S. 126 / Nr. 34 Strafgesetzbuch (d)

BGE 70 IV 126

34. Urteil des Kassationshofes vom 14. Juli 1944 i.S. Generalprokurator des
Kantons Bern gegen Arn.

Regeste:
Art. 133
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 133 - 1 Wer sich an einem Raufhandel beteiligt, der den Tod oder die Körperverletzung eines Menschen zur Folge hat, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
1    Wer sich an einem Raufhandel beteiligt, der den Tod oder die Körperverletzung eines Menschen zur Folge hat, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2    Nicht strafbar ist, wer ausschliesslich abwehrt oder die Streitenden scheidet.
StGB. Raufhandel liegt nicht vor, wenn die eine Partei passiv bleibt
oder bloss abwehrt.
Art. 133 CP. On n'est pas en présence d'une rixe lorsqu'un des partis demeure
passif ou se borne à repousser l'attaque.
Art. 133 CP. Non si è in presenza d'una rissa, se l'una delle parti resta
passiva o si limita a respingere l'attacco.

A. - Fritz Grunder kehrte in der Nacht vom 26. Januar 1943 in Begleitung Max
Sommerhalders von Grossaffoltern nach Vorimholz zurück. Unterwegs wurde er von
Otto Arn, der auf der Strasse im Schutze einer Hecke auf ihn gewartet hatte,
gestellt und mit Faustschlägen ins Gesicht und auf den Hinterkopf bearbeitet.
Als Grunder fliehen wollte, trat hinter der Hecke Alfred Arn hervor und schlug
ebenfalls auf ihn ein. Auf die Hilferufe von Grunder machten sich die beiden
davon. Grunder wurde im Gesicht leicht verletzt.
B. - Am 2. Februar 1944 erklärte das Obergericht des Kantons Bern Otto Arn und
Alfred Arn der einfachen Körperverletzung (Art. 123
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 123 - 1. Wer vorsätzlich einen Menschen in anderer Weise an Körper oder Gesundheit schädigt, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
1    Wer vorsätzlich einen Menschen in anderer Weise an Körper oder Gesundheit schädigt, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2    Der Täter wird von Amtes wegen verfolgt,176
StGB) schuldig und
verurteilte

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jeden zu einer bedingt vollziehbaren Gefängnisstrafe von zehn Tagen, verbunden
mit der Weisung, dem Privatkläger Grunder binnen sechs Monaten je zwanzig
Franken Genugtuung zu bezahlen und solidarisch die Parteikosten zu ersetzen.
Der Generalprokurator hatte beantragt, beide Angeklagten seien wegen einfacher
Körperverletzung in Idealkonkurrenz mit Beteiligung an einem Raufhandel (Art.
133
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 133 - 1 Wer sich an einem Raufhandel beteiligt, der den Tod oder die Körperverletzung eines Menschen zur Folge hat, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
1    Wer sich an einem Raufhandel beteiligt, der den Tod oder die Körperverletzung eines Menschen zur Folge hat, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2    Nicht strafbar ist, wer ausschliesslich abwehrt oder die Streitenden scheidet.
StGB) zu bestrafen. Das Obergericht lehnte die Anwendung von Art. 133 ab
mit der Begründung, Raufhandel setze die beidseitige Absicht voraus, am Streit
aktiv teilzunehmen. Grunder habe diese Absicht nicht gehabt.
C. - Der Generalprokurator des Kantons Bern hat Nichtigkeitsbeschwerde erhoben
mit dem Antrag, das Urteil sei aufzuheben und die Sache zur Anwendung von Art.
133 in Idealkonkurrenz mit Art. 123 an die Vorinstanz zurückzuweisen.
D. - Die Beschwerdegegner beantragen die Abweisung der Nichtigkeitsbeschwerde.
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.- Grunder hat sich beim Überfall durch die Brüder Arn passiv verhalten und
ist gegen sie in keiner Weise tätlich geworden. Art. 133
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 133 - 1 Wer sich an einem Raufhandel beteiligt, der den Tod oder die Körperverletzung eines Menschen zur Folge hat, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
1    Wer sich an einem Raufhandel beteiligt, der den Tod oder die Körperverletzung eines Menschen zur Folge hat, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2    Nicht strafbar ist, wer ausschliesslich abwehrt oder die Streitenden scheidet.
StGB, der mit Strafe
bedroht, wer sich an einem Raufhandel beteiligt, trifft daher nicht zu.
Raufhandel ist tätlicher Streit zwischen mehreren Personen. Dass bei jeder
Streitpartei eine Mehrheit von Personen vorhanden sei, ist nicht erforderlich;
es kann auch einer allein gegen zwei oder mehrere stehen. Aber jede Seite muss
aktiv am Streite beteiligt sein. Wo eine Partei von der anderen angegriffen
wird, ohne irgendwie tätlich auf den Angriff zu reagieren, sei es, weil sie
nicht den Willen oder weil sie nicht die Möglichkeit dazu hat, kann nicht von
einem Raufhandel gesprochen werden. In einem solchen Falle liegt Tätlichkeit
(Art. 126) oder, je nach dem Ausgange, ein Körperverletzungs- (Art. 122 ff.)

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oder Tötungsdelikt (Art. 111 ff.) vor. Zum Raufen gehört begriffsnotwendig,
dass Stösse, Schläge u. s. f. hin- und zurückgegeben werden. Man kann nicht
mit einem raufen, der sich nicht darauf einlässt, sondern passiv bleibt oder
den Angriff bloss abwehrt. So wird das Wort raufen im täglichen Leben
verstanden, und es ist nicht ersichtlich, dass damit in Art. 133
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 133 - 1 Wer sich an einem Raufhandel beteiligt, der den Tod oder die Körperverletzung eines Menschen zur Folge hat, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
1    Wer sich an einem Raufhandel beteiligt, der den Tod oder die Körperverletzung eines Menschen zur Folge hat, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2    Nicht strafbar ist, wer ausschliesslich abwehrt oder die Streitenden scheidet.
StGB etwas
anderes gemeint wäre.
Der Beschwerdeführer beruft sich auf den Wortlaut dieser Bestimmung, wonach
straflos bleibe, wer bloss abwehre oder die Streitenden scheide. Das wäre nach
seiner Auffassung unverständlich, wenn der Vorsatz, aktiv mitzumachen, zum
Begriff des Raufhandels gehörte; denn wer bloss abwehre oder die Streitenden
scheide, wäre dann gar nicht am Raufhandel «beteiligt». Hierin liegt eine
petitio principii. Allerdings ist nach dem Wortlaut von Art. 133 am Raufhandel
an sich auch beteiligt, wer bloss abwehrt oder scheidet. Aber die Beteiligung
am Raufhandel setzt voraus, dass ein solcher überhaupt vorliegt, und das ist
nach dem Gesagten eben dann nicht der:Fall, wenn der Angegriffene oder die
Angegriffenen passiv bleiben oder bloss abwehren. Der Nachsatz «sofern er
nicht bloss abwehrt oder die Streitenden scheidet» bezieht sich auf Fälle, wo
auf jeder Seite mindestens einer aktiv an den Tätlichkeiten teilnimmt, während
andere bloss abwehren oder die Streitenden zu trennen suchen.
Richtig ist hingegen, dass die ratio, welche zur Aufstellung von Art. 133
geführt hat, nämlich die Schwierigkeit, bei Verletzung oder Tötung eines
Beteiligten den Urheber festzustellen, auch dann zutreffen kann, wenn zwar die
angegriffene Seite sich passiv verhalten hat, auf der Seite der Angreifer aber
mehrere Personen beteiligt sind. Die ratio ist jedoch für die Auslegung einer
Strafbestimmung nicht allein massgebend. Sie erlaubt nicht, Fälle darunter zu
subsumieren, die nach dem allgemein anerkannten Wortsinn nicht darunter
fallen.

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Wo zwei oder mehrere Personen einen Dritten oder Dritte in einer Weise
angreifen, dass die angegriffene Partei nicht zum Dreinschlagen kommt, wird
man es übrigens regelmässig mit einem verabredeten Überfall zu tun haben, bei
dem die einzelnen Angreifer als Mittäter beteiligt sind. Dann werden sie trotz
alleiniger Anwendbarkeit der Bestimmungen über Körperverletzung oder Tötung
zum mindesten nicht milder bestraft werden, als wenn Raufhandel vorläge und
infolgedessen Art. 133 allenfalls mitanwendbar wäre. Das zeigt auch der
vorliegende:Fall.
Ebensowenig spricht für die Auffassung des Beschwerdeführers, dass Raufhandel
von Amtes wegen, einfache Körperverletzung (Art. 123
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 123 - 1. Wer vorsätzlich einen Menschen in anderer Weise an Körper oder Gesundheit schädigt, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
1    Wer vorsätzlich einen Menschen in anderer Weise an Körper oder Gesundheit schädigt, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2    Der Täter wird von Amtes wegen verfolgt,176
StGB) nur auf Antrag
verfolgbar ist. Gerade dann, wenn der Verletzte selber nicht tätlich geworden
ist und deshalb von der Eröffnung eines Strafverfahrens über den Vorfall
nichts zu befürchten hat, wird er den Strafantrag stellen, während dort, wo
alle am Kampf aktiv beteiligt waren, ein Antrag normalerweise weniger zu
erwarten ist und sich daher angesichts der Gefährlichkeit solcher Schlägereien
die Verfolgung von Amtes wegen rechtfertigt.
2.- Hat somit die Vorinstanz den Tatbestand des Raufhandels mit Recht
verneint, so kann dahingestellt bleiben, ob und wie weit andernfalls Art. 133
neben Art. 129 in Idealkonkurrenz anwendbar wäre.
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 70 IV 126
Date : 01. Januar 1943
Published : 13. Juli 1944
Source : Bundesgericht
Status : 70 IV 126
Subject area : BGE - Strafrecht und Strafvollzug
Subject : Art. 133 StGB. Raufhandel liegt nicht vor, wenn die eine Partei passiv bleibt oder bloss...


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