S. 247 / Nr. 53 Prozessrecht (d)

BGE 65 II 247

53. Urteil der II. Zivilabteilung vom 21. Dezember 1939 i. S. Schmid gegen
Kirchgemeinde Wollishofen.

Regeste:
Gegen ein kantonales Endurteil über eine sich auf Bundeszivil. rocht berufende
Zivilklage ist, bei vorhandenem Streitwert für die Rüge der Anwendung
kantonalen anstatt eidgenössischen Rechts die Berufung, nicht die
zivilrechtliche Beschwerde nach Art. 87 Ziff. 1 OrgG, das gegebene
Rechtsmittel.
Lorsque l'une des parties estime que le juge cantonal de dernière instance a
appliqué à tort le droit cantonal au lieu du droit fédéral et lorsque la
valeur litigieuse le permet, c'est par la voie du recours en réforme qu'elle
devra saisir le Tribunal fédéral et non par celle du recours de droit civil
(art. 87 ch. 1 OJ).
Una sentenza dell'ultima istanza cantonale in una causa civile, che abbia
applicato a torto il diritto cantonale invece del diritto federale, va
impugnata, se il valore litigioso lo permette mediante appello e non mediante
ricorso di diritto civile ai sensi dell'art. 87 cifra 1 OGF.

A. - Der Beschwerdeführer als Eigentümer einer Villa in der Nähe der neuen
Kirche Zürich-Wollishofen erhob gegen die Kirchgemeinde Wollishofen als
Eigentümerin der Kirche unter Berufung auf Art. 684
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 684 - 1 Jedermann ist verpflichtet, bei der Ausübung seines Eigentums, wie namentlich bei dem Betrieb eines Gewerbes auf seinem Grundstück, sich aller übermässigen Einwirkung auf das Eigentum der Nachbarn zu enthalten.
1    Jedermann ist verpflichtet, bei der Ausübung seines Eigentums, wie namentlich bei dem Betrieb eines Gewerbes auf seinem Grundstück, sich aller übermässigen Einwirkung auf das Eigentum der Nachbarn zu enthalten.
2    Verboten sind insbesondere alle schädlichen und nach Lage und Beschaffenheit der Grundstücke oder nach Ortsgebrauch nicht gerechtfertigten Einwirkungen durch Luftverunreinigung, üblen Geruch, Lärm, Schall, Erschütterung, Strahlung oder durch den Entzug von Besonnung oder Tageslicht.597
ZGB Klage mit

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dem Begehren, es sei die Beklagte zur Einstellung der viertelstündlichen
Glockenschläge der Kirchenuhr zwischen 22 und 7 Uhr, eventuell zur Vornahme
geeigneter Massnahmen zur Verhinderung einer übermässigen Einwirkung auf das
Eigentum der benachbarten Grundeigentümer zu verpflichten. Nach durchgeführter
Hauptverhandlung und vorgenommenem Augenschein wies das Bezirksgericht Zürich
die Klage wegen sachlicher Unzuständigkeit von der Hand mit der Begründung,
dass es sich einerseits bei der beanstandeten akustischen Einwirkung um eine
Ausübung hoheitlicher Gewalt, nämlich die der Kirche zustehende
Zeitverkündung, handle und anderseits die Störung einen notwendigen Ausfluss
der zweckbestimmten Benützung der Turmuhr als Sache im Gemeingebrauch bilde,
weshalb eine Eigentumsfreiheitsklage eines Privaten nach Art. 641 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 641 - 1 Wer Eigentümer einer Sache ist, kann in den Schranken der Rechtsordnung über sie nach seinem Belieben verfügen.
1    Wer Eigentümer einer Sache ist, kann in den Schranken der Rechtsordnung über sie nach seinem Belieben verfügen.
2    Er hat das Recht, sie von jedem, der sie ihm vorenthält, herauszuverlangen und jede ungerechtfertigte Einwirkung abzuwehren.
ZGB,
von welcher die vorliegend erhobene Klage aus Art. 684 nur einen Sonderfall
darstelle, nicht durchdringen könne.
Einen Rekurs des Klägers gegen diesen Beschluss hat das Obergericht des
Kantons Zürich mit Entscheid vom 21. Juli 1939 unter Verweisung auf die
zutreffenden Motive der Vorinstanz betreffend die sachliche Unzuständigkeit
abgewiesen.
Der Kläger bezifferte den Streitwert auf über Fr. 8000.-, und die Vorinstanz
hat diese Schätzung übernommen.
B. - Gegen den obergerichtlichen Entscheid legte der Kläger zivilrechtliche
Beschwerde ein mit dem Antrag auf Gutheissung der Klage, eventuell Rückweisung
der Sache an die Vorinstanz zu neuer Entscheidung. Bezüglich der Zulässigkeit
der zivilrechtlichen Beschwerde beruft sich der Kläger auf Art. 87 Ziff. 1
OrgG, mit der Begründung, die Vorinstanz habe im angefochtenen Entscheide
kantonales, nämlich öffentliches Recht statt eidgenössisches Zivilrecht
angewendet. «Dass es sich in casu um eine Zivilsache handle, darauf gehe
gerade das klägerische Petitum».
Die Beklagte beantragt, es sei auf die Beschwerde nicht

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einzutreten, weil, da die Frage der zivilrechtlichen Natur der Streitsache
eben gerade streitig sei, das Bundesgericht bei materieller Beurteilung
kantonales öffentliches Recht überprüfen würde; eventuell sei die Beschwerde
abzuweisen, subeventuell, im Falle der Gutheissung, die Sache an die
Vorinstanz zu neuer Entscheidung zurückzuweisen.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Aus den Rechtsschriften des Klägers wie auch aus den Feststellungen der
Vorinstanzen und aus der vorliegenden Beschwerde geht hervor, dass der Kläger
seinen Anspruch ausdrücklich auf das Zivilrecht stützt (Art. 684
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 684 - 1 Jedermann ist verpflichtet, bei der Ausübung seines Eigentums, wie namentlich bei dem Betrieb eines Gewerbes auf seinem Grundstück, sich aller übermässigen Einwirkung auf das Eigentum der Nachbarn zu enthalten.
1    Jedermann ist verpflichtet, bei der Ausübung seines Eigentums, wie namentlich bei dem Betrieb eines Gewerbes auf seinem Grundstück, sich aller übermässigen Einwirkung auf das Eigentum der Nachbarn zu enthalten.
2    Verboten sind insbesondere alle schädlichen und nach Lage und Beschaffenheit der Grundstücke oder nach Ortsgebrauch nicht gerechtfertigten Einwirkungen durch Luftverunreinigung, üblen Geruch, Lärm, Schall, Erschütterung, Strahlung oder durch den Entzug von Besonnung oder Tageslicht.597
, 641
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 641 - 1 Wer Eigentümer einer Sache ist, kann in den Schranken der Rechtsordnung über sie nach seinem Belieben verfügen.
1    Wer Eigentümer einer Sache ist, kann in den Schranken der Rechtsordnung über sie nach seinem Belieben verfügen.
2    Er hat das Recht, sie von jedem, der sie ihm vorenthält, herauszuverlangen und jede ungerechtfertigte Einwirkung abzuwehren.
ZGB),
also seine Klage als rein zivilrechtliche (actio negatoria) aufgefasst wissen
will. Die Vorinstanzen haben denn auch die Klage nicht etwa mit der Erwägung
von der Hand gewiesen, der Anspruch des Klägers sei nach öffentlichem
(Kirchen-) Recht unbegründet, sondern weil das von ihm angerufene Zivilrecht
auf das streitige Rechtsverhältnis nicht anwendbar sei. Gegen einen kantonalen
Entscheid über eine sich auf Bundeszivilrecht berufende Zivilklage aber ist
die Berufung ans Bundesgericht gegeben, sofern der Streitwert vorhanden und
eine Verletzung von Bundesrecht behauptet wird. Der Streitwert wird hier vom
Kläger und der Vorinstanz auf über Fr. 8000.- beziffert. Die Anwendung
kantonalen anstatt eidgenössischen Rechts bildet ebenso einen Berufungsgrund
wie die unrichtige Anwendung an sich anwendbaren Bundesrechts (Art. 57 Abs. 2
OrgG). Art. 87 Ziff. 1 leg. cit., der die Anwendung kantonalen (oder
ausländischen) anstatt eidgenössischen Rechts als selbständigen
Rechtsmittelgrund nennt, unterstellt keineswegs alle kantonalen
Zivilentscheide, an denen die Anwendung kantonalen statt eidgenössischen
Rechts gerügt wird, der zivilrechtlichen Beschwerde; sondern nur diejenigen,
die wegen Fehlens der übrigen Voraussetzungen der Berufung nicht dieser
letztern unterliegen. Gegen den angefochtenen

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Entscheid war mithin die Berufung das gegebene Rechtsmittel. Die als
zivilrechtliche Beschwerde eingelegte Rechtsvorkehr kann wegen der den
Vorschriften für die Berufung nicht entsprechenden Einreichungsart nicht als
solche behandelt werden.
Demnach erkennt das Bundesgericht.
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 65 II 247
Datum : 01. Januar 1938
Publiziert : 21. Dezember 1939
Quelle : Bundesgericht
Status : 65 II 247
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Gegen ein kantonales Endurteil über eine sich auf Bundeszivil. rocht berufende Zivilklage ist, bei...


Gesetzesregister
ZGB: 641 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 641 - 1 Wer Eigentümer einer Sache ist, kann in den Schranken der Rechtsordnung über sie nach seinem Belieben verfügen.
1    Wer Eigentümer einer Sache ist, kann in den Schranken der Rechtsordnung über sie nach seinem Belieben verfügen.
2    Er hat das Recht, sie von jedem, der sie ihm vorenthält, herauszuverlangen und jede ungerechtfertigte Einwirkung abzuwehren.
684
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 684 - 1 Jedermann ist verpflichtet, bei der Ausübung seines Eigentums, wie namentlich bei dem Betrieb eines Gewerbes auf seinem Grundstück, sich aller übermässigen Einwirkung auf das Eigentum der Nachbarn zu enthalten.
1    Jedermann ist verpflichtet, bei der Ausübung seines Eigentums, wie namentlich bei dem Betrieb eines Gewerbes auf seinem Grundstück, sich aller übermässigen Einwirkung auf das Eigentum der Nachbarn zu enthalten.
2    Verboten sind insbesondere alle schädlichen und nach Lage und Beschaffenheit der Grundstücke oder nach Ortsgebrauch nicht gerechtfertigten Einwirkungen durch Luftverunreinigung, üblen Geruch, Lärm, Schall, Erschütterung, Strahlung oder durch den Entzug von Besonnung oder Tageslicht.597
BGE Register
65-II-247
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
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