegen
Hildbrand.

Regeste:
Inkassozession.
Zediert der Gläubiger seine Forderung an einen mit deren Einzug beauftragten
Dritten, so ist die Abtretung nicht simuliert, sondern stellt eine gültige
fiduziarische Übertragung dar (Erw. 1).
Der Einzugsauftrag ist widerruflich (Erw. 2).
Für die Rückübertragung der Forderung auf den Zedenten ist eine Rückzession
erforderlich (Erw. 3).
Cession à fin d'encaissement.
Lorsque le créancier cède la créance à un tiers en vue de l'encaissement, la
cession n'est pas simulée, mais constitue un transfert fiduciaire valable
(consid. 1).

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Le mandat d'encaissement est révocable (consid. 2).
La rétrocession est nécessaire pour que le cédant redevienne titulaire de la
créance (consid. 3).
Cessione a scopo d'incasso.
Il negozio giuridico del creditore che cede il credito ad un terzo incaricato
della riscossione non è da configurarsi come una cessione simulata, ma
costituisce un negozio fiduciario valido (consid. 1).
Il mandato d'incasso è revocabile (consid. 2).
Perché il cedente riacquisti il credito è necessaria una retrocessione
(consid. 3).

Aus dem Tatbestand:
Der Kläger Giger belangte den Beklagten Hildbrand auf Bezahlung einer
Kaufpreisforderung aus einem zwischen den Parteien abgeschlossenen
Kaufvertrag. Seine Klage wurde von den kantonalen Instanzen (Amtsgericht
Luzern-Land und Obergericht des Kantons Luzern) wegen fehlender
Aktivlegitimation abgewiesen, da er die Forderung mit allen Rechten der
Inkassogesellschaft «Merkur» abgetreten habe.
Das Bundesgericht heisst die Berufung des Klägers gut und weist die Sache zur
materiellen Behandlung an die Vorinstanz zurück.
Aus den Erwägungen:
1.- Der Kläger wendet gegenüber der Einrede der mangelnden Aktivlegitimation
zunächst ein, er habe der «Merkur» nur eine jederzeit widerrufliche
Inkassovollmacht, nicht aber eine Inkassozession erteilt.
Diese Einrede ist von der Vorinstanz unter Hinweis auf den Wortlaut der
schriftlichen Erklärung des Klägers vom 3. Februar 1942 und des Schreibens
seines Anwaltes vom 4. Dezember 1942, wo beide Male von einer Abtretung und
nicht von einer blossen Vollmacht die Rede ist, verworfen worden.
An sich ist richtig, dass nach Art. 18 Abs. 1
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 18 - 1 Bei der Beurteilung eines Vertrages sowohl nach Form als nach Inhalt ist der übereinstimmende wirkliche Wille und nicht die unrichtige Bezeichnung oder Ausdrucksweise zu beachten, die von den Parteien aus Irrtum oder in der Absicht gebraucht wird, die wahre Beschaffenheit des Vertrages zu verbergen.
1    Bei der Beurteilung eines Vertrages sowohl nach Form als nach Inhalt ist der übereinstimmende wirkliche Wille und nicht die unrichtige Bezeichnung oder Ausdrucksweise zu beachten, die von den Parteien aus Irrtum oder in der Absicht gebraucht wird, die wahre Beschaffenheit des Vertrages zu verbergen.
2    Dem Dritten, der die Forderung im Vertrauen auf ein schriftliches Schuldbekenntnis erworben hat, kann der Schuldner die Einrede der Simulation nicht entgegensetzen.
OR bei der Beurteilung eines
Vertrages sowohl nach Form als nach Inhalt der übereinstimmende wirkliche
Wille beachtlich ist und nicht die unrichtige Bezeichnung oder Ausdrucksweise,
die von den Parteien aus Irrtum oder in der Absicht

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gebraucht wurde, die wahre Beschaffenheit des Vertrages zu verdecken. Allein
der Kläger hat den Beweis nicht zu erbringen vermocht, dass die Verwendung des
Ausdruckes «Abtretung» dem wirklichen Willen der Parteien nicht entsprochen
hätte. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Parteien sich nicht
entsprechend dem von ihnen gewählten Wortlaut der gebräuchlichen
Inkassozession als Treuhandgeschäft hätten bedienen wollen.
Wenn aber die überschiessende Rechtsmacht des mit dem Inkasso Beauftragten
(darin liegend, dass er nicht nur zum Beauftragten, sondern vielmehr zum -
fiduziarischen - Rechtsträger gemacht wurde) von den Parteien gewollt war, so
kann von einem Scheingeschäft keine Rede sein. Angesichts der Tatsache, dass
das Bestätigungsschreiben vom 5. Februar 1942 für die «Merkur» vom heutigen
Beklagten als Verwaltungsratspräsidenten unterzeichnet war, sind die
Ausführungen des Klägers, wonach die «Merkur» selbst von der Sache nichts
gewusst habe und insbesondere die Organe jenes Bestätigungsschreiben nicht zu
Gesicht bekommen hätten, unhaltbar.
Liegt aber nicht bloss eine Inkassovollmacht, sondern eine Inkassozession vor,
so ist irrelevant, ob der Kläger seinen Rechtsstandpunkt prozessual
rechtzeitig eingenommen hat, und seine diesbezügliche Aktenwidrigkeitsrüge
stösst ins Leere.
2.- Wird, wie im vorliegenden Falle, die Inkassozession nicht zur Sicherung
des Zessionars, sondern vielmehr im Interesse des Zedenten vorgenommen, so ist
das den Rechtsgrund der Abtretung bildende Grundgeschäft (der Inkassoauftrag)
widerruflich. Ist der Widerruf erfolgt, so hat der Zedent einen Anspruch auf
Rückübertragung (vgl. STAUDINGER, Komm. zum BGB, 9. Aufl., II/I, 799 f.;
OERTMANN, Recht der Schuldverhältnisse, 5. Aufl., Vorb. zu den §§ 398 ff. BGB,
Ziff. 4).
Es ist als bewiesen zu betrachten, dass der Kläger das Inkassomandat
widerrufen hat, dagegen ist fraglich, ob eine Rückübertragung in gehöriger
Form erfolgt ist.
3.- Als Verfügungsgeschäft gehört die Zession zu den

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Rechtsgeschäften, die die unmittelbare Änderung des Zustandes eines Rechtes
bewirken und zwischen den Vertragskontrahenten keinerlei Rechtsbeziehungen
hinterlassen. Deshalb kann der Zessionsvertrag nicht etwa gestützt auf Art.
115
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 115 - Eine Forderung kann durch Übereinkunft ganz oder zum Teil auch dann formlos aufgehoben werden, wenn zur Eingehung der Verbindlichkeit eine Form erforderlich oder von den Vertragschliessenden gewählt war.
OR formlos aufgehoben werden, sondern es bedarf einer eigentlichen
Rückzession. Diese muss nach Massgabe des Art. 165
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 165 - 1 Die Abtretung bedarf zu ihrer Gültigkeit der schriftlichen Form.
1    Die Abtretung bedarf zu ihrer Gültigkeit der schriftlichen Form.
2    Die Verpflichtung zum Abschluss eines Abtretungsvertrages kann formlos begründet werden.
OR in die Form der
Schriftlichkeit gekleidet sein (OSER/SCHÖNENBERGER, Komm. zum OR, 2. Aufl.,
Art. 165 N. 5; BERGMEIER, Die Sicherungszession S. 172, 178; WOLFF, Wesen und
Voraussetzungen der Zession S. 47 und 52; VON TUHR /SIEGWART, Allgemeiner Teil
des schweiz. OR, 2, 785). Demgegenüber vertritt BECKER (Komm. OR Art. 164 N
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 164 - 1 Der Gläubiger kann eine ihm zustehende Forderung ohne Einwilligung des Schuldners an einen andern abtreten, soweit nicht Gesetz, Vereinbarung oder Natur des Rechtsverhältnisses entgegenstehen.
1    Der Gläubiger kann eine ihm zustehende Forderung ohne Einwilligung des Schuldners an einen andern abtreten, soweit nicht Gesetz, Vereinbarung oder Natur des Rechtsverhältnisses entgegenstehen.
2    Dem Dritten, der die Forderung im Vertrauen auf ein schriftliches Schuldbekenntnis erworben hat, das ein Verbot der Abtretung nicht enthält, kann der Schuldner die Einrede, dass die Abtretung durch Vereinbarung ausgeschlossen worden sei, nicht entgegensetzen.
.
3) die Auffassung, dass es unbillig wäre, wenn der Drittschuldner dem
Gläubiger, der keine schriftliche Rückzession besitze, die Aktivlegitimation
bestreiten könnte. Allein dieser Hinweis ist in keiner Weise geeignet, die
rechtlichen Argumente, gestützt auf die eine Rückzession gefordert werden
muss, umzustossen. Überdies ist nicht einzusehen, weshalb in derartigen Fällen
generell von einer Unbilligkeit gesprochen werden kann. Es bedeutet keine
ungehörige Zumutung, wenn der Gläubiger, der seine Forderung, wäre es auch nur
treuhänderisch, abgetreten hat, eine Rückzession an sich erwirken muss, um den
Schuldner selbst zu belangen, unter dem selbstverständlichen Vorbebalt der
Bestimmungen über den Rechtsmissbrauch.
4.- (Ausführungen darüber, dass eine Rückzession erfolgt ist.)
Vgl. auch Nr. 31, 32, 35. - Voir aussi nos 31, 32, 35.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 71 II 167
Datum : 01. Januar 1945
Publiziert : 11. Juni 1945
Quelle : Bundesgericht
Status : 71 II 167
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Inkassozession.Zediert der Gläubiger seine Forderung an einen mit deren Einzug beauftragten...


Gesetzesregister
OR: 18 
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 18 - 1 Bei der Beurteilung eines Vertrages sowohl nach Form als nach Inhalt ist der übereinstimmende wirkliche Wille und nicht die unrichtige Bezeichnung oder Ausdrucksweise zu beachten, die von den Parteien aus Irrtum oder in der Absicht gebraucht wird, die wahre Beschaffenheit des Vertrages zu verbergen.
1    Bei der Beurteilung eines Vertrages sowohl nach Form als nach Inhalt ist der übereinstimmende wirkliche Wille und nicht die unrichtige Bezeichnung oder Ausdrucksweise zu beachten, die von den Parteien aus Irrtum oder in der Absicht gebraucht wird, die wahre Beschaffenheit des Vertrages zu verbergen.
2    Dem Dritten, der die Forderung im Vertrauen auf ein schriftliches Schuldbekenntnis erworben hat, kann der Schuldner die Einrede der Simulation nicht entgegensetzen.
115 
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 115 - Eine Forderung kann durch Übereinkunft ganz oder zum Teil auch dann formlos aufgehoben werden, wenn zur Eingehung der Verbindlichkeit eine Form erforderlich oder von den Vertragschliessenden gewählt war.
164 
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 164 - 1 Der Gläubiger kann eine ihm zustehende Forderung ohne Einwilligung des Schuldners an einen andern abtreten, soweit nicht Gesetz, Vereinbarung oder Natur des Rechtsverhältnisses entgegenstehen.
1    Der Gläubiger kann eine ihm zustehende Forderung ohne Einwilligung des Schuldners an einen andern abtreten, soweit nicht Gesetz, Vereinbarung oder Natur des Rechtsverhältnisses entgegenstehen.
2    Dem Dritten, der die Forderung im Vertrauen auf ein schriftliches Schuldbekenntnis erworben hat, das ein Verbot der Abtretung nicht enthält, kann der Schuldner die Einrede, dass die Abtretung durch Vereinbarung ausgeschlossen worden sei, nicht entgegensetzen.
165
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 165 - 1 Die Abtretung bedarf zu ihrer Gültigkeit der schriftlichen Form.
1    Die Abtretung bedarf zu ihrer Gültigkeit der schriftlichen Form.
2    Die Verpflichtung zum Abschluss eines Abtretungsvertrages kann formlos begründet werden.
BGE Register
71-II-167
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
zedent • vorinstanz • wirklicher wille • beklagter • inkasso • richtigkeit • form und inhalt • forderungsüberweisung • abtretung einer forderung • mais • rechtsmissbrauch • irrtum • zessionar • hinterlassener • maler • schuldner • rechtsgrund • bundesgericht