S. 123 / Nr. 30 Obligationenrecht (d)

BGE 67 II 123

30. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 1. Juli 1941 i.S.
Chemodrog A.-G. gegen Konkursmasse der Zentrifuga A.-G.

Regeste:
1. Erfüllung zweiseitiger Verträge, Art. 82
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 82 - Wer bei einem zweiseitigen Vertrage den andern zur Erfüllung anhalten will, muss entweder bereits erfüllt haben oder die Erfüllung anbieten, es sei denn, dass er nach dem Inhalte oder der Natur des Vertrages erst später zu erfüllen hat.
OR. Ein zweiseitiger Vertrag nach
Art. 82
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 82 - Wer bei einem zweiseitigen Vertrage den andern zur Erfüllung anhalten will, muss entweder bereits erfüllt haben oder die Erfüllung anbieten, es sei denn, dass er nach dem Inhalte oder der Natur des Vertrages erst später zu erfüllen hat.
OR liegt vor, wenn die Verpflichtungen der beiden Vertragsparteien in
ihrer Entstehung (genetisch) und in ihrer Erfüllung (funktionell) gegenseitig
bedingt sind. Erw. 2.
2. Die Abtretung einer Forderung ist, wenn die Parteien nichts Gegenteiliges
vereinbaren, ein abstraktes Rechtsgeschäft;

Seite: 124
daher geht die Forderung auch dann an den Erwerber über, wenn das
Grundgeschäft an einem Mangel leidet. Erw. 4.
1. Exécution de contrats bilatéraux, art. 82 CO. Il y a contrat bilatéral au
sens que prend ce terme à l'art. 82 CO lorsque les obligations réciproques des
contractants dépendent les unes des autres pour leur naissance et leur
exécution. Consid. 2.
2. La cession d'une créance est, sauf convention contraire des parties, un
acte juridique abstrait, c'est pourquoi la créance passe sur la tête du
cessionnaire alors même que l'acte juridique qui en est la cause est entaché
d'un vice. Consid. 4.
1. Adempimento di contratti bilaterali, art. 82 CO. Esiste un contratto
bilaterale a'sensi dell'art. 82 CO allorchè le obbligazioni reciproche dei
contraenti dipendono le une dalle altre per quanto riguarda la loro causa e il
loro adempimento. Consid. 2.
2. La cessione di un credito è, salvo patto contrario delle parti, un atto
giuridico astratto, il credito passa quindi al cessionario anche se l'atto
giuridico che ne è la causa è viziato. Consid. 4.

Durch Vertrag vom 7. Dezember 1939 verpflichtete sich die Beklagte, der
Zentrifuga A.-G., deren Konkursmasse im heutigen Prozess Klägerin ist, ein
Darlehen von Fr. 20-25000.- zu gewähren, wogegen die Zentrifuga A.-G. ihren
ganzen Bedarf an Rohmaterialien für Lieferungen an die SBB und an die
Postverwaltung bei der Beklagten decken sollte. Im gleichen Vertrag zedierte
die Zentrifuga A.-G. der Beklagten bis zur Rückzahlung des Darlehens und
Bezahlung der Rechnungen ihre sämtlichen gegenwärtigen und zukünftigen
Forderungen aus den Lieferungsverträgen mit der SBB und der Postverwaltung.
Schliesslich wurde noch vereinbart, dass der Vertrag in allen seinen
Bestimmungen dahinfalle, wenn die Darlehenszahlungen der Beklagten bis Ende
Januar 1940 nicht mindestens den Betrag von Fr. 20000.- erreichen. Da die
Beklagte bis Ende Januar 1940 nur Fr. 4000.- leistete, erklärte die Zentrifuga
A.-G. den Vertrag als dahingefallen und teilte den SBB mit, dass Zahlungen
künftig wieder an sie zu leisten seien. Angesichts der Ungewissheit über die
Person des Gläubigers hinterlegten die SBB den bis dahin fällig gewordenen
Schuldbetrag von Fr. 3667,35 beim Bezirksgericht Zürich.
Die Klägerin verlangt, der hinterlegte Betrag sei ihr

Seite: 125
herauszugeben und der Vertrag vom 7. Dezember 1939 sei als ungültig zu
erklären. Das Handelsgericht des Kantons Zürich hat durch Urteil vom 16.
Januar 1941 die Klage gutgeheissen. Das Bundesgericht weist die Sache zu neuer
Entscheidung an die Vorinstanz zurück, aus folgenden
Gründen:
1.- ...
2.- Nach der Auffassung der Vorinstanz wäre der Vertrag vom 7. Dezember 1939
in der Folge deshalb dahingefallen, weil die Beklagte den vorgesehenen
Mindestbetrag von Fr. 20000.- bis Ende Januar 1940 nicht zu Darlehen gegeben
habe. Die Beklagte hatte vergeblich eingewendet, die Klägerin dürfe das
Dahinfallen des Vertrages nicht geltend machen, weil die Zentrifuga A.-G.
ihrerseits ihren vertraglichen Verpflichtungen nicht nachgekommen sei, indem
sie entgegen Ziffer 6 des Vertrages Rohmaterialien bei Dritten bezogen habe
(Art. 82
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 82 - Wer bei einem zweiseitigen Vertrage den andern zur Erfüllung anhalten will, muss entweder bereits erfüllt haben oder die Erfüllung anbieten, es sei denn, dass er nach dem Inhalte oder der Natur des Vertrages erst später zu erfüllen hat.
OR). Die Vorinstanz wies diesen Einwand mit der Begründung zurück,
die Pflicht der Zentrifuga A.-G. zum Bezug aller ihrer Rohmaterialien bei der
Beklagten und die Pflicht der letztern, der Zentrifuga A.-G. ein Darlehen zu
gewähren, stünden in keinem Austauschverhältnis zueinander, sodass eine
Berufung auf Art. 82
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 82 - Wer bei einem zweiseitigen Vertrage den andern zur Erfüllung anhalten will, muss entweder bereits erfüllt haben oder die Erfüllung anbieten, es sei denn, dass er nach dem Inhalte oder der Natur des Vertrages erst später zu erfüllen hat.
OR von vornherein entfalle. Die Vorinstanz liess daher
ungeprüft, ob die Zentrifuga A.-G. ihre vertragliche Pflicht auf Abnahme aller
ihrer Rohmaterialien von der Beklagten verletzt habe.
Wer bei einem zweiseitigen Vertrage den andern zur Erfüllung anhalten will,
muss nach Massgabe des Art. 82
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 82 - Wer bei einem zweiseitigen Vertrage den andern zur Erfüllung anhalten will, muss entweder bereits erfüllt haben oder die Erfüllung anbieten, es sei denn, dass er nach dem Inhalte oder der Natur des Vertrages erst später zu erfüllen hat.
OR entweder selbst bereits erfüllt haben oder
die Erfüllung anbieten, es wäre denn, dass er nach dem Inhalte oder der Natur
des Vertrages erst später zu erfüllen hätte. Eine sinngemässe Anwendung dieser
Gesetzesbestimmung auf den vorliegenden Fall ergibt, dass die Zentrifuga A.-G.
ein Dahinfallen des Vertrages gemäss dessen Ziffer 17 (Nichtleistung des
Darlehens

Seite: 126
durch die Beklagte) solange nicht geltend machen durfte, als sie selbst ihren
vertraglichen Verpflichtungen nicht nachgekommen war. Zu Unrecht möchte die
Vorinstanz diese Folge mit dem Hinweis auf ein mangelndes Austauschverhältnis
zwischen der Pflicht zur Abnahme der Rohmaterialien einerseits und derjenigen
auf Darlehensgewährung anderseits ablehnen. Art. 82
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 82 - Wer bei einem zweiseitigen Vertrage den andern zur Erfüllung anhalten will, muss entweder bereits erfüllt haben oder die Erfüllung anbieten, es sei denn, dass er nach dem Inhalte oder der Natur des Vertrages erst später zu erfüllen hat.
OR setzt einen
gegenseitigen Vertrag voraus. Und ein solcher liegt vor, wenn auf Grund eines
Vertrages für zwei Vertragsteile je eine Verpflichtung in der Weise begründet
ist, dass diese Verpflichtungen genetisch und funktionell voneinander abhängen
(vgl. STAUDINGER, Komment. zum deutschen BGB, 9. Aufl., II/1 S. 457). Darüber,
dass vorliegend die beidseitigen Verpflichtungen im Sinne einer genetischen
Abhängigkeit ihrer Entstehung nach gegenseitig bedingt waren, d. h. die
Verpflichtung des einen nur mit der des andern Teils entstehen sollte, bedarf
es keiner weitern Ausführungen. Aber auch die gegenseitige Bedingtheit in der
Erfüllung (funktionelle Abhängigkeit) ist gegeben, da auf der Hand liegt, dass
der Darlehensgeber sein Darlehen nur im Falle der Abnahme sämtlicher
Rohmaterialien seitens des Darlehensnehmers bei ihm zu gewähren hatte, und
umgekehrt eine Kaufsverpflichtung in Bezug auf die Rohmaterialien nur für den
Fall der Ausrichtung des Darlehens eingegangen werden wollte. Sollte daher,
wie dies von der Beklagten behauptet wird, die Zentrifuga A.-G. tatsächlich
schon im Dezember 1939 Rohmaterialien bei Dritten bezogen und damit eine -
positive - Vertragsverletzung begangen haben, so durfte sie in der Folge auch
kein Dahinfallen des Vertrages gemäss dessen Ziffer 17 (wegen Verzögerung der
Darlehenshingabe) geltend machen.
Da die Vorinstanz auf Grund ihrer rechtsirrtümlichen Einstellung die Frage des
Bezuges von Rohmaterialien seitens der Zentrifuga A.-G. bei Dritten offen
gelassen hat, muss ihr Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Beurteilung an
sie zurückgewiesen werden.

Seite: 127
3...
4.- Sollte das neue Verfahren eine Vertragsverletzung seitens der Zentrifuga
A.-G. nicht zu erstellen vermögen, sodass (wie in Erw. 3 dargelegt wird) der
Hinfall des Vertrages auf Ende Januar 1940 anzunehmen wäre, so ist dann weiter
zu sagen, dass die Vorinstanz in ihrem heute zu überprüfenden Urteil an einen
solchen Hinfall rechtlich unzutreffende Folgen geknüpft hat. Sie steht nämlich
auf dem Boden, dass Nichtigkeit, Anfechtbarkeit oder Hinfall des Vertrages vom
7. Dezember 1939 geeignet gewesen wäre, die in diesem vorgesehenen und in der
Folge auch noch separat vollzogenen Abtretungen von Forderungen gegenüber der
eidgenössischen Postverwaltung und den SBB ohne weiteres hinfällig zu machen.
Das trifft in Wirklichkeit nicht zu.
Die Abtretung ist ein formell selbständiges Rechtsgeschäft, durch das das
abgetretene Recht selbst dann auf den Erwerber übertragen wird, wenn das zu
Grunde liegende Rechtsgeschäft an einem zivilrechtlichen Mangel leidet, ein
Rechtsgrund der Zession also fehlt (vgl. BGE 24 II 924 und WOLFF, Wesen und
Voraussetzungen der Zession, S. 74 ff.; für das analoge deutsche Recht siehe
etwa Seufferts Archiv 69 Nr. 47, sowie OERTMANN, Recht der Schuldverhältnisse,
5. Aufl., I. Abt., S. 434). Diese abstrakte Beschaffenheit der Abtretung kann
allerdings von den Parteien beseitigt werden, indem sie die Zession unter der
Bedingung vornehmen, dass der von ihnen vereinbarte Rechtsgrund wirklich
vorliegt oder eintritt (vgl. v. TUHR, Allgemeiner Teil des schweiz.
Obligationenrechts, S. 719). Hierfür genügt es indessen nicht, dass beide
Geschäfte gleichzeitig abgeschlossen und im nämlichen Vertragsinstrument
verbunden sind (vgl. auch Reichsgerichtliche Entscheide in Zivilsachen 57,
96). Damit wird vielmehr regelmässig höchstens die motivmässige Abhängigkeit
des einen Geschäfts vom andern dargetan, die bei der Abtretung immer vorhanden
ist, weil jede Abtretung aus einem bestimmten Zweck heraus

Seite: 128
erfolgt. Für eine rechtliche Bedingtheit muss mehr als nur das verlangt
werden, d. h. es muss sich einwandfrei ergeben, dass nach dem Willen der
Parteien Nichtigkeit, Anfechtbarkeit oder Hinfall des Vertrages sich
automatisch auch auf die Abtretungen auswirken solle; Das kann nun vorliegend
schon im Hinblick auf allfällige Forderungen der Beklagten aus ihren
Warenlieferungen, zu deren Begleichung ja die Abtretungen ebenfalls dienen
sollten, nicht angenommen werden, ganz abgesehen von allfälligen
Rückforderungsansprüchen bezüglich der zu Darlehen gegebenen Beträge.
Demnach würde eine allfällige Nichtigkeit des Vertrages vom 7. Dezember 1939
nicht auch die Nichtigkeit der zu seiner Ausführung vorgenommenen
Forderungsabtretungen nach sich ziehen. Noch viel weniger könnte aber eine
Anfechtbarkeit jenes Vertrages den Rechtsbestand der Abtretungen berühren. Und
vollends wäre eine blosse Hinfälligkeit des Vertrages zufolge Rücktritts einer
Partei an sich für den Bestand der Abtretungen ohne Bedeutung. In allen diesen
Fallen hätte die Klägerin vielmehr höchstens einen obligatorischen Anspruch
auf Rückgängigmachung der Forderungsabtretungen, d. h. einen Anspruch auf
Rückzession, erwerben.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 67 II 123
Datum : 31. Dezember 1941
Publiziert : 01. Juli 1941
Quelle : Bundesgericht
Status : 67 II 123
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : 1. Erfüllung zweiseitiger Verträge, Art. 82 OR. Ein zweiseitiger Vertrag nach Art. 82 OR liegt vor...


Gesetzesregister
OR: 82
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 82 - Wer bei einem zweiseitigen Vertrage den andern zur Erfüllung anhalten will, muss entweder bereits erfüllt haben oder die Erfüllung anbieten, es sei denn, dass er nach dem Inhalte oder der Natur des Vertrages erst später zu erfüllen hat.
BGE Register
24-II-918 • 67-II-123
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
beklagter • darlehen • vorinstanz • sbb • nichtigkeit • weiler • abtretung einer forderung • wille • konkursmasse • zweiseitiger vertrag • bezogener • rechtsgrund • lieferung • vertragspartei • beendigung • entscheid • wirksamkeit • autonomie • berechnung • vertrag
... Alle anzeigen