S. 305 / Nr. 61 Gerichtsstand (d)

BGE 70 I 305

61. Urteil vom 20. November 1944 i. S. Stadt Zürich gegen Zürichbergbahn A.-G.
und Obergericht des Kantons Zürich.


Seite: 305
Regeste:
Verwaltunsgerichtsbarkeit: Streitigkeiten über die Anwendung von Art. 15, Abs.
1, und Art. 16 Eisenbahngesetz fallen nicht in den Geschäftskreis des
Bundesgerichts als Verwaltungsgericht. (Art. 18, lit. o VDG in Verbindung mit
Art. 50 , Ziff. 2 alt OG).
Juridiction administrative: Les litiges sur l'application des art. 16 al. 1er
et 18 LF du 23 décembre 1872 sur l'établissement et l'exploitation des chemins
de fer ne ressortissent pas à la juridiction administrative du Tribunal
fédéral (art. 18 lettre o JAD et 60 ch 2 OJ anc.).
Giurisdizione amministrativa: Le controversie attinenti all'applicazione degli
art. 16 op. 1 e 16 LF 23 dicembre 1872 sulla costruzione e l'esercizio delle
strade ferrate non cadono nella giurisdizione amministrativa del Tribunale
federale (art. 18 lett. o GAD in relazione con l'art. 50 cifra 2 OGF abr.).

A. - Die im Jahre 1887/88 erstellte erste Teilstrecke der Zürichbergbahn in
Zürich überbrückt öffentliche Gemeindestrassen, den Seilergraben und den an
diesen angrenzenden, aber einige Meter höher liegenden Hirschengraben. Ein
Pfeiler der Bahnbrücke kam auf die Stützmauer zwischen Seilergraben und
Hirschengraben zu stehen. Im Expropriationsverfahren für den Bahnbau hatte die
Stadt Zürich in Bezug auf die Überführung ihrer Strassen u. a. verlangt, «dass
die Konzessionäre für sich und ihre Rechtsnachfolger sich verpflichten, bei
künftigen Änderungen in der Anlage und der Gestaltung der von der Bahnlinie
berührten Strassenzüge den Anschluss der Bahn

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an die neuen Verhältnisse in eigenen Kosten auszuführen, eventuell wegen der
Belastung des öffentlichen Grundes speziell aus diesem Gesichtspunkte
Entschädigung zu leisten». Die eidgenössische Schätzungskommission hat
erklärt, auf dieses Begehren und die damit verbundene eventuelle
Entschädigungsforderung sei «im gegenwärtigen Expropriationsverfahren» nicht
einzutreten, da «dergleichen Verhältnisse erst in Zukunft und vielleicht gar
nie in Frage» kämen. Im Beschwerdeverfahren vor Bundesgericht wandte sich die
Stadt Zürich dagegen, dass nicht wenigstens ein Vorbehalt aufgenommen worden
sei, durch den die Bahnunternehmung verpflichtet würde, bei künftiger Änderung
der von der Bahnlinie berührten Strassenzüge den Anschluss der Bahn an die
neuen Verhältnisse in eigenen Kosten durchzuführen. Die bundesgerichtliche
Instruktionskommission führte dazu in ihrem Urteilsentwurfe aus, dass es sich
um einen Gegenstand handle, der nicht im gegenwärtigen Prozesse erörtert und
erledigt werden könne, sondern welcher dann zu entscheiden sei, wenn die
gedachte Eventualität eintrete. «Zur Zeit liegt hier ein aktueller Streit
zwischen den Parteien noch gar nicht vor, da es ja ungewiss ist, ob die
erwähnte Eventualität jemals eintreten wird». Der Urteilsentwurf ist von
beiden Parteien angenommen worden.
B. - Im Jahre 1942 wurde, im Zusammenhang mit andern Arbeiten, der
Seilergraben bergwärts um 6 Meter verbreitert und die Stützmauer zwischen
Seiler und Hirschengraben, auf der die Bahnbrücke ruht, entsprechend versetzt.
Wegen der damit verbundenen Vergrösserung der Spannweite musste die
Brückenkonstruktion wesentlich verstärkt werden. Die Stadtgemeinde Zürich
führte unter Vorbehalt der Frage, wer die Kosten schliesslich zu tragen habe,
den Umbau durch und belangte die Zürichbergbahn-Gesellschaft vor dem Zürcher
Obergericht auf Ersatz der ihr daraus erwachsenen Kosten, die sie mit Fr.
22,371.46 angibt. Sie berief sich dabei auf Art. 16 EisenbahnG.
Das Zürcher Obergericht ist auf die Klage nicht

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eingetreten, weil es sich um eine verwaltungsrechtliche Streitigkeit handle,
deren Beurteilung nach Art. 18, lit. c VDG in Verbindung mit Art. 50 , Ziff. 2
OG in den Geschäftskreis des Bundesgerichtes als Verwaltungsgerichtshof falle.
Der vorliegende Tatbestand weise mit dem in BGE 58 I S. 268 veröffentlichten
Streit zwischen den S.B.B. und dem Kanton Aargau über die Kostentragung bei
Verlegung des Bahndurchlasses der Bünz eine solche Ähnlichkeit auf, dass, wenn
wie dort, Art. 15, Abs. 1 EisenbahnG. anzuwenden sei, die Zuständigkeit des
Bundesgerichtes nicht zweifelhaft sein könne. Ob auch Art. 16, Abs. 1
anzuwenden sei, könne offen bleiben, da auch Verpflichtungen aus dieser,
Vorschrift als verwaltungsrechtliche anzusehen wären. Die Zuständigkeit des
Bundesgerichtes schliesse diejenige des Obergerichtes aus (Urteil des Zürcher
Obergerichtes vom 2. September 1943).
C. - Gegen diesen Entscheid hat die Stadt Zürich gleichzeitig eine
zivilrechtliche und eine staatsrechtliche Beschwerde an das Bundesgericht und
vorsorglich auch eine kantonale Kassationsbeschwerde eingereicht. Das
Bundesgericht ist auf die zivilrechtliche Beschwerde nicht eingetreten, weil
der Anspruch, den die Stadt Zürich erheben machte, nach der von ihr
vorgebrachten Begründung nicht als Zivilsache aufgefasst werden könne. Das
Kassationsgericht des Kantons Zürich hat die bei ihm erhobene
Kassationsbeschwerde am 24. Mai 1944 abgewiesen, weil der angefochtene
Entscheid weder unter dem Gesichtspunkte der Verweigerung rechtlichen Gehörs,
noch unter demjenigen der Verletzung klaren Rechts zu beanstanden sei.
Mit der staatsrechtlichen Beschwerde wird beantragt, den Entscheid des Zürcher
Obergerichtes vom 2. September 1943 aufzuheben, weil er auf einer Verletzung
von Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
und 58
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 58 Armee - 1 Die Schweiz hat eine Armee. Diese ist grundsätzlich nach dem Milizprinzip organisiert.
1    Die Schweiz hat eine Armee. Diese ist grundsätzlich nach dem Milizprinzip organisiert.
2    Die Armee dient der Kriegsverhinderung und trägt bei zur Erhaltung des Friedens; sie verteidigt das Land und seine Bevölkerung. Sie unterstützt die zivilen Behörden bei der Abwehr schwerwiegender Bedrohungen der inneren Sicherheit und bei der Bewältigung anderer ausserordentlicher Lagen. Das Gesetz kann weitere Aufgaben vorsehen.
3    Der Einsatz der Armee ist Sache des Bundes.18
BV beruhe. Zur Begründung wird ausgeführt, eine
Zuständigkeit des Bundesgerichts als Verwaltungsgericht lasse sich auf keine
bundesrechtliche Vorschrift stützen. Das Eisenbahngesetz habe nur die in Art.
15, Abs. 2 genannten Fälle der Beurteilung durch das Bundesgericht

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unterstellt, nicht aber andere Fälle, die sich aus dem Eisenbahngesetz
ergeben, vor allem nicht Streitigkeiten aus Art. 15, Abs. 1, und aus Art. 16.
Das Obergericht habe somit das Eintreten aus nicht stichhaltigen Gründen
abgelehnt, worin Rechtsverweigerung liege.
Das Bundesgericht hat die Beschwerde unter Hinweis auf die Motive abgewiesen
in Erwägung:
1.- Der Entscheid des Zürcher Obergerichtes ist insofern unzutreffend, als
darin angenommen wurde, das Bundesgericht habe sich in seiner Eigenschaft als
Verwaltungsgericht mit der von der Beschwerdeführerin erhobenen Forderung zu
befassen. Die Forderung wird gestützt auf Art. 1 6, Abs. 2 EisenbahnG.
(Klageschrift S. 6); eventuell wird bemerkt, sie wäre auch begründet, wenn man
Art. 15, Abs. 1 jenes Gesetzes anwenden wollte. Streitigkeiten über die
Anwendung dieser beiden Vorschriften fallen aber nicht in den Geschäftskreis
des eidgenössischen Verwaltungsgerichts: Nach Art. 18, lit. c VDG in
Verbindung mit Art. 50 , Ziff. 2 OG beurteilt das Bundesgericht
Entschädigungsforderungen der Eisenbahnunternehmungen an Private in den in
Art. 15, Abs. 2 des EisenbahnG. vorgesehenen Fällen. Für Streitigkeiten über
Forderungen aus Art. 16 ist der direkte verwaltungsrechtliche Prozess nicht
vorgesehen, ebenso nicht für Anstände über die Bedeutung und Tragweite von
Art. 15, Abs. 1. Aus dem vom Obergericht angerufenen Urteile des
Bundesgerichts (BGE 58 I S. 268) lässt sich ebenfalls nichts dafür herleiten.
Mit jenem Prozess hatte sich das Bundesgericht zu befassen, weil
Streitgegenstand ein vermögensrechtlicher Anspruch des Bundes (S.B.B.) an
einen Kanton (Aargau) war (Art. 48
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 58 Armee - 1 Die Schweiz hat eine Armee. Diese ist grundsätzlich nach dem Milizprinzip organisiert.
1    Die Schweiz hat eine Armee. Diese ist grundsätzlich nach dem Milizprinzip organisiert.
2    Die Armee dient der Kriegsverhinderung und trägt bei zur Erhaltung des Friedens; sie verteidigt das Land und seine Bevölkerung. Sie unterstützt die zivilen Behörden bei der Abwehr schwerwiegender Bedrohungen der inneren Sicherheit und bei der Bewältigung anderer ausserordentlicher Lagen. Das Gesetz kann weitere Aufgaben vorsehen.
3    Der Einsatz der Armee ist Sache des Bundes.18
, Ziff. 1 OG und Art. 17, Abs. 1 VDG), wobei
es für die interne Zuteilung innerhalb des Gerichtshofes auf den Charakter der
geltend gemachten Forderung als einer solchen öffentlichen Rechts ankam (Art.
17, Abs. 1 VDG). Auf das EisenbahnG. (Art. 15) wurde Bezug

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genommen lediglich zur Begründung dieser Charakterisierung, nicht weil daraus
die Zuständigkeit des Gerichtshofes abzuleiten gewesen wäre.
Übrigens wäre auch nach dem neuen OG eine Zuständigkeit des Bundesgerichts zur
erstinstanzlichen Beurteilung des Streites kaum anzunehmen. Denn Art. 111
dieses Gesetzes teilt dem Bundesgericht (unter Hinweis auf Art. 15, Abs. 1 und
2 EisenbahnG.) nur Streitigkeiten zu, die Entschädigungsforderungen von
Eisenbahnunternehmungen an Private betreffen, nicht solche über Forderungen an
die Bahn, und, jedenfalls nach seinem Wortlaut, auch nicht Forderungen aus
Beziehungen von Bahnen zu Staaten und Gemeinden. Die Beschwerdeführerin kann
demnach ihren Anspruch weder nach dem geltenden, noch (nach dessen
Inkrafttreten) nach dem neuen OG im direkten verwaltungsrechtlichen Prozess
vor Bundesgericht verfolgen.
2.- Gleichwohl hat das Obergericht seine Zuständigkeit im Ergebnis mit Recht
abgelehnt, wenn der Streit in den Geschäftskreis einer anderen eidgenössischen
Behörde fällt und die Zuständigkeit kantonaler Instanzen dadurch
ausgeschlossen wird.
Der Streit hat seinen Grund darin, dass die Zürichbergbahn für ihre Bahnanlage
öffentliches Eigentum der Stadtgemeinde Zürich in Anspruch nimmt. Die Frage
ist, wer bei im öffentlichen Interesse gebotenen Veränderungen der städtischen
Anlagen die Kosten der Anpassung der darauf lastenden Bahneinrichtungen zu
übernehmen hat. Die Frage war schon bei Errichtung der Bahn im
Enteignungsverfahren gegen die Stadtgemeinde Zürich erhoben worden. Sie wurde
aber nicht beurteilt in der Meinung, dass darüber zu entscheiden sei, wenn die
gedachte Eventualität eintritt. Beide Parteien haben damals diese Erledigung
angenommen. Nachdem sich die Eventualität jetzt verwirklicht, muss daher, wenn
die Stadt es verlangt, über den damals vorbehaltenen Streitgegenstand im
Enteignungsverfahren entschieden werden. Es handelt sich

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um nichts anderes, als um die anlässlich der Durchführung des
Enteignungsverfahrens für den Fall einer spätern Änderung der Strassenzüge in
Aussicht genommene Wiederaufnahme des Verfahrens. Ob in einem solchen Falle
die für nachträgliche Forderungseingaben vorgesehene Verwirkungsfrist (Art.
41
SR 711 Bundesgesetz vom 20. Juni 1930 über die Enteignung (EntG)
EntG Art. 41
1    Die zuständige Behörde entscheidet über die enteignungsrechtlichen Einsprachen gemäss Artikel 33 Absatz 1 Buchstaben a-c.
2    Soweit ein Einigungs- und gegebenenfalls ein Schätzungsverfahren in Bezug auf Begehren nach Artikel 33 Absatz 1 Buchstaben d und e erforderlich ist, übermittelt die zuständige Behörde nach Rechtskraft des Entscheids nach Absatz 1 dem Präsidenten der zuständigen Schätzungskommission namentlich den Entscheid, die genehmigten Pläne, den Enteignungsplan, die Grunderwerbstabelle und die angemeldeten Forderungen.
, Abs. 2 EntG) angerufen werden kann, ist zweifelhaft, mag aber hier offen
bleiben in der Meinung, dass es Sache der zuständigen Schätzungskommission
sein wird, sie zu prüfen, sofern der Streit bei ihr angehoben werden sollte.
Da es sich somit um eine im bundesrechtlichen Enteignungsverfahren zu
beurteilende Streitigkeit handelt, entfällt die Zuständigkeit des
Obergerichtes, sodass die Beschwerde abzuweisen ist, freilich nur im Sinne der
Erwägungen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 70 I 305
Datum : 01. Januar 1943
Publiziert : 20. November 1944
Quelle : Bundesgericht
Status : 70 I 305
Sachgebiet : BGE - Verwaltungsrecht und internationales öffentliches Recht
Gegenstand : Verwaltunsgerichtsbarkeit: Streitigkeiten über die Anwendung von Art. 15, Abs. 1, und Art. 16...


Gesetzesregister
BV: 4 
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
58
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 58 Armee - 1 Die Schweiz hat eine Armee. Diese ist grundsätzlich nach dem Milizprinzip organisiert.
1    Die Schweiz hat eine Armee. Diese ist grundsätzlich nach dem Milizprinzip organisiert.
2    Die Armee dient der Kriegsverhinderung und trägt bei zur Erhaltung des Friedens; sie verteidigt das Land und seine Bevölkerung. Sie unterstützt die zivilen Behörden bei der Abwehr schwerwiegender Bedrohungen der inneren Sicherheit und bei der Bewältigung anderer ausserordentlicher Lagen. Das Gesetz kann weitere Aufgaben vorsehen.
3    Der Einsatz der Armee ist Sache des Bundes.18
EntG: 41
SR 711 Bundesgesetz vom 20. Juni 1930 über die Enteignung (EntG)
EntG Art. 41
1    Die zuständige Behörde entscheidet über die enteignungsrechtlichen Einsprachen gemäss Artikel 33 Absatz 1 Buchstaben a-c.
2    Soweit ein Einigungs- und gegebenenfalls ein Schätzungsverfahren in Bezug auf Begehren nach Artikel 33 Absatz 1 Buchstaben d und e erforderlich ist, übermittelt die zuständige Behörde nach Rechtskraft des Entscheids nach Absatz 1 dem Präsidenten der zuständigen Schätzungskommission namentlich den Entscheid, die genehmigten Pläne, den Enteignungsplan, die Grunderwerbstabelle und die angemeldeten Forderungen.
OG: 48  50
BGE Register
58-I-268 • 70-I-305
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
bundesgericht • weiler • frage • eisenbahngesetz • staatsrechtliche beschwerde • aargau • streitgegenstand • kantonsgericht • entscheid • kantonales rechtsmittel • begründung des entscheids • anspruch auf rechtliches gehör • berufliche vorsorge • innerhalb • eigenschaft • schutzmassnahme • charakter • erwachsener • vermögensrechtlicher anspruch • forderungseingabe
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