S. 394 / Nr. 63 Obligationenrecht (d)

BGE 69 II 394

63. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 14. Dezember 1943 i. S.
Guyer gegen Stadtgemeinde Zürich.

Regeste:
Werkhaftung, Art. 58
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 58 - 1 Der Eigentümer eines Gebäudes oder eines andern Werkes hat den Schaden zu ersetzen, den diese infolge von fehlerhafter Anlage oder Herstellung oder von mangelhafter Unterhaltung verursachen.
1    Der Eigentümer eines Gebäudes oder eines andern Werkes hat den Schaden zu ersetzen, den diese infolge von fehlerhafter Anlage oder Herstellung oder von mangelhafter Unterhaltung verursachen.
2    Vorbehalten bleibt ihm der Rückgriff auf andere, die ihm hierfür verantwortlich sind.
OR.
1. Der Eigentümer hat für jeden Zustand mangelhafter Unterhaltung einzustehen,
selbst wenn er den (von Dritten herbeigeführten) Mangel auch bei
pflichtgemässer Sorgfalt nicht entdecken und beseitigen konnte.
2. War der Geschädigte bei der Entstehung des Mangels in der Weise beteiligt,
dass er zu dessen Behebung verpflichtet wurde so ist ihm die Verletzung dieser
Pflicht als Selbstverschulden anzurechnen.
Responsabilité du propriétaire d'un ouvrage, art. 58 CO.
1. Le propriétaire répond de tout entretien défectueux, alors même qu'il
n'aurait pu, en faisant toutes diligences, découvrir le défaut (fait d'un
tiers) et y remédier.
2. Lorsque le lésé a contribué à créer la défectuosité de telle manière qu'il
était tenu de la réparer, l'inaccomplissement de ce devoir lui est imputable à
faute.
Responsabilità del proprietario d'un'opera, art 58 CO.
1. Il proprietario è responsabile d'ogni difetto di manutenzione, anche se,
usando tutta la diligenza, non avesse potuto scoprire il difetto dovuto ad un
terzo e rimediarvi.
2. Se il leso ha contribuito a creare il difetto in modo tale ch'era tenuto a
ripararlo, è in colpa se non l'ha riparato.


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A. ­ Die 1909 geborene Bureauangestellte Frau Hedi Guyer bewohnte seit dem 1.
Juli 1939 einen Atelierraum im Dachstock (2. Stock) des Hauses Gemeindestrasse
10 in Zürich. Sie war Untermieterin der im 1. Stock wohnenden Frau Bobba Dal
Santo, die das ganze Haus von der Eigentümerin, der Stadtgemeinde Zürich,
gemietet hatte.
Am Morgen des 13. März 1940 stieg Frau Guyer die vom Dachstock in den 1. Stock
führende Treppe hinunter, stürzte und durchstiess mit dem linken Arm ein
Fenster des Treppenhauses. Sie verletzte sich dabei so schwer, dass sie
seither im Gebrauch der linken Hand dauernd fast ganz behindert ist.
B. ­ Wegen dieses Unfalles klagte Frau Guyer die Stadtgemeinde Zürich gestützt
auf Art. 58
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 58 - 1 Der Eigentümer eines Gebäudes oder eines andern Werkes hat den Schaden zu ersetzen, den diese infolge von fehlerhafter Anlage oder Herstellung oder von mangelhafter Unterhaltung verursachen.
1    Der Eigentümer eines Gebäudes oder eines andern Werkes hat den Schaden zu ersetzen, den diese infolge von fehlerhafter Anlage oder Herstellung oder von mangelhafter Unterhaltung verursachen.
2    Vorbehalten bleibt ihm der Rückgriff auf andere, die ihm hierfür verantwortlich sind.
OR ein und forderte von ihr Fr. 100000.- nebst Zins zu 5% seit 13.
März 1940 als Ersatz für die Heilungskosten und die dauernde
Erwerbsunfähigkeit, sowie als Genugtuung.
Die Beklagte bestritt ihre Haftpflicht.
Das Bezirksgericht Zürich erachtete die Beklagte als haftbar; es stellte eine
dauernde Erwerbsunfähigkeit der Klägerin von 55 Prozent und einen
Gesamtschaden von Fr. 35434.55 fest; wegen Mitverschuldens der Klägerin
ermässigte es die Ersatzpflicht der Beklagten um 20 Prozent. Mit Urteil vom
20. Oktober 1942 sprach das Bezirksgericht der Klägerin Fr. 28575.85 als
Schadenersatz und Fr. 5000.- als Genugtuung, insgesamt also Fr. 33575.85 zu
nebst Zins zu 5% seit 13. März 1940.
Das Obergericht des Kantons Zürich, das auf Berufung der Beklagten und
Anschlussberufung der Klägerin hin sich mit der Sache befasste, wies die Klage
mit Urteil vom 10. Februar 1943 gänzlich ab mit der Begründung, die
Haftpflicht der Beklagten gemäss Art. 58
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 58 - 1 Der Eigentümer eines Gebäudes oder eines andern Werkes hat den Schaden zu ersetzen, den diese infolge von fehlerhafter Anlage oder Herstellung oder von mangelhafter Unterhaltung verursachen.
1    Der Eigentümer eines Gebäudes oder eines andern Werkes hat den Schaden zu ersetzen, den diese infolge von fehlerhafter Anlage oder Herstellung oder von mangelhafter Unterhaltung verursachen.
2    Vorbehalten bleibt ihm der Rückgriff auf andere, die ihm hierfür verantwortlich sind.
OR sei nicht gegeben; wenn sie
gegeben wäre, so müsste die Klage wegen Selbstverschuldens der Klägerin
gänzlich abgewiesen werden (Art. 44 Abs. 1
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 44 - 1 Hat der Geschädigte in die schädigende Handlung eingewilligt, oder haben Umstände, für die er einstehen muss, auf die Entstehung oder Verschlimmerung des Schadens eingewirkt oder die Stellung des Ersatzpflichtigen sonst erschwert, so kann der Richter die Ersatzpflicht ermässigen oder gänzlich von ihr entbinden.
1    Hat der Geschädigte in die schädigende Handlung eingewilligt, oder haben Umstände, für die er einstehen muss, auf die Entstehung oder Verschlimmerung des Schadens eingewirkt oder die Stellung des Ersatzpflichtigen sonst erschwert, so kann der Richter die Ersatzpflicht ermässigen oder gänzlich von ihr entbinden.
2    Würde ein Ersatzpflichtiger, der den Schaden weder absichtlich noch grobfahrlässig verursacht hat, durch Leistung des Ersatzes in eine Notlage versetzt, so kann der Richter auch aus diesem Grunde die Ersatzpflicht ermässigen.
OR).
C. ... (Kantonale Nichtigkeitsbeschwerde.)
D. ­ Mit der vorliegenden Berufung beantragt die

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Klägerin, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Beklagte zu
verpflichten, der Klägerin Fr. 50575.95 zu bezahlen nebst Zins zu 5% seit 13.
März 1940.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. ­ Die Treppe, auf der die Klägerin verunfallte, besteht aus Holz. Wer auf
ihr herabsteigt, hat rechts eine Mauer und links ein Holzgeländer, das unten
mit einem Pfosten abschliesst. Bis zum Pfosten verläuft die Treppe gerade. Von
da an beschreiben ihre untersten Stufen um den Pfosten eine Viertelsdrehung
nach links. An die rechtsseitige Mauer schliesst sich dementsprechend bei der
Treppenwendung rechtwinklig eine Stirnwand an, welche die untersten Stufen
begrenzt und ferner die Schmalseite des Korridors abschliesst, auf den die
Treppe mündet. In dieser Stirnwand befindet sich ein Fenster. Von oben gesehen
ragt dieses nur wenig in den Treppenraum hinein. Es liegt zur Hauptsache in 80
cm Höhe über dem Korridorboden und zum Teil noch über den beiden untersten
Treppenstufen.
Zur Zeit des Unfalles war die Treppe ohne Geländer. Dal Santo, der Bruder der
Frau Bobba, hatte es im Dezember 1939 samt dem obern Teil des Treppenpfostens
weggenommen, als er einem Bekannten der Klägerin, Fritz Stöckli, behilflich
war, einen Kasten in deren Zimmer zu stellen. Erst nach der Wegnahme des
Geländers hatten Dal Santo und Stöckli den Kasten die nur 80 cm breite Treppe
hinaufbringen können. Die Klägerin war damals nicht zugegen gewesen. Sie hatte
aber Stöckli vorher die Erlaubnis gegeben, den ihm gehörenden Kasten in ihrem
Zimmer einzustellen. Am Abend des Tages, an dem das Geländer entfernt worden
war, hatte sie die Wegnahme bemerkt und seither immer die geländerlose Treppe
benützt.
Schon früher, beim Einzug der Klägerin, hatte das Geländer weggenommen werden
müssen; es war dann aber wieder angebracht worden.

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2. ­ Die Klägerin gab kurz nach dem Unfall über dessen Hergang folgende in
einem Polizeirapport festgehaltene Darstellung: a Ich wollte auf der Treppe in
den ersten Stock hinuntersteigen und blieb mit einem Absatz an einer Stute
hängen. Da die Treppe kein Geländer hat und ich mich nirgends sonst halten
konnte, stürzte ich hinunter.»
In der Klageschrift führte die Klägerin dazu aus, sie sei deshalb hängen
geblieben, weil sich in den Treppenstufen Risse befunden hätten. Nach der
Feststellung der Vorinstanz ist dies ausgeschlossen. Die Treppe an sich weist
überhaupt keinen für die Benützer gefährlichen Mangel auf. Wie beide
kantonalen Gerichte auf Grund ihres Augenscheins feststellten, ist die Treppe
entgegen der Behauptung der Klägerin nicht aussergewöhnlich steil; ihre Stufen
sind gut erhalten, weisen keine Rillen auf und sind nur leicht ausgetreten.
Auch die Beleuchtung des Treppenhauses stand mit dem Unfall in keinem
Zusammenhang.
Der unmittelbare Anlass zum Sturz, das Hängenbleiben mit dem Absatz, wurde
somit nicht durch die Beschaffenheit der Treppe verursacht. Dagegen kam es nur
darum zum folgenschweren Fall gegen das Fenster, weil das Geländer fehlte und
sich die Klägerin deshalb nirgends halten konnte, als sie hängen blieb. Dies
ergibt sich aus der oben angeführten Darstellung der Klägerin, die sie im
Prozess bestätigte. So heisst es in der Klageschrift: «Wäre das Geländer
vorhanden gewesen, so wäre die Klägerin im schlimmsten Falle in die Biegung
(Mauerecke unten) der Treppe gefallen und nicht gegen das ungeschützte
Fenster.» Vor Obergericht liess die Klägerin ausführen: a Zweifellos ist der
Sturz auf das Fehlen des Geländers zurückzuführen.»
Beim Sturz gegen das Fenster hätte sich sodann die Klägerin nicht so schwer
verletzt, wenn dieses durch ein Gitter geschützt gewesen wäre.
Somit hat die Beschaffenheit des Treppenhauses,

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nämlich das Fehlen von Geländer und Fensterschutz, bei der Entstehung des
Schadens entscheidend mitgewirkt.
3. ­ Das ungeschützte Fenster stellt an sich keine mangelhafte Anlage im Sinne
von Art. 58
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 58 - 1 Der Eigentümer eines Gebäudes oder eines andern Werkes hat den Schaden zu ersetzen, den diese infolge von fehlerhafter Anlage oder Herstellung oder von mangelhafter Unterhaltung verursachen.
1    Der Eigentümer eines Gebäudes oder eines andern Werkes hat den Schaden zu ersetzen, den diese infolge von fehlerhafter Anlage oder Herstellung oder von mangelhafter Unterhaltung verursachen.
2    Vorbehalten bleibt ihm der Rückgriff auf andere, die ihm hierfür verantwortlich sind.
OR dar. Die Vorinstanz hat die gegenteilige Ansicht des
Bezirksgerichts mit zutreffenden Gründen widerlegt. Im mangelnden
Fensterschutz lag nur deshalb eine nicht bloss entfernte Unfallgefahr, weil
das zur Treppe gehörende Geländer nicht angebracht und ein gefährlicher Sturz
auf der Treppe daher eher möglich war.
Das Fehlen des Geländers stellt dagegen nach den Umständen ohne Zweifel einen
Zustand mangelhafter Unterhaltung im Sinne von Art. 58
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 58 - 1 Der Eigentümer eines Gebäudes oder eines andern Werkes hat den Schaden zu ersetzen, den diese infolge von fehlerhafter Anlage oder Herstellung oder von mangelhafter Unterhaltung verursachen.
1    Der Eigentümer eines Gebäudes oder eines andern Werkes hat den Schaden zu ersetzen, den diese infolge von fehlerhafter Anlage oder Herstellung oder von mangelhafter Unterhaltung verursachen.
2    Vorbehalten bleibt ihm der Rückgriff auf andere, die ihm hierfür verantwortlich sind.
OR dar. Diesem Mangel
kommt für den Hergang des Unfalls eine so überragende Bedeutung zu, dass er
mit der Vorinstanz als die rechtlich erhebliche Ursache des Schadens anzusehen
ist. Die Haftpflicht der beklagten Hauseigentümerin ist daher gegeben.
Die Vorinstanz verneinte die Haftpflicht mit der Begründung, die Beklagte habe
von der eigenmächtigen Wegnahme des Geländers durch Dal Santo nichts gewusst.
Ein Werkeigentümer dürfe damit rechnen, dass ein derartiger Eingriff in sein
Eigentum entweder überhaupt nicht vorgenommen oder dann von den Beteiligten
sofort wieder beseitigt oder doch ihm gemeldet würde. Diese Gründe vermögen
jedoch die Beklagte nicht zu befreien. Denn die Haftung gemäss Art. 58 ist
rein kausal. Sie wird allein schon durch die Tatsache begründet, dass ein
Schaden durch einen Werkmangel verursacht wurde. Der Eigentümer hat für den
mangelhaften Zustand als solchen einzustehen, nicht bloss für ein Verhalten,
auf das allfällig dieser Zustand zurückzuführen ist. Auf die Ursache des
Mangels kommt es daher nicht an, desgleichen (entgegen von TUHR/SIEGWART OR S.
390 Anm. 16, BECKER 2. Aufl. Art. 58 Nr. 20) nicht darauf, ob der Eigentümer
bei pflichtgemässer Sorgfalt den Mangel hätte entdecken und beseitigen können.
Würde man auf

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diese Umstände abstellen, so liesse man den Eigentümer zum Beweis zu, dass ihn
kein Verschulden treffe oder dass er die gebotene Sorgfalt angewendet habe.
Eine solche Entlastungsmöglichkeit sieht aber Art. 58 nicht vor. Nach der
Meinung des Gesetzes soll der Eigentümer, der die Vorteile eines Werkes
geniesst, schlechthin für jeden Schaden haften, der wegen eines Werkmangels
entsteht (BGE 35 II 238; 55 II 80; 60 II 218 und 341).
4. ­ Das Fehlen des Geländers fällt aber nicht nur als Werkmangel, sondern
zugleich als Umstand in Betracht, für den die Geschädigte selbst einstehen
muss (Art. 44 Abs. 1
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 44 - 1 Hat der Geschädigte in die schädigende Handlung eingewilligt, oder haben Umstände, für die er einstehen muss, auf die Entstehung oder Verschlimmerung des Schadens eingewirkt oder die Stellung des Ersatzpflichtigen sonst erschwert, so kann der Richter die Ersatzpflicht ermässigen oder gänzlich von ihr entbinden.
1    Hat der Geschädigte in die schädigende Handlung eingewilligt, oder haben Umstände, für die er einstehen muss, auf die Entstehung oder Verschlimmerung des Schadens eingewirkt oder die Stellung des Ersatzpflichtigen sonst erschwert, so kann der Richter die Ersatzpflicht ermässigen oder gänzlich von ihr entbinden.
2    Würde ein Ersatzpflichtiger, der den Schaden weder absichtlich noch grobfahrlässig verursacht hat, durch Leistung des Ersatzes in eine Notlage versetzt, so kann der Richter auch aus diesem Grunde die Ersatzpflicht ermässigen.
OR). Zwar hatte die Klägerin das Geländer weder selbst
weggenommen noch seine Wegnahme angeordnet. Zur Entfernung war es aber nur
deshalb gekommen, weil sie Stöckli gestattet hatte, den Kasten in ihrem Zimmer
einzustellen. Das Geländer war also bei Ausführung eines
Hinterlegungsvertrages weggenommen werden, dessen eine Partei die Geschädigte
selbst war. Mit dem Abschluss dieses Vertrages hatte sie über die Mitbenützung
ihres Mietraumes verfügt und dadurch Anlass gegeben, dass auf der zum Mietraum
führenden Treppe ein Mangel entstand. Wer dergestalt als Untermieter an der
Entstehung eines Mangels an einem ihm zum Mitgebrauch überlassenen Teil des
Hauses beteiligt ist, hat für die Beseitigung des Mangels zu sorgen. Tut er
dies nicht und entsteht gerade ihm wegen dieses Mangels ein Schaden, so ist
ihm diese Unterlassung im Prozess gegen den Hauseigentümer als
Selbstverschulden anzurechnen.
Nach den Umständen rechtfertigt es sich, die Beklagte ganz von der
Ersatzpflicht zu befreien. Denn der Werkmangel betraf gerade die zum Wohnraum
der Klägerin führende Treppe, die von ihr selbst am meisten benutzt wurde. Der
Mangel war augenfällig und musste der Klägerin bei jedem Begehen der Treppe
als etwas Aussergewöhnliches auffallen. Der Unfall ereignete sich einige
Monate nach der Wegnahme, nachdem also die Klägerin längst Zeit gehabt hätte,
den leicht behebbaren Mangel

Seite: 400
beseitigen zu lassen. Diese der Geschädigten zur Last fallenden Umstände
wiegen die Gründe völlig auf, welche die strenge Haftung des Werkeigentümers
sonst rechtfertigen. Die Klägerin fiel nicht einem Werkmangel zum Opfer, mit
dem sie nicht rechnen musste und den sie nicht erkennen konnte; der Schaden
erwuchs ihr vielmehr aus einem Gefahrenzustand, den sie nicht nur seit langem
kannte, sondern sogar selbst hätte beseitigen sollen.
Demnach erkennt das Bundesgericht
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichts des Kantons
Zürich vom 10. Februar 1943 bestätigt.
Vgl. auch Nr. 60, 65. ­ Voir aussi nos 60, 65.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 69 II 394
Datum : 01. Januar 1942
Publiziert : 14. Dezember 1943
Quelle : Bundesgericht
Status : 69 II 394
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Werkhaftung, Art. 58 OR.1. Der Eigentümer hat für jeden Zustand mangelhafter Unterhaltung...


Gesetzesregister
OR: 44 
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 44 - 1 Hat der Geschädigte in die schädigende Handlung eingewilligt, oder haben Umstände, für die er einstehen muss, auf die Entstehung oder Verschlimmerung des Schadens eingewirkt oder die Stellung des Ersatzpflichtigen sonst erschwert, so kann der Richter die Ersatzpflicht ermässigen oder gänzlich von ihr entbinden.
1    Hat der Geschädigte in die schädigende Handlung eingewilligt, oder haben Umstände, für die er einstehen muss, auf die Entstehung oder Verschlimmerung des Schadens eingewirkt oder die Stellung des Ersatzpflichtigen sonst erschwert, so kann der Richter die Ersatzpflicht ermässigen oder gänzlich von ihr entbinden.
2    Würde ein Ersatzpflichtiger, der den Schaden weder absichtlich noch grobfahrlässig verursacht hat, durch Leistung des Ersatzes in eine Notlage versetzt, so kann der Richter auch aus diesem Grunde die Ersatzpflicht ermässigen.
58
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 58 - 1 Der Eigentümer eines Gebäudes oder eines andern Werkes hat den Schaden zu ersetzen, den diese infolge von fehlerhafter Anlage oder Herstellung oder von mangelhafter Unterhaltung verursachen.
1    Der Eigentümer eines Gebäudes oder eines andern Werkes hat den Schaden zu ersetzen, den diese infolge von fehlerhafter Anlage oder Herstellung oder von mangelhafter Unterhaltung verursachen.
2    Vorbehalten bleibt ihm der Rückgriff auf andere, die ihm hierfür verantwortlich sind.
BGE Register
35-II-238 • 55-II-80 • 60-II-218 • 69-II-394
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
treppe • beklagter • fenster • schaden • wegnahme • vorinstanz • sturz • weiler • selbstverschulden • zimmer • zins • mangelhafter unterhalt • bundesgericht • genugtuung • klageschrift • sachmangel • opfer • entscheid • schadenersatz • begründung des entscheids
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