S. 45 / Nr. 8 Strafgesetzbuch (d)

BGE 68 IV 45

8. Urteil des Kassationshofes vom 29. Mai 1942 i.S. Staatsanwaltschaft des
Kantons Zürich gegen Kiener.

Regeste:
1. Ungehorsam gegen eine amtliche Verfügung ist nur strafbar, wenn die
Verfügung dem Betroffenen für den Fall des Ungehorsams die in Art. 292
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 292 - Wer der von einer zuständigen Behörde oder einem zuständigen Beamten unter Hinweis auf die Strafdrohung dieses Artikels an ihn erlassenen Verfügung nicht Folge leistet, wird mit Busse bestraft.
StGB
vorgesehenen Strafen angedroht hat; ein blosser Hinweis auf diese
Gesetzesbestimmung oder auf die Strafbarkeit des Ungehorsams oder auf beides
zusammen genügt nicht.
2. Ist die Verfügung vor dem Inkrafttreten des StGB erlassen worden, so kann
der Ungehorsam nach dem Inkrafttreten des StGB nur noch bestraft werden, wenn
die Verfügung den Betroffenen auf Strafarten und Strafrahmen aufmerksam
gemacht hat, welche das alte Recht für den Ungehorsam vorsah.
1. L'insoumission à une décision de l'autorité n'est punissable que si cette
décision comportait menace des peines prévues à l'art. 292 CPS; une simple
référence à l'article ou au caractère punissable de l'insoumission ou à l'un
et l'autre n'est pas suffisante.
2. Si la décision a été signifiée avant l'entrée en vigueur du CPS,
l'insoumission n'est punissable après que si la décision a rendu l'intéressé
attentif au genre et à la gravité de la peine que l'ancien droit attachait à
l'insoumission.
3. La disobbedienza ad una decisione dell'autorità è punibile soltanto se
questa decisione comporta la comminatoria delle pene previste dall'art. 292
CPS, un semplice riferimento a quest'articolo od alla punibilità della
disobbedienza o all'uno e all'altra insieme è insufficiente.
4. Se la decisione è stata notificata prima che entrasse in vigore il CPS, la
disobbedienza è punibile dopo l'entrata in vigore di esso soltanto se la
decisione ha richiamato all'interessato il genere e la misura della pena con
cui il vecchio diritto colpiva la disobbedienza.

A. - Am 10. März 1941 forderte das Statthalteramt Zürich Rosa Kiener auf, ihr
Konkubinatsverhältnis mit Heinrich Hatt zu lösen, und drohte ihr für den Fall
der

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Zuwiderhandlung «Überweisung an das Gericht zur Bestrafung wegen Ungehorsams
im Sinne von § 80 des Strafgesetzbuches» an.
Am 18. Februar 1942 verurteilte das Bezirksgericht Zürich sie in Anwendung des
Art. 292
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 292 - Wer der von einer zuständigen Behörde oder einem zuständigen Beamten unter Hinweis auf die Strafdrohung dieses Artikels an ihn erlassenen Verfügung nicht Folge leistet, wird mit Busse bestraft.
StGB als des milderen Gesetzes zu sechs Tagen Haft, weil sie, nachdem
sie am 3. September 1941 bereits einmal wegen Ungehorsams verurteilt worden
war, auch in der Zeit von da an bis zum 23. Dezember 1941 dem erwähnten Befehl
nicht Folge geleistet hatte.
Die III. Kammer A des Obergerichts des Kantons Zürich sprach die Angeklagte
auf deren Appellation hin frei mit der Begründung, nach Art. 292
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 292 - Wer der von einer zuständigen Behörde oder einem zuständigen Beamten unter Hinweis auf die Strafdrohung dieses Artikels an ihn erlassenen Verfügung nicht Folge leistet, wird mit Busse bestraft.
StGB setze
die Verurteilung wegen Ungehorsams gegen amtliche Verfügungen voraus, dass die
in dieser Gesetzesbestimmung vorgesehenen Strafen in der Verfügung angedroht
worden seien. Diesem Erfordernis habe die Verfügung vom 10. März 1941 nicht
entsprochen.
B. - Mit rechtzeitig erklärter Nichtigkeitsbeschwerde beantragt der III.
Staatsanwalt des Kantons Zürich Aufhebung dieses Urteils und Rückweisung der
Akten an die Vorinstanz zur Neubeurteilung der Sache. Er ist der Auffassung,
Art. 292
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 292 - Wer der von einer zuständigen Behörde oder einem zuständigen Beamten unter Hinweis auf die Strafdrohung dieses Artikels an ihn erlassenen Verfügung nicht Folge leistet, wird mit Busse bestraft.
StGB verlange nur, dass in der Verfügung unter Bezugnahme auf diese
Bestimmung Bestrafung angedroht werde, wogegen die vorgesehenen Strafen nicht
genannt zu werden brauchten. Das neue Recht stelle somit an die Verfügung
keine strengeren Anforderungen als das alte.
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.- Ungehorsam gegen eine amtliche Verfügung kann gemäss Art. 292
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 292 - Wer der von einer zuständigen Behörde oder einem zuständigen Beamten unter Hinweis auf die Strafdrohung dieses Artikels an ihn erlassenen Verfügung nicht Folge leistet, wird mit Busse bestraft.
StGB nur
bestraft werden, wenn die Verfügung «unter Hinweis auf die Strafdrohung dieses
Artikels» erlassen worden ist. Schon der deutsche Text spricht somit eher
dafür, dass weder die blosse Erwähnung des Artikels, noch der blosse Hinweis
auf die Strafbarkeit des Ungehorsams, noch ein kombinierter Hinweis auf

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Strafbarkeit und den anwendbaren Artikel genügen sollten, sondern dass der von
der Verfügung betroffenen Person die angedrohten Strafen vorgehalten werden
müssen. Deutlicher kommt dieses Erfordernis im französischen und italienischen
Text zum Ausdruck, welche vorschreiben, dass die Verfügung «sous la menace de
la peine prévue au présent article» beziehungsweise «sotto comminatoria della
pena prevista nel presente articolo» erlassen werden müsse. In diesen Texten
ist einmal hervorgehoben, dass die Verfügung eine Androhung zu enthalten hat,
also ein blosser Hinweis nicht genügt. Sodann legen sie den Nachdruck auf die
Androhung einer Strafe, während nach dem deutschen Text die Meinung aufkommen
könnte, der Hinweis auf die Strafdrohung genüge, der betroffenen Person
brauche also nur vor Augen geführt zu werden, dass Art. 292
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 292 - Wer der von einer zuständigen Behörde oder einem zuständigen Beamten unter Hinweis auf die Strafdrohung dieses Artikels an ihn erlassenen Verfügung nicht Folge leistet, wird mit Busse bestraft.
StGB überhaupt
eine Strafe androhe, nicht aber welche. Die engere Auslegung entspricht auch
der in den Beratungen der Entwürfe zum Ausdruck gekommenen Tendenz, das
Anwendungsgebiet dieses Artikels eher einzuschränken. Die Androhung in einer
amtlichen Verfügung hat den Sinn, dem Betroffenen vorzuhalten, welche Strafe
er im Falle des Ungehorsams zu erwarten hat. Damit soll weniger der Verfügung
Nachdruck verliehen, als vielmehr der Betroffene vor unerwarteter Strafe
geschützt werden. Der Gesetzgeber war der Auffassung, dass hier die allgemeine
Gesetzeskenntnis, welche dem Bürger zugemutet wird, nicht genüge, ihn vor
Strafe zu bewahren, dass er vielmehr einer besonderen Belehrung bedürfe. Diese
Belehrung wäre unvollständig und würde ihren Zweck nur teilweise erfüllen,
wenn der Betroffene bloss darauf aufmerksam gemacht würde, dass Ungehorsam
gegen die Verfügung auf Grund einer bestimmten Gesetzesbestimmung bestraft
werde.
2.- Da beim Erlass der Verfügung des Statthalteramtes Zürich das
schweizerische Strafgesetzbuch noch nicht in Kraft war, kam eine Androhung der
in Art. 292
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 292 - Wer der von einer zuständigen Behörde oder einem zuständigen Beamten unter Hinweis auf die Strafdrohung dieses Artikels an ihn erlassenen Verfügung nicht Folge leistet, wird mit Busse bestraft.


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StGB vorgesehenen Strafen nicht in Frage und war auch nicht nötig. Dagegen
hätte die Androhung gleichwertig sein sollen mit der vom StGB verlangten, d.h.
die Beschwerdegegnerin hätte in der Verfügung nicht nur darauf aufmerksam
gemacht werden sollen, dass sie im Falle des Ungehorsams im Sinne des § 80 des
zürcherischen Strafgesetzbuches bestraft werde, sondern die in dieser
Bestimmung vorgesehenen Strafen hätten in der Verfügung wiedergegeben werden
sollen. Nur so wäre der Beschwerdegegnerin mit der vom schweizerischen
Strafgesetzbuch gewollten Deutlichkeit vorgehalten worden, welche Folgen der
Ungehorsam nach sich ziehe.
3.- Da die Verfügung, so wie sie gelautet hat, nach neuem Recht die
Strafbarkeit des Ungehorsams nicht zu begründen vermag, ist das neue Recht für
die Beschwerdegegnerin das mildere und der Freispruch begründet (Art. 2 Abs. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 2 - 1 Nach diesem Gesetze wird beurteilt, wer nach dessen Inkrafttreten ein Verbrechen oder Vergehen begeht.
1    Nach diesem Gesetze wird beurteilt, wer nach dessen Inkrafttreten ein Verbrechen oder Vergehen begeht.
2    Hat der Täter ein Verbrechen oder Vergehen vor Inkrafttreten dieses Gesetzes begangen, erfolgt die Beurteilung aber erst nachher, so ist dieses Gesetz anzuwenden, wenn es für ihn das mildere ist.

StGB), ohne dass geprüft zu werden braucht, ob der Ungehorsam gegen eine
Verfügung, welche einer Person das Konkubinat verbietet, unter der Herrschaft
des StGB überhaupt noch strafbar sein kann.
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 68 IV 45
Date : 31. Dezember 1942
Published : 29. Mai 1942
Source : Bundesgericht
Status : 68 IV 45
Subject area : BGE - Strafrecht und Strafvollzug
Subject : 1. Ungehorsam gegen eine amtliche Verfügung ist nur strafbar, wenn die Verfügung dem Betroffenen...


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StGB: 2  292
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