S. 253 / Nr. 44 Kompetenzpflicht zwischen bürgerlicher und
Militärgerichtsbarkeit (d)

BGE 66 I 253

44. Urteil vom 20. Dezember 1940 i. S. Glaus gegen Territorialgericht 3 B.

Regeste:
Zuständigkeit der Militärgerichte zur Strafverfolgung gegenüber Zivilpersonen,
die sich der Beschimpfung von Militärpersonen schuldig machen.
Compétence des tribunaux militaires pour connaître de l'action pénale intentée
au civil qui a injurié un militaire.
Competenza dei tribunali militari per conoscere dell'azione penale promossa
contro un civile che ha ingiuriato un militare.


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A. - Am Abend des 9. August 1940 begaben sich etwa 16 Offiziere des Grenz.
Sich. Det. Engadin, welche den Abschied beurlaubter Kameraden feierten, in
Begleitung von Damen in das Restaurant des Hotels Bigler in Schuls. Dort soll
sich folgendes zugetragen haben: Der Rekurrent Glaus, der im Hotel Bigler in
den Ferien weilte, setzte sich ungebeten an den Tisch, an dem sich zwei
Offiziere, Lieutenant Hans Gschwind und ein Kamerad, mit Damen niedergelassen
hatten, und begann ein Gespräch mit dem ihm nicht bekannten Lt. Gschwind. Als
die Rede dabei auf den Architekten Otto Gschwind in Zürich kam, bezeichnete
der Rekurrent, der zugestandenermassen angetrunken war, jenen als den
«grössten Gauner und Halunken, der in der Stadt Zürich herumlaufe». Lt.
Gschwind stellte sich als Sohn des Architekten Gschwind vor, worauf der
Rekurrent erwiderte: «Dann sind Sie der grösste Gauner von Geburt an». Auf
Ersuchen von Lt. Gschwind verliess der Rekurrent dessen Tisch, wandte sich
aber wenig später an einen andern Offizier, Lt. Trümpy, und nannte ihn einen
«besoffenen Schweinehund». Darauf konnten der Wirt und die Offiziere den
Rekurrenten zum Verlassen des Lokals bewegen.
B. - Auf Grund einer Strafanzeige des Lt. Gschwind und von Erhebungen der
Heerespolizei wies das Territorialkommando 12 und später das eidgenössische
Militärdepartement den Untersuchungsrichter des Territorialgerichts 3 B an,
die Voruntersuchung durchzuführen. Nach deren Abschluss gingen die Akten am 7.
Oktober an den Auditor des Territorialgerichts 3 B. Dieser hatte Bedenken
wegen der Zuständigkeit der Militärgerichte. Der Armeeauditor, dem er den Fall
unterbreitete, bejahte indessen durch Schreiben vom 14. Oktober die
Zuständigkeit mit der Begründung, die Voraussetzungen von Art. 101 MStrG seien
erfüllt, die Einschränkung von Art. 3 Ziff. 1 Abs. 9 gelte nicht bei der
öffentlichen Beschimpfung im Aktivdienst stehender Militärpersonen.

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C. - Am 29. November 1940 hat Glaus beim Bundesgericht die
Kompetenzkonfliktsbeschwerde nach Art. 223 MStrG erhoben mit dem Antrag, es
sei die Unzuständigkeit der militärischen Gerichte zur Beurteilung des dem
Rekurrenten zur Last gelegten Vergehens auszusprechen und die gegen ihn
angehobene militärgerichtliche Untersuchung daher einzustellen. Zur Begründung
wird ausgeführt:
Eine militärgerichtliche Verfolgung des Rekurrenten wegen Beschimpfung gemäss
Art. 148 MStrG komme nicht in Betracht, weil die Voraussetzungen von Art. 3
Ziff. 1 MStrG (Ehrverletzung gegenüber einer Militärperson mit Bezug auf ihre
dienstliche Stellung oder Tätigkeit) zweifellos nicht gegeben seien. Aber auch
Art. 101 scheide aus. Er erfasse nicht jede öffentliche Beschimpfung, die ja
an sich auch unter Art. 148 falle, sondern nach dem Zusammenhang nur die
Fälle, wo die Beschimpfung als «Vergehen gegen die Landesverteidigung und
Wehrkraft des Landes» (Marginale zu Art. 86-108), «Störung der militärischen
Sicherheit» (Marginale zu Art. 98-108) erscheine. Dazu würde gehören, dass
sich der Beleidiger an eine grössere Öffentlichkeit gewendet habe in einer
Weise, die geeignet war, die militärische Disziplin zu gefährden. Im
vorliegenden Falle treffe dies nicht zu.
D. - Der Auditor des Territorialgerichts 3 B hat sich eines Antrages
enthalten. Die Stellung von Art. 101 im Gesetz lasse darauf schliessen, dass
zur Erfüllung des Tatbestandes der öffentlichen Beschimpfung gleichzeitig eine
Untergrabung der militärischen Disziplin erforderlich sei, wovon im
vorliegenden Falle nicht wohl gesprochen werden könne.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Es handelt sich um einen Anstand über die Zuständigkeit der militärischen
oder der bürgerlichen Gerichtsbarkeit im Sinne von Art. 223 MStrG. Über solche
Anstände hat das Bundesgericht zu entscheiden.

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Das Bundesgericht hat ausgesprochen, dass auch der Angeschuldigte legitimiert
sei, dem Kompetenzkonflikt zu erheben (BGE 61 I S. 119 ff.), und zwar könne er
ihn geltend machen während des militärgerichtlichen Untersuchungsverfahrens
oder in dem Zwischenstadium zwischen Anklageerhebung und Hauptverhandlung vor
Militärgericht, nicht aber in einem späteren Stadium des Verfahrens (BGE 66 I
S. 62
). Auf die vorliegende, schon während der Untersuchung eingereichte
Beschwerde ist deshalb einzutreten.
2.- Nach Art. 3 Ziff. 1 MStrG unterstehen im Falle aktiven Dienstes dem
Militärstrafrecht, wenn und soweit der Bundesrat die Unterstellung
beschliesst, Zivilpersonen, die sich schuldig machen «einer Störung der
militärischen Sicherheit» (Art. 98 bis 108) oder einer «Ehrverletzung
gegenüber einer im Dienst befindlichen Person mit Bezug auf ihre dienstliche
Stellung oder Tätigkeit» (Art. 145 bis 148). Der Bundesrat hat durch Beschluss
vom 29. August 1939 (GS S. 748) die Unterstellung der Zivilpersonen für die in
Art. 3. Ziff. 1 genannten Handlungen beschlossen. Der Rekurrent untersteht
daher dem Militärstrafrecht und damit auch der Militärstrafgerichtsbarkeit
(Art. 218 MStrG), wenn die ihm nach den militärgerichtlichen
Untersuchungsakten zur Last gelegten Handlungen den Tatbestand von Art. 148 in
Verbindung mit Art. 3 Ziff. 1 oder von Art. 101 MStrG erfüllen.
3.- Die Äusserungen, die der Rekurrent nach dem Ergebnis der
militärgerichtlichen Voruntersuchung den Offizieren Lt. Gschwind und Lt.
Trümpy gegenüber getan haben soll, sind zweifellos Beschimpfungen im Sinne von
Art. 101 und 148 MStrG.
a) Wegen Beschimpfung im Sinne von Art. 148 kann eine Zivilperson indessen nur
bestraft werden, wenn die Voraussetzungen von Art. 3 Ziff. 1 Abs. 9 erfüllt
sind. Das trifft hier nicht zu. Denn die Äusserungen des Rekurrenten hatten
keinen Bezug auf die dienstliche Stellung oder Tätigkeit der in ihrer Ehre
angegriffenen Offiziere,

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sondern sind als rein persönliche Beschimpfungen zu betrachten.
b) Fraglich kann daher nur sein, ob die Handlungen des Rekurrenten den
Tatbestand von Art. 101 erfüllen. Dass die beleidigten Offiziere im aktiven
Dienst standen, hat der Rekurrent mit Recht nicht in Zweifel gezogen. Im
aktiven Dienst stehend sind Militärpersonen zu betrachten während der ganzen
Zeit, für die sie zum Aktivdienst aufgeboten und deshalb zum Tragen der
Uniform berechtigt und verpflichtet sind; ob sie mit dienstlichen
Obliegenheiten beschäftigt sind oder Freizeit haben, ist gleichgültig.
Ebenso ist das Erfordernis der Öffentlichkeit im vorliegenden Falle zu
bejahen, da der Rekurrent die beiden Offiziere in einem Restaurant, das heisst
in einem öffentlichen, jedermann zugänglichen Raume beschimpft hat (ebenso
unveröffentlichter Entscheid des Bundesgerichtes vom 20. September 1940 i. S.
Territorialkommando 11 gegen den Gerichtspräsidenten von Thun).
Freilich steht die Bestimmung im Abschnitt des Gesetzes, der von den «Vergehen
gegen die Landesverteidigung und gegen die Wehrkraft des Landes» handelt, und
unter dem Marginal «Störung der militärischen Sicherheit». Daraus und aus der
Unterscheidung von den «Ehrverletzungen (Art. 145-148)» folgt indessen nur,
dass dieser qualifizierte Ehrverletzungstatbestand vorwiegend im Interesse der
Armee aufgestellt ist, der die Landesverteidigung obliegt und deren Ansehen
durch die öffentliche Beschimpfung ihrer Angehörigen gefährdet wird. Es darf
daraus nicht ein weiteres Tatbestandsmerkmal hergeleitet werden, das in dem
klar umschriebenen Straftatbestand nicht enthalten ist) und damit dessen
Bedeutung abgeschwächt werden. Höchstens lässt sich die Auffassung vertreten,
dass mit Rücksicht hierauf das Erfordernis der Öffentlichkeit einschränkend
auszulegen sei. Im vorliegenden Falle sind jedoch die Beschimpfungen geäussert
worden in einem öffentlichen, jedermann zugänglichen

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Raume, in dem sich eine grössere Zahl von Militär- und Zivilpersonen aufhielt.
Demnach erkennt das Bundesgericht: Die Beschwerde wird abgewiesen.
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Document : 66 I 253
Date : 01. Januar 1940
Published : 19. Dezember 1940
Source : Bundesgericht
Status : 66 I 253
Subject area : BGE - Verwaltungsrecht und internationales öffentliches Recht
Subject : Zuständigkeit der Militärgerichte zur Strafverfolgung gegenüber Zivilpersonen, die sich der...


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