S. 377 / Nr. 56 Obligationenrecht (d)

BGE 68 II 377

56. Urteil der I. Zivilabteilung vom 22. Dezember 1942 i.S. Böhmische
Unionbank gegen Heynau.

Regeste:
Ordre public
Die Zwangsverwaltung im Sinne der tschechischen Regierungsverordnung vom 21.
März 1939 kommt einer entschädigungslosen Enteignung gleich und widerspricht
dem schweizerischen ordre public. Verfügungen des Zwangsverwalters über das
Vermögen des Eigentümers kann der schweizerische Richter nicht anerkennen.
L'administration imposée en vertu de l'ordonnance du Gouvernement tchèque du
21 mars 1939 équivaut à une expropriation sans indemnité. Elle est contraire à
l'ordre public suisse. Le juge suisse ne saurait reconnaître les actes de
l'administrateur disposant d'office des biens de l'intéressé.
L'amministrazione forzata ai sensi dell'ordinanza 21 marzo 1939 del Governo
ceco equivale ad un esproprio senz'indennizzo. Essa è contraria all'ordine
pubblico svizzero. Il giudice svizzero non può riconoscere gli atti con cui
l'amministratore dispone dai beni dell'interessato.

A. ­ Der Kläger Heynau ist Alleininhaber der Malzfabrik Ed. Hamburger & Sohn
in Olmütz (Mähren). Diese Firma schloss am 3. Oktober 1938 mit einer Brauerei
in Gossau (St. Gallen) einen Malzlieferungsvertrag ab.
Am 15. März 1939 besetzten die deutschen Truppen Böhmen und Mähren. Der Kläger
befand sich zu dieser

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Zeit auf Geschäftsreise in der Schweiz. Da er nach den deutschen Gesetzen als
«Nicht-Arier» gilt, kehrte er nicht mehr nach Olmütz zurück. Er hält sich
seither in der Schweiz auf.
Am 12. April 1939 setzte der Sonderbeauftragte für die Wirtschaft beim Chef
der Zivilverwaltung in Prag den Angestellten Swrschek als Treuhänder der Firma
Ed. Hamburger & Sohn ein. Swrschek erhielt insbesondere den Auftrag, den
Einzug der Auslandsguthaben durch den Kläger zu verhindern. Am 10. Juni 1939
bezeichnete das Ministerium für Industrie, Handel und Gewerbe in Prag Swrschek
als Zwangsverwalter der Firma. Diese Anordnung stützte sich auf § 1 Abs. 1 der
Regierungsverordnung vom 21. März 1939 über die Verwaltung von
wirtschaftlichen Unternehmungen und die Aufsicht über dieselben.
Am 18. August 1939 lieferte die Firma Ed. Hamburger & Sohn vertragsgemäss das
verkaufte Malz und stellte der Käuferin für Fr. 5253.35 Rechnung. Am gleichen
Tag zedierte der Zwangsverwalter die Kaufpreisforderung an die Beklagte, die
Böhmische Unionbank, Filiale Olmütz, in Olmütz.
Sowohl der Kläger wie die Beklagte verlangten von der Käuferin die Bezahlung
des Kaufpreises. Diese hinterlegte daher den geschuldeten Betrag, der sich
nach Abzug der Frachtauslagen noch auf Fr. 4273.­ belief, am 25. September
1939 im Sinne von Art. 96
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 96 - Kann die Erfüllung der schuldigen Leistung aus einem andern in der Person des Gläubigers liegenden Grunde oder infolge einer unverschuldeten Ungewissheit über die Person des Gläubigers weder an diesen noch an einen Vertreter geschehen, so ist der Schuldner zur Hinterlegung oder zum Rücktritt berechtigt, wie beim Verzug des Gläubigers.
OR beim Gemeindeamt Gossau.
B. ­ Mit der vorliegenden Klage verlangte der Kläger, die Hinterlage von Fr.
4273.­ sei ihm unbeschwert herauszugeben. Die Beklagte beantragte die
Abweisung der Klage und verlangte mit einer Widerklage die Hinterlage für sich
heraus.
Das Bezirksgericht Gossau hiess die Klage mit Urteil vom 29. Juni 1942 gut und
wies das Gemeindeamt Gossau an, dem Kläger den Betrag von Fr. 4273.­
unbeschwert herauszugeben. Auf Appellation der Beklagten hin bestätigte das
Kantonsgericht des Kantons St. Gallen am

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8. Oktober 1942 dieses Urteil. Das Kantonsgericht erklärte ausserdem die
Widerklage als verspätet und trat auf sie nicht ein.
C. - Gegen das Urteil des Kantonsgerichtes hat die Beklagte Berufung
eingereicht mit dem Antrag, die Klage sei abzuweisen. Der Kläger beantragt die
Abweisung der Berufung.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. ­ Die Kaufpreisforderung, deren Gegenwert die schuldnerische Firma
hinterlegte, entstand im Oktober 1938 durch den Abschluss des Kaufvertrages.
Gläubigerin war die Verkäuferin, die Firma Ed. Hamburger & Sohn. Diese Firma
besitzt keine Rechtspersönlichkeit. Sie steht im ausschliesslichen Eigentum
des Klägers. Im Oktober 1938 besass der Kläger auch noch die uneingeschränkte
Verfügungsmacht darüber. Alle diese Tatsachen sind unbestritten. Der Kläger
war somit ohne Zweifel ursprünglicher Gläubiger der Kaufpreisforderung.
Die Forderung wurde mit der Lieferung des Malzes fällig. In diesem Zeitpunkt
stand die Firma bereits unter dem Zwangsverwalter, der auch die Lieferung
anordnete. Ein Wechsel in der Person des Gläubigers der Kaufpreisforderung
trat jedoch deswegen nicht ein. Der Zwangsverwalter hat mit der
schuldnerischen Firma nicht etwa einen neuen Vertrag abgeschlossen. Er
handelte für die Firma Ed. Hamburger & Sohn, die nach wie vor weiterbestand,
und erfüllte deren Vertragsschuld. Alleininhaber dieser Firma und somit
Gläubiger aller ihr zustehenden Forderungen war auch in diesem Zeitpunkt der
Kläger. Etwas anderes behauptet die Beklagte nicht.
Das Gläubigerrecht des Klägers ging nach der Darstellung der Beklagten erst
unter mit der Abtretung der Kaufpreisforderung an die Beklagte. Diese nahm
nicht der Kläger, sondern der Zwangsverwalter am 18. August 1939 vor. Der
Kläger bringt an, der Zwangsverwalter sei dazu nicht berechtigt gewesen.
Dieser behauptet auch nicht,

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vom Kläger zur Abtretung ermächtigt worden zu sein. Er stützt sich einzig auf
die ihm als staatlich eingesetztem Zwangsverwalter eingeräumten Befugnisse. Es
fragt sich, ob diese Tatsache ausreicht, um seine gegen den Willen des Klägers
vorgenommene Verfügung über dessen Forderung anzuerkennen.
2. ­ Nach der Feststellung der Vorinstanz sind die Befugnisse des
Zwangsverwalters umfassend. Die Verfügung des Ministeriums für Industrie,
Handel und Gewerbe vom 10. Juni 1939 erklärt ihn als berechtigt und
verpflichtet, alles anzuordnen, was zum ordentlichen Betrieb der Unternehmung
notwendig ist. Der Zwangsverwalter ist insbesondere berechtigt, an Stelle des
Besitzers sämtliche Erträgnisse und Einnahmen aus der verwalteten Unternehmung
einzuziehen und überhaupt alle die Unternehmung betreffenden Rechtshandlungen
vorzunehmen. Dritte, die gegen den Besitzer der Unternehmung Verpflichtungen
haben, die aus dem Betrieb der Unternehmung entstanden sind, hat der
Zwangsverwalter aufzufordern, nicht dem Besitzer, sondern ihm zu erfüllen. Den
Reinertrag der Unternehmung hat der Zwangsverwalter dem Besitzer
auszuhändigen, aber erst nach Genehmigung der Abrechnung durch den Stadtrat.
Der Zwangsverwalter ist zudem ermächtigt, den Reinertrag unter Genehmigung
durch den Stadtrat zum weitern Betrieb der Unternehmung, zum Ersatz eines
Ausfalles oder zur Verbesserung der Betriebseinrichtungen zu verwenden.
Mit der Zwangsverwaltung verliert also der Eigentümer vollständig die
Verfügungsmacht über seine Unternehmung und die dazu gehörenden
Vermögenswerte, und zwar auf unbestimmte Zeit. Dem Eigentümer entgeht auch die
Nutzung seines Vermögens. Allerdings soll ihm der Reinertrag zukommen. Aber
die zahlreichen Befugnisse, die dem Zwangsverwalter und dem Stadtrat mit Bezug
auf die Verwendung des Reinertrages zustehen, machen den grundsätzlich
anerkannten Anspruch des Eigentümers auf den Reinertrag tatsächlich unwirksam.
Wie die Vorinstanz

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feststellte, hat denn auch der Kläger in den dreieinhalb Jahren, seit denen
die Zwangsverwaltung besteht, weder eine Abrechnung noch eine Zahlung des
Zwangsverwalters erhalten.
Die Zwangsverwaltung berührt somit das Eigentumsrecht nicht unmittelbar, kommt
aber in ihrer Wirkung einer vollständigen und dauernden Enteignung gleich. Für
diesen schwerwiegenden und umfassenden Eingriff in seine Rechte wird der
Eigentümer nicht im geringsten entschädigt. Der Eingriff dient auch nicht etwa
dem Schutz privater Rechte, etwa jener des Eigentümers selbst, seiner
Angehörigen oder Gläubiger. Wie den Akten entnommen werden muss, wurde die
Zwangsverwaltung über die Unternehmung des Klägers einzig deshalb angeordnet,
weil er «Nicht-Arier» ist. Etwas anderes behauptet auch die Beklagte nicht.
3. ­ Der Zwangsverwalter war somit zur Verfügung über das Vermögen des Klägers
durch eine staatliche Anordnung ermächtigt. Ob die Zwangsverwaltung auch die
in Frage stehende Forderung erfasste, ­ was die Vorinstanz verneinte ­ braucht
nicht untersucht zu werden. Denn auch wenn dies zutrifft, kann die Abtretung
nicht anerkannt werden, weil die staatliche Anordnung, auf der die
Zwangsverwaltung beruht, dem schweizerischen ordre public zuwiderläuft. Diese
Anordnung missachtet das Eigentumsrecht des Klägers so vollständig, dass sie
zu den Grundlagen des schweizerischen Rechtes im schroffsten Gegensatz steht.
Sie widerspricht sowohl dem Grundsatz der Anerkennung des Privateigentums, der
die entschädigungslose Enteignung durch den Staat ausschliesst, als auch dem
Grundsatz der Rechtsgleichheit, der einen Eingriff in das Vermögensrecht einer
Person einzig wegen ihrer Rasse nicht zulässt.
Die Beklagte bringt vor, das schweizerische Konkursrecht beschränke die
Verfügungsmacht des konkursiten Eigentümers ebenfalls sehr weitgehend. Daher
könne die Zwangsverwaltung an sich nicht dem schweizerischen

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Rechtsempfinden widersprechen; höchstens von einzelnen ihrer Wirkungen könnte
dies gesagt werden. Allein dieser Einwand ist schon deshalb unhaltbar, weil
die Missachtung des Eigentums nicht in der Verfügungsbeschränkung an sich,
sondern in der entschädigungslosen Beschränkung liegt. Davon ist im
Konkursrecht nicht die Rede. Der Konkursit wird nur deshalb in seiner
Verfügungsmacht beschränkt, weil seinem Eigentumsrecht die Ansprüche der
Gläubiger auf sein Vermögen entgegenstehen. Die Verfügungsbeschränkung tritt
somit ein zugunsten von Verpflichtungen, die der Eigentümer selbst mit freiem
Willen aus seinem Vermögen zu erfüllen versprochen hat. Der Konkurs bezweckt
also nur die Durchsetzung privater Rechte und die möglichste Verwirklichung
des vom Eigentümer selbst Versprochenen. Er hat somit nichts gemein mit der
Zwangsverwaltung, die keinen andern erkennbaren Zweck hat als den, einen
rechtmässigen Eigentümer wider seinen Willen und entschädigungslos um sein
Vermögen zu bringen.
Für den schweizerischen Richter ist eine solche Massnahme nicht beachtlich, da
sie mit dem schweizerischen Rechtsempfinden in unverträglichem Widerspruch
steht. Den auf Grund einer solchen staatlichen Anordnung getroffenen
Verfügungen über das Vermögen des Eigentümers muss daher die Anerkennung
versagt werden. Ob der schweizerische ordre public gegenüber einem derartigen
Eingriff nur dann anzuwenden sei, wenn eine «Binnenbeziehung» des
Streitverhältnisses zum schweizerischen Recht gegeben ist, kann dahingestellt
bleiben. Denn eine solche Beziehung ist bei der in Frage stehenden Forderung
jedenfalls gegeben. Die schuldnerische Firma hat ihren Sitz in der Schweiz;
der Kläger hat sich in der Schweiz niedergelassen, bevor die Forderung fällig
wurde; der hinterlegte Betrag befindet sich bei einer schweizerischen
Amtsstelle.
4. ­ Die Beklagte führt als Zessionarin noch an, wenn die Zwangsverwaltung an
sich dem schweizerischen ordre public zuwiderlaufe, so könne dies von der
Abtretung der

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Forderung nicht gesagt werden. Diese stelle ein ordentliches Rechtsgeschäft
zwischen zwei mährischen Firmen dar, das die schweizerische Ordnung nicht
verletze. Nach dem schweizerischen Recht könne zudem ein gutgläubiger Besitzer
von einem nicht verfügungsberechtigten Veräusserer Eigentum erwerben; der
wahre Eigentümer verliere durch den gutgläubigen Erwerb des Besitzers sein
Eigentum. Wenn auch das schweizerische Obligationenrecht einen ähnlichen
gutgläubigen Rechtserwerb bei Forderungen nicht kenne, so könne doch ein
Rechtserwerb an einer abgetretenen Forderung, bei dem der bisherige Eigentümer
seines Rechtes verlustig gehe, in Anbetracht der Regelung des schweizerischen
Sachenrechtes nicht als gegen den schweizerischen ordre public verstossend
angesehen werden.
Allein wenn die Zwangsverwaltung gegen den ordre public verstösst, so gilt das
Gleiche, wie bereits dargelegt wurde, ohne weiteres für alle sich auf die
Zwangsverwaltung stützenden Verfügungen über das verwaltete Vermögen, also
auch für die Abtretung einer Forderung. Auch der Zessionar muss sich diesen
Mangel der Abtretung vor dem schweizerischen Richter entgegenhalten lassen.
Sonst wäre die Durchsetzung des schweizerischen ordre public überhaupt nicht
möglich. Dem Zwangsverwalter, der die Forderung in der Schweiz wegen des ordre
public selbst nicht einbringen kann, darf nicht gestattet werden, dieses Ziel
auf dem Umweg über die Abtretung zu erreichen.
Ob der Hinweis der Beklagten auf die Ordnung des Sachenrechtes in bezug auf
den gutgläubigen Erwerb dann beachtet werden müsste, wenn die Beklagte als
Zessionarin gutgläubig wäre, kann dahingestellt bleiben, weil sie einen
solchen Sachverhalt selbst nicht behauptet. Die Verhältnisse, die für die
Anwendung des ordre public massgebend sind, waren ihr bekannt. Sie stand mit
der Firma Ed. Hamburger & Sohn seit jeher in Geschäftsbeziehung. Wie die
Vorinstanz feststellte, wusste sie, dass sich der Kläger in der Schweiz
niederliess, und musste nach den

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Umständen auch wissen, dass er die Zwangsverwaltung und die Abtretung der
Forderung nicht anerkenne.
Demgemäss erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Kantonsgerichtes des Kantons
St. Gallen vom 8. Oktober 1942 bestätigt.
Vgl. auch Nr. 54, 55. ­ Voir aussi Nos 54, 55.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 68 II 377
Datum : 31. Dezember 1942
Publiziert : 22. Dezember 1942
Quelle : Bundesgericht
Status : 68 II 377
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Ordre publicDie Zwangsverwaltung im Sinne der tschechischen Regierungsverordnung vom 21. März 1939...


Gesetzesregister
OR: 96
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 96 - Kann die Erfüllung der schuldigen Leistung aus einem andern in der Person des Gläubigers liegenden Grunde oder infolge einer unverschuldeten Ungewissheit über die Person des Gläubigers weder an diesen noch an einen Vertreter geschehen, so ist der Schuldner zur Hinterlegung oder zum Rücktritt berechtigt, wie beim Verzug des Gläubigers.
BGE Register
68-II-377
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
zwangsverwaltung • beklagter • weiler • kantonsgericht • eigentum • vorinstanz • schweizerisches recht • wille • handel und gewerbe • widerklage • frage • sachenrecht • bundesgericht • stelle • lieferung • unternehmung • abtretung einer forderung • guter glaube • verkäufer • benutzung
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