S. 141 / Nr. 22 Doppelbesteuerung (d)

BGE 68 I 141

22. Urteil vom 28. Oktober 1942 i. S. Erben des Alan Harris gegen Luzern.

Regeste:
Für die Besteuerung von Zugehör ist nicht notwendig auf die zivilrechtliche
Zugehörqualität abzustellen. Das Mobiliar eines Privathauses kann nicht am Ort
der gelegenen Sache besteuert werden.
Pour l'imposition d'accessoires, il n'est pas nécessaire de s'en tenir à la
notion de droit civil de l'accessoire. Le mobilier de la maison d'un
particulier n'est pas imposable au lieu de la situation de la chose.
Per l'imposizione di accessori non è necessario attenersi alla nozione di
accessorio secondo il diritto civile. La mobilia d'una casa privata non è
imponibile nel luogo ove la cosa Bi trova.

A. - Die Rekurrenten sind als Erben des am 1. Januar 1940 in La Tour-de-Peilz,
später in Sierre wohnhaft

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gewesenen und am 4. Juni 1941 daselbst verstorbenen Alan C. Harris Eigentümer
der Villa Griswolden in der Stadt Luzern mit einem Katasterwert von Fr.
447000.-, sowie des darin befindlichen Hausrates. Für die Liegenschaft und für
einen Viertel des Wertes des für Fr. 200000.- versicherten Mobiliars
veranlagten die luzernischen Steuerbehörden den Eigentümer für 1940 und ff.
zur Vermögenssteuer. Einen Rekurs der Rekurrenten gegen den Einbezug des
Mobiliars zum steuerpflichtigen Vermögen hat die kantonale
Steuerrekurskommission mit Entscheid vom 26. Mai 1942 abgewiesen, im
wesentlichen mit der Begründung: der Grundsatz, dass bewegliches Eigentum im
Wohnsitzkanton des Pflichtigen zu versteuern sei, gelte nicht ausnahmslos. §
65 Abs. 2 StG bestimme ausdrücklich, dass Hausmobiliar dort zur Steuer
herangezogen werden müsse, wo das Gebäude liege und das Vermögen seiner
Zweckbestimmung entsprechend lokalisiert sei. Wenn dem Hausrat auch keine
Zugehörqualität im Sinne von Art. 644
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 644 - 1 Die Verfügung über eine Sache bezieht sich, wenn keine Ausnahme gemacht wird, auch auf ihre Zugehör.
1    Die Verfügung über eine Sache bezieht sich, wenn keine Ausnahme gemacht wird, auch auf ihre Zugehör.
2    Zugehör sind die beweglichen Sachen, die nach der am Orte üblichen Auffassung oder nach dem klaren Willen des Eigentümers der Hauptsache dauernd für deren Bewirtschaftung, Benutzung oder Verwahrung bestimmt und durch Verbindung, Anpassung oder auf andere Weise in die Beziehung zur Hauptsache gebracht sind, in der sie ihr zu dienen haben.
3    Ist eine Sache Zugehör, so vermag eine vorübergehende Trennung von der Hauptsache ihr diese Eigenschaft nicht zu nehmen.
ZGB beigelegt werden könne, so liege
doch wirtschaftlich gesehen ein Vermögenskomplex vor, der steuerrechtlich eine
einheitliche Behandlung rechtfertige. Es wäre nicht einzusehen, weshalb in der
steuerrechtlichen Behandlung des in einem Geschäft investierten und dem zur
Ausstattung eines Hauses dienenden Mobiliar unterschieden werden sollte.
B. - Mit rechtzeitiger staatsrechtlicher Beschwerde beantragen die Erben des
Alan C. Harris, der Entscheid der Steuerrekurskommission sei, weil gegen Art.
46 Abs. 2
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 46 Umsetzung des Bundesrechts - 1 Die Kantone setzen das Bundesrecht nach Massgabe von Verfassung und Gesetz um.
1    Die Kantone setzen das Bundesrecht nach Massgabe von Verfassung und Gesetz um.
2    Bund und Kantone können miteinander vereinbaren, dass die Kantone bei der Umsetzung von Bundesrecht bestimmte Ziele erreichen und zu diesem Zweck Programme ausführen, die der Bund finanziell unterstützt.10
3    Der Bund belässt den Kantonen möglichst grosse Gestaltungsfreiheit und trägt den kantonalen Besonderheiten Rechnung.11
und Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV verstossend, aufzuheben. Es wird ausgeführt: nach den
vom Bundesgericht betreffend das Verbot der Doppelbesteuerung entwickelten
Grundsätzen könne Mobiliar nur dann von einem andern als dem Wohnsitzkanton
des Eigentümers zur Besteuerung herangezogen werden, wenn es in einem Geschäft
investiert sei. Hausrat diene aber nicht wie Geschäftsinventar der Ausübung
einer auf Erwerb gerichteten Tätigkeit und könne auch wirtschaftlich nicht als
ein Vermögenskomplex mit der

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Wohnung angesehen werden. Der angefochtene Entscheid verstosse auch gegen
klare Bestimmungen des kantonalen Steuergesetzes. Darnach sei für bewegliches
Eigentum im Kanton nur steuerpflichtig, wer in diesem Wohn- oder Geschäftssitz
habe. Dass aber Hausrat als bewegliches Vermögen im Sinne des Steuergesetzes
gelte, ergebe sich aus dessen § 14, aus der Praxis und der Tatsache, dass
Mobiliar nicht in die für die Besteuerung von Liegenschaften massgebende
Katasterschatzung aufgenommen werde.
C. - Die Steuerrekurskommission hat auf Vernehmlassung verzichtet; der
Regierungsrat des Kantons Luzern schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Er
macht geltend, dass keine effektive Doppelbesteuerungvorliege, und dass die
interkommunale Kollisionsnorm des § 65 Abs. 2 StG zugleich einen
interkantonalen Ausscheidungsgrundsatz enthalte. Da in der Villa Griswolden
Gebäude und Mobiliar einander derart angepasst seien, dass sie eine
untrennbare Einheit bildeten und ihr voller Wert von der Erhaltung der
Verbindung abhänge, frage es sich, ob nicht dem Hausrat oder mindestens einem
Teil davon Zugehörcharakter im zivilrechtlichen Sinne zugeschrieben werden
müsste.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Zubehör von Grundstücken untersteht nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtes der Steuerhoheit des Kantons, in dem sie sich befindet (BGE 68
I 70
mit Zitaten). Der Regierungsrat hält in der Vernehmlassung dafür, dass
das Mobiliar in der Villa Griswolden jedenfalls zu einem Teil als Zubehör im
zivilrechtlichen Sinn zu gelten habe, und scheint anzunehmen, dass dies auch
im übrigen zutreffe. Dem kann nicht beigepflichtet werden. Zu der für Zubehör
notwendigen räumlichen und wirtschaftlichen Beziehung müsste hinzukommen, dass
die Sache nach Ortsgebrauch oder nach dem klaren Willen des Eigentümers als
Zubehör zu behandeln sei. Ein dahingehender Wille ist

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nicht dargetan. Und wenn nach luzernischem Recht kein bezüglicher Ortsgebrauch
besteht für Hotel- und Gasthofmobiliar, das doch zur Liegenschaft eine viel
engere Beziehung aufweist, als Mobiliar eines Privathauses (BGE 42 II 112;
HAAB zu Art. 644
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 644 - 1 Die Verfügung über eine Sache bezieht sich, wenn keine Ausnahme gemacht wird, auch auf ihre Zugehör.
1    Die Verfügung über eine Sache bezieht sich, wenn keine Ausnahme gemacht wird, auch auf ihre Zugehör.
2    Zugehör sind die beweglichen Sachen, die nach der am Orte üblichen Auffassung oder nach dem klaren Willen des Eigentümers der Hauptsache dauernd für deren Bewirtschaftung, Benutzung oder Verwahrung bestimmt und durch Verbindung, Anpassung oder auf andere Weise in die Beziehung zur Hauptsache gebracht sind, in der sie ihr zu dienen haben.
3    Ist eine Sache Zugehör, so vermag eine vorübergehende Trennung von der Hauptsache ihr diese Eigenschaft nicht zu nehmen.
ZGB Note 12, LEEMANN Note 23 und dortige Zitate; ferner BGE
67 II 161), so kann es umsoweniger für dieses angenommen werden. Die
Steuerrekurskommission macht zudem eine derartige zivilrechtliche
Zugehöreigenschaft des in Frage stehenden Mobiliars nicht geltend, auch in der
Antwort nicht, sondern nur, dass die zur Steuer herangezogenen
Vermögensgegenstände wirtschaftlich als Zugehör anzusehen seien, was für die
einheitliche steuerrechtliche Behandlung genügen müsse. Damit wird die Frage
aufgeworfen, ob nur die Zugehöreigenschaft im zivilrechtlichen Sinne eine
Aufnahme vom Grundsatz zu rechtfertigen vermöge, dass bewegliches Eigentum nur
vom Kanton des Wohnsitzes des Eigentümers besteuert werden dürfe. Im bereits
erwähnten Urteil BGE 68 I 70 hat das Bundesgericht auch Fahrnisbauten, also
Mobilien, die weder Bestandteil noch Zugehör eines Grundstückes bilden, auf
dem sie errichtet sind, als steuerrechtlich dem Kanton dieses Grundstückes
zugehörend bezeichnet, und damit festgestellt, dass es für die
steuerrechtliche Behandlung nicht unbedingt auf den zivilrechtlichen Begriff
von Bestandteil oder Zugehör ankomme. Massgebend war dort die Erwägung, dass
die Bauten der Bewirtschaftung des Grundstückes, der Erzielung eines Ertrages
daraus dienen, und dass sie daher gegenständlich und wirtschaftlich damit so
eng zusammenhängen, dass es widerspruchsvoll wäre, diese Einrichtungen trotz
ihrer intensiven Beziehung zur Liegenschaft und deren Ertrag unter eine andere
Steuerhoheit fallen zu lassen. Stellt man hierauf ab, so kann doch ein derart
immobiliärer Charakter des Mobiliars eines Privathauses nicht ohne weiteres
angenommen werden. Zunächst müsste eine dauernde Verbindung vorliegen, d. h.
derselbe Gesichtspunkt zutreffen, der für die Besteuerung von Bestandteilen

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und Zugehör einer Liegenschaft massgebend ist. Denn es ist klar, dass der
blosse tatsächliche Zusammenhang von Mobiliar zu einer Liegenschaft ebenso
wenig genügen könnte, als dies für darin bloss verwahrtes bewegliches Vermögen
(Titel in einem Kassenschrank usw.) zutrifft. Schon daran fehlt es hier:
nichts hätte den Eigentümer daran hindern können, das Mobiliar aus der Villa
wegzunehmen und es anderswo unterzubringen. Wenn dies nicht geschehen ist, so
offenbar nur deshalb, weil der Eigentümer für das Mobiliar an seinem Wohnsitz
keinen Bedarf hatte. Es fehlen auch irgendwelche Anhaltspunkte dafür, dass die
Wegnahme nur unter Verminderung des Wertes der Liegenschaft selbst oder des
Mobiliars möglich gewesen wäre. Dass dies bezüglich einzelner ihrem Werte nach
im Verhältnis zum gesamten Hausrat unwesentlicher Teile wie Vorhangstangen,
Draperien usw., allenfalls gesagt werden könnte, würde natürlich nicht
ausreichen, um eine dauernde Verbindung auch im übrigen anzunehmen. Und beim
Fehlen einer auf die Dauer angelegten Verbindung müssten doch mindestens
ähnliche Gründe die steuerliche Erfassung im Liegenschaftskanton
rechtfertigen, die für die Besteuerung von Fahrnisbauten, oder von
Geschäftsmobiliar am Ort einer Geschäfts- oder Zweigniederlassung massgebend
sind: dass sie nämlich zur Bewirtschaftung und zur Erzielung eines Ertrages
dienen (BGE 68 I 70), oder dass sich in den der Geschäftstätigkeit dienenden
Anlagen und Einrichtungen ein quantitativ und qualitativ wesentlicher Teil des
Geschäftsbetriebes vollzieht (BGE 54 I 417). Vom Mobiliar eines Privathauses,
das der Eigentümer zudem leer stehen lässt; kann dies nicht behauptet werden.
Es fehlt daher nicht nur die notwendige Intensität der räumlichen, sondern
auch der wirtschaftlichen Beziehungen, die es rechtfertigen könnte, dieses
Vermögen unter eine andere Steuerhoheit als jene des Wohnsitzes des
Pflichtigen fallen zu lassen.
Dass keine tatsächliche Doppelbesteuerung vorliegt, wie der Regierungsrat
geltend macht, ist nach ständiger

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Rechtsprechung unerheblich. Wenn nach den Grundsätzen über die
Doppelbesteuerung die Steuererhebung in einem Kanton für einen bestimmten Fall
nicht gestattet ist, so hat sie auch dann zu unterbleiben, wenn im
berechtigten Kanton eine Steuer tatsächlich nicht erhoben wird (BGE 41 I 70;
46 I 23, 46 I 31; 49 I 44). Verstösst aber die Besteuerung der Rekurrenten für
den Hausrat in der Villa Griswolden gegen das bundesrechtliche Verbot der
Doppelbesteuerung, so braucht nicht geprüft zu werden, ob sie zugleich auf
willkürlicher Anwendung und Auslegung des kantonalen Rechtes beruht.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird gegenüber dem Kanton Luzern gutgeheissen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 68 I 141
Datum : 31. Dezember 1942
Publiziert : 27. Oktober 1942
Quelle : Bundesgericht
Status : 68 I 141
Sachgebiet : BGE - Verwaltungsrecht und internationales öffentliches Recht
Gegenstand : Für die Besteuerung von Zugehör ist nicht notwendig auf die zivilrechtliche Zugehörqualität...


Gesetzesregister
BV: 4 
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
46
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 46 Umsetzung des Bundesrechts - 1 Die Kantone setzen das Bundesrecht nach Massgabe von Verfassung und Gesetz um.
1    Die Kantone setzen das Bundesrecht nach Massgabe von Verfassung und Gesetz um.
2    Bund und Kantone können miteinander vereinbaren, dass die Kantone bei der Umsetzung von Bundesrecht bestimmte Ziele erreichen und zu diesem Zweck Programme ausführen, die der Bund finanziell unterstützt.10
3    Der Bund belässt den Kantonen möglichst grosse Gestaltungsfreiheit und trägt den kantonalen Besonderheiten Rechnung.11
ZGB: 644
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 644 - 1 Die Verfügung über eine Sache bezieht sich, wenn keine Ausnahme gemacht wird, auch auf ihre Zugehör.
1    Die Verfügung über eine Sache bezieht sich, wenn keine Ausnahme gemacht wird, auch auf ihre Zugehör.
2    Zugehör sind die beweglichen Sachen, die nach der am Orte üblichen Auffassung oder nach dem klaren Willen des Eigentümers der Hauptsache dauernd für deren Bewirtschaftung, Benutzung oder Verwahrung bestimmt und durch Verbindung, Anpassung oder auf andere Weise in die Beziehung zur Hauptsache gebracht sind, in der sie ihr zu dienen haben.
3    Ist eine Sache Zugehör, so vermag eine vorübergehende Trennung von der Hauptsache ihr diese Eigenschaft nicht zu nehmen.
BGE Register
41-I-68 • 42-II-112 • 46-I-12 • 46-I-25 • 49-I-39 • 54-I-415 • 67-II-149 • 68-I-141 • 68-I-70
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
hausrat • bundesgericht • doppelbesteuerung • wert • bestandteil • frage • eigentum • steuerhoheit • erbe • regierungsrat • baute und anlage • unternehmung • ortsgebrauch • wille • zitat • weiler • not • bewegliches vermögen • fahrnisbaute • kantonales steuergesetz
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