S. 351 / Nr. 50 Fremdenpolizei (d)

BGE 67 I 351

50. Urteil des Kassationshofes vom 11. Oktober 1941 i. S. Selcer gegen
Polizeirichteramt Zürich.


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Regeste:
Art. 8 Abs. 2 BG, Art. 14 Abs. 3 Vo.
Der Ausländer kann ohne Arbeitsbewilligung vorübergehend auch die volle
Berufsausübung ausserhalb des Kantons verlegen für den er eine
Toleranzbewilligung besitzt, falls in diesem berufliche Beziehungen oder der
Wohnsitz selbst fortdauern.
Unanwendbarkeit von Art. 14 Abs. 3 Vo (abgeändert durch BRB vom 28. November
1933) in diesem Falle. Eine Berufsausübung von 2-3 Wochen kann je nach den
konkreten Umständen noch als vorübergehender Aufenthalt gelten.
Art. 8 al. 2 de la loi fédérale sur le séjour et l'établissement des
étrangers, du 26 mars 1931; art. 14 al. 3 de l'ordonnance d'application
relative à ladite loi.
L'étranger a le droit de transporter passagèrement toute son activité
professionnelle en dehors du canton pour lequel il possède la tolérance,
pourvu qu'il conserve, dans ce canton, des relations professionnelles ou son
domicile.
L'art. 14 al. 3 de l'ordonnance d'application (modifié par l'ACF du 28
novembre 1933) ne s'applique pas dans ce cas. Un séjour de deux à trois
semaines avec exercice de la profession peut encore, selon les circonstances,
être considéré comme passager.
Art. 8 cp. 2 della legge federale 26 marzo 1931 concernente la dimora e il
domicilio degli stranieri; art. 14 cp. 3 della relativa ordinanza di
esecuzione.
Lo straniero ha il diritto di trasferire a titolo passeggero tutta la sua
attività professionale fuori del cantone, pel quale egli è al beneficio di un
permesso di tolleranza, purchè conservi in questo cantone relazioni
professionali o il suo domicilio.
L'art. 14 cp. 3 dell'ordinanza d'esecuzione (modificato con DCF 28 novembre
1933) non si applica in questo caso. Un soggiorno di 2-3 settimane, con
esercizio della professione, può essere ancora considerato, secondo le
circostanze, come passeggero.

Der Beschwerdeführer ist staatenlos. Er besitzt das eidgen. Diplom als
Zahnarzt, eine Toleranzbewilligung

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sowie eine fremdenpolizeiliche Erlaubnis zur Ausübung des Zahnarztberufes im
Kanton Glarus. Gestützt hierauf betätigt er sich in Niederurnen als
selbständiger Zahnarzt. Daneben arbeitete er vom 7. März bis zum 17. April
1939 wöchentlich während drei Tagen als Assistent eines Zahnarztes in Zürich.
Da er in Zürich keine Arbeitsbewilligung besass, wurde er vom
Polizeirichteramt Zürich wegen Übertretung von Art. 3 Abs. 3 des BG über
Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer mit Fr. 30.- gebüsst. Der
Einzelrichter in Strafsachen des Bezirksgerichtes Zürich hat diesen Entscheid
auf Einsprache hin bestätigt, mit der Begründung: Der Gebüsste habe für den
Kanton Zürich keine Arbeitsbewilligung besessen; da er hier während etwa 40
Tagen gearbeitet, sich also nicht bloss vorübergehend, sondern länger als acht
Tage aufgehalten habe, habe er Art. 8 Abs. 1 u. 2 BG und Art. 14 Abs. 3 der
zugehörigen Vollziehungsverordnung übertreten.
Mit der vorliegenden Nichtigkeitsbeschwerde wird beantragt, diesen Entscheid
aufzuheben und den Beschwerdeführer freizusprechen.
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
Wenn dem Ausländer durch Art. 8 verboten wird, in einem andern Kanton als
demjenigen, für den die Toleranzbewilligung ausgestellt wurde, sich länger als
nur vorübergehend aufzuhalten, oder dorthin den Schwerpunkt der
Erwerbstätigkeit zu verlegen, so ist er darnach doch befugt, sich ohne
Anmeldung vorübergehend in diesem andern Kanton aufzuhalten, wenn damit nicht
eine Verlegung des Schwerpunktes der Tätigkeit verbunden ist. Wie der
Kassationshof bereits im nicht publizierten Entscheid i. S. Bieler vom 27.
November 1939 ausgeführt hat, ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte des
Gesetzes, dass ausserhalb des Kantons, für den die Bewilligung ausgestellt
ist, nicht nur eine Berufsausübung zulässig ist, die sich als nebensächliche
Betätigung der in einem andern Kanton fortdauernden Tätigkeit abspalten lässt,

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sondern dass dorthin die volle, freilich nur zeitweilige, vorübergehende
Berufsausübung verlegt werden darf, sofern im Kanton der Aufenthalts- oder
Toleranzbewilligung berufliche Beziehungen oder der Wohnsitz selbst
fortbestehen. Die Fortdauer derartiger Beziehungen des Beschwerdeführers zum
Kanton Glarus ist nicht streitig; zwar steht nicht fest, ob er während der
Zeit, da er in Zürich arbeitete, ganz d. h. auch nachtsüber dort blieb, oder
ob er jeweilen abends heimkehrte; das ist indes unerheblich; denn es steht
fest, dass er in Niederurnen den Wohnsitz beibehielt und während der ihm
verbleibenden drei Wochentage sich daselbst seiner Praxis widmete. Das genügt
aber, um die Annahme einer Verlegung des Schwerpunktes der Erwerbstätigkeit
ohne weiteres auszuschliessen. Sie wäre ebenso unzutreffend wie für den
Arbeiter, der ausserhalb des Bewilligungskantons eine Maschine montiert,
denjenigen, der sich dort zum Besuch der Schule, zur Berufsausbildung oder zur
ärztlichen Behandlung in einer Anstalt aufhält, für den Arzt, der eine
verhältnismässig kurz dauernde Stellvertretung übernimmt. Der Aufenthalt darf
freilich nur ein vorübergehender sein. Was darunter zu verstehen ist, bestimmt
Art. 14 Abs. 3 VV (abgeändert durch BRB vom 28. Nov. 1933 über die
Anmeldefrist der Ausländer) für den Sonderfall des Ausländers, der im
Bewilligungskanton Aufenthalt oder Toleranz mit Stellenantritt hat; für ihn
gilt der Aufenthalt noch als bloss vorübergehend, wenn er für seinen
Arbeitgeber nicht länger als acht Tage in einem andern Kanton arbeitet. Doch
drängt sich die Anwendung dieser speziellen Norm auf Fälle wie den hier
gegebenen nicht notwendig auf. Das Arbeitsverhältnis des Beschwerdeführers in
Zürich war provisorischer Natur. Das erhellt aus dem Umstand, dass der
Arbeitgeber zunächst einen vollbeschäftigten Assistenten suchte, dass es aber
schwer hielt, einen solchen, oder nachher für den Beschwerdeführer einen
Ersatz, zu finden, und dass der Beschwerdeführer eine Zeitlang die
Stellvertretung des erkrankten

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Arbeitsgebers besorgte. Die Vorschrift über die Anmeldepflicht und die
Arbeitsbewilligung verfolgt den Zweck, eine Benachteiligung der eigenen durch
fremde Arbeitskräfte auf dem Arbeitsmarkt zu verhindern. Hier diente die
Stellvertretung, solange das Arbeitsverhältnis kein definitives wurde, in
erster Linie dem Interesse des Arbeitgebers. Auch hierauf ist bei der
Beantwortung der Frage, ob der Aufenthalt vorübergehender Art gewesen sei,
Rücksicht zu nehmen. Dass für den Fall der Erteilung der Arbeitsbewilligung
durch die zürcherische Fremdenpolizei beabsichtigt war, dass der
Beschwerdeführer die Praxis in Niederurnen aufgebe und ganz in den Dienst des
Zahnarztes in Zürich trete, vermag am vorübergehenden Charakter der Tätigkeit
nichts zu ändern. Sie dauerte während der Zeit vom 7. März bis zum 17. April
1939 insgesamt zwischen zwei und drei Wochen und überschreitet damit die
zulässige Dauer nicht. Auch im bereits erwähnten Entscheid i. S. Bieler sind
Stellvertretungen eines Arztes von einer Dauer von zwei bezw. drei Wochen als
noch im Rahmen des Art. 8 liegend angesehen worden. Die Vorinstanz hat daher
zu Unrecht den Tatbestand der Übertretung dieser Vorschrift als gegeben
bezeichnet.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen und der angefochtene Entscheid
aufgehoben.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 67 I 351
Datum : 31. Dezember 1941
Publiziert : 10. Oktober 1941
Quelle : Bundesgericht
Status : 67 I 351
Sachgebiet : BGE - Verwaltungsrecht und internationales öffentliches Recht
Gegenstand : Art. 8 Abs. 2 BG, Art. 14 Abs. 3 Vo.Der Ausländer kann ohne Arbeitsbewilligung vorübergehend auch...


BGE Register
67-I-351
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