BGE 69 II 41
10. Urteil der I. Zivilabteilung vom 9. März 1943 i. S. Kaufmann und Konsorten
gegen Allg. Consumverein beider Basel.
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Regeste:
Genossenschaft, Art. 854
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 854 - Die Genossenschafter stehen in gleichen Rechten und Pflichten, soweit sich aus dem Gesetz nicht eine Ausnahme ergibt. |
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 892 - 1 Genossenschaften, die mehr als 300 Mitglieder zählen oder bei denen die Mehrheit der Mitglieder aus Genossenschaften besteht, können durch die Statuten die Befugnisse der Generalversammlung ganz oder zum Teil einer Delegiertenversammlung übertragen. |
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1 | Genossenschaften, die mehr als 300 Mitglieder zählen oder bei denen die Mehrheit der Mitglieder aus Genossenschaften besteht, können durch die Statuten die Befugnisse der Generalversammlung ganz oder zum Teil einer Delegiertenversammlung übertragen. |
2 | Zusammensetzung, Wahlart und Einberufung der Delegiertenversammlung werden durch die Statuten geregelt. |
3 | Jeder Delegierte hat in der Delegiertenversammlung eine Stimme, sofern die Statuten das Stimmrecht nicht anders ordnen. |
4 | Im Übrigen gelten für die Delegiertenversammlung die gesetzlichen Vorschriften über die Generalversammlung. |
Statuten bestimmen, dass Mitglieder, die gleichzeitig einer andern
Konsumgenossenschaft angehören, nicht als Delegierte wählbar sind.
Société coopérative, art. 854 et 892 CO. Les statuts d'une Société de
consommation peuvent prévoir que les membres qui font aussi partie d'une autre
Société de consommation ne sont pas éligibles comme délégués.
Società cooperativa, art. 854 e 892 CO. Gli statuti d'una società cooperativa
di consumo possono prevedere che i membri che fanno anche parte di un'altra
società cooperativa di consumo non sono eleggibili alla carica di delegati.
A. Der Allgemeine Consumverein beider Basel (A.C.V.) ist eine Genossenschaft
mit über 60000 Mitgliedern. Die Befugnisse der Generalversammlung sind im
Sinne von Art. 892
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 892 - 1 Genossenschaften, die mehr als 300 Mitglieder zählen oder bei denen die Mehrheit der Mitglieder aus Genossenschaften besteht, können durch die Statuten die Befugnisse der Generalversammlung ganz oder zum Teil einer Delegiertenversammlung übertragen. |
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1 | Genossenschaften, die mehr als 300 Mitglieder zählen oder bei denen die Mehrheit der Mitglieder aus Genossenschaften besteht, können durch die Statuten die Befugnisse der Generalversammlung ganz oder zum Teil einer Delegiertenversammlung übertragen. |
2 | Zusammensetzung, Wahlart und Einberufung der Delegiertenversammlung werden durch die Statuten geregelt. |
3 | Jeder Delegierte hat in der Delegiertenversammlung eine Stimme, sofern die Statuten das Stimmrecht nicht anders ordnen. |
4 | Im Übrigen gelten für die Delegiertenversammlung die gesetzlichen Vorschriften über die Generalversammlung. |
als Genossenschaftsrat bezeichnet wird und aus 135 Mitgliedern besteht. Die
Gesamtheit der Genossenschafter bestellt den Genossenschaftsrat alle vier
Jahre durch schriftliche, geheime Stimmabgabe nach dem Grundsatz der
Verhältniswahl.
Nach § 19 Abs. 2 Ziff. 1 und 2 der Statuten vom 28. April 1931 waren in den
Genossenschaftsrat nur volljährige Genossenschafter wählbar, die mindestens
seit einem Jahr dem A.C.V. angehörten (Ziff. 2) und im Geschäftsjahr, das dem
Wahljahr voranging, beim A.C.V. ein bestimmtes Mindestmass an Waren bezogen
hatten (Ziff. 1).
Am 12. August 1941 änderte der Genossenschaftsrat die Statuten ab und stellte
u. a. durch eine neue Ziff. 3 zu § 19 Abs. 2 folgende weitere Voraussetzung
für die Wählbarkeit in den Genossenschaftsrat auf
«Das Mitglied sowie der im gleichen Haushalt lebende Ehegatte dürfen keiner
Konsumgenossenschaft angehören, die nicht dem V. S. K. (sc.: Verband
Schweizerischer Konsumvereine) angeschlossen ist ...»
Die neuen Statuten behielten § 19 Abs. 2 Ziff. 1 und 2 in der bisherigen
Fassung bei, desgleichen § 7 Abs. 2, der
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wie folgt beginnt: «Die Mitglieder sind verpflichtet, ihren Bedarf nach
Möglichkeit bei der Genossenschaft zu decken...»
Die neuen Statuten unterlagen dem fakultativen Referendum.
Die vier Genossenschafter Kaufmann, Bader, Klaus und Keller schlossen sich zu
einem Referendumskomitee zusammen. Sie erreichten, dass 3419 Genossenschafter
ein «Unterschriftblatt» unterzeichneten. Darin wurde eine Urabstimmung über §
7 Abs. 2 und § 19 Abs. 2 der neuen Statuten verlangt und beantragt, die
erwähnten Bestimmungen seien zu streichen und § 19 Abs. 2 Ziff. 1-3 sei zu
ersetzen durch die Vorschrift: «Jeder Genossenschafter ist in den
Genossenschaftsrat wählbar».
Das Bureau des Genossenschaftsrates erklärte dieses Referendumsbegehren als
verspätet.
B. Am 27. September 1941 stellten die Mitglieder des Referendumskomitees
beim Zivilgericht Basel-Stadt das Begehren, es sei dem A.C.V. durch eine
vorsorgliche Verfügung zu verbieten, bei der Wahl des Genossenschaftsrates im
November 1941 die Mitglieder im Sinne von § 19 Abs. 2 Ziff. 1 und 3
«verschieden zu behandeln», eventuell sei dem A.C.V. zu verbieten, die Wahl
auf Grund der neuen Statuten durchzuführen, bis eine Urabstimmung der
Mitglieder über die Statuten stattgefunden habe.
Der Zivilgerichtspräsident hiess das Begehren teilweise gut und untersagte dem
A.C.V. mit vorsorglicher Verfügung vom 6. Oktober 1941, bei der Wahl des
Genossenschaftsrates § 19 Abs. 2 Ziff. 3 der neuen Statuten anzuwenden.
Eine vom A.C.V. gegen diese Verfügung eingereichte Willkürbeschwerde wies der
Ausschuss des Appellationsgerichtes des Kantons Basel-Stadt am 21. November
1941 ab.
C. Am 7. Oktober 1941 reichten S. Kaufmann-Künstlin und die drei weitern dem
Referendumskomitee angehörenden Genossenschafter gegen den A.C.V. Klage
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ein mit dem Begehren, es sei festzustellen, dass das Referendum gegen den
Beschluss des Genossenschaftsrates vom 12. August 1941 zustandegekommen sei;
eventuell sei es als Initiativbegehren im Sinne von § 18 der Statuten zu
behandeln. In beiden Fallen habe der A.C.V. eine Urabstimmung durchzuführen.
Ferner sei festzustellen, dass § 7 Abs. 2 und § 19 Abs. 2 (Ziff. 1-3) der
Statuten vom 12. August 1941 zwingenden Vorschriften des Obligationenrechtes
widersprächen und daher nichtig seien.
Der A.C.V. schloss auf Abweisung der Klage.
D. Das Zivilgericht des Kantons Basel-Stadt wies die Klage mit Urteil vom
25. August 1942 gänzlich ab. Auf Appellation der Kläger bestätigte das
Appellationsgericht am 11. Dezember 1942 dieses Urteil.
E. Gegen das Urteil des Appellationsgerichtes haben die Kläger beim
Bundesgericht Berufung eingereicht. Sie fechten das Urteil aber nur insoweit
an, als es sich auf § 19 Abs. 2 Ziff. 3 der neuen Statuten bezieht. Sie
beantragen, es sei festzustellen, dass diese Bestimmung gegen zwingende
Vorschriften des Obligationenrechtes verstosse und deshalb nichtig sei.
Der Beklagte schliesst auf Abweisung der Berufung.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. (Aktenwidrigkeitsrügen).
2. Im Berufungsverfahren ist einzig noch streitig, ob § 19 Abs. 2 Ziff. 3
der A.C.V. Statuten zwingendem Recht widerspricht, ob also der A.C.V. jene
Mitglieder von der Wählbarkeit in den Genossenschaftsrat ausschliessen darf,
die gleichzeitig (oder deren Ehegatte) einer andern, dem V.S.K. nicht
angeschlossenen Konsumgenossenschaft angehören.
Die angefochtene Statutenvorschrift behandelt die Genossenschafter in bezug
auf das passive Wahlrecht ungleich. Es frägt sich daher, ob sie vor Art. 854
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 854 - Die Genossenschafter stehen in gleichen Rechten und Pflichten, soweit sich aus dem Gesetz nicht eine Ausnahme ergibt. |
OR standhält.
Der Grundsatz der Gleichheit der Genossenschafter in Rechten und Pflichten
wurde erst bei der Revision des
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Genossenschaftsrechtes von 1937 in das Gesetz aufgenommen. Das Ziel dieser
Revision bestand darin, die Gesellschaftsform der Genossenschaft den
Selbsthilfe-Körperschaften vorzubehalten und sie namentlich gegenüber der
Aktiengesellschaft scharf abzugrenzen. Aus diesem Grunde erklärte der
Gesetzgeber Genossenschafter mit geschlossener Mitgliederzahl und zum voraus
festgesetztem Grundkapital als unzulässig (Art. 828 und 839) und schrieb für
alle Genossenschafter ein gleiches, von der Beteiligung am Grundkapital
unabhängiges Stimmrecht vor (Art. 885). Dem gleichen Leitgedanken verdankt
Art. 854 seine Entstehung. Er soll in allgemeiner Form festhalten, dass bei
der Genossenschaft die Person des Mitgliedes die unterste Einheit darstellt,
auf der sich die Körperschaft aufbaut nicht eine bestimmte
Kapitalbeteiligung, wie bei der Aktiengesellschaft (II. Bericht zum Entwurf
des OR 1923 S. 107, Prot. Expertenkommission S. 587, Botschaft des Bundesrates
1928, S. 87). Daraus folgt, dass sich der Grundsatz der Gleichheit zwar
unmittelbar aus dem vom Gesetzgeber neu umschriebenen Wesen der Genossenschaft
ergibt, aber nur soweit, als er die Abstufung der Mitgliedschaftsrechte nach
der Kapitalbeteiligung ausschliesst. Nur in dieser Richtung gilt er
uneingeschränkt, nicht allein für das aktive Wahlrecht, für das schon Art. 885
Recht schafft, sondern auch für das passive Wahlrecht der Genossenschafter.
Art. 854 wäre sicher dann verletzt, wenn eine Genossenschaft nur solche
Mitglieder als für die Delegiertenversammlung wählbar erklären würde, die eine
bestimmte Anzahl von Anteilscheinen besitzen. Ein derartiger Verstoss liegt
bei der angefochtenen Statutenvorschrift jedoch nicht vor. Die Ungleichheit,
die sie enthält, hängt mit der Kapitalbeteiligung nicht zusammen.
Soweit sich der Grundsatz der Gleichheit nicht unmittelbar aus dem Wesen der
Genossenschaft ergibt, tritt er in Widerstreit mit den andern Grundsätzen des
Genossenschaftsrechtes. Art. 854 ist denn auch zwar allgemein gefasst, behält
aber Ausnahmen vor. Dazu gehören
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Ungleichheiten, die das Gesetz selbst erwähnt, wie die Möglichkeit der
unterschiedlichen Beteiligung der Genossenschafter am Grundkapital und die
Verteilung des Reingewinnes nach Massgabe dieser Beteiligung (Art. 853, 859),
aber auch Ungleichheiten in Genossenschaftsstatuten, die «im Rahmen des
Gesetzes» erlassen wurden (Ständerat, Sten. Bulletin 1932, S. 100). Art. 854
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 854 - Die Genossenschafter stehen in gleichen Rechten und Pflichten, soweit sich aus dem Gesetz nicht eine Ausnahme ergibt. |
erstrebt somit nicht eine völlige Gleichheit, so wenig wie Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
verlangt von den Genossenschaften nicht, dass sie Ungleiches gleich behandeln.
Wie schon die Vorinstanz ausführte, kommt es daher für die Anwendung von Art.
854 darauf an, welche tatsächlichen, bei den Genossenschaftern gegebenen
Unterschiede rechtlich erheblich sind und ihre ungleiche Behandlung
rechtfertigen. Die Richtlinien hiefür sind dem Gesetz zu entnehmen, auf das
Art. 854 verweist, insbesondere den übrigen Vorschriften des
Genossenschaftsrechtes, in die Art. 854 eingeordnet ist und mit denen zusammen
er ein einheitliches Ganzes bildet. Von diesem Gesichtspunkte aus ist für den
vorliegenden Fall zu prüfen, ob und wie weit Art. 854 in die den
Genossenschaften durch Art. 892 eingeräumte Befugnis eingreift, die
Zusammensetzung und die Wahlart der Delegiertenversammlung in den Statuten zu
regeln.
3. Für die erste Frage, ob der A.C.V. die Wählbarkeit für die
Delegiertenversammlung überhaupt einschränken dürfe oder ob von Gesetzes wegen
jedes Mitglied zu jedem Amt wählbar sei, ist von folgendem auszugehen: Das
Gesetz lässt den Genossenschaften grosse Freiheit in der Auswahl ihrer
Mitglieder. Sie dürfen zwar deren Zahl nicht zum vorneherein beschränken und
den Eintritt neuer Mitglieder nicht übermässig erschweren (Art. 839). Doch
können sie die Mitgliedschaft von der Ausübung eines bestimmten Berufes und
andern tatsächlichen und rechtlichen Eigenschaften abhängig machen und den
Eintritt selbst solchen Personen verweigern, die diese Voraussetzungen
erfüllen, es sei denn, die Weigerung verstosse gegen allgemeine
Rechtsgrundsätze (Art. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 2 - 1 Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln. |
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1 | Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln. |
2 | Der offenbare Missbrauch eines Rechtes findet keinen Rechtsschutz. |
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 27 - 1 Auf die Rechts- und Handlungsfähigkeit kann niemand ganz oder zum Teil verzichten. |
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1 | Auf die Rechts- und Handlungsfähigkeit kann niemand ganz oder zum Teil verzichten. |
2 | Niemand kann sich seiner Freiheit entäussern oder sich in ihrem Gebrauch in einem das Recht oder die Sittlichkeit verletzenden Grade beschränken. |
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Genossenschaften können somit solche Personen als Mitglieder aussuchen, die
aus sachlichen und persönlichen Gründen mit dem Zweck der Genossenschaft eng
verbunden sind. Auf diese Weise vermögen sie jenen innern Zusammenhalt und
jene Einordnung der Mitglieder auf den gemeinsamen Zweck zu erreichen, der für
ihr Gedeihen und für ihre Selbsterhaltung nötig ist. Das Gesetz fördert diese
Einordnung noch dadurch, dass es die Mitglieder zur Treue gegenüber der
Genossenschaft verpflichtet (Art. 864), woraus sich nach den Umständen für
einen Genossenschafter das Verbot ergeben kann, die Genossenschaft zu
konkurrenzieren (Botschaft 1928, S. 87).
Der A.C.V. hat die Möglichkeit nicht ausgenützt, seine Mitglieder so
auszusuchen, dass er sich auf ihre Einstellung zur Genossenschaft verlassen
kann. Als Konsumgenossenschaft strebt er naturgemäss nach einem grossen
Mitgliederbestand. Der Erwerb der Mitgliedschaft ist daher beim A.C.V. leicht.
Mitglied kann nach § 7 der Statuten jede handlungsfähige Person werden, die
sich schriftlich anmeldet. Das Eintrittsgeld von Fr. 3. kann bis zur ersten
Rückvergütung gestundet werden. Der leichten Eintrittsmöglichkeit entspricht
die lockere Bindung der Mitglieder an die Genossenschaft. Zwar sind diese nach
§ 7 Abs. 2 der Statuten verpflichtet, ihren Bedarf «nach Möglichkeit» bei der
Genossenschaft zu decken. Mit diesem Erfordernis nimmt es aber der A.C.V.
nicht streng. Nach § 8 lit. c der Statuten erlischt die Mitgliedschaft nur
dann, wenn ein Mitglied im Laufe eines Jahres ohne triftige Gründe keine
Eintragungen im Einkaufsbüchlein aufzuweisen hat. Wer also nur einmal im Jahr
in einem A. C. V.-Laden eine Kleinigkeit kauft, kann ebensogut
Genossenschafter sein wie derjenige, der § 7 Abs. 2 gewissenhaft befolgt und
sich für alle Bedarfsgüter bei seiner Genossenschaft eindeckt. Dementsprechend
stellt der A.C.V. auch keine hohen Anforderungen an die Treue seiner
Genossenschafter. So lässt er es zu, dass sie andern Konsumgenossenschaften
angehören, obwohl er nach dem Gesagten ohne
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Zweifel berechtigt wäre, Angehörige anderer Konsumgenossenschaften als
Mitglieder nicht aufzunehmen.
Die Kläger anerkennen, dass der A.C.V. die Mitglieder anderer
Konsumgenossenschaften nicht aufzunehmen braucht oder sie ausschliessen
könnte. Sie halten ihn aber für verpflichtet, diesen Doppelmitgliedern das
passive Wahlrecht zu gewähren, solange er sie nicht ausschliesst. Nach ihrer
Auffassung kann eine Genossenschaft ihre Mitglieder nur ausschliessen (bezw.
bestimmte Personen als Mitglieder überhaupt nicht aufnehmen) oder gleich
behandeln, nicht aber als Mitglieder behalten und ihnen das passive Wahlrecht
entziehen. Damit bestreiten die Kläger auch im Berufungsverfahren, dass eine
Genossenschaft die Wählbarkeit für die Delegiertenversammlung überhaupt
beschränken dürfe, obschon sie die Wählbarkeitsvorschriften von § 19 Abs. 2
Ziff. 1 und 2 nicht mehr anfechten.
Dieser Standpunkt ist unrichtig. Gerade weil der A.C.V. bei der Auslese seiner
Mitglieder geringe Anforderungen stellt, besteht für ihn eine innere
Notwendigkeit, jene Mitglieder besonders auszusuchen, die als Glieder seiner
Organe am Genossenschaftsleben engern Anteil nehmen. Da er nicht damit rechnen
kann, dass sich alle seine 60000 Mitglieder mit der Genossenschaft eng
verbunden fühlen, hat er darauf Bedacht zu nehmen, dass wenigstens die 135
Delegierten soviel Genossenschaftsgeist haben, wie bei den Genossenschaften
mit ausgesuchtem Personenbestand schon jedes Mitglied aufweist. Eine grosse,
ihrer Natur nach in die Breite gehende Genossenschaft muss sich somit gerade
dadurch innerlich festigen, dass sie die Wählbarkeit für die
Genossenschaftsämter und namentlich auch für die Delegiertenversammlung
beschränkt. Was andere Genossenschaften schon durch die Auslese der Mitglieder
erreichen können die Einordnung auf den Genossenschaftszweck muss sie
durch eine entsprechende Gestaltung der Mitgliedschaftsrechte erstreben. Es
kann nicht der Sinn des Gesetzes sein, sie darin zu hindern. Eine
Genossenschaft muss ihren Personenbestand nicht nur so auswählen,
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sondern auch so organisieren können, wie es ihrem Zwecke dient. Denn der Zweck
bildet für sie, wie für jede Körperschaft, den Kern der Persönlichkeit, auf
den ihr gesamter Organismus gerichtet sein muss und von dem ihr Bestand und
ihre Individualität abhängt. Das Genossenschaftsrecht will ihr die Ausrichtung
auf den Zweck nicht erschweren. Sein Hauptziel besteht im Gegenteil darin, die
freie Entwicklung der einzelnen Genossenschaften auf Grund ihrer eigenen
Satzung zu fördern (Botschaft 1928, S. 80). Dazu gehört vorab, dass die
Genossenschaften ihren Zweck nach ihrem Gutdünken verfolgen dürfen und so ihre
Persönlichkeit erhalten und entfalten können. Dementsprechend sind die
einzelnen Vorschriften des Genossenschaftsrechts auszulegen. Das Gesetz
beschränkt die Genossenschaften in der Verfolgung ihres Zweckes nur soweit,
als seine Bestimmungen absoluten Charakter haben, wie jene, die sich aus dem
Wesen der Genossenschaft, aus dem Persönlichkeitsrecht der Genossenschafter
und aus dem Grundsatz von Treu und Glauben ergeben.
Der Grundsatz der Gleichheit der Genossenschafter beruht weder auf dem
Persönlichkeitsrecht der Genossenschafter, noch gehört er wie dargelegt
wurde zum Wesen der Genossenschaft, sofern nicht die Kapitalbeteiligung in
Frage steht. Er ist daher so auszulegen, dass er die einzelne Genossenschaft
in der Verfolgung ihres Zweckes nicht hindert. Das ist die grundsätzliche
Ausnahme, die sich für Art. 854 aus dem Gesetz ergibt. Sie besagt, dass die
Genossenschaft die Gleichheit der Mitglieder beschränken darf, sofern und
soweit sie dies im Hinblick auf ihren Zweck tut. Demgemäss ist auch der
demokratische Aufbau der Genossenschaft nicht Selbstzweck. Art. 854 will die
Genossenschaften nicht zu einer unzweckmässigen Organisation zwingen. Er
gewährleistet den Genossenschaftern keine vom Gesellschaftszweck losgelösten
Grundrechte, etwa das Recht, für jedes Amt wählbar zu sein oder jeden
beliebigen Gesellschafter für ein Amt zu wählen. Nur soweit sind die Rechte
der Genossenschafter
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unentziehbar, als sie sich aus dem Wesen der Genossenschaft ergeben, wie das
Stimmrecht. Im übrigen finden sie am Gesellschaftszweck ihre Grenze. Es wäre
auch ein Widerspruch, einem Genossenschafter von Gesetzes wegen ein Recht
zuerkennen zu wollen, das dem Gesellschaftszweck zuwiderläuft. Der
Genossenschafter wäre damit über die Genossenschaft gestellt. Allerdings
braucht er sich nicht gefallen zu lassen, dass er in seiner Rechtsstellung als
Genossenschafter beschränkt wird, auch wenn dies im Interesse der
Genossenschaft geschieht. Er kann darauf mit dem Austritt antworten. Bleibt er
aber Genossenschafter, so kann er nicht verlangen, dass um seinetwillen etwas
unterlassen wird, was dem Gesellschaftszweck dient.
Im Rekursverfahren gegen die vorsorgliche Verfügung des
Zivilgerichtspräsidenten hat der Ausschuss des Appellationsgerichtes
unterschieden zwischen den Wählbarkeitsvorschriften für den Genossenschaftsrat
und für die übrigen Genossenschaftsorgane (Verwaltungsrat, Direktion,
Rechnungsrevisoren) und angenommen, beim Genossenschaftsrat stehe im Gegensatz
zu den genannten Organen nicht die besondere Aufgabe, sondern die
Mitgliedschaft im Vordergrund. Dies trifft nicht zu. Auch der
Genossenschaftsrat ist in erster Linie nicht wegen der Mitglieder da, sondern
wegen des Genossenschaftszweckes. Er ist neben den ausführenden Organen
einerseits und der Gesamtheit der Mitglieder anderseits ein selbständiges
Organ mit einem Kreis bestimmter Aufgaben, die er für die Genossenschaft zu
erfüllen hat. Diese Aufgaben sind bedeutender als die der Gesamtheit der
Mitglieder vorbehaltenen Rechte, die sich auf die Wahl des
Genossenschaftsrates, das Referendum und die Initiative beschränken. So wählt
der Genossenschaftsrat den 31-gliedrigen Verwaltungsrat und die 15
Rechnungsrevisoren, und zwar nach dem Grundsatz der Verhältniswahl. Schon eine
Minderheit des Genossenschaftsrates hat daher auf die Besetzung der
vollziehenden Genossenschaftsorgane Einfluss. Dementsprechend muss der A.C.V.
von den Genossenschaftsräten eine grössere
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Verbundenheit mit der Genossenschaft verlangen können als vom einzelnen
Mitglied. Nicht darauf kommt es an, dass die Delegiertenversammlung in jeder
Beziehung genau das verkleinerte Spiegelbild der 60000 Genossenschafter
darstellt, sondern dass auch sie ein für ihre Aufgabe geeignetes, auf den
Gesellschaftszweck genügend ausgerichtetes Organ ist.
4. Wenn die Genossenschaft die Gleichheit der Mitglieder beschränken darf,
sofern und soweit sie dies im Hinblick auf den Gesellschaftszweck tut, ist
auch die weitere Frage beantwortet, ob der A.C.V. solche Mitglieder von der
Delegiertenversammlung ausschliessen darf, die einer andern
Konsumgenossenschaft angehören. Er kann die Wählbarkeit solcher Mitglieder
aufheben, die mit der Genossenschaft zu wenig verbunden sind, als dass sie
eine genügende Einstellung der Organe auf den Gesellschaftszweck gewährleisten
könnten. Dabei muss er aus äussern Anzeichen auf den Genossenschaftsgeist der
Mitglieder schliessen, so aus der Dauer der Mitgliedschaft und der
Inanspruchnahme der Genossenschaft als Warenvermittlerin, worauf § 19 Abs. 2
Ziff. 1 und 2 abstellen. In gleicher Weise ist die Zugehörigkeit zu einer
andern Konsumgenossenschaft ein Anzeichen dafür, in welchem Grad sich ein
Mitglied mit der Genossenschaft verbunden fühlt. Wenn auch ein Mitglied durch
Konkurrenzierung seiner Genossenschaft oder durch Beteiligung bei einem
Konkurrenzunternehmen nicht die Treuepflicht verletzt, so bekundet es durch
dieses Verhalten doch, dass es den Genossenschaftszweck zum vorneherein nicht
«nach Möglichkeit» erstreben will. Die Doppelmitgliedschaft ist somit eine
Tatsache, die vom Gesichtspunkt des Genossenschaftszweckes aus erheblich ist
und eine Ungleichheit im passiven Wahlrecht gestattet. Ob die einzelnen
Doppelmitglieder wirklich weniger gute Genossenschafter sind als die wählbaren
Mitglieder und ob sie schon gegen die Interessen der Genossenschaft verstossen
haben, ist für den Erlass der Wählbarkeitsvorschrift gleichgültig. Denn
entscheidend ist, dass
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der Tatbestand der Doppelmitgliedschaft den Schluss auf den Grad der
Genossenschaftstreue zulässt, und nicht, wie sich der einzelne
Genossenschafter einstellt, auf den die Vorschrift zutrifft.
Die Kläger wenden ein, der A.C.V. schliesse nicht einmal jene Mitglieder vom
Genossenschaftsrat aus, die als Geschäftsleute persönlich seine Konkurrenten
seien. Die angefochtene Statutenvorschrift richte sich einzig gegen die
Migros-Genossenschafter. Allein aus Art. 854 folgt nicht, dass eine
Genossenschaft gegen alle Mitglieder, die Konkurrenten sind, gleich vorgehen
müsse. Sie kann sehr wohl nur einen einzigen Konkurrenten als für sich
gefährlich erachten und demgemäss nur in der Beteiligung ihrer Mitglieder
gerade bei diesem Konkurrenten einen Mangel an Genossenschaftsgeist erblicken,
der sie für die Mitgliedschaft im Genossenschaftsrat als ungeeignet erscheinen
lässt. Ob ein Konkurrent so gefährlich ist, können die Organe der
Genossenschaft frei beurteilen. Denn auf dem Gebiete des Privatrechtes ist es
jeder Person, auch einer Genossenschaft, selbst überlassen zu entscheiden, was
ihrem Interesse nützt oder schadet. Die Bedeutung der Einzelhändler, die
Mitglieder des A.C.V. sind, lässt sich übrigens mit jener der
Migros-Genossenschaft nicht vergleichen. Jeder Einzelhändler tritt mit dem
A.C.V. nur für sich allein in Wettbewerb und nur für einen Teil seiner
mannigfachen Geschäftszweige. Die Einzelhändler sind zudem nicht in einer
Organisation zusammengeschlossen, die dem A.C.V. als Grossunternehmen
entgegentritt wie die Migros-Genossenschaft. Dem A.C.V. kann daher ohne
Zweifel nicht verwehrt werden, jeden Einfluss dieses Konkurrenten auf seine
Organe zu unterbinden. Selbst wenn sich § 19 Abs. 2 Ziff. 3 ausdrücklich nur
gegen die der Migros-Genossenschaft angehörenden Mitglieder richten würde,
wäre nicht einzusehen, warum diese Vorschrift unzulässig wäre.
Die Kläger bringen noch vor, im Konkurrenzkampf der Genossenschaften liege die
beste Gewähr für deren Leistungsfähigkeit und damit für die Weiterentwicklung
des
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Genossenschaftsgedankens. Diese Erwägung liege dem Kampf gegen die
angefochtene Statutenvorschrift zu Grunde. Aus diesem Grunde hätten Tausende
von A.C.V. Mitgliedern das Referendum gegen die Statutenvorschrift
unterzeichnet und bei den Genossenschaftsratswahlen die Liste «Neu A.C.V.»
eingelegt. Auf diesen Einwand ist soweit einzugehen, als damit behauptet wird,
die Doppelmitgliedschaft sei überhaupt kein Anzeichen für fehlenden
Genossenschaftsgeist, sie beweise im Gegenteil ein gesteigertes Interesse für
die Genossenschaft, sodass die Beschränkung der Doppelmitglieder im Wahlrecht
dem Zweck der Genossenschaft widerspreche. Der Einwand fällt jedoch schon
deshalb dahin, weil eine Konkurrenz der Genossenschaften möglich ist, ohne
dass die gleichen Personen den sich konkurrenzierenden Genossenschaften
angehören oder gar in deren Organen mitwirken. Damit eine Genossenschaft im
Konkurrenzkampf stark ist, muss sie sich im Gegenteil zuerst in ihrem Innern
der Konkurrenz erwehren können. Sonst läuft sie Gefahr, vom Konkurrenten von
Innen heraus überwunden zu werden.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Appellationsgerichtes des
Kantons Basel-Stadt vom 11. Dezember 1942 bestätigt.
Vgl. auch Nr. 5. Voir aussi no 5.