BGE 68 II 283
45. Auszug aus dem Urteil der 1. Zivilabteilung vom 25. November 1942 i. S.
Banca Unione di Credito gegen S., Ch. und Sch.
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Regeste:
Art. 44 Abs. 1
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 44 - 1 Hat der Geschädigte in die schädigende Handlung eingewilligt, oder haben Umstände, für die er einstehen muss, auf die Entstehung oder Verschlimmerung des Schadens eingewirkt oder die Stellung des Ersatzpflichtigen sonst erschwert, so kann der Richter die Ersatzpflicht ermässigen oder gänzlich von ihr entbinden. |
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1 | Hat der Geschädigte in die schädigende Handlung eingewilligt, oder haben Umstände, für die er einstehen muss, auf die Entstehung oder Verschlimmerung des Schadens eingewirkt oder die Stellung des Ersatzpflichtigen sonst erschwert, so kann der Richter die Ersatzpflicht ermässigen oder gänzlich von ihr entbinden. |
2 | Würde ein Ersatzpflichtiger, der den Schaden weder absichtlich noch grobfahrlässig verursacht hat, durch Leistung des Ersatzes in eine Notlage versetzt, so kann der Richter auch aus diesem Grunde die Ersatzpflicht ermässigen. |
Mitverschuldens des Geschädigten bei Schädigung durch absichtliche Täuschung.
Art. 44, al. 1 CO. Principes de réduction de la réparation due en cas de faute
concurrente du lésé, lorsque le dommage est la conséquence d'une erreur
provoquée dolosivement.
Art. 44, cp. 1 CO. Principî per la riduzione del risarcimento in caso di colpa
concomitante del leso, qualora il danno è la conseguenza di un errore
provocato dolosamente.
Die in Zürich wohnhafte Frau S. besass zwei Zertifikate über je 100
Namensaktien zu $ 50.- der Northern Central Railway Co. in Baltimore (U.S.A.),
die mit einem Blankoindossament der Fa. Rush & Co. versehen waren. Die Papiere
waren in Amerika gestohlen worden und deshalb im Börsenverkehr mit Opposition
belogt. Ausserdem hatten die Diebe die Papiere gefälscht, indem sie den Namen
des Indossatars auf chemischem Wege entfernten. Die Titel waren somit in
Wirklichkeit gar nicht blanko indossiert. Frau S. kannte diese Mängel,
versuchte aber trotzdem, die wertlosen Papiere zu veräussern. Ch. und Sch.,
die ebenfalls in Zürich wohnten, setzten sich mit ihr in Verbindung.
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Ch. kaufte die Titel, deren Mängel er kannte, für Fr. 23000.-, nachdem er sich
gemeinsam mit Sch. der Mithilfe des in Lugano wohnhaften Geschäftsmannes M.
versichert hatte, der die Papiere in Lugano weiterverkaufen sollte. M. wies
die Zertifikate der Banca Unione di Credito in Lugano zum Verkaufe vor, ohne
die Mängel mitzuteilen. Die Bank erkundigte sich bei ihrem Pariser
Korrespondenten unter Angabe der Nummern der Zertifikate, ob diese
verkehrsfähig seien. Als sie eine bejahende Antwort erhielt, liess sie die 200
Aktien an der New-Yorker Börse zum Kurse von $ 93.- pro Aktie verkaufen. Sie
zahlte dem M., nachdem er ihr die Zertifikate ausgehändigt hatte, Vorschüsse
von zusammen Fr. 56000.- aus, die M. sogleich an Ch. und Sch. ablieferte. Erst
einige Tage nach dem Verkauf erfuhr die Bank aus New-York, dass sie gesperrte
und wertlose Titel verkauft hatte. Sie musste zum inzwischen auf $ 98.-
gestiegenen Kurs Ersatztitel beschaffen.
Die Banca Unione di Credito belangte Frau S., Ch. und SH. auf Ersatz der an M.
ausgerichteten Fr. 56000.- und des beim Ersatzkauf wegen des Kursanstieges
entstandenen Schadens von Fr. 5443.90 (Differenz zwischen dem Preis der
Ersatztitel und dem Erlös der gesperrten Titel).
Das Obergericht des Kantons Zürich kam zum Schluss, die Klägerin sei durch das
Zusammenwirken der drei Beklagten absichtlich getäuscht und in der Höhe des
eingeklagten Betrages von Fr. 61443.90 geschädigt worden. Es erklärte die
Beklagten solidarisch für den Schaden haftbar, Ch. und Sch. als Urheber, Frau
S. als Gehilfin. Das Obergericht ermässigte jedoch die Ersatzpflicht im Sinne
von Art. 44 Abs. 1
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 44 - 1 Hat der Geschädigte in die schädigende Handlung eingewilligt, oder haben Umstände, für die er einstehen muss, auf die Entstehung oder Verschlimmerung des Schadens eingewirkt oder die Stellung des Ersatzpflichtigen sonst erschwert, so kann der Richter die Ersatzpflicht ermässigen oder gänzlich von ihr entbinden. |
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1 | Hat der Geschädigte in die schädigende Handlung eingewilligt, oder haben Umstände, für die er einstehen muss, auf die Entstehung oder Verschlimmerung des Schadens eingewirkt oder die Stellung des Ersatzpflichtigen sonst erschwert, so kann der Richter die Ersatzpflicht ermässigen oder gänzlich von ihr entbinden. |
2 | Würde ein Ersatzpflichtiger, der den Schaden weder absichtlich noch grobfahrlässig verursacht hat, durch Leistung des Ersatzes in eine Notlage versetzt, so kann der Richter auch aus diesem Grunde die Ersatzpflicht ermässigen. |
bei der Entgegennahme der Titel nicht die nötige Sorgfalt walten lassen.
Das Bundesgericht, bei dem sowohl die Klägerin als die drei Beklagten Berufung
eingereicht haben, bestätigte die solidarische Haftung der Beklagten, hob
dagegen die Herabsetzung ihrer Ersatzpflicht auf mit folgenden
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Erwägungen:
Die Annahme eines Herabsetzungsgrundes geht im vorliegenden Falle zu weit.
Nach dem Urteil der Vorinstanz müssten die Beklagten nicht einmal soviel
zurückerstatten, als sie von der Klägerin an Vorschüssen ungerechtfertigt
erhalten haben.
Die gemeinrechtliche Lehre schloss die Ermässigung der Ersatzpflicht
grundsätzlich aus, wenn der Täter arglistig, der Geschädigte nur fahrlässig
gehandelt hat. Auch das Bundesgericht hat unter der Herrschaft des alten OR
entschieden, der Betrüger könne sich gegenüber dem Betrogenen nicht auf die
Vermeidbarkeit des Irrtums berufen (BGE 25 II 887). Für das geltende OR hat es
dagegen (im Gegensatz zu VON TUHR I S. 92) erkannt, die Ausserachtlassung der
gebotenen Sorgfalt durch den Geschädigten könne nicht nur bei leichter
Fahrlässigkeit des Täters, sondern auch bei arglistiger Täuschung einen
Herabsetzungsgrand darstellen (BGE 61 II 236). Dies ergibt sich aus Art. 44
Abs. 1, der die Ermässigung der Ersatzpflicht im Gegensatz zu Abs. 2 nicht auf
den Fall der leicht fahrlässigen Schadensverursachung beschränkt und sie zum
Unterschied von Art. 51 Abs. 2 a
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 51 - 1 Haften mehrere Personen aus verschiedenen Rechtsgründen, sei es aus unerlaubter Handlung, aus Vertrag oder aus Gesetzesvorschrift dem Verletzten für denselben Schaden, so wird die Bestimmung über den Rückgriff unter Personen, die einen Schaden gemeinsam verschuldet haben, entsprechend auf sie angewendet. |
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1 | Haften mehrere Personen aus verschiedenen Rechtsgründen, sei es aus unerlaubter Handlung, aus Vertrag oder aus Gesetzesvorschrift dem Verletzten für denselben Schaden, so wird die Bestimmung über den Rückgriff unter Personen, die einen Schaden gemeinsam verschuldet haben, entsprechend auf sie angewendet. |
2 | Dabei trägt in der Regel derjenige in erster Linie den Schaden, der ihn durch unerlaubte Handlung verschuldet hat, und in letzter Linie derjenige, der ohne eigene Schuld und ohne vertragliche Verpflichtung nach Gesetzesvorschrift haftbar ist. |
Geschädigten, sondern auch beim Vorliegen anderer, von diesem zu vertretenden
Umstände gestattet. Der Richter kann somit die Grösse des Verschuldens des
Ersatzpflichtigen und die Bedeutung der vom Geschädigten zu vertretenden
Umstände nach seinem Ermessen gegeneinander abwägen und dementsprechend die
Ersatzpflicht festsetzen. Aber auch für den Richter muss der Grundgedanke des
gemeinen Rechtes massgebend sein, «dass der Arglist nicht ein Freibrief auf
die Unvorsichtigkeit der Mitwelt ausgestellt werden darf» (JHERING).
Im vorliegenden Fall hat die Geschädigte selbst keine unerlaubte Handlung
begangen. Sie hat höchstens die in ihrem Interesse gebotene Sorgfaltspflicht
verletzt. Sicher liegt aber in dieser Hinsicht kein grober Verstoss der
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Klägerin vor. Auch nach der Darstellung der Beklagten hat M. die Organe der
Klägerin nur gefragt, ob die Titel mit Opposition belogt, nicht etwa, ob sie
gefälscht seien. Die Opposition war aber aus den Papieren nicht ersichtlich,
sondern musste durch Rückfrage abgeklärt werden. Eine solche Rückfrage hat die
Klägerin bei ihrem Pariser Korrespondenten tatsächlich gestellt. Selbst wenn
also die Klägerin durch M. gewarnt worden wäre, wie die Beklagten behaupten,
so hat sie die der Warnung entsprechende Massnahme getroffen. Dass sie auf die
Auskunft aus Paris vertraute, kann ihr nicht zum Vorwurf werden, ebensowenig,
dass sie sich nur in Paris, statt in New-York oder Baltimore erkundigte.
Nachdem sie auf Grund der erhaltenen Auskunft annehmen durfte, die Papiere
seien verkehrsfähig, hatte sie ferner keinen besondern Grund zur Vermutung,
dass die an sich echten Zertifikate wegen der Auslöschung des Namens des
Indossatars gefälscht waren. Zudem war diese Fälschung nicht etwa offenkundig.
Selbst wenn man aber das Verhalten der Klägerin mit Rücksicht auf die grosse
Bedeutung des Geschäftes und die Person des Unterhändlers doch als
unvorsichtig bezeichnen will, so ist dieser Fehler neben dem Verschulden der
Beklagten BO geringfügig, dass er bei der Bemessung der Ersatzpflicht der
Beklagten nicht berücksichtigt werden darf. Ein solcher Fehler ist etwa in
einem Verantwortlichkeitsprozess von Bedeutung, nicht aber im Prozess zwischen
Betrügern und ihrem Opfer. Es darf nicht ausser Acht gelassen werden, dass die
Beklagten gegenüber der Klägerin einen gross angelegten Betrug durchgeführt
haben. Sie sind einzig zu diesem Zweck mit der Klägerin in Verkehr getreten
und haben erreicht, dass sie für wertlose Papiere Fr. 56000.- ausbezahlt
erhielten. Sie haben somit nicht einen der Klägerin gehörenden Wert zerstört,
sondern sich selbst auf Kosten der Klägerin im Betrag von Fr. 56000.-
ungerechtfertigt bereichert. In einem solchen Fall reiner Arglist können die
Haftpflichtigen nicht zu ihren Gunsten vorbringen, die Geschädigte habe nicht
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Vorsichtsmassnahmen angewendet, die beim Abschluss eines Geschäftes mit Leuten
ihrer Art angemessen gewesen wären. Wer vorkehrt, was im Verkehr mit ehrlichen
Leuten genügt - und das hat die Klägerin getan - soll gegenüber einem Betrüger
nicht in seinem Ersatzanspruch geschmälert werden.