S. 57 / Nr. 9 Urheberrecht (d)

BGE 70 II 57

9. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 1. Februar 1944 i.S.
Blattner gegen Walser.

Regeste:
Urheberrecht. Ein Handharmonika-Notenschriftsystem ist kein Werk im Sinne von
Art. 1
SR 231.1 Bundesgesetz vom 9. Oktober 1992 über das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz, URG) - Urheberrechtsgesetz
URG Art. 1 - 1 Dieses Gesetz regelt:
1    Dieses Gesetz regelt:
a  den Schutz der Urheber und Urheberinnen von Werken der Literatur und Kunst;
b  den Schutz der ausübenden Künstler und Künstlerinnen, der Hersteller und Herstellerinnen von Ton- und Tonbildträgern sowie der Sendeunternehmen;
c  die Bundesaufsicht über die Verwertungsgesellschaften.
2    Völkerrechtliche Verträge bleiben vorbehalten.
URG und daher urheberrechtlich nicht geschützt.
Droit d'auteur. Un système de notation musicale pour accordéon n'est pas une
«oeuvre» selon l'art. 1er LDA; il ne jouit donc pas de la protection de cette
loi.

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Diritto d'autore. Un sistema di notazione musicale per fisarmonica non è un'
«opera» ai sensi dell'art. 1 LDA; non gode quindi della protezione di questa
legge.

A.­Hans Blattner liess im Jahre 1917 ein von ihm erdachtes Notenschriftsystem
für diatonische Handharmonika patentieren. Er nannte es «Habla» (Hans
Blattner) und verfasste nach diesem System eine Handharmonika-Schule, die in
seinem Musikalienverlag in Basel erschien und zahlreiche Auflagen erlebte.
Blattner gab ferner während Jahren viele Musikstücke für Handharmonika in
«Habla»-Schrift heraus. Im Jahre 1922 liess er das Patent erlöschen, da er
glaubte, Notenschriften seien urheberrechtlich geschützt.
Die Bezeichnung «Habla» wurde von Blattner als Marke für Notenblätter,
Musikinstrumente und dergleichen hinterlegt.
Hans Walser eröffnete im Jahre 1930 in Biel einen Musikalienverlag. Bis vor
kurzem gab er alle Musikalien für Handharmonika in «Habla»-Schrift heraus,
jedoch ohne darauf die Bezeichnung «Habla» zu verwenden.
Walser hatte sich zunächst von Blattner gegen Lizenzgebühren die Erlaubnis
geben lassen, Musikalien in «Habla»-Schrift zu verlegen. Noch im Jahre 1930
verweigerte er aber die Bezahlung der Gebühren mit der Begründung, das
«Habla»-System sei frei. Blattner erhob hierauf im Jahre 1933 gegen Walser
Strafklage wegen Verletzung seines Urheberrechts. Der Untersuchungsrichter
holte ein Gutachten ein von Dr. Mentha, damals Vizedirektor des
internationalen Bureau zum Schutz des gewerblichen, literarischen und
künstlerischen Eigentums. Der Sachverständige kam zum Schluss, die Benützung
des «Habla»-Systems durch Walser stelle keine Verletzung von Urheberrecht dar.
Darauf zog Blattner die Strafklage zurück.
B. ­ Im Jahre 1941 reichte Blattner gegen Walser zwei Zivilklagen ein, die
erste gestützt auf Art. 48
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 48
OR,

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die zweite gestützt auf das Urheberrechts-Gesetz (URG). Die beiden Prozesse
wurden in der Folge vereinigt.
Der Kläger stellte das Begehren,
1. Es sei dem Beklagten zu untersagen, die Habla-Noten und -Schule für
Handharmonikaspiel und die im Verlage des Klägers erschienenen Musikstücke in
Hablanoten nachzuahmen, wiederzugeben und für sich auszuwerten.
2. Der Beklagte sei zu verurteilen, die vorhandenen Nachahmungen aus dem
Handel zu ziehen und zu vernichten.
3. ... (Schadenersatz).
4. ... (Veröffentlichung des Urteils).
Mit Urteil vom 21. Mai 1943 wies das Handelsgericht des Kantons Bern die
Klagen ab.
C.­ Hiegegen hat der Kläger Berufung eingereicht....
Aus den Erwägungen des Bundesgerichts:
2.­ Der Kläger behauptet, das «Habla»-System als solches sei urheberrechtlich
geschützt. Gegenstand des Urheberrechts sind indessen nur Werke (Art. 1
SR 231.1 Bundesgesetz vom 9. Oktober 1992 über das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz, URG) - Urheberrechtsgesetz
URG Art. 1 - 1 Dieses Gesetz regelt:
1    Dieses Gesetz regelt:
a  den Schutz der Urheber und Urheberinnen von Werken der Literatur und Kunst;
b  den Schutz der ausübenden Künstler und Künstlerinnen, der Hersteller und Herstellerinnen von Ton- und Tonbildträgern sowie der Sendeunternehmen;
c  die Bundesaufsicht über die Verwertungsgesellschaften.
2    Völkerrechtliche Verträge bleiben vorbehalten.
URG).
Unter «Werk» versteht das Gesetz die auf individueller geistiger Tätigkeit
beruhende Verkörperung eines Gedankens (BGE 64 II 112 und 164, sowie dort
angeführte Entscheide). Zum Wesen des Werkes gehört somit ein Gedanke und
sodann die Darstellung dieses Gedankens in bestimmter Form, seine
Verkörperung, die mit Hilfe eines Ausdrucksmittels, wie Sprache, Ton, Bild
oder Mimik erreicht wird. Erst die Vereinigung eines materiellen und formellen
Elementes macht also das Werk aus und demgemäss ist nur diese Verbindung, also
der konkrete Ausdruck eines Gedankens, urheberrechtlich geschützt, nicht
dagegen der Gedanke oder die Formgebung an sich oder gar das für die
Formgebung benutzte Ausdrucksmittel. Insbesondere ist der in einem Werk

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geäusserte Gedanke urheberrechtlich frei (BGE 19, 947, 21, 1130). Eine andere
Regelung würde das Geistesleben unerträglich hemmen. Das Gesetz verbietet
daher nur die Wiedergabe eines Werkes, nicht aber die Benutzung der in einem
Werk enthaltenen Gedanken. Noch weniger schafft es ein Vorrecht zu Gunsten
dessen, der einen Gedanken erstmals in einem Werk geäussert hat, mag der
Gedanke auch originell sein und für sich allein schon auf einer erheblichen
geistigen Leistung dessen beruhen, der ihn erstmals gefasst hat.
Für sich genommen ist das «Habla»-System nur ein Gedanke, kein Werk. Es
besteht in der Idee, Musikstücke in einer bestimmten, für ihre Wiedergabe mit
der Handharmonika geeigneten Art aufzuzeichnen. Die Idee bezieht sich somit
gerade darauf, wie Werke im urheberrechtlichen Sinne, nämlich Musikwerke, mit
Hilfe bestimmter Ausdrucksmittel dargestellt werden können. Daher kann das
«Habla»-System auf zwei Arten für ein Werk benützt werden. Es kann angewendet
werden durch die Darstellung von Musikstücken in «Habla»-Schrift und es kann
mitgeteilt werden, indem es etwa in einer Handharmonika-Schule mit Worten und
Zeichen dargestellt wird und so selbst den gedanklichen Inhalt eines Werkes
bildet. In keinem dieser Fälle bezieht sich aber der urheberrechtliche Schutz
des Werkes auf das «Habla»-System, sondern im ersten Fall auf das einzelne
Musikwerk, nicht auf die bei seiner Formgebung angewandte «Habla»-Methode, im
zweiten Fall auf die Schule, also auf eine der denkbaren Darstellungen des
Systems, nicht auf das System schlechthin als den gedanklichen Inhalt des
Werkes. Als urheberrechtlich freier Gedanke kann das System auf immer neue
Musikwerke angewendet und in immer neuer Darstellung mitgeteilt werden, und
jede neue Darstellung geniesst, sofern sie eigentümlich ist, für sich wieder
als Werk den Schutz des Urheberrechts.
Demgegenüber legt der Kläger das Hauptgewicht darauf, dass der Beklagte das
von ihm erdachte System

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gewerblich ausnützte und durch die fortwährende Herausgabe von Musikalien in
«Habla»-Schrift seinen gesamten Verlag auf dem «Habla»-System aufbaute. Auf
Grund des Urheberrechtes hält sich der Kläger für allein berechtigt, seine
Idee wirtschaftlich auszuwerten. Seine Überlegungen sind indessen dem
Erfindungsrecht entnommen und treffen auf das Urheberrecht nicht zu. Dieses
will nicht etwa, analog dem Patentrecht, die wirtschaftliche Ausnützung
nichttechnischer Ideen dem «Erfinder» vorbehalten. Es sichert dem Urheber
eines Werkes nur den Vermögenswert, den das Werk selbst darstellt (BGE 64 II
167
), nicht aber den Vermögenswert, den die in einem Werk geäusserten Ideen
deswegen haben können, weil ihre Anwendung etwas einträgt. Das vom Kläger
verlangte Verbot der Herausgabe von Musikalien in «Habla»-Schrift durch den
Beklagten stellt denn auch eine dem Urheberrecht völlig fremde Massnahme dar.
Es würde nämlich darauf hinauslaufen, dass der Kläger gewisse zur Aufzeichnung
von Musikwerken verwendbare Zeichen, wie Kreise, Ovale und Striche, in der von
ihm erdachten Anordnung und Bedeutung allein benützen dürfte. Dem Kläger wäre
somit für eine unbeschränkte Zahl von Musikwerken der ausschliessliche
Gebrauch dieser Ausdrucksmittel in einem bestimmten Sinn einzuräumen. Eine
solche Massnahme hat mit dem vom Urheberrecht allein bezweckten Schutz des
einzelnen, konkreten Werkes nichts zu tun. Wie jede Idee, so ist eben auch die
Idee, ein Ausdrucksmittel in bestimmter Weise anzuwenden, urheberrechtlich
frei. Eine Notenschrift wie die vom Kläger erdachte kann daher so wenig
Gegenstand des Urheberrechts sein als etwa ein neuer Stil, eine Versform oder
ein Stenographie-System. Da auch ein origineller Gedanke als solcher nicht
geschützt ist, kommt es entgegen der Auffassung des Klägers auch darauf nicht
an, dass sich das «Habla»-System wesentlich von der allgemein gebräuchlichen
Notenschrift unterscheidet. Unerheblich ist ferner, dass das «Habla»-System im
Gegensatz zur

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gewöhnlichen Notenschrift nicht die Töne, sondern die auf der Handharmonika zu
spielenden Griffe bezeichnet, somit erklärt, wie das Instrument zu spielen ist
und daher auch Lernzwecken dient. Denn auch eine Lernmethode ­ wie etwa der
Gebrauch der phonetischen Schrift im Unterricht von Fremdsprachen ­ geniesst
als solche keinen urheberrechtlichen Schutz. Indem übrigens das «Habla»-System
Griffe bezeichnet, weist es mittelbar auch auf die mit diesen Griffen
gespielten Töne hin und dient somit, allerdings mit Beschränkung auf die
Handharmonika, dem gleichen Zweck wie jede andere Notenschrift (vgl. zur
gesamten Frage auch das unveröffentlichte Urteil des Kassationshofes des
Bundesgerichts vom 19. Februar 1938 i. S. Bodmer gegen Bordonzotti, das hievor
erwähnte Gutachten Mentha vom 1. Mai 1933, HOFFMANN, Berner Übereinkunft, 1935
S. 54, ferner die übereinstimmende deutsche, französische und italienische
Literatur, wie KOHLER, Urheberrecht an Schriftwerken und Verlagsrecht, 1907 S.
146; RIEZLER, Deutsches Urheber-und Erfinderrecht, 1909, S. 214; ALLFELD,
Kommentar zum Urheberrecht, 2. Auflage 1928, S. 26 ff., 30 f., 39 f. und 162;
MARWITZ-MÖHRING, Kommentar zum Urheberrecht, 1929 S. 11 f.; POUILLET, Traité
de la propriété littéraire et artistique, 2. Auflage 1894, S. 42, 53 und 496;
STOLFI, Diritto di Autore, 3. Auflage 1932, S. 194; PIOLA CASELLI, Diritto di
Autore, 1943, S. 207 und 620).
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 70 II 57
Datum : 01. Januar 1943
Publiziert : 01. Februar 1944
Quelle : Bundesgericht
Status : 70 II 57
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Urheberrecht. Ein Handharmonika-Notenschriftsystem ist kein Werk im Sinne von Art. 1 URG und daher...


Gesetzesregister
OR: 48
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 48
URG: 1
SR 231.1 Bundesgesetz vom 9. Oktober 1992 über das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz, URG) - Urheberrechtsgesetz
URG Art. 1 - 1 Dieses Gesetz regelt:
1    Dieses Gesetz regelt:
a  den Schutz der Urheber und Urheberinnen von Werken der Literatur und Kunst;
b  den Schutz der ausübenden Künstler und Künstlerinnen, der Hersteller und Herstellerinnen von Ton- und Tonbildträgern sowie der Sendeunternehmen;
c  die Bundesaufsicht über die Verwertungsgesellschaften.
2    Völkerrechtliche Verträge bleiben vorbehalten.
BGE Register
64-II-109 • 64-II-162 • 70-II-57
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
beklagter • benutzung • urheber • bundesgericht • veröffentlichung • kopie • entscheid • handel und gewerbe • begründung des entscheids • form und inhalt • erfindungspatent • sprache • wiese • biel • verurteilung • stelle • zahl • weiler • untersuchungsrichter • vernichtung
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