S. 159 / Nr. 29 Kompetenzkonflikt zwischen bürgerl. u. Militärgerichtsbarkeit
(d)

BGE 66 I 159

29. Urteil vom 5. Juli 1940 i. S. Siegrist gegen Michel und Bezirksrichter
Reiath.


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Regeste:
Die Beschwerde wegen unrichtiger Kompetenzabgrenzung zwischen der bürgerlichen
und der Militärgerichtsbarkeit ist an keine Frist geknüpft, steht aber dem
Angeschuldigten gegenüber dem Militärrichter nur bis zur Hauptverhandlung zu
(Erw. 2).
Legitimation zu dieser Beschwerde: Der Angeschuldigte ist dazu legitimiert,
nicht aber der blosse Geschädigte (Erw. 3).
Begriff des Anstandes über die Zuständigkeit der militärischen und der
bürgerlichen Gerichtsbarkeit im Sinne des Art. 223 des Militärstrafgesetzes.
Ein solcher Anstand liegt vor:
1. wenn sowohl die militärische als die bürgerliche Gerichtsbarkeit, d.h.
deren zuständige Organe, je ihre Kompetenz bejahen oder verneinen.
2. wenn der Angeschuldigte die sachliche Kompetenz der gegen ihn vorgehenden
Gerichtsbarkeit ohne Rücksicht auf das Verhalten der andern bestreiten will.
Ein Anstand im erwähnten Sinn liegt dagegen nicht schon dann vor, wenn nur
eine der beiden Gerichtsbarkeiten durch den Mund ihres zur Strafverfolgung an
und für sich zuständigen Organs die Zuständigkeit ablehnt, weil sie die andere
Gerichtsbarkeit für zuständig hält, und das angefochten wird (Erw. 4).
Le recours tendant au règlement de la compétence entre la juridiction
ordinaire et la juridiction militaire n'est soumis à aucun délai, mais il
n'appartient à l'inculpé qui décline la juridiction militaire que jusqu'à
l'instruction principale (consid. 2).
Qualité pour recourir: L'accusé possède cette qualité, mais non le lésé comme
tel (consid. 3).
Le conflit de compétence au sens de l'art. 223 du Code pénal militaire est
ouvert:
1. Lorsque tant la juridiction militaire que l'ordinaire, c.-à-d. les organes
qualifiés de celles-ci, admettent ou déclinent l'une et l'autre leur
compétence,
2. Lorsque l'accusé entend contester la compétence ratione materiae de la
juridiction saisie sans égard à l'attitude que pourra prendre l'autre
juridiction.

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Il n'y a en revanche pas encore conflit au sens indiqué lorsqu'une seule des
deux juridictions, par la voix de l'organe en soi qualifié pour exercer la
poursuite pénale, a décliné sa compétence au profit de l'autre juridiction et
que ce prononcé est porté au Tribunal fédéral par la partie ou l'autorité qui
soutient l'accusation.
Il ricorso, che ha per oggetto la delimitazione della competenza tra la
giurisdizione ordinaria e la giurisdizione militare, non è soggetto a termine,
ma può essere interposto dall'accusato, che declina la giurisdizione militare,
soltanto sino all'instruzione principale (consid. 2).
Ha qualità per ricorrere l'accusato, non però il leso come tale (consid. 3).
Il conflitto di competenza a'sensi dell'art. 223 del Codice penale militare è
aperto:
1. quando sia la giurisdizione militare, sia quella ordinaria (cioè i loro
organi qualificati) ammettono o declinano, l'una e l'altra, la loro
competenza;
2. quando l'accusato intende contestare la competenza ratione materiae della
giurisdizione che procede contro di lui, senza riguardo all'atteggiamento che
potrà assumere l'altra giurisdizione.
Invece non esiste ancora conflitto di competenza nel senso suddetto, quando
una sola delle due giurisdizioni, per voce dell'organo in sè qualificato a
procedere penalmente, ha declinato la sua competenza a favore dell'altra
giurisdizione, e questo pronunciato è deferito al Tribunale federale dalla
parte o dall'autorità che sostiene l'accusa.

A. - Der Rekursbeklagte Michel tat im Herbst 1939 Dienst bei der
Grenzschutzkompagnie III/264 als Füsilier. Während dieser Zeit, am 23.
September abends, als er in Uniform war, warf er dem Rekurrenten Siegrist vor,
dieser habe gesagt, es sei recht, dass die Soldaten einrücken müssten, damit
es wieder Arbeit gebe, und bezeichnete ihn als «Dreggseckel, Mistfink,
Halungg». Deswegen erhob der Rekurrent gegen den Rekursbeklagten vor dem
Friedensrichteramt Thayngen und dann vor dem Bezirksrichter Reiath eine
Ehrverletzungsklage. Der Rekursbeklagte bestritt die Zuständigkeit der
bürgerlichen Gerichte. Der Bezirksrichter hiess diese Einrede auf Grund der
Art. 2 Ziff. 1, 218 Abs. 1 des Militärstrafgesetzes gut und wies durch
Entscheid vom 29. Februar 1940 die Klage angebrachtermassen ab. Darauf wandte
sich der Rekurrent mit seiner Klage an den Untersuchungsrichter der 6.
Division. Dieser eröffnete ihm aber mit

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Schreiben vom 20. März 1940, dass es sich um eine bürgerliche Angelegenheit
handle, weil sich der Rekurrent am 23. September 1939 nicht im Militärdienst
befunden und die Beschimpfung sich nicht auf die dienstliche Stellung und
Tätigkeit des Rekurrenten bezogen habe.
B. - Siegrist hat sich am 7. Juni 1940 an das Bundesgericht gewandt mit dem
Antrag auf Lösung des Kompetenzkonfliktes.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. ­ Es handelt sich um einen Streit über die Kompetenzabgrenzung zwischen der
bürgerlichen und der Militärgerichtsbarkeit, der nach Art. 223 des
Militärstrafgesetzes vom Bundesgericht zu beurteilen ist, wenn die
gesetzlichen Voraussetzungen dazu vorliegen.
2. ­ Die Kompetenzkonfliktsbeschwerde nach Art. 223 des Militärstrafgesetzes
ist an keine Frist geknüpft, abgesehen davon, dass sie dem Angeschuldigten
gegenüber dem Militärrichter nur bis zur Hauptverhandlung offen steht (BGE 57
I S. 125
Erw. 1; 61 I S. 124 Erw. 3; 66 I S. 61).
3. ­ Art. 223 des Militärstrafgesetzes sagt nicht, wer das Bundesgericht zum
Entscheid bei Anständen über die Zuständigkeit der militärischen und der
bürgerlichen Gerichtsbarkeit anrufen kann. Nach der Praxis des Bundesgerichts
ist neben den beteiligten, mit der Strafverfolgung beauftragten Behörden auch
der Angeschuldigte hiezu legitimiert (BGE 61 I S. 119 ff.). Ob das gleiche
auch für den Privatstrafkläger oder den Geschädigten gelte, ist bis jetzt vom
Bundesgericht nicht entschieden worden. In Bezug auf den blossen Geschädigten
ist die Frage jedenfalls zu verneinen. Ein solcher vertritt nur
privatrechtliche, nicht öffentlichrechtliche Interessen. Wenn ihm einzelne
kantonale Rechte auch im Strafpunkt gewisse prozessuale Rechte und damit eine
gewisse Parteistellung einräumen, so bleibt er trotzdem in erster Linie
Zivilpartei (wie ihn das bernische Recht nennt, wenn er sich

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am Prozess beteiligt) und erscheint in der Strafsache als blosse Nebenperson,
der ein gewisser Einfluss nur deswegen eingeräumt wird, damit sie auf die
Beseitigung allfälliger Fehler der Strafbehörden dringen kann. Diese
untergeordnete Stellung in der Strafsache könnte, zumal andere kantonale
Rechte dem blossen Geschädigten im Strafpunkt jede Parteistellung verweigern,
höchstens dann allenfalls dazu führen, ihm das Recht zur Erhebung der
Kompetenzkonfliktsbeschwerde zuzuerkennen, wenn er auch im
Militärstrafverfahren gewisse Parteirechte in Bezug auf den Strafpunkt hätte.
Das trifft aber nicht zu. Hier wird der Geschädigte nur zur Verfolgung eines
privatrechtlichen Anspruches zugelassen, und selbst das kann das
Militärgericht ablehnen, ohne dass dem Geschädigten hiegegen ein Rechtsmittel
zustände (Militärstrafgerichtsordnung Art. 177, 181). Tritt das Militärgericht
auf den privatrechtlichen Anspruch ein, so kann die Verhandlung darüber erst
nach der Verkündung des verurteilenden Erkenntnisses stattfinden, und ein
Rechtsmittel ist gegen das Urteil im Zivilpunkt nicht gegeben
(Militärstrafgerichtsordnung Art. 178, 179). Zur Verhandlung über den
Strafpunkt wird der Geschädigte in keinem Fall zugelassen; er hat nicht einmal
das Recht, die Einleitung der Voruntersuchung zu verlangen. Das
Militärstrafgesetz kennt übrigens auch keine Antragsdelikte. Unter diesen
Umständen kann es einem blossen Geschädigten nicht zukommen, das Bundesgericht
als Konfliktsinstanz zum Entscheid über die Zuständigkeit der
Militärgerichtsbarkeit anzurufen, insbesondere damit einen
Unzuständigkeitsentscheid der Militärgerichtsbarkeit anzufechten. Dagegen
steht es ihm frei, gegen einen solchen Entscheid der bürgerlichen
Strafbehörden den staatsrechtlichen Rekurs wegen Verfassungsverletzung zu
erheben (KIRCHHOFER, Kompetenzkonflikt im Verhältnis der militärischen und der
bürgerlichen Gerichtsbarkeit, in Schweiz. Zeitschrift f. Strafrecht 46 (1932)
S. 33 ff.).
Im vorliegenden Fall hat der Rekurrent im kantonalen

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Verfahren freilich nicht bloss die Stellung eines Geschädigten eingenommen,
sondern ist als Privatstrafkläger vor dem Bezirksrichter Reiath in den Formen
des Zivilprozesses aufgetreten. Er war hier also eigentlicher Ankläger,
Werkzeug des Staates insofern, als die Geltendmachung des staatlichen
Strafanspruches ausschliesslich ihm anheimgestellt war. In einem solchen Fall,
wo die Strafverfolgung nach der kantonalen Rechtsordnung ausschliesslich von
einem Privatkläger gleich einer Zivilklage vor einem Zivilgericht durchgeführt
wird, erhebt sich die Frage, ob der Privatstrafkläger nicht wie in andern
Fällen der öffentliche Ankläger (vgl. FLEINER, Bundesstaatsrecht S. 221 Anm.
25) zur Erhebung der Kompetenzkonfliktsbeschwerde legitimiert sei. Doch kann
das hier dahingestellt bleiben, weil aus einem andern Grunde auf die
Beschwerde nicht einzutreten ist.
4. ­ Nach dem Urteil des Bundesgerichtes i. S. Hagenbuch vom 10. April 1935
(BGE 61 I S. 123) liegt ein Anstand über die Zuständigkeit der militärischen
und der bürgerlichen Gerichtsbarkeit im Sinne des Art. 223 des
Militärstrafgesetzes, der vom Bundesgericht entschieden wird, nicht bloss dann
vor, wenn sowohl die militärische als die bürgerliche Gerichtsbarkeit je ihre
Kompetenz bejahen oder verneinen (sog. aktueller Konflikt), sondern auch dann,
wenn der Angeschuldigte die sachliche Kompetenz der gegen ihn vorgehenden
Gerichtsbarkeit ohne Rücksicht auf das Verhalten der andern bestreiten will,
indem er geltend macht, jene habe in diese übergegriffen (virtueller
Konflikt). Dagegen hat das Bundesgericht im Entscheid i. S. Magnin g. Borel
vom 8. Juli 1932 erklärt, es könne nicht schon dann nach Art. 223 des
Militärstrafgesetzes entscheiden, wenn eine der beiden Gerichtsbarkeiten ihre
Zuständigkeit ablehnt, weil sie die andere für zuständig hält, und das
angefochten wird, sondern im Fall einer solchen Kompetenzablehnung bloss dann,
wenn die zur Strafverfolgung auf beiden Seiten zuständigen Behörden ihre
Kompetenz verneint haben, also ein

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eigentlicher (aktueller) negativer Kompetenzkonflikt vorliegt. Hieran ist
festzuhalten. Die anklagende Partei oder Behörde hat nicht in gleichem Masse
wie der Angeschuldigte ein schutzwürdiges Interesse daran, dass die zuständige
Gerichtsbarkeit sich der Sache annimmt; sondern sie ist hauptsächlich daran
interessiert, dass überhaupt eine Gerichtsbarkeit gegen den Angeschuldigten
vorgeht. Lehnt ein Organ der zuständigen Gerichtsbarkeit das ab, so kann die
anklagende Partei oder Behörde hiegegen die Rechtsmittel dieser
Gerichtsbarkeit ergreifen. Ein erhebliches Bedürfnis zur Anrufung des
Bundesgerichts mit der Kompetenzkonfliktsbeschwerde besteht für sie erst dann,
wenn die zuständigen Organe der bürgerlichen und der militärischen
Gerichtsbarkeit sich als inkompetent erklären, weil jede die andere für
zuständig hält.
Im vorliegenden Fall hat sich erst ein zuständiges Organ der bürgerlichen
Gerichtsbarkeit, der Bezirksrichter Reiath, für unzuständig erklärt, nicht
dagegen auch ein kompetentes Organ der Militärgerichtsbarkeit. Der
Untersuchungsrichter der 6. Division war nicht befugt, über die Einleitung des
militärischen Strafverfahrens gegen den Rekursbeklagten zu befinden; das
konnte nach Art. 110 Ziff. 2 der Militärstrafgerichtsordnung nur der
Kommandant des Regiments des Rekursbeklagten oder, wenn dieser einer kleinern,
selbständig im Dienst befindlichen Truppenabteilung angehörte, deren
Kommandant tun, durch die Verfügung der Voruntersuchung. Infolgedessen kann
das Bundesgericht auf die Kompetenzkonfliktsbeschwerde nicht eintreten.
5. ­ Immerhin mag bemerkt werden, dass der Rekursbeklagte die ihm zur Last
gelegten Äusserungen unbestrittenermassen getan hat, als er sich im
Militärdienst befand. Er unterstand also dafür nach Art. 2 Ziff. 1 und Art.
218 des Militärstrafgesetzes dem Militärstrafrecht und der
Militärstrafgerichtsbarkeit, weil Ehrverletzungen nach Art. 145 ff. jenes
Gesetzes strafbar sind. Darauf, ob auch der Rekurrent damals im Militärdienst
war oder sich

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die Äusserungen des Rekursbeklagten auf seine militärische Stellung und seine
dienstlichen Pflichten bezogen, kommt es entgegen der Auffassung des
Untersuchungsrichters der 6. Division nicht an.
Demnach erkennt das Bundesgericht: Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 66 I 159
Datum : 01. Januar 1940
Publiziert : 04. Juli 1940
Quelle : Bundesgericht
Status : 66 I 159
Sachgebiet : BGE - Verwaltungsrecht und internationales öffentliches Recht
Gegenstand : Die Beschwerde wegen unrichtiger Kompetenzabgrenzung zwischen der bürgerlichen und der...


BGE Register
57-I-120 • 61-I-113 • 66-I-159
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
bundesgericht • weiler • strafverfolgung • kompetenzkonflikt • rechtsmittel • untersuchungsrichter • zivilpartei • militärstrafprozess • anklage • verhalten • mais • kantonales recht • bezogener • wille • strafsache • frist • frage • entscheid • strafantragsteller • verfassungsrecht
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