S. 209 / Nr. 33 Familienrecht (d)

BGE 69 II 209

33. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 16. Juli 1943 i. S. F.
gegen F.


Seite: 209
Regeste:
Scheidungsklage wegen Ehebruchs. Einwendung der Zustimmung und der Verzeihung
(Art. 137 Abs. 3 ZGB), sowie des Rechtsmissbrauchs (Art. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 2 - 1 Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln.
1    Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln.
2    Der offenbare Missbrauch eines Rechtes findet keinen Rechtsschutz.
ZGB).
Action en divorce fondée sur l'adultère. Exceptions du consentement à
l'adultère et du pardon (art. 137 al. 3 CC), ainsi que de l'abus du droit
(art. 2 CC).
Azione di divorzio per causa d'adulterio. Eccezione del consenso all'adulterio
e del perdono (art. 137 cp. 3 CC), come pure dell'abuso di diritto.

Die Klage geht auf Scheidung der am 8. Februar 1940 geschlossenen Ehe wegen
Ehebruchs der Beklagten... (Nebenfolgen). Der Appellationshof des Kantons Bern
hat am 30. April 1943 die Scheidungsklage abgewiesen, aus folgenden Gründen:
Die Beklagte hat mit dem beim Vater des Klägers arbeitenden polnischen
Internierten Z. wiederholt Ehebruch begangen. Diese Beziehungen wurden durch
das nahe Zusammenleben begünstigt. Wegen Platzmangels im betreffenden Hause,
wo die Parteien ihr Schlafzimmer hatten, wurde nämlich dem Internierten das
eine der zwei aneinanderstossenden Betten eingeräumt, während die jungen
Eheleute das andere benutzten. Zudem brach der Kläger oft frühmorgens auf, um
an die Arbeit zu gehen, so dass die Ehefrau allein neben dem Polen
zurückblieb. Immerhin ist daraus, dass der Kläger diese Verhältnisse duldete,
keine Zustimmung zum Ehebruch der Gattin zu folgern. Und dass er sie einmal
beim Aufwachen in der Nacht neckte, «weil es gerade so aussah, als ob die
beiden etwas miteinander gehabt hätten», war, wie er glaubwürdig erklärt,
blosser Spass. Er hatte unbedingtes Zutrauen in die eheliche Treue der Gattin
und war betroffen, als er

Seite: 210
(durch die Heerespolizei, die diese Vorfälle in Untersuchung zog) von deren
Verfehlungen vernahm. Allein das spätere Verhalten des Klägers ist als
Verzeihung zu betrachten. Er hob zwar sogleich Scheidungsklage an und hielt
sie aufrecht. Aber er kam während des Verfahrens mehrmals mit der Beklagten
zusammen und hatte mit ihr geschlechtlichen Verkehr. Anfänglich war es die in
das Haus ihrer Eltern zurückgekehrte Beklagte, die den Kläger in seinem Zimmer
aufsuchte und von seinem Scheidungsvorsatz abzubringen versuchte. Beim letzten
Verkehr, in der Nacht vom 4. auf den 5. November 1942, ging aber der Kläger
selbst zur Beklagten, übernachtete bei ihr und liess sich auch noch das
Morgenessen in das Bett bringen. «Zum allermindesten dieser letzte
Geschlechtsverkehr kann nach Treu und Glauben nicht anders denn als Verzeihung
betrachtet werden; denn der vom Kläger vertretene Standpunkt, dass ihm bis zum
Ausspruch der Scheidung ein Recht auf Geschlechtsverkehr mit der Beklagten
zustehe, obwohl er selbst die Scheidung verlangt und hierdurch die Rückkehr
der Beklagten in ihr Elternhaus veranlasst hatte, ist unmoralisch und kann
nicht geschützt werden.»
Mit der vorliegenden Berufung hält der Kläger an den eingangs erwähnten
Begehren fest.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Der Ehebruch der Beklagten ist nach den Feststellungen des Appellationshofes
bewiesen. Als der Kläger davon erfuhr, wies er die Beklagte sogleich in das
Haus ihrer Eltern und hob noch im gleichen Monat die Scheidungsklage an. Zu
prüfen bleibt die Einwendung, er habe dem Ehebruch zugestimmt und ihn
ausserdem verziehen und damit das Klagerecht verwirkt (Art. 137 Abs. 3 ZGB).
Für eine Zustimmung liegt nichts vor. Der Kläger hat weder die Beklagte selbst
noch den dritten Zimmergenossen zu den ehebrecherischen Beziehungen
angestiftet. Er hat diese auch in keiner Weise gebilligt. Die Duldung der
eigenartigen, durch die engen Unterkunftsverhältnisse

Seite: 211
bedingten Schlafgemeinschaft darf dem Kläger nicht dahin ausgelegt werden,
dass er ehebrecherisches Verhalten der Beklagten in Kauf genommen habe. Die
Pflicht zur ehelichen Treue blieb bestehen, und es war nicht ohne weiteres
damit zu rechnen, dass die Beklagte sich dagegen vergehen werde. Entweder sah
der Kläger gar keine Gefahr, oder er verliess sich auf die Treue der Frau. So
oder so fehlt es an einer das Klagerecht ausschliessenden Zustimmung.
Entgegen der Auffassung des Appellationshofes kann aber auch nicht Verzeihung
angenommen werden. Es ist weder zu einer eigentlichen Aussöhnung noch zu
irgendwelcher Erklärung des Klägers gekommen, wonach er der Beklagten die
Verfehlungen nachsehen wolle. Allerdings gibt es auch eine stillschweigende
Verzeihung. Sie ist aus einem Verhalten des verletzten Ehegatten zu folgern,
das eben einen Verzeihungswillen erkennen lässt. Davon kann aber nur die Rede
sein, wenn er die ihm widerfahrene Kränkung verwunden hat, nicht schon dann,
wenn er bloss gewisse Beziehungen mit dem andern Ehegatten unterhält, sei es
auch in der Meinung, vielleicht lasse sich über die erlittene Unbill doch noch
hinwegkommen. Solchenfalls ist die begangene Untreue noch nicht verziehen,
eine Verzeihung steht nur in etwelcher Aussicht. Etwas weiteres ist hier nicht
dargetan. Der Kläger hob das gemeinsame eheliche Leben auf und klagte auf
Scheidung. Es kam nur zu gelegentlichem Beisammensein, allerdings mit
Geschlechtsverkehr, doch ohne Aussprache über die Gestaltung der Zukunft, ohne
Zusicherung eines Klagerückzuges, ohne Vereinbarung der Wiederaufnahme der
häuslichen Gemeinschaft, überhaupt ohne unmittelbaren oder mittelbaren
Ausdruck einer Verzeihung der von der Gattin begangenen Untreue. Die erwähnten
Beziehungen liessen das Zerwürfnis in seinen wesentlichen Auswirkungen
bestehen. Die Beklagte selbst war denn auch nicht der Ansicht, der Kläger habe
ihr verziehen. Auch nach der Nacht vom 4. auf den 5. November 1942 hegte sie
nach ihren Aussagen vor dem Appellationshof wie bisher nur die Hoffnung,

Seite: 212
sie könne den Kläger noch umstimmen, und es werde wieder gut werden. Sie war
keineswegs der Meinung, dieses Ziel sei schon erreicht; und nachher musste sie
vollends einsehen, dass ihr Bemühen unnütz war und der Kläger ihr nichts mehr
nachfrug. Unter diesen Umständen ist nicht nur keine Verzeihung dargetan,
sondern die Aufrechterhaltung der Scheidungsklage kann auch nicht als
rechtsmissbräuchlich gelten. Der Appellationshof sieht einen Widerspruch in
der Klageführung und dem Verlangen nach geschlechtlichen Beziehungen. Es mag
dahingestellt bleiben, ob die Scheidungsklage vor Art. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 2 - 1 Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln.
1    Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln.
2    Der offenbare Missbrauch eines Rechtes findet keinen Rechtsschutz.
ZGB standzuhalten
vermöchte, wenn der Kläger gegenüber einer Weigerung der Beklagten einen
Anspruch auf weiteren Geschlechtsverkehr mit ihr geltend gemacht hätte. In
Wirklichkeit war die Beklagte zu solchem Verkehr von vornherein bereit, in der
Nacht vom 4. auf den 5. November 1942 ebenso wie früher, als sie selbst den
Kläger aufgesucht hatte. Es kam im Laufe jener Nacht zum Beischlaf ohne jede
Auseinandersetzung darüber, ob der Kläger noch Anspruch darauf habe, oder ob
die wegen der hängigen Scheidungsklage zum Getrenntleben berechtigte Beklagte
(Art. 170 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 170 - 1 Jeder Ehegatte kann vom andern Auskunft über dessen Einkommen, Vermögen und Schulden verlangen.
1    Jeder Ehegatte kann vom andern Auskunft über dessen Einkommen, Vermögen und Schulden verlangen.
2    Auf sein Begehren kann das Gericht den andern Ehegatten oder Dritte verpflichten, die erforderlichen Auskünfte zu erteilen und die notwendigen Urkunden vorzulegen.
3    Vorbehalten bleibt das Berufsgeheimnis der Rechtsanwälte, Notare, Ärzte, Geistlichen und ihrer Hilfspersonen.
ZGB) den Umgang verweigern dürfte. Bei dieser Sachlage kann
dem Kläger nicht vorgehalten werden, er habe der Beklagten besondere
Zumutungen gestellt, mit denen sich die Aufrechterhaltung der Scheidungsklage
ungeachtet des Fehlens einer Verzeihung allenfalls aus dem allgemeinen
Gesichtspunkt eines Rechtsmissbrauchs nicht vertragen möchte.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird dahin gutgeheissen, dass das Urteil des Appellationshofes
des Kantons Bern vom 30. April 1943 aufgehoben und die am 8. Februar 1940
geschlossene Ehe der Parteien in Anwendung von Art. 137
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 170 - 1 Jeder Ehegatte kann vom andern Auskunft über dessen Einkommen, Vermögen und Schulden verlangen.
1    Jeder Ehegatte kann vom andern Auskunft über dessen Einkommen, Vermögen und Schulden verlangen.
2    Auf sein Begehren kann das Gericht den andern Ehegatten oder Dritte verpflichten, die erforderlichen Auskünfte zu erteilen und die notwendigen Urkunden vorzulegen.
3    Vorbehalten bleibt das Berufsgeheimnis der Rechtsanwälte, Notare, Ärzte, Geistlichen und ihrer Hilfspersonen.
ZGB geschieden wird
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 69 II 209
Datum : 01. Januar 1942
Publiziert : 15. Juli 1943
Quelle : Bundesgericht
Status : 69 II 209
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Scheidungsklage wegen Ehebruchs. Einwendung der Zustimmung und der Verzeihung (Art. 137 Abs. 3...


Gesetzesregister
ZGB: 2 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 2 - 1 Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln.
1    Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln.
2    Der offenbare Missbrauch eines Rechtes findet keinen Rechtsschutz.
137  170
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 170 - 1 Jeder Ehegatte kann vom andern Auskunft über dessen Einkommen, Vermögen und Schulden verlangen.
1    Jeder Ehegatte kann vom andern Auskunft über dessen Einkommen, Vermögen und Schulden verlangen.
2    Auf sein Begehren kann das Gericht den andern Ehegatten oder Dritte verpflichten, die erforderlichen Auskünfte zu erteilen und die notwendigen Urkunden vorzulegen.
3    Vorbehalten bleibt das Berufsgeheimnis der Rechtsanwälte, Notare, Ärzte, Geistlichen und ihrer Hilfspersonen.
BGE Register
69-II-209
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
beklagter • scheidungsklage • ehebruch • nacht • geschlechtsverkehr • verhalten • ehegatte • rechtsmissbrauch • einwendung • bundesgericht • ehe • geschlecht • gemeinsamer haushalt • getrenntleben • wiese • vater • monat • polen • zusicherung • zimmer
... Alle anzeigen