S. 172 / Nr. 31 Verwaltungs- und Disziplinarrechtspflege (d)

BGE 71 I 172

31. Urteil vom 18. Mai 1945 i.S. Basel-Stadt gegen Z.

Regeste:
Wehropferamnestie.
1. Die verwaltungsrechtliche Klage beim Bundesgericht als einziger Instanz zur
Beurteilung von Anständen über die Amnestie kann auch vom Kanton erhoben
werden, dessen Steueranspruch vom Steuerpflichtigen wegen der Amnestie
bestritten wird.
2. Tragweite: Die Amnestie kann nicht angerufen werden gegenüber einer
Veranlagung für kantonale Steuern, die bei Einreichung der Wehropfererklärung
nicht beendet war. Ob durch eine solche Veranlagung die Amnestie «umgangen»
wird, kann

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das Bundesgericht nicht im verwaltungsrechtlichen Verfahren, sondern nur auf
staatsrechtliche Beschwerde hin prüfen.
Amnistie proclamée à l'occasion du sacrifice pour la défense nationale.
1. La demande de droit administratif portée en instance unique devant le
Tribunal fédéral en matière de litiges sur l'amnistie fiscale peut aussi être
formée par le canton dont la prétention fiscale est contestée par le
contribuable en raison de l'amnistie.
2. Portée de l'amnistie: L'amnistie ne peut être invoquée s'agissant d'une
procédure de taxation pour les impôts cantonaux lorsque cette procédure
n'était pas terminée au moment où la déclaration en vue du sacrifice pour la
défense nationale a été déposée.
Le Tribunal fédéral ne peut examiner dans le cadre de la demande de droit
administratif si l'amnistie a été «éludée» par la taxation cantonale. Il ne
peut se saisir de cette question que dans une procédure de recours de droit
public.
Amnistia fiscale giusta l'art. 3 DSDN.
1. L'azione di diritto amministrativo al Tribunale federale, quale autorità
d'unica giurisdizione, in materia di controversie relative all'anzidetta
amnistia può essere proposta anche dal cantone la cui pretesa fiscale sia
contestata dal contribuente a motivo dell'amnistia.
2. Portata dell'amnistia. L'amnistia non può essere invocata trattandosi di
una procedura di tassazione in materia d'imposte cantonali ancora pendente
alla data di presentazione della dichiarazione relativa al sacrificio per la
difesa nazionale.
La questione se la tassazione cantonale ha reso illusoria l'amnistia non puó
essere sollevata, nella specie, con l'aziono di diritto amministrativo, ma
solo con il ricorso di diritto pubblico.

A. ­ Der Beklagte, welcher in Basel ein Baugeschäft betreibt, besass nach der
Bilanz vom 31. Dezember 1939, die er der Steuererklärung zur kantonalen
Einkommenssteuer für das Jahr 1939 beilegte, ein Reinvermögen von Fr.
408319.60. Dagegen gab er in der Bilanz vom 31. Dezember 1940, welche er mit
der Erklärung vom 13. März 1941 für das Steuerjahr 1940 einreichte, Fr.
1063635.70 an. Dieser Betrag entsprach dem Vermögen, das er inzwischen in der
Wehropfererklärung vom 22. Oktober 1940 deklariert hatte.
Er wurde zur kantonalen Steuer für das Jahr 1940 in einer ersten Veranlagung
vom 7. Juli 1941 mit dem von ihm angegebenen Einkommen von Fr. 7900.­
eingeschätzt. Nach neuer Prüfung unterstellte aber die Steuerverwaltung mit
Verfügung vom 4. Januar 1943 der

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Einkommenssteuer auch den grössten Teil der Vermögensvermehrung, welche sich
aus der Vergleichung der Bilanzen ergab. Sie führte diesen Zuwachs insoweit
darauf zurück, dass der Pflichtige im Geschäftsjahr 1940 bisherige stille
Reserven (Wertberichtigungsposten) aufgelöst, Abschreibungen und
Rückstellungen rückgängig gemacht habe.
Der Pflichtige erhob Einsprache, worin er sich auf die Steueramnestie nach
Art. 3 des Wehropferbeschlusses vom 19. Juli /16. September 1940 (WOB) berief.
Er machte geltend, er habe bis zur Wehropfererklärung während vieler Jahre dem
Kanton in Missachtung der gesetzlichen Vorschriften Steuern vorenthalten,
indem er einen Teil seines Vermögens und den daherigen Ertrag, sowie die
Geschäftsgewinne, die zur Bildung des nicht angegebenen Vermögens geführt
hätten, verheimlicht habe. Es widerspreche dem Grundsatz von Treu und Glauben,
ihn durch die der wirklichen Sachlage nicht entsprechende Konstruktion einer
Auflösung stiller Reserven um die Amnestie zu bringen, auf die er nach der
Rückkehr zur Steuerehrlichkeit Anspruch habe.
Die Steuerverwaltung wies die Einsprache am 14. Februar 1944 im wesentlichen
ab, indem sie das steuerbare Einkommen auf Fr. 712800.­ festsetzte, so dass
sich eine Steuerforderung von Fr. 111525.­ ergab.
Diesen Entscheid zog der Pflichtige am 11. März 1944 unter Festhalten an
seiner Auffassung an die kantonale Steuerkommission weiter.
B. ­ Am 27. November 1944 erhob das Finanzdepartement des Kantons Basel-Stadt
namens des Regierungsrates beim Bundesgericht gegen den Pflichtigen
verwaltungsgerichtliche Klage nach Art. 18, lit. a VDG mit dem Antrag,
festzustellen, dass Art. 3 WOB der Nachtragsforderung der Steuerverwaltung zur
Einkommenssteuer für das Jahr 1940 im Betrage von Fr. 111022.65 nicht
entgegenstehe.
Der Regierungsrat hält sich für aktiv legitimiert zur Klage. Es handle sich um
eine Feststellungsklage, die

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unabhängig von einem kantonalen Verfahren, ohne Einhaltung einer Frist und
ohne Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges, eingereicht werden könne. Wenn
der betroffene Steuerpflichtige, der sich auf die Steuerfreiheit berufe, sich
weigere, von sich aus an das Bundesgericht zu gelangen, wie es hier der
Beklagte getan habe, so habe die beteiligte Verwaltung ein Interesse daran,
ihrerseits diesen Einwand vom Bundesgericht vor dem Durchlaufen sämtlicher
kantonaler Instanzen beurteilen zu lassen.
Sodann werden in der Klagebegründung die Grundsätze des Basler Steuerrechts
über die Besteuerung aufgelöster Reserven als Einkommen dargelegt, und es wird
ausgeführt, weshalb diese Grundsätze hier anwendbar seien.
Schliesslich wird bestritten, dass der Pflichtige mit der von ihm
beanstandeten Steuerrechnung in unzulässiger Weise nachbesteuert werde. Er
werde vielmehr für eine Steuer veranlagt, die er zur Zeit der
Wehropferamnestie noch gar nicht geschuldet habe, und auf die sich die
Amnestie daher nicht erstrecken könne. Was in der Wehropfererklärung angegeben
sei, dürfe bei Neueinschätzungen erfasst werden. Der Beklagte werde für ein im
Jahre 1940 erzieltes Einkommen von Fr. 712800.­ nicht deshalb besteuert, weil
aus der Wehropfererklärung die Angabe neuer Vermögenswerte ersichtlich wäre,
sondern weil er in diesem Jahre gewisse Wertberichtigungskonten aufgelöst und
damit die Einkommenssteuerpflicht begründet habe. Ob diese Auffassung der
Steuerverwaltung richtig sei, könne vom Bundesgericht nur im staatsrechtlichen
Beschwerdeverfahren, nach Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges, und
lediglich auf Willkür hin, überprüft werden.
C. ­ Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen und seine Berufung auf Art.
3 WOB für den Betrag von Fr. 606907.25 zuzulassen. Er bestreitet, sich
geweigert zu haben, das Bundesgericht anzurufen; er habe lediglich deshalb
zunächst Rekurs bei der Steuerkommission eingelegt, um vom kantonalen
Instanzenzug Gebrauch zu

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machen. Im übrigen erbebt er keine prozessualen Einwendungen. In der Sache
selbst hält er an seinem Standpunkt fest. Dass es sich um eine Nachsteuer
handle, gebe der Kläger selber zu, indem er von einer Nachtragsforderung
spreche. Die bundesrechtlich zugesicherte Amnestie müsse vom Bundesgericht
materiell geprüft werden können. Es könne nicht in der Hand der kantonalen
Verwaltung liegen, durch die blosse Behauptung, es seien nicht Vermögenswerte
verheimlicht, sondern Reserven aufgelöst worden, diese Prüfung
auszuschliessen. Da die Wehropfererklärung unstreitig vollständig sei, müsse
die Amnestie gewährt werden.
Das Bundesgericht heisst die Klage gut
in Erwägung:
1. ­ Nach Art. 3 WOB kann ein Steuerpflichtiger, aus dessen Wehropfererklärung
sich ergibt, dass er seiner Steuerpflicht im Kanton nicht oder ungenügend
nachgekommen ist, unter gewissen Voraussetzungen nicht mit Nach- und
Strafsteuern belegt werden. Die Bestimmung enthält insoweit eine Beschränkung
kantonaler Abgaben. Anstände (contestations, contestazioni) über solche
Beschränkungen beurteilt das Bundesgericht als einzige Instanz in dem für den
verwaltungsrechtlichen direkten Prozess vorgesehenen Verfahren (Art. 18, lit.
a und Art. 21 des hier noch anwendbaren VDG, entsprechend Art. 111 , lit. a und
Art. 115 des revidierten OG). Prozessparteien sind in diesem Falle der
Abgabepflichtige und die den streitigen Abgabeanspruch erhebende Verwaltung.
Indem das Gesetz die Beurteilung solcher Anstände ausschliesslich dem
Bundesgericht vorbehält, betrachtet es die vom Pflichtigen beanstandete
Stellungnahme der Verwaltung zur Streitfrage nicht als Entscheidung oder
Verfügung, sondern als blosse Parteierklärung (vgl. KIRCHHOFER, Die
Verwaltungsrechtspflege beim Bundesgericht, S. 11, 75). Das Bundesgericht als
einzige Instanz wird nicht durch Beschwerde gegen einen

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Entscheid, sondern durch Klage der einen Partei gegen die andere angerufen.
Der verwaltungsrechtliche direkte Prozess nach Art. 18, lit. a VDG erlaubt
eine rasche Abklärung des Anstandes. Sobald im Kanton ein Anspruch gestellt
wird, den der davon Betroffene als einen Verstoss gegen eine bundesrechtliche
Beschränkung der kantonalen Steuerhoheit ansieht, kann die Klage beim
Bundesgericht erhoben werden. Sie knüpft formell nicht an das kantonale
Verfahren an; sie kann somit ohne Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges
eingeleitet werden. An der unverzüglichen Beilegung der Streitigkeit
interessiert und damit zur Klage aktiv legitimiert ist in erster Linie der
betroffene Steuerpflichtige, zu dessen Schutz die kantonalen Abgaben durch das
Bundesrecht beschränkt werden. Seine Klage geht in der Regel auf Feststellung
der behaupteten Abgabefreiheit, es sei denn, er habe die Abgabe bereits
bezahlen müssen, in welchem Falle er auf Rückzahlung klagen wird.
Aber auch dem beteiligten Kanton muss daran gelegen sein, dass die
Amnestiefrage bald, und nicht erst nach dem Durchlaufen sämtlicher kantonaler
Instanzen, vom Bundesgericht entschieden wird. Erscheint ihm die Frage von
vornherein als zweifelhaft, so braucht er nicht zuzusehen, wenn der Pflichtige
vor der Anrufung des Bundesgerichts zunächst die kantonalen Rechtsmittel
durchführen will. Er kann seinerseits beim Bundesgericht die Klage erheben, in
diesem Falle auf Feststellung, dass die behauptete Steuerfreiheit nicht
bestehe. Die Aktivlegitimation des Kantons zur Klage ist im Gesetz freilich
nicht ausdrücklich ausgesprochen, doch entspricht sie der parteimässigen
Ausgestaltung des Verfahrens und der Natur der Klage, die in erster Linie eine
Feststellungsklage ist. Namentlich aber ist sie durch das sachliche Interesse
der kantonalen Verwaltung an der unverzüglichen Entscheidung der Amnestiefrage
gerechtfertigt, wie gerade der gegenwärtige Fall zeigt. Auf die vorliegende
Klage ist somit einzutreten.
2. ­ Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts

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besteht die Steueramnestie gemäss Art. 3 WOB darin, dass für Steuerwerte, die
in der Wehropfererklärung freiwillig neu angegeben werden, keine Nachzahlung
für bis dahin vorenthaltene Steuern gefordert und keine Strafen wegen solcher
Hinterziehung ausgesprochen werden dürfen. Die Steuerpflichtigen, die eine
richtige Wehropfererklärung abgegeben haben, sollen keine Revision der bisher
ergangenen Einschätzungen und keine Nach- und Strafforderungen für früher
ungenügende Versteuerung zu gewärtigen haben. Dagegen bezieht sich Art. 3 WOB
nicht auf Steuern, deren Veranlagung bei Einreichung der Wehropfererklärung
nicht beendet war, und noch weniger auf Veranlagungen, die erst in Zukunft
vorzunehmen waren. Die Amnestie beruht gerade auf der Voraussetzung, dass sich
der Steuerpflichtige bei solchen neuen Einschätzungen der Besteuerung der neu
angegebenen Werte zu unterziehen hat (BGE 68 I 50, 69 I 273).
Hier kann sich daher der Beklagte gegenüber der Veranlagung für die kantonale
Einkommenssteuer 1940, die im Anschluss an die ordnungsgemäss am 13. März
1941, also lange nach der Wehropfererklärung, eingereichte Steuererklärung
vorgenommen wurde, nicht auf die Amnestie berufen. Selbst wenn die zweite
Veranlagung vom 4. Januar 1943 eine Nachforderung enthielte, wäre die Amnestie
nicht anwendbar, da es sich um eine Nachforderung zu einer ebenfalls erst nach
Einreichung der Wehropfererklärung, am 7. Juli 1941, getroffenen Veranlagung
handeln würde.
Der Beklagte wendet ein, die kantonale Steuerbehörde umgehe die Amnestie,
indem sie ein Freiwerden stiller Reserven annehme, während er in Wirklichkeit
einfach gewisse bisher verheimlichte Werte neu angegeben habe. Allein die
Frage, ob die fragliche Vermögensvermehrung als Bestandteil des Einkommens des
Steuerjahres 1940 ­ auf welches sich die Amnestie nicht bezieht ­ anzusehen
ist, oder ob es sich um Werte handelt, die normalerweise schon in einem
früheren Steuerjahr hätten besteuert

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werden sollen, betrifft nicht die Wehropferamnestie, sondern die Auslegung des
kantonalen Steuerrechts (entsprechend BGE 69 I 273 für die eidgenössische
Kriesenabgabe). Damit hat sich indessen das Bundesgericht im Verfahren nach
Art. 18, lit. a VDG nicht zu befassen. Die Rüge der unrichtigen Anwendung des
kantonalen Steuergesetzes könnte nur mit der staatsrechtlichen Beschwerde
erhoben und vom Bundesgericht lediglich unter dem Gesichtspunkt der Willkür
und nach Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges beurteilt werden. Sie kann
im verwaltungsgerichtlichen Verfahren auch nicht als Vorfrage bei Anwendung
des Art. 3 WOB geprüft werden, da nach dem Ausgeführten schon dieser
bundesrechtlichen Bestimmung selbst zu entnehmen ist, dass mit der streitigen
Nachtragsforderung keine «Nachzahlung» im Sinne des Art. 3 WOB verlangt wird
(nicht veröffentlichte Entscheide i.S. Moritzi vom 3. Juli 1941, Erw. 3, und
i.S. P. Müller A.-G. vom 5. Februar 1943, Erw. 3).
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 71 I 172
Datum : 01. Januar 1945
Publiziert : 17. Mai 1945
Quelle : Bundesgericht
Status : 71 I 172
Sachgebiet : BGE - Verwaltungsrecht und internationales öffentliches Recht
Gegenstand : Wehropferamnestie.1. Die verwaltungsrechtliche Klage beim Bundesgericht als einziger Instanz zur...


Gesetzesregister
OG: 111  115
BGE Register
68-I-46 • 69-I-270 • 71-I-172
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
bundesgericht • amnestie • beklagter • wert • stille reserve • einzige instanz • richtigkeit • nachzahlung • basel-stadt • staatsrechtliche beschwerde • kantonales rechtsmittel • frage • kantonales verfahren • steueramnestie • weiler • regierungsrat • feststellungsklage • entscheid • angabe • kantons- und gemeindesteuer
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