S. 401 / Nr. 64 Eisenbahnhaftpflicht (d)

BGE 69 II 401

64. Urteil der II. Zivilabteilung vom 17. Dezember 1943 i. S.
Emmentalbahngesellschaft gegen Umbricht.


Seite: 401
Regeste:
Eisenbahnhaftpflicht (Zusammenstoss zwischen Eisenbahn und Motorfahrzeug,
blosser Sachschaden an letzterm):
1. Verschulden der Bahn aus mangelhafter Anlage und Bedienung einer
Barrierenanlage an Niveauübergang.
2. Kein Verschulden des Motorfahrzeugführers, der auf dem Übergang von der
unversehens fallenden Barriere blockiert wird. (Art. 16 Eisenbahngesetz 1872
Art. 3 BahnpolizeiG 1878; Art. 2, 3 NebenbahnG 1899; Art. 1, 17, 42
NebenbahnVo 1929; Art. 4, 5, 9 SignalVo 1929; Art. 25 MFG).
3. Die Konkurrenz der EHG- und der MFG-Haftpflicht kann bei Sachschaden nicht
dazu führen, dass der schuldlose Motorfahrzeughalter (kraft Kausalhaft einem
Nichthalter gegenüber nach Art. 37 MFG) einen Teil seines Schadens selbst zu
tragen habe. Vielmehr ist auf die Selbsthaftung des Automobilhalters Art. 39
Satz 2 MFG analog anzuwenden, wonach für Sachschaden zwischen Haltern nach OHR
gehaftet wird, also die Eisenbahn einem Motorfahrzeughalter gleichzustellen
(Art. 37, 39 MFG).
Responsabilité des entreprises de chemins de fer. (Collision d'un train et
d'un véhicule automobile):
1. Faute de l'entreprise: installation et surveillance défectueuse d'un
passage à niveau avec barrières.
2. Pas de faute du conducteur du véhicule, empêché de passer par suite de la
fermeture inopinée des barrières au moment où il traverse la voie. (Art. 16 LF
de 1872 sur les chem. de fer, 3 LF de 1878 sur la police des chem. de fer, 2,
3 LF de 1899 sur les chem. de fer secondaires; 1, 17 OCF de 1929 sur les chem.
de fer secondaires 4, 6, 9 OCF de 1929 sur la signalisation des croisements;
26 LA).
3. Le concours de la responsabilité de l'entreprise de chemin de fer et de la
responsabilité instituée par la LA ne Peut, en cas de dommage simplement
matériel, faire mettre à la charge du détenteur qui n'est pas en faute (en
vertu de la seule causalité qui l'engage envers les non-détenteurs) une partie
du dommage qu'il subit. Sa responsabilité est régie analogiquement par l'art.
39, 2e phrase, LA, en vertu duquel, en cas de dommage matériel, la
responsabilité entre détenteurs est régie par le CO; le chemin de fer est donc
tenu comme le détenteur (art. 37, 39 LA).
Responsabilità delle imprese di strade ferrate. (Scontro tra un treno ed un
autoveicolo):
1. Colpa dell'impresa ferroviaria: impianto e sorveglianza manchevoli d'un
passaggio a livello munito di barriere.

Seite: 402
2. Nessuna colpa del conducente dell'autoveicolo che è stato impedito di
passare a motivo della chiusura improvvisa delle barriere. (Art. 16 LF del
1872 sulle strade ferrate, art. 3 LF del 1878 sulla polizia delle strade
ferrate; art. 2 e 3 della legge del 1899 sulle ferrovie secondarie, art. 1, 17
e 42 dell'ordinanza del 1929 sulle ferrovie secondarie, art. 4, 6 e 9
dell'ordinanza del 1929 concernente la chiusura e la segnalazione dei passaggi
a livello delle ferrovie su strade e vie pubbliche, art. 26 LCAV).
2. Il concorso della responsabilità dell'impresa ferroviaria con quella
prevista dalla LCAV non può far sì che, in caso di danni semplicemente
materiali, sia caricata al detentore innocente (in virtù della responsabilità
causale verso il non detentore prevista dell'art. 37 LCAV) una parte del danno
da lui subito. La sua responsabilità è disciplinata analogicamente dall'art.
39, seconda frase. LCAV. secondo cui la responsabilità tra detentori per danni
materiali è regolata dal CO; l'impresa ferroviaria deve quindi essere
equiparata ad un detentore d'un autoveicolo (art. 37, 39 LCAV).

A. ­ Am 14. Dezember 1937 kurz nach 17 Uhr fuhr der Autotransportunternehmer
Umbricht begleitet von einem Hilfschauffeur mit seinem Bernalastwagen mit
Anhänger auf der Privatstrasse von der Station Gerlafingen Richtung Biberist,
um weisungsgemäss eine Ladung Hartzink von 1800 kg dem Eisenwerk Gerlafingen
abzuliefern. Als er, bei Dämmerung und schneebedeckter Strasse, im Schrittempo
links abgebogen und den Niveauübergang der Emmentalbahn (ETB) bei km 5,5 zu
traversieren im Begriffe war, senkte sich plötzlich ohne vorheriges
Glockenzeichen die Barriere, die aus einer Entfernung von 450 m von der
Barrierenwärterin bei der Kantonsstrasse Biberist-Gerlafingen mittelst eines
Drahtzuges bedient wird. Der bereits auf dem Geleise befindliche Lastwagen
wurde blockiert. Vergeblich versuchte Umbricht nach sofortigem Anhalten
rückwärts zu fahren; nach ca. 30 cm Rückwärtsbewegung stiess die Führerkabine
an die gesenkte Barriere an. Erfolglos versuchte nun der Beimann Hug mit dem
dazugekommenen Zeugen Schärer die Barriere zu heben. Es gelang nur soweit,
dass der Lastwagen im ganzen um etwa 1 m rückwärts fahren konnte, da in dieser
Lage das an der Barriere befestigte Dreiecksignal im rechten Richtungszeiger
des Lastwagens sich festkeilte und die Barrierenstange auf das Dach der Kabine
klemmte. Ein weiteres

Seite: 403
Rückwärtsfahren erwies sich auch deshalb als unmöglich, weil der Anhänger
wegen der durchlaufenen Kurve noch schräg zur Längsaxe des Lastwagens stand.
Als sich dieser derart, mit seinem Vorderteil auf der anfahrtseitigen
Bahnschiene stehend, in der Barriere verfangen hatte, gab der Güterzug Nr. 428
nach Durchfahrt des Bahnhofs Biberist Signale. Der Zeuge Schärer lief dem Zug
entgegen und versuchte den Lokomotivführer durch Armzeichen auf das Hindernis
aufmerksam zu machen, während Umbricht in seiner Kabine blieb und mit den
Scheinwerfern Blinksignale abgab. Allein der Lokomotivführer bemerkte die
Warnungen des Schärer nicht und erblickte den auf dem Geleise stehenden
Lastzug erst auf eine Entfernung von etwa 100 m. Mittelst Schnellbremsung
konnte er den mit ca. 54 St/km fahrenden Zug nicht mehr rechtzeitig zum Stehen
bringen. Die Lokomotive fuhr 16,50 m über den Übergang hinaus, riss den
Lastwagen etwa 8 m weit mit und schob ihn in den linksseitigen Bahngraben.
Umbricht blieb unversehrt; die Reparatur des erheblich beschädigten Lastwagens
kostete Fr. 13516.90. Die Lokomotive erlitt leichte Schäden im
Schätzungsbetrag von Fr. 370.-.
Von der Anschuldigung der erheblichen Eisenbahngefährdung wurde Umbricht
mangels eines ihn treffenden Verschuldens freigesprochen.
B. ­ Auf Grund des vorliegenden Tatbestandes belangte Umbricht die ETB auf
Schadenersatz. Die Beklagte verlangte Abweisung der Klage, weil sie an der
Kollision kein Verschulden treffe, wohl aber den Kläger, indem er beim
Befahren des Übergangs unvorsichtig gewesen sei; insbesondere falle ihm als
Verschulden zur Last, dass er ausserstande gewesen sei, zurückzufahren.
C. ­ In Zustimmung zur 1. Instanz hat das Obergericht des Kantons Solothurn
mit Urteil vom 31. März 1943 die Klage im Betrage von Fr. 17516.90 nebst Zins
zu 5% seit 15. April 1938 gutgeheissen, indem es die Kollision als durch die
Beklagte verschuldet betrachtete, während den Kläger daran keine Schuld
treffe.

Seite: 404
D. ­ Gegen dieses Urteil richtet sich die vorliegende Berufung der Beklagten
mit dem Antrag auf Abweisung der Klage, eventuell Rückweisung an die
Vorinstanz zu neuer Beurteilung.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. ­ Da aus dem Zusammenstoss des Zuges der ETB mit dem Lastwagen des Klägers
nur Sachschaden geltend gemacht wird, haftet die Beklagte hiefür nach Art. 11
Abs. 2 EHG nur, wenn sie an der Kollision als dessen Ursache ein Verschulden
trifft. Dies ist auf Grund der tatsächlichen, für das Bundesgericht
verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz zu bejahen.
a) Es handelt sich vorliegend um eine Niveaukreuzung der ETB mit einer
Privatstrasse, die u. a. als Zufahrt zu einem Teil des Eisenwerks Gerlafingen
dient. Auf solche Privatübergänge sind nach Art. 17 Ziff. 3 der Vo betr. Bau
und Betrieb der schweiz. Nebenbahnen (vom 19. März 1929) sinngemäss die
Bestimmungen des Art. 5 lit. c der Vo betr. den Abschluss und die
Signalisierung der Niveaukreuzungen (vom 7. Mai 1929) anwendbar. Danach würde
als Bahnabschluss das dort gekennzeichnete kleine Kreuzsignal genügen. Die
Beklagte begnügte sich aber nicht mit der Anbringung dieses einfachen
Warnungssignals, sondern erstellte die erwähnte fernbediente Barriere, die
jedoch für den Fuhrwerk-, insbesondere den Lastwagenverkehr über diesen
Bahnübergang keine Sicherheit bietet.
Art. 17 Ziff. 5 NebenbahnVo (von 1929) schreibt vor: «Fernbediente und
automatische Barrieren sollen mit kräftig tönenden Vorläutwerken versehen
sein». Allerdings gilt diese Verordnung bezüglich der baulichen Verhältnisse
(Abschnitte II und III) nur für neu zu erstellende Bahnen und grössere
Umbauten bestehender (Art. 1 Ziff. 2). Die NebenbahnVo von 1929 ist an die
Stelle derjenigen von 1906 getreten. Diese sah ein solches kräftig tönendes
Vorläutwerk nicht vor, schrieb dafür aber in Art. 16 Ziff. 2 vor, dass
fernbediente Zugbarrieren, wo die

Seite: 405
örtlichen Verhältnisse es gestatten, so weit vom Geleise abzurücken seien,
dass etwa eingeschlossene Fuhrwerke Platz zum Ausweichen finden. Diese
Vorschrift wurde in der Nebenbahnverordnung von 1929 beibehalten (Art. 17
Ziff. 4 Abs. 2). Daraus ergibt sich, dass bei fernbedienten Barrieren von 1929
an für alte Anlagen mindestens die eine oder die andere Sicherheitsvorkehr als
erforderlich betrachtet wurde. Bei Barrieren ohne Ausweichraum ist die
Anbringung des kräftigen Vorläutwerks gemäss Art. 17 Ziff. 5 der neuen
Verordnung auch aus Gründen der allgemeinen Verkehrssicherheit notwendig,
damit sie der Anforderung des Art. 3 Abs. 1 des Nebenbahngesetzes (vom 21.
Dezember 1899) entsprechen, das bei allen Erleichterungen für Nebenbahnen
immerhin die Betriebssicherheit gewahrt wissen will. Die Notwendigkeit des
Anbringens des kräftig tönenden Vorläutwerks im Interesse der
Verkehrssicherheit ergibt sich auch aus den durch Art. 2 des Nebenbahngesetzes
vorbehaltenen Bestimmungen des Bundesgesetzes über den Bau und Betrieb der
Eisenbahnen (vom 23. Dezember 1872), insbesondere aus dessen Art. 16 Abs. 2,
wonach die Bahnen alle Vorkehren zu treffen haben, die zur öffentlichen
Sicherheit nötig befunden werden.
Das mithin erforderliche «kräftig tönende Vorläutwerk» wird durch das
vorhandene kleine Glöcklein in Birnenform, das von der Barrierenwärterin durch
Betätigung eines am Barrierenkurbelstock befindlichen Pedals mit Drahtzug
jeweilen vor dem Senken der Barriere zum Anschlagen zu bringen ist, keineswegs
ausreichend ersetzt. Abgesehen davon, dass sein Ertönen überhaupt sowie dessen
Länge und Intensität davon abhängt, ob und wie der Wärter das Pedal betätigt,
ist das Drahtzugglöcklein nach der Zugabe der Beklagten selbst nur für die
Fussgänger und Radfahrer bestimmt. Nur von einem solchen Kleinverkehr von
Radfahrern und Fussgängern hatte Inspektor Peter vom Eidg. Amt für Verkehr
Kenntnis, als er die Anlage genehmigte. Die Beklagte dagegen wusste,

Seite: 406
dass der Übergang auch von Fuhrwerk-, insbesondere von Lastwagenverkehr zu
diesem Teil des Eisenwerkes Gerlafingen benutzt wird. Sie kann sich daher
nicht mit der Berufung auf die Genehmigung der Barrierenanlage durch die
Aufsichtsbehörden gemäss Art. 9 der Verordnung betr. Signalisierung der
Niveaukreuzungen entschuldigen, ganz abgesehen davon, dass sich jene
Genehmigung offenbar nur auf die durch eben die Signalverordnung selbst
vorgeschriebenen Signalisierungsvorkehren bezog, zu welchen das Vorläutwerk
der Barriere nicht gehört; von diesem ist in der Signalverordnung nicht die
Rede (mit der darin vorgesehenen «akustischen Signalisierung» ­ Warnglocke ­
ist nicht die hier in Frage stehende Zusatzvorrichtung, sondern ein «Ersatz
von Barrierenanlagen» (Art. 4 lit. b Abs. 1) gemeint). Die Beklagte wusste,
dass das nur für Fussgänger und Radfahrer bestimmte Ziehglöcklein keine für
Lastwagen hörbare Warnvorrichtung darstellt und daher keine Sicherheit bietet.
Es ist keineswegs erstellt, dass der Zusammenstoss sich auch bei Vorhandensein
der nach der Art des Verkehrs notwendigen, vorschriftsgemässen Einrichtung
ereignet hätte. Dass eine solche für Fuhrwerke und erst recht für Lastwagen
dringend notwendig ist, damit nicht die Barrierenanlage für diesen Verkehr
eine nicht vorhandene Sicherheit vortäusche, zeigt der Hergang des
vorliegenden Unfalls; ist doch nach der tatsächlichen Feststellung der
Vorinstanz das Warnungsglöcklein erst gleichzeitig mit dem Beginn des Senkens
der Barrieren betätigt worden, als sich der Kläger mit dem Lastwagen schon auf
dem Übergang befand. So eingerichtet wirkte die fernbediente Barrierenanlage
wie eine Falle. Das war auch für die Bahnorgane erkennbar; denn vor dem
streitigen Unfall hat sich nach der Feststellung der Vorinstanz schon öfters
die Barriere so plötzlich gesenkt, dass mehrmals Fuhrwerke, Radfahrer und
Fussgänger eingeschlossen wurden. Nach Aussage des Zeugen Ing. Peter,
Inspektor beim Eidg. Amt für Verkehr, stellte denn auch die Beklagte nach
Erlass der

Seite: 407
Nebenbahnverordnung (vom 19. März 1929) das Gesuch um Bewilligung zur
Ersetzung der Barrierenanlage durch einen unbewachten Übergang mit Warnkreuz,
welche Änderung von der Aufsichtsbehörde bewilligt, von der Beklagten aber
nicht durchgeführt wurde. Wegen der offensichtlichen Gefährlichkeit der Anlage
vertreten auch die gerichtlichen Experten in ihrem Gutachten die Auffassung,
dass diese Lösung sofort verwirklicht werden sollte. Zu ihrer Entlastung kann
sich die Beklagte auch nicht auf die neuere bundesgerichtliche Praxis berufen.
Im Falle BGE 67 II 188 handelte es sich um einen mit behördlicher Bewilligung
nicht signalisierten Übergang, dem die hier vorliegende verkehrsgefährdende
Barrierenanlage, die eine mindestens für den Fahrzeugverkehr nicht vorhandene
Sicherheit vortäuscht, nicht gleichgestellt werden kann. Das Bestehenlassen
dieser aus frühern Vorfällen erkennbaren, im Fehlen einer genügenden
Warnvorrichtung liegenden Gefährlichkeit der Barrierenanlage bildet ein für
den Unfall kausales Verschulden der Beklagten.
b) Ausser der Anlage war aber, nach den Feststellungen der Vorinstanz, auch
die Bedienung der Barriere mangelhaft. Die Beklagte hat die Vorschriften des
Verbandes schweiz. Transportanstalten für den Dienst der Schrankenwärter, vom
Eidg. Amt für Verkehr am 15. Juli 1935 genehmigt und auf 1. August 1935 in
Kraft gesetzt, mit Zirkular vom 19. März 1936 für ihren Betrieb anwendbar
erklärt. Zu Unrecht spricht sie ihnen heute den Charakter verbindlicher
Vorschriften ab. Sie sind auf Grund des Art. 42 der Nebenbahnverordnung von
1929 gestützt auf die dort im Ingress erwähnten Gesetzesbestimmungen erlassen.
Nach Art. 5 Ziff. 8 dieser «Vorschriften für den Dienst der Schrankenwärter»
sind die Schranken... nach Durchfahrt des Zuges stets vollständig zu öffnen.
Das ist nach der Feststellung der Vorinstanz beim fraglichen Übergang
allgemein nicht geschehen. So standen die Barrieren vor ihrer Senkung im
vorliegenden Falle in

Seite: 408
einem Winkel von etwa 60°, also nur zu 2/3 geöffnet. Das hatte zur Folge, dass
die zum Sinken bis auf einen Winkel von 45°, in welcher Stellung die Barriere
auf dem Lastwagen hängen blieb, nötige Zeit stark verkürzt wurde (auf 3-4
Sekunden nach den Experten, auf 6-8 Sekunden nach der Vorinstanz), sodass die
Fallbewegung der Schlagbäume selbst auch nicht mehr als nützliche Warnung
wirkte.
Vor allem aber ist die Barriere nicht, wie Art. 5 Ziff. 5 der genannten
Bestimmungen vorschreibt, spätestens 4 Minuten vor der Durchfahrt des Zuges
geschlossen worden. In dieser bestimmten Feststellung der Vorinstanz ist die
weitere enthalten, dass der Zusammenstoss sich nicht hätte ereignen können,
wenn die Barriere vorschriftsgemäss 4 Minuten vor der Durchfahrt geschlossen
worden wäre. In dieser Annahme liegt keine Aktenwidrigkeit, denn sie steht mit
der Angabe der gerichtlichen Experten, «unbekannt bleibe allerdings die Zeit,
die zwischen der Schliessung der Barriere und der Ankunft des Zuges
verstrichen sei», nicht in einem unverträglichen Widerspruch, da es sich in
beiden Fällen um eine Beweiswürdigung handelt. Dass aber die auf
Beweiswürdigung beruhende Feststellung des Gerichts nicht anders als mit dem
Unfallhergang begründet wird, bedeutet keine Aktenwidrigkeit und steht daher
ihrer Verbindlichkeit nicht entgegen.
Von diesen beiden Widerhandlungen gegen die Dienstvorschriften für
Schrankenwärter ­ unvollständiges Öffnen, verspätetes Schliessen der Barrieren
­ kommt mindestens der letztern für den Unfall kausale Bedeutung zu.
2. ­ Dem Kläger kann dagegen ein Verschulden am Zusammenstoss nicht zur Last
gelegt werden. Die Beklagte selbst hat die Behauptung, der Kläger habe den
Übergang noch zu traversieren versucht, obwohl sich die Schranken bereits zu
senken begonnen hätten, nach ihrer Angabe in der Berufungsbegründung schon vor
der Vorinstanz nicht mehr aufrechterhalten, und auch diese hält die den Kläger
belastende Aussage des Zeugen Kreis nicht für schlüssig.

Seite: 409
Vielmehr betrachtet sie als erstellt, dass die Barrieren noch still standen,
als der Kläger in langsamer Fahrt von 5 Std/km sich dem Übergang näherte. Die
etwas schräge Stellung der Barrieren war kein Grund, den Übergang nicht zu
passieren; denn die Schrägstellung rührte ja nicht von einer beginnenden
Schliessbewegung her, sondern war die Normalstellung zwischen zwei Zügen, da
die Wärterin bezw. ihr Ehemann als Ablöser, wie festgestellt, aus
Nachlässigkeit allgemein die Barriere nicht vollständig zu öffnen pflegten.
Erst als der Lastwagen sich schon auf dem Übergang befand, ertönte des
Glöcklein und senkte sich auch schon die Barriere und zwar, wie oben erwähnt,
zufolge der bereits schrägen Ausgangsstellung so rasch und zudem ruckartig,
dass der Wagen noch mitten auf dem Übergang blockiert wurde. Dass der Kläger
angesichts der etwas schrägen Stellung der Barriere den Beimann hätte
aussteigen und nach einem Zuge Ausschau halten lassen sollen, lässt sich aus
Art. 25 MFG nicht begründen, da Art. 3 des Bahnpolizeigesetzes das
Überschreiten bewachter Übergänge nur bei geschlossenen Schranken verbietet,
während deren Stellung hier die übliche Offenstellung war und daher vom Kläger
in diesem Sinne aufgefasst werden durfte und auch tatsächlich wurde. Die
Beklagte macht übrigens nur geltend, der Kläger hätte wegen der leichten
Neigung der Barriere anhalten und den Kopf zum Kabinenfenster hinausstrecken
sollen, dann hätte er die Signale des auf der Station Biberist abfahrenden
Zuges gehört. Aber abgesehen davon, dass diese Behauptung erst in der
Berufungsbegründung aufgestellt worden und daher nicht zu hören ist (Art. 80
OG), hat bei bewachten Übergängen der Fahrzeugführer sich lediglich über die
Offenstellung der Schranken zu vergewissern, nicht aber nach allfälligen
schwachen akustischen Bahnsignalen und noch weniger nach Abfahrtssignalen
entfernter Stationen zu horchen.
Ebensowenig trifft den Kläger ein Verschulden dafür, dass es ihm trotz allen
Bemühungen nicht gelang, den in der erwähnten Weise gefangenen Lastwagen vom

Seite: 410
Übergang zu entfernen, weil sich die Barriere infolge der Verkeilung des daran
befestigten Dreiecksignals und wegen der Arretierung des Drahtzuges durch die
Sperrklinke am Kurbelstock nicht mehr heben liess. Am Rückwärtsfahren hinderte
ihn ausserdem die Schrägstellung des Anhängers, die sich aus der Linksbiegung
unvermeidlich ergeben hatte. Auch die gerichtlichen Experten stellen fest,
dass ein Rückzug unmöglich war und der Unfall nur durch rechtzeitiges Anhalten
des Zuges hätte vermieden werden können. In dieser Beziehung ist erstellt,
dass der Zeuge Schärer dem Zuge entgegeneilte und den Lokomotivführer durch
Handzeichen auf die Gefahr aufmerksam zu machen suchte, während der Kläger das
gleiche durch Abgabe von Blinksignalen mit seiner Beleuchtung versuchte,
beides erfolglos. Dass der Kläger endlich nicht noch den Versuch machte, die
Barriere mit der Motorkraft gewaltsam zu durchbrechen, wird ihm auch in der
Berufung mit Recht ­ im Hinblick auf die damit verbundene Gefahr ­ nicht als
Verschulden angerechnet. Zutreffend erklärt deshalb die Vorinstanz, der Kläger
habe zur Vermeidung der Kollision alles getan, was ihm unter den gegebenen
Umständen zuzumuten gewesen sei.
3. ­ Liegt mithin kein Mitverschulden des Klägers vor, das ­ in analoger
Anwendung von Art. 5 EHG auf die Verschuldenshaftung für Sachschaden ­ eine
Ermässigung der Entschädigungspflicht der Bahn begründen würde, so ist deren
Haftung im vollen Umfange gegeben, es wäre denn, dass sich eine
Schadensverteilung daraus ergäbe, dass der Kläger der Kausalhaft des
Automobilhalters gemäss Art. 37 ff. MFG untersteht. Dies ist indessen nicht
der Fall, selbst wenn die Frage, ob angesichts des im Moment des
Zusammenstosses stillstehenden Lastwagens überhaupt ein die Haftung nach MFG
begründender Unfall aus dem «Betrieb» eines Motorfahrzeugs vorliege, zu
bejahen wäre. Der in BGE 67 II 186 entwickelte Grundsatz der anteilsweisen
Selbsttragung des Schadens bei Konkurrenz von Eisenbahn- und
Motorfahrzeughaftpflicht

Seite: 411
bezog sich auf Körperschaden, für welchen sowohl nach EHG als nach MFG die
Kausalhaft gilt, während für Sachschaden die Eisenbahn nur aus Verschulden,
der Automobilhalter jedoch gegenüber einem Nichthalter kausal haftet. Es
erschiene jedoch unbillig, wenn in einem Sachschadenfalle wie dem vorliegenden
die am Unfall allein schuldige Eisenbahn einen Teil des Schadens auf den
geschädigten schuldlosen Motorfahrzeughalter abwälzen könnte, während
umgekehrt nach MFG der den Sachschaden der Bahn allein verschuldende Halter
diesen auch allein zu tragen hätte. Es rechtfertigt sich vielmehr, in einem
solchen Fall gegenseitiger Haftung von Bahn und Motorfahrzeug für Sachschaden
auf die Haftung des Automobilhalters Art. 39 Satz 2 MFG über Schadenersatz
zwischen Haltern analog anzuwenden, wonach für Sachschaden nach OR, also
ebenfalls nur aus Verschulden gehaftet wird. Den Automobilhalter gegenüber der
Eisenbahn nach einem strengern Rechte haften zu lassen, als es für die Bahn
ihm gegenüber und für den Halter einem andern Halter gegenüber gilt, erscheint
umso unbilliger, als die Vergleichung der gegenseitigen Betriebsgefahren der
beiden Verkehrsmittel eher das Gegenteil erwarten liesse; denn sowohl
hinsichtlich der Ursachen als der Folgen einer gewaltsamen Begegnung (Wucht
der bewegten Masse, Ausweichmöglichkeit, Bremsweg) hat zweifellos der
Lastwagen die Normalspurbahn mehr zu fürchten als diese jenen, wird doch in
der Regel bei einer Kollision, wie der vorliegende Fall zeigt, das
Strassenfahrzeug den kürzern ziehen (vgl. für das Verhältnis Trambahn:
Motorrad BGE 67 II 187). Für die Beurteilung der Frage der Mitbezw.
Selbsthaftung des Klägers ist also die beklagte Eisenbahn einem
Motorfahrzeughalter gleichzustellen, woraus sich bei alleinigem Verschulden
der Beklagten ihre ungeschmälerte Haftung ergibt. Wollte man übrigens neben
der Schuldhaftung der Beklagten die Kausalhaftung des Klägers nach Art. 37 MFG
für einen angemessenen Verursachungsanteil wirksam bleiben lassen, so wäre
dieser

Seite: 412
so gering, dass er neben jener praktisch gar nicht ins Gewicht fiele.
Die Anwendung dieses gegenseitigen Haftungsverhältnisses auf den an der
Lokomotive entstandenen Schaden entfällt, da die Beklagte diesen Dicht geltend
gemacht hat.
4. ­ .....
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung der Beklagten wird abgewiesen
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 69 II 401
Datum : 01. Januar 1942
Publiziert : 17. Dezember 1943
Quelle : Bundesgericht
Status : 69 II 401
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Eisenbahnhaftpflicht (Zusammenstoss zwischen Eisenbahn und Motorfahrzeug, blosser Sachschaden an...


Gesetzesregister
EHG: 5  11
OG: 80
BGE Register
67-II-183 • 69-II-401
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
beklagter • lastwagen • vorinstanz • sachschaden • zeuge • fuhrwerk • ehg • kausalhaftung • schaden • bundesgericht • weiler • frage • treffen • stelle • bewilligung oder genehmigung • schadenersatz • eisenbahn • beginn • verkehrssicherheit • bezogener
... Alle anzeigen