S. 91 / Nr. 16 Erfindungsschutz (d)

BGE 65 II 91

16. Auszug aus dem Urteil der 1. Zivilabteilung vom 17. Mai 1938 i. S. Fried.
Krupp A.-G. gegen Uddeholms Aktiebolag und Kohler.

Regeste:
Formulierung des Patentanspruches bei sog. Verwendungspatenten.
Teneur de la revendication en cas de brevet pour application nouvelle (brevet
portant sur une application nouvelle de moyens connus).
Tenore della rivendicazione qualora si tratti di brevetto concernente una
nuova applicazione d'un mezzo già noto.

Die Fried. Krupp A.-G. ist Inhaberin des Schweizerpatentes Nr. 136977, das die
folgenden Ansprüche aufweist:
Hauptanspruch: «Austenitische Chrom-Nickelstahllegierung, dadurch
gekennzeichnet, dass der Kohlenstoffgehalt so gering ist, dass die
austenitische Gefügeform auch bei einer einer Anlassbehandlung gleichkommenden
Erwärmung nicht verloren geht» .
Unteransprüche: «1. Chromnickelstahllegierung nach Patentanspruch, dadurch
gekennzeichnet, dass sie weniger als 0,07% Kohlenstoff enthält.
» 2. Chromnickelstahllegierung nach Patentanspruch, dadurch gekennzeichnet,
dass sie 18-25% Chrom, 7-12% Nickel und weniger als 0,07% Kohlenstoff
enthält.»

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Dieses Patent wurde vom Handelsgericht Zürich aus formellen Gründen nichtig
erklärt. Das Bundesgericht heisst die hiegegen gerichtete Berufung gut und
weist die Sache zur materiellen Prüfung an die Vorinstanz zurück.
Aus den Erwägungen:
Die Vorinstanz ist deshalb zu einer Nichtigerklärung des Schweizer Patentes
Nr. 136977 gelangt, weil nach ihrer Auffassung das, was im Patentanspruch zum
Ausdruck gelange, vorbekannt gewesen sei. Die Vorinstanz hält nämlich dafür,
dass so, wie der Patentanspruch mit Einschluss seiner Unteransprüche
formuliert ist, angenommen werden müsse, die Klägerin wolle für die
Chromnickelstahllegierung als solche, also für etwas Vorbekanntes,
patentrechtlichen Schutz beanspruchen. Sie weist darauf hin, dass im
Patentanspruch nur eine Legierung mit bestimmten Eigenschaften umschrieben
werde, nämlich eine austenitische Chromnickelstahllegierung mit bestimmten
Chrom- und Nickelanteilen und geringem Kohlenstoffgehalt, welche bei einer
einer Anlassbehandlung gleichkommenden Erwärmung die austenitische Gefügeform
nicht verliere. Von einer bestimmten Verwendung dieser Legierung oder von
daraus anzufertigenden Gegenständen werde nichts gesagt. Man vermisse selbst
eine Ausführung darüber, dass die Senkung des Kohlenstoffgehalts den Zweck
verfolge, die interkristalline Korrosion bei bestimmten Gegenständen zu
vermeiden. Die Erwähnung der Anlasserwärmung wolle offensichtlich nur besagen,
es solle der Kohlenstoffgehalt der Legierung so niedrig sein, dass bei einer
derartigen Erwärmung die austenitische Gefügeform nicht verloren gehe; sie
geschehe also bloss als Mass für die Bestimmung des Kohlenstoffgehalts der
Legierung Auch der kennzeichnende Teil der Erfindungsdefinition deute darum
nicht zwingend auf einen bestimmten Verwendungszweck der Legierung, und selbst
ein Fachmann werde unter diesen Umständen dem streitigen Anspruch nicht
entnehmen, das Patent wolle nicht die in

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Frage stehende Legierung als solche, sondern nur eine bestimmte Verwendung
derselben schützen. Zu allem Überfluss werde ja dann auch in der erläuternden
Patentbeschreibung noch ausdrücklich gesagt, die Erfindung bezwecke die
Schaffung einer bestimmten austenitischen Chromnickelstahllegierung, worin
besonders deutlich zum Ausdruck gelange, dass die Erfindung auf die Legierung
selbst gerichtet sei.
Eine solche Betrachtungsweise erweist sich indessen als zu formalistisch.
Richtig ist zwar, dass die Klägerin, das Vorhandensein einer entsprechenden
materiell rechtsbeständigen Erfindung vorausgesetzt, unter den obwaltenden
Verumständungen höchstens Anspruch auf ein sog. Verwendungs- (resp.
Anwendungs-) Patent haben kann, auf ein Patent also, durch das ein bekanntes
Mittel (ein Stoff, ein Verfahren oder eine Vorrichtung) zu einem neuen Zweck,
bezw. in einer neuen Funktion, verwendet wird (vgl. darüber KLAUER-MÖHRING,
Patentgesetz, S. 73 lit. c). Und bezüglich dieser Verwendungs- oder
Anwendungspatente nimmt das schweizerische Patentamt den folgenden Standpunkt
ein: «Will man die Verwendung eines Produkts zu einem bestimmten Zweck
beanspruchen, so kann dies nur in Form eines Verfahrens geschehen; es ist
hiefür ein Patentanspruch aufzustellen, in welchem die Erfindung in einer
Kennzeichnung zu definieren ist» (vgl. das Zitat bei WEIDLICH und BLUM,
Schweizerisches Patentrecht, I 65). Im Hinblick auf diese Praxis des
schweizerischen Patentamtes hätte nach der Auffassung der Vorinstanz die
Klägerin ihren Patentanspruch ungefähr wie folgt formulieren müssen:
«Verfahren zur Herstellung von Gegenständen aus austenitischen
Chromnickelstahllegierungen, welche der interkristallinen Korrosion auch nach
einer einer Anlassbehandlung gleichkommenden Erwärmung widerstehen, dadurch
gekennzeichnet, dass eine Legierung mit einem Kohlenstoffgehalt von weniger
als 0,07% verwendet wird» . Auf Grund des deutschen

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Patentrechts, das Anwendungs- oder Verwendungspatente schlechthin anerkennt,
hätte es nach der Meinung des Reichspatentamtes sogar genügt, wenn gesagt
worden wäre: «Die Verwendung einer an sich bekannten Legierung mit 18-25%
Chrom, 7-12% Nickel und einem Kohlenstoffgehalt unter 0,07% für die
Herstellung von solchen Gegenständen, die entweder beim Herstellungsverfahren,
z. B. Schwelssen, oder im Betrieb einer einer AnlassbeLandlung gleichkommenden
Erwärmung ausgesetzt sind» . Im deutschen Reichs-Patent Nr. 561160, durch das
das deutsche Patentierungsverfahren dann abgeschlossen wurde, ist der
Patentanspruch nur unwesentlich abgeändert formuliert worden, nämlich so: «Die
Verwendung an sich bekannter austenitischer Chrom-Nickel-Stahllegierungen mit
z. B. 18 bis 25% Chrom, 7 bis 12% Nickel und einem unter 0,07% betragenden
Kohlenstoffgehalt für die Herstellung von solchen dem Angriff chemischer
Agentien auszusetzenden Gegenständen, die entweder beim Herstellungsverfahren,
z. B. beim Schweissen, oder im Betrieb einer einer Anlassbehandlung
gleichkommenden Erwärmung ausgesetzt sind und bei denen nach dieser Erwärmung
durch ein Abschrecken von Temperaturen von oberhalb etwa 1000° C der reine
austenitische Zustand der Legierung nicht wiederhergestellt wird.»
Es erhebt sich nun die Frage, ob nicht auch in der Fassung des Anspruches im
Schweizer Patent Nr. 136977 hinlänglich zum Ausdruck gelange, dass es sich nur
um ein Anwendungs- oder Verwendungspatent handeln solle. Bei der Prüfung
dieser Frage spielt es keine Rolle, dass nach der Auffassung des
schweizerischen Patentamtes ein Anwendungs- oder Verwendungspatent immer in
die Form eines Verfahrenspatentes gekleidet werden muss. Denn abgesehen von
der hier nicht zu prüfenden Frage, ob patentrechtlich hiefür eine zwingende
Notwendigkeit vorliege, müsste unter allen Umständen gesagt werden, dass eine
solche Richtlinie höchstens bei der Zulassung einer Patentanmeldung zur
Anwendung gebracht werden

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dürfte. Ist ein Patent aber einmal erteilt, so kann es nicht einzig des
Umstandes wegen, dass es als Anwendungs-, resp. Verwendungspatent der Form des
Verfahrenspatents ermangelt, als ungültig erklärt werden. Wenn also
beispielsweise das schweizerische Amt den bei WEIDLICH und BLUM, S. 65, als
Beispiel angeführten Patentanspruch: «Verwendung halogenierter Naphtole als
Desinfektionsmittel» versehentlich zugelassen hätte, so wäre es
ausgeschlossen, den einmal erteilten Patentanspruch zu vernichten, weil er
nach den Richtlinien des Amtes als «Desinfektionsverfahren, dadurch
gekennzeichnet, dass halogenierte Naphtole verwendet werden», hätte formuliert
werden sollen. Dementsprechend ist auch heute einzig entscheidend, ob es für
den Fachmann ersichtlich sei, dass durch das Schweizerpatent Nr. 136977 nicht
eine Legierung, sondern vielmehr die Verwendung einer vorbekannten
Zusammensetzung für ganz besondere Zwecke habe patentiert werden wollen.
Es ist nun ohne weiteres zuzugeben, dass in dieser Beziehung gewisse Zweifel
möglich sind. Ist das aber der Fall, so muss, da die Einschränkung und nicht
etwa die Erweiterung eines Patentanspruches in Frage steht, zu Gunsten der
Aufrechterhaltung der erfolgten Patenterteilung im Sinne der einzig zulässigen
eingeschränkten Bedeutung entschieden werden. Schon die Vorinstanz hat
ausgeführt, der kennzeichnende Teil der Erfindung deute nicht zwingend auf
einen bestimmten Verwendungszweck hin. Darin kommt zum Ausdruck, dass auch sie
wenigstens die Möglichkeit einer solchen Auslegung einräumt. Allerdings
enthält der Hauptanspruch des Schweizer Patentes Nr. 136977 in der Hauptsache
scheinbar bloss die Angabe einer bestimmten Legierung. Durch die Hervorhebung
der besonders wertvollen Eigenschaft derselben, darin liegend, dass die
austenitische Gefügeform auch bei einer einer Anlassbehandlung gleichkommenden
Erwärmung nicht verloren geht, liegt aber ein deutlicher Hinweis darauf, dass
diese Legierung eben dann zu wählen sei, wenn das

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verwendete Material einer Erwärmung diesen Grades ausgesetzt ist. Dass dies
letztere regelmässig nur bei der Herstellung eines Gegenstandes (hier
namentlich beim Schweissen) oder dann im Betrieb der Fall ist, bedeutet für
den Fachmann wohl eine Selbstverständlichkeit, so dass die Unterlassung ihrer
besondern Hervorhebung jedenfalls in einem Nichtigkeitsverfahren keine
entscheidende Rolle zu spielen vermag. Schutzwürdige Interessen irgendwelcher
Art werden auf diese Weise nicht verletzt. Denn es ist klar, dass der
Patentschutz nur so weit reicht, als sich eben auf Grund einer restriktiven
Interpretation des Patentanspruchs ergibt, d. h. nur im Umfang eines
Anwendungs-, resp. Verwendungspatentes. Es ist übrigens bezeichnend, dass das
Schweizer Patent Nr. 136977 nun nahezu 10 Jahre besteht, ohne dass es von
anderer Seite ernsthaft angefochten worden wäre. Die Vorinstanz nimmt zu
Unrecht an, einer solchen Entscheidung des Streitfalles stehe BGE 57 II 234 f.
entgegen. Denn dort handelte es sich um die Frage, ob der Patentschutz auf
Verhältnisse ausgedehnt werden dürfe, von denen nicht einwandfrei feststand,
dass sie der Erfinder auch wirklich habe patentieren lassen wollen, also
gewissermassen um die Ablehnung einer extensiven Interpretation eines
Patentanspruchs. Im heutigen Falle hat man es aber gerade mit dem Gegenteil zu
tun, indem zu entscheiden ist, ob nicht der Wille des Anmelders von Anfang an
nur auf einen beschränkten Patentschutz ausgegangen
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 65 II 91
Datum : 01. Januar 1938
Publiziert : 17. Mai 1938
Quelle : Bundesgericht
Status : 65 II 91
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Formulierung des Patentanspruches bei sog. Verwendungspatenten.Teneur de la revendication en cas de...


BGE Register
57-II-222 • 65-II-91
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