S. 163 / Nr. 43 Strafgesetzbuch (d)

BGE 70 IV 163

43. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 29. September 1944 i.S. B.
gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau.

Regeste:
1. Art. 194
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 194 - 1 Wer eine exhibitionistische Handlung vornimmt, wird, auf Antrag, mit Geldstrafe bestraft.269
1    Wer eine exhibitionistische Handlung vornimmt, wird, auf Antrag, mit Geldstrafe bestraft.269
2    Unterzieht sich der Täter einer ärztlichen Behandlung, so kann das Strafverfahren eingestellt werden. Es wird wieder aufgenommen, wenn sich der Täter der Behandlung entzieht.
StGB. Gegenseitiges Reiben des Geschlechtsgliedes ist unzüchtig im
Sinne dieser Bestimmung.
2. Art. 41 Ziff. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 41 - 1 Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
1    Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
a  eine solche geboten erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten; oder
b  eine Geldstrafe voraussichtlich nicht vollzogen werden kann.
2    Es hat die Wahl der Freiheitsstrafe näher zu begründen.
3    Vorbehalten bleibt die Freiheitsstrafe anstelle einer nicht bezahlten Geldstrafe (Art. 36).
StGB. In der Wahl der Weisungen, welche mit dem bedingten
Strafvollzug verbunden werden, ist der Richter innerhalb der ihm durch das
Verbot der Willkür gesetzten Schranken frei.
1. Art. 194 CP. La masturbation réciproque constitue un acte contraire à la
pudeur au sens de cette disposition.
2. Art. 41 ch. 2 CP. Le juge fixe librement, sous réserve de l'arbitraire, les
règles de conduite liées à l'octroi du sursis.
1. Art. 194 CP. Lo strofinamento reciproco delle parti sessuali è un atto di
libidine ai sensi di quest'articolo.
2. Art. 41, cifra 2, CP. Il giudice fissa liberamente, sotto riserva
dell'arbitrio, le norme di condotta cui è subordinata la sospensione
condizionale della pena.

A. - Landwirt B. begann mit seinem am 11. Februar 1924 geborenen Knechte W.
vor Weihnachten 1940 ein gleichgeschlechtliches Liebesverhältnis und setzte es
fort, bis es Ende 1943 den Behörden zur Kenntnis kam. Die beiden rieben sich
etwa monatlich einmal gegenseitig das Geschlechtsglied bis zum Samenerguss,
und zweimal befriedigte sich B., indem er sich nackt auf den ebenfalls nackten
Knecht legte und sein Glied zwischen dessen Schenkel stiess.
B. - Für die seit dem Inkrafttreten des Strafgesetzbuches begangenen
Handlungen wurde B. vom Bezirksgericht Kreuzlingen am 29. März 1944 wegen
wiederholter widernatürlicher Unzucht im Sinne des Art. 194 Abs. 1 und 2 zu
vier Monaten Gefängnis verurteilt. Dem Verurteilten wurde der bedingte
Strafvollzug gewährt mit

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der Weisung, das Dienstverhältnis mit W. sofort und für die ganze Probezeit
aufzulösen.
Auf Berufung des Verurteilten hin erkannte das Obergericht des Kantons Thurgau
am 22. Juni 1944 in gleichem Sinne.
C. - B. ficht das Urteil des Obergerichtes mit der Nichtigkeitsbeschwerde an.
Er beantragt, die Vorinstanz sei anzuweisen, ihn lediglich wegen wiederholter
widernatürlicher Unzucht im Sinne von Art. 194 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 194 - 1 Wer eine exhibitionistische Handlung vornimmt, wird, auf Antrag, mit Geldstrafe bestraft.269
1    Wer eine exhibitionistische Handlung vornimmt, wird, auf Antrag, mit Geldstrafe bestraft.269
2    Unterzieht sich der Täter einer ärztlichen Behandlung, so kann das Strafverfahren eingestellt werden. Es wird wieder aufgenommen, wenn sich der Täter der Behandlung entzieht.
StGB zu einer unter vier
Monaten liegenden Gefängnisstrafe zu verurteilen und die mit dem bedingten
Strafvollzug verbundene Weisung aufzuheben.
Der Beschwerdeführer bezweifelt, dass die «gegenseitigen onanistischen Akte»
widernatürliche Unzucht im Sinne des Art. 194
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 194 - 1 Wer eine exhibitionistische Handlung vornimmt, wird, auf Antrag, mit Geldstrafe bestraft.269
1    Wer eine exhibitionistische Handlung vornimmt, wird, auf Antrag, mit Geldstrafe bestraft.269
2    Unterzieht sich der Täter einer ärztlichen Behandlung, so kann das Strafverfahren eingestellt werden. Es wird wieder aufgenommen, wenn sich der Täter der Behandlung entzieht.
StGB seien. Er meint, es gehöre
hiezu ein mehreres, nämlich die Einführung des Gliedes in irgendeine
natürliche oder künstlich gebildete Körperöffnung des Partners. Wenn man den
Begriff der widernatürlichen Unzucht weiter fasse, als er unter dem früheren
Recht in verschiedenen Kantonen und besonders auch in der deutschen
Strafrechtswissenschaft verstanden wurde, so widerspreche dies der
Grundtendenz des neuen Rechts, das die widernatürliche Unzucht weniger als
Verbrechen oder Vergehen denn als krankhafte Erscheinung betrachte. Die mit
dem bedingten Strafvollzug verbundene Weisung ficht der Beschwerdeführer mit
der Begründung an, dass W. inzwischen mündig geworden sei und daher eine
strafbare widernatürliche Unzucht im Sinne des Art. 194 Abs. 1 mit ihm ohnehin
nicht mehr möglich sei.
D. - Die Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau beantragt die Abweisung der
Beschwerde.
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.- Das Strafgesetzbuch erfasst die widernatürliche Unzucht unter anderen
Gesichtspunkten als gewisse kantonale Rechte es getan haben. Es bekämpft sie
nicht schlechthin, sondern nur in bestimmten Fällen, in welchen

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ihre Auswirkungen diese Bekämpfung nötig machen. Abgesehen vom Falle
gewerbsmässiger Begehung ist die widernatürliche Unzucht nur strafbar, wenn
sie in Verführung einer unmündigen Person oder durch Missbrauch der Notlage
oder der Abhängigkeit des Opfers verübt wird. Abs. 1 und 2 des Art. 194
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 194 - 1 Wer eine exhibitionistische Handlung vornimmt, wird, auf Antrag, mit Geldstrafe bestraft.269
1    Wer eine exhibitionistische Handlung vornimmt, wird, auf Antrag, mit Geldstrafe bestraft.269
2    Unterzieht sich der Täter einer ärztlichen Behandlung, so kann das Strafverfahren eingestellt werden. Es wird wieder aufgenommen, wenn sich der Täter der Behandlung entzieht.
StGB
dienen dem Schutz der Unmündigen, der in Not befindlichen Personen und der
Abhängigen. Bei der Abgrenzung des Begriffs der unzüchtigen Handlung ist daher
nicht abzuwägen, wie weit Erwachsene gleichen Geschlechts sich einander in
lüsterner Absicht nähern dürfen, ohne sich nach hergebrachter Auffassung
strafbar zu machen, sondern von wo an im Interesse der Unmündigen, der in Not
befindlichen Personen und der Abhängigen die Bekämpfung solcher Annäherung als
geboten erscheint. Das Gesetz spricht in Art. 194 wie in anderen Bestimmungen
über die Sittlichkeitsdelikte von «unzüchtigen», nicht etwa von
«beischlafsähnlichen» Handlungen, obschon ihm dieser Begriff in Art. 191 Ziff.
1 geläufig ist. Unzüchtig aber ist grundsätzlich jede Handlung, die gegen den
geschlechtlichen Anstand verstösst und aus Sinnenlut begangen wird. Ob und
inwieweit in Bezug auf die Handlungen zwischen Personen des gleichen
Geschlechtes der Begriff allenfalls eingeschränkt werden muss, kann für heute
dahingestellt bleiben, denn selbst bei einschränkender Auslegung muss das auf
Befriedigung des Geschlechtstriebes gerichtete gegenseitige Reiben des Gliedes
als unzüchtig im Sinne der erwähnten Bestimmung betrachtet werden.
.........................................................
4.- Der Richter, der den bedingten Strafvollzug gewährt, kann dem Verurteilten
für sein Verhalten während der Probezeit bestimmte Weisungen erteilen (Art. 41
Ziff. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 41 - 1 Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
1    Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
a  eine solche geboten erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten; oder
b  eine Geldstrafe voraussichtlich nicht vollzogen werden kann.
2    Es hat die Wahl der Freiheitsstrafe näher zu begründen.
3    Vorbehalten bleibt die Freiheitsstrafe anstelle einer nicht bezahlten Geldstrafe (Art. 36).
StGB). In der Wahl derselben ist er innerhalb der ihm durch das Verbot
der Willkür gesetzten Schranken frei, denn das Gesetz zählt solche Weisungen
nur beispielsweise auf. Im vorliegenden Falle haben die

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kantonalen Instanzen das zulässige Ermessen nicht überschritten. Durch die
Weisung, das Dienstverhältnis mit W. aufzulösen, soll dem Beschwerdeführer die
Gelegenheit zu widernatürlicher Unzucht mit diesem genommen oder ihm solche
Unzucht doch erschwert werden. Damit werden die Voraussetzungen zur sittlichen
Wiedergesundung des Verführten verbessert. Zudem wird der Gefahr, dass der
Beschwerdeführer das Abhängigkeitsverhältnis zur Befriedigung seines Triebes
missbrauche, vorgebeugt. Ganz abgesehen davon ist widernatürliche Unzucht
sittlich verwerflich, auch wenn sie nicht strafbar ist. Das genügt, um die
Weisung zu rechtfertigen. Dem Verurteilten, dem der bedingte Strafvollzug
gewährt wird, darf zugemutet werden, sich dieser Rechtswohltat auch durch
sittliches Wohlverhalten würdig zu erweisen, dies namentlich auf Gebieten, wo
die Gebote der Sittlichkeit und des Strafrechts sich weitgehend decken und wo
daher Verfehlungen gegen die sittliche Ordnung gleichzeitig die
rechtsbrecherische Neigung fördern.
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 70 IV 163
Datum : 01. Januar 1943
Publiziert : 28. September 1944
Quelle : Bundesgericht
Status : 70 IV 163
Sachgebiet : BGE - Strafrecht und Strafvollzug
Gegenstand : 1. Art. 194 StGB. Gegenseitiges Reiben des Geschlechtsgliedes ist unzüchtig im Sinne dieser...


Gesetzesregister
StGB: 41 
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 41 - 1 Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
1    Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
a  eine solche geboten erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten; oder
b  eine Geldstrafe voraussichtlich nicht vollzogen werden kann.
2    Es hat die Wahl der Freiheitsstrafe näher zu begründen.
3    Vorbehalten bleibt die Freiheitsstrafe anstelle einer nicht bezahlten Geldstrafe (Art. 36).
194
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 194 - 1 Wer eine exhibitionistische Handlung vornimmt, wird, auf Antrag, mit Geldstrafe bestraft.269
1    Wer eine exhibitionistische Handlung vornimmt, wird, auf Antrag, mit Geldstrafe bestraft.269
2    Unterzieht sich der Täter einer ärztlichen Behandlung, so kann das Strafverfahren eingestellt werden. Es wird wieder aufgenommen, wenn sich der Täter der Behandlung entzieht.
BGE Register
70-IV-163
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
weisung • bedingter strafvollzug • verurteilter • strafgesetzbuch • geschlecht • thurgau • kassationshof • monat • not • probezeit • innerhalb • kenntnis • sexuelle handlung • autonomie • begründung des entscheids • kantonales recht • opfer • verurteilung • verhalten • norm
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