S. 273 / Nr. 44 Familienrecht (d)

BGE 69 II 273

44. Urteil der II. Zivilabteilung vom 23. September 1943 i. S. Schoeffter
gegen Schoeffter.


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Regeste:
Gerichtsstand für die Scheidungsklage, Wohnsitz der klagenden Ehefrau. Diese
hat einen selbständigen Wohnsitz nur, wenn sie zum Getrenntleben berechtigt
ist, tatsächlich getrennt lebt und zudem die allgemeinen Voraussetzungen eines
Wohnsitzerwerbes erfüllt.
Art. 23 ff
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 23 - 1 Der Wohnsitz einer Person befindet sich an dem Orte, wo sie sich mit der Absicht dauernden Verbleibens aufhält; der Aufenthalt zum Zweck der Ausbildung oder die Unterbringung einer Person in einer Erziehungs- oder Pflegeeinrichtung, einem Spital oder einer Strafanstalt begründet für sich allein keinen Wohnsitz.23
1    Der Wohnsitz einer Person befindet sich an dem Orte, wo sie sich mit der Absicht dauernden Verbleibens aufhält; der Aufenthalt zum Zweck der Ausbildung oder die Unterbringung einer Person in einer Erziehungs- oder Pflegeeinrichtung, einem Spital oder einer Strafanstalt begründet für sich allein keinen Wohnsitz.23
2    Niemand kann an mehreren Orten zugleich seinen Wohnsitz haben.
3    Die geschäftliche Niederlassung wird von dieser Bestimmung nicht betroffen.
., besonders 25, 144, 170 ZGB.
For de l'action en divorce. Domicile de la femme demanderesse. La femme qui
ouvre action en divorce ne peut faire état d'un domicile propre que si: 1°
elle est en droit d'avoir une vie séparée; 2° elle a en fait une demeure
distincte et 3° les conditions générales nécessaires pour la création d'un
domicile sont réalisées.
Art. 23 et sv., spécialement 25, 144, 170 CC.
Foro dell'azione di divorzio. Domicilio della moglie attrice. La moglie che
promuove azione di divorzio, può invocare un domicilio proprio soltanto se,
avendo diritto di vivere separata, vive effettivamente separata e le
condizioni generali necessarie per la costituzione d'un domicilio sono
adempiute.
Art. 23 e seg., specialmente 25, 144 e 170 CC.

A. - Die im Jahre 1938 getrauten Parteien wohnten in Wolhusen. Im Herbst 1941
verliess die Klägerin das eheliche Domizil für einige Wochen. Sie begab sich
zu einem Nervenarzt in Luzern in Behandlung und beauftragte einen Anwalt mit
der Erhebung der Scheidungsklage. Der Beklagte versuchte sie von diesem
Vorhaben abzubringen, war aber damit einverstanden, dass sie sich weiterhin in
Luzern behandeln liess. Als der betreffende Arzt sie

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an einen Kollegen in Zürich wies, willigte der Beklagte auch in die dadurch
bedingte Änderung des Aufenthaltes ein. Er liess der Klägerin im Mai 1942 von
der Gemeinderats-Kanzlei Wolhusen einen Interimsausweis für ein Jahr
ausstellen. Fortan lebte die Klägerin in Zürich in einer Pension.
B. - Im Sommer 1942 brachte sie das Scheidungsbegehren beim Friedensrichteramt
von Zürich an, zog alsdann zu Verwandten in Schlieren, gleichfalls im Bezirk
Zürich, und machte die Scheidungsklage im Februar 1943 beim Bezirksgericht
Zürich hängig. Der Beklagte, der im Februar 1943 von Wolhusen nach Basel
übergesiedelt war, erhob Unzuständigkeitseinrede: Als Ehefrau teile die
Klägerin seinen Wohnsitz und könne nicht anderswo Scheidungsklage erheben. Das
Bezirksgericht verwarf diese Einrede nach Einvernahme des Arztes der Klägerin.
Dieser sagte, die Klägerin sei von solcher Abneigung gegen den Beklagten
erfüllt, dass ein weiteres Zusammenleben mit diesem für sie nicht erträglich
gewesen wäre, vielmehr ihre Gesundheit ernstlich gefährdet hätte. Eine
Trennung sei nötig. Die Klägerin leide an Schizophrenie, die sich auf den
Bezirk der Ehe beschränke, während sie im übrigen normal handeln könne. Es
habe sich gezeigt, «dass jedesmal, wenn die Aussichten auf die Scheidung der
Klägerin ungünstig erschienen, eine deutliche Verschlimmerung der psychischen
Störungen eintrat, einmal in einem Ausmass, dass sie auch körperlich verfiel».
Daraus leitete das Bezirksgericht ein Recht der Klägerin auf Getrenntleben ab,
und es erkannte ihr einen selbständigen Wohnsitz in Zürich zu, ebenso das
Obergericht mit Entscheid vom 19. Juli 1943.
C. - Mit der vorliegenden zivilrechtlichen Beschwerde hält der Beklagte die
Gerichtsstandseinrede aufrecht.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Die Klägerin behauptet, sie sei nach Art. 170 Abs. 1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 170 - 1 Jeder Ehegatte kann vom andern Auskunft über dessen Einkommen, Vermögen und Schulden verlangen.
1    Jeder Ehegatte kann vom andern Auskunft über dessen Einkommen, Vermögen und Schulden verlangen.
2    Auf sein Begehren kann das Gericht den andern Ehegatten oder Dritte verpflichten, die erforderlichen Auskünfte zu erteilen und die notwendigen Urkunden vorzulegen.
3    Vorbehalten bleibt das Berufsgeheimnis der Rechtsanwälte, Notare, Ärzte, Geistlichen und ihrer Hilfspersonen.
ZGB berechtigt
gewesen, vom Beklagten getrennt zu leben und einen selbständigen Wohnsitz zu
begründen.

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In der Tat ist die Berechtigung zum Getrenntleben gegeben, sobald die vom
Gesetz genannten Gründe vorliegen, nicht erst kraft einer richterlichen
Bewilligung (BGE 64 II 395). Es ist also zu prüfen, ob die Klägerin nach
dieser Massgabe in Zürich Wohnsitz erworben hatte und demzufolge die
Scheidungsklage nach Art. 144
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 170 - 1 Jeder Ehegatte kann vom andern Auskunft über dessen Einkommen, Vermögen und Schulden verlangen.
1    Jeder Ehegatte kann vom andern Auskunft über dessen Einkommen, Vermögen und Schulden verlangen.
2    Auf sein Begehren kann das Gericht den andern Ehegatten oder Dritte verpflichten, die erforderlichen Auskünfte zu erteilen und die notwendigen Urkunden vorzulegen.
3    Vorbehalten bleibt das Berufsgeheimnis der Rechtsanwälte, Notare, Ärzte, Geistlichen und ihrer Hilfspersonen.
ZGB bei den Zürcher Gerichten erheben konnte.
Die Vorinstanz nimmt auf Grund der Aussagen des behandelnden Arztes eine
Gefährdung der Gesundheit der Klägerin an, weil diese eine tiefe Abneigung
gegen den Beklagten empfinde und das Zusammenleben mit ihm wegen ihrer
abnormalen Geistesverfassung nicht ertrage. Der Beklagte meint, diese
Verhältnisse liessen sich nur durch gerichtliche Expertise abklären; auf ein
«parteiwohlgefälliges Zeugnis» des behandelnden Arztes dürfe nicht abgestellt
werden. Ob die Aussagen des Zeugen zuverlässig seien, ist jedoch eine vom
Bundesgericht nicht nachzuprüfende Frage der Beweiswürdigung. Rechtsfrage ist,
ob den als bewiesen erachteten Tatsachen hinreichende Bedeutung im Sinne des
Art. 170 Abs. 1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 170 - 1 Jeder Ehegatte kann vom andern Auskunft über dessen Einkommen, Vermögen und Schulden verlangen.
1    Jeder Ehegatte kann vom andern Auskunft über dessen Einkommen, Vermögen und Schulden verlangen.
2    Auf sein Begehren kann das Gericht den andern Ehegatten oder Dritte verpflichten, die erforderlichen Auskünfte zu erteilen und die notwendigen Urkunden vorzulegen.
3    Vorbehalten bleibt das Berufsgeheimnis der Rechtsanwälte, Notare, Ärzte, Geistlichen und ihrer Hilfspersonen.
ZGB zukomme. Das konnte ohne Rechtsverletzung bejaht werden.
2.- Mit Unrecht schliesst aber die Vorinstanz aus der Berechtigung zum
Getrenntleben ohne weiteres, der Aufenthalt der Klägerin in Zürich sei als
Wohnsitz zu betrachten. Die zum Getrenntleben berechtigte Ehefrau kann einen
selbständigen Wohnsitz nehmen, braucht es aber nicht. Begibt sie sich an einen
andern Ort bloss auf Besuch oder zur Kur, sei es auch für längere Zeit, so
gibt sie damit den bisherigen Wohnsitz nicht auf. Dem Eheschutzzweck der Art.
169 ff
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 169 - 1 Ein Ehegatte kann nur mit der ausdrücklichen Zustimmung des andern einen Mietvertrag kündigen, das Haus oder die Wohnung der Familie veräussern oder durch andere Rechtsgeschäfte die Rechte an den Wohnräumen der Familie beschränken.
1    Ein Ehegatte kann nur mit der ausdrücklichen Zustimmung des andern einen Mietvertrag kündigen, das Haus oder die Wohnung der Familie veräussern oder durch andere Rechtsgeschäfte die Rechte an den Wohnräumen der Familie beschränken.
2    Kann der Ehegatte diese Zustimmung nicht einholen oder wird sie ihm ohne triftigen Grund verweigert, so kann er das Gericht anrufen.
. und insbesondere des Art. 170 Abs. 1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 170 - 1 Jeder Ehegatte kann vom andern Auskunft über dessen Einkommen, Vermögen und Schulden verlangen.
1    Jeder Ehegatte kann vom andern Auskunft über dessen Einkommen, Vermögen und Schulden verlangen.
2    Auf sein Begehren kann das Gericht den andern Ehegatten oder Dritte verpflichten, die erforderlichen Auskünfte zu erteilen und die notwendigen Urkunden vorzulegen.
3    Vorbehalten bleibt das Berufsgeheimnis der Rechtsanwälte, Notare, Ärzte, Geistlichen und ihrer Hilfspersonen.
ZGB entspricht es durchaus, dass
die Verbindung zwischen den Ehegatten nicht mehr als nötig gelockert werde.
Ist Getrenntleben geboten, lässt es sich aber ohne selbständigen Wohnsitz der
Ehefrau bewirken, so kann es sehr wohl bei blosser Aufenthaltstrennung
bleiben. Der Sinn des Gesetzes geht auch nicht etwa dahin, solche
Aufenthaltstrennung habe, von den gewöhnlichen Vorschriften über den Wohnsitz
abweichend,

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ohne weiteres als Begründung eines selbständigen Wohnsitzes der Ehefrau zu
gelten. Vielmehr behält die Ehefrau, auch wenn sie befugterweise getrennt vom
Manne lebt, den ehelichen Wohnsitz, solange sie nicht nach den gewöhnlichen
Vorschriften einen neuen Wohnsitz für sich erwirbt. Hier liegt nun nichts
dafür vor, dass sich die Klägerin in Zürich selbständig eingerichtet, d. h.
den Mittelpunkt ihres Lebens dorthin verlegt hätte. Der frühere Arzt in Luzern
wies sie an einen Arzt in Zürich zu weiterer Behandlung. Es handelte sich also
um blossen Aufenthalt, wenn auch auf längere Dauer, zu besonderem Zweck. Das
war auch der Sinn der Zustimmung des Beklagten und der Ausstellung eines
Interimsausweises durch die Behörde des ehelichen Wohnsitzes. Dieser blieb
also für die Klägerin bestehen. Freilich fasste sie, sei es vor oder nach dem
Wegzug nach Zürich, den Entschluss zur Scheidungsklage. Der Gerichtsstand
befand sich jedoch nach dem Gesagten nach wie vor am ehelichen Wohnsitz. Die
Absicht, an einem andern Ort als dem wirklichen Wohnsitz zu klagen, zielt auf
eine Umgehung des gesetzlichen Gerichtsstandes ab. Sie vermag die
Voraussetzungen der Wohnsitzbegründung nicht zu ersetzen (BGE 64 II 399 /400).
Das führt zur Gutheissung der Gerichtsstandseinrede. Es kann dahingestellt
bleiben, ob die Klägerin trotz der «auf den Bezirk der Ehe beschränkten»
Schizophrenie fähig gewesen wäre, eine durch den Ehekonflikt bedingte
Entschliessung wie die Aufgabe des ehelichen Wohnsitzes und die Begründung
eines selbständigen neuen zu treffen. Ebensowenig braucht die Zulässigkeit der
Scheidungsklage als solcher (BGE 68 II 144) geprüft zu werden.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird gutgeheissen, der Gerichtsstandsentscheid des
Obergerichtes des Standes Zürich vom 19. Juli 1943 aufgehoben und die
Unzuständigkeitseinrede geschützt.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 69 II 273
Date : 01. Januar 1942
Published : 22. September 1943
Source : Bundesgericht
Status : 69 II 273
Subject area : BGE - Zivilrecht
Subject : Gerichtsstand für die Scheidungsklage, Wohnsitz der klagenden Ehefrau. Diese hat einen...


Legislation register
ZGB: 23  144  169  170
BGE-register
64-II-395 • 68-II-144 • 69-II-273
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