S. 129 / Nr. 25 Familienrecht (d)

BGE 65 II 129

25. Urteil der II. Zivilabteilung vom 19. Oktober 1939 i. S. Sommer gegen
Hierholzer.

Regeste:
Ehescheidung, Gestaltung der Elternrechte (Art. 156 ZGB):
Sind beide Eltern zur Erziehung der Kinder geeignet, ist aber nur der eine
Teil in der Lage, die Erziehung zu übernehmen oder zu überwachen, so sind die
Kinder diesem zuzuweisen,
- ungeachtet der Möglichkeit einer spätern Änderung der Verhältnisse. Für den
Fall einer solchen Änderung bleibt die Klage nach Art. 157 vorbehalten. Es ist
nicht zulässig, zum vornherein so zu entscheiden, als ob die ungewisse
Änderung bereits eingetreten wäre, so dass, wenn sie in Wirklichkeit nicht
eintritt, auf Änderung des Urteils geklagt werden müsste.
Divorce, exercice du droit des parents (art. 156 CC):
Si les parents sont l'un et l'autre aptes à éduquer les enfants, mais qu'un
seul soit à même d'assurer ou de surveiller cette éducation, c'est à ce
dernier qu'il faudra confier les enfants,

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- sans tenir compte de l'éventualité où les circonstances viendraient à
changer. Pour cette éventualité, l'action prévue à l'art. 157 demeure
réservée. Il n'est pas licite de trancher dés l'abord comme si le changement
s'était déjà produit, de telle sorte que, s'il ne se produisait pas en
réalité, une demande en modification du jugement devrait intervenir.
Divorzio, esercizio dell'autorità dei genitori (art. 156 CC).
Se ambedue i genitori sono idonei ad educare i figli, ma soltanto uno è in
grado di assumere o sorvegliare l'educazione, i figli vanno affidati ad esso,
­ senza tener canto di un possibile ulteriore cambiamento delle circostanze.
Ove un tale cambiamento avvenga, resta riservata l'azione ai sensi dell'art.
157 CC. Non ò lecito fin dall'inizio decidere come se l'incerto cambiamento si
fosse già prodotto cosicchè, se in realtà esso non si produce, si dovrebbe
promuovere azione per ottenere la modifica del giudizio.

Die Parteien ehelichten sich am 20. Mai 1927. Sie lebten in Basel, wo der Mann
geblieben ist, während die Frau im Herbst 1935 mit richterlicher Bewilligung
den ehelichen Wohnsitz verliess und sich nach Zürich begab, wo sie sich als
Serviertochter betätigt. Ihrer Ehe entstammt das am 7. April 1929 geborene
Kind Rosemarie Helen. Dieses ist seit der Auflösung des ehelichen Haushaltes
in einer mit den Parteien befreundeten Familie in Basel untergebracht.
Im Scheidungsprozess hat sowohl der Kläger wie die Beklagte die Zuweisung des
Kindes an sich beantragt. Die Vormundschaftsbehörde von Basel empfahl die
Zuweisung an den Kläger, der das Kind bis auf weiteres am ausgezeichneten
Pflegeort belassen wolle, wo es sich nun seit 1935 befindet, während die ­ an
sich ebenso wie er zur Übernahme der Erziehung taugliche ­ Mutter, die in
Zürich ihrem Verdienste nachgeht, es fremden Leuten überlassen müsste, die
nach den eingezogenen Erkundigungen keine Gewähr zu bieten vermöchten.
Demgemäss sprach das Zivilgericht von Basel-Stadt, das die Ehe der Parteien
rechtskräftig geschieden hat, das Kind dem Vater zu. Das Appellationsgericht
dagegen gab mit Urteil vom 7. Juli 1939 dem Antrage der Mutter statt, mit der
Massgabe, dass sie im Sinne der Erwägungen verpflichtet werde, das Kind an
seinem jetzigen

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Pflegeort in Basel jedenfalls während des laufenden und allenfalls eines
weiteren Schuljahres zu belassen. Die Erwägungen gehen davon aus, ein
schulpflichtiges Mädchen sei in der Regel der Mutter zuzuweisen. Das könne
auch hier geschehen. Allerdings sei die Mutter nicht in der Lage, es zur Zeit
zu sich zu nehmen. Auch gebiete das Wohl des Kindes, es wenigstens bis zum
Ablauf des Schuljahres und damit der Primarschulzeit in Basel zu lassen. Doch
müsse der Mutter Gelegenheit gegeben werden, sich bis dahin entsprechend
einzurichten. «Längstens innerhalb eines weitern Schuljahres steht der
Beklagten offen, der hiesigen Vormundschaftsbehörde nachzuweisen, dass sie
sich sicheres Fortkommen und die Möglichkeit persönlicher Wartung und
Erziehung des Kindes geschaffen hat, worauf der Übersiedlung des Kindes nichts
mehr im Wege stände. Sollte der Beklagten im laufenden und spätestens einem
weitern Schuljahre dieser Nachweis nicht gelingen, so wäre anderseits der
Kläger berechtigt, auf Änderung des Urteils und Zusprechung des Kindes an sich
zu klagen.»
Der Kläger beantragt mit dem Hauptbegehren seiner Berufung neuerdings, das
Kind sei ihm zuzuweisen. Die Beklagte beantragt Bestätigung des kantonalen
Urteils
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Der Entscheid des Appellationsgerichts ist widerspruchsvoll. Er weist das Kind
der Mutter zu, obwohl es bis auf weiteres in Basel zu bleiben hat, wo es gut
aufgehoben ist und der Vater und die Basler Vormundschaftsbehörde, der gewisse
Befugnisse eingeräumt werden, zu ihm sehen können, nicht aber die entfernt
wohnende Mutter. Die Vorinstanz hat übersehen, dass mit der Zuweisung des
Kindes an die Mutter auch für es der Wohnsitz Zürich gegeben sein würde (Art.
25 Abs. 1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 25 - 1 Als Wohnsitz des Kindes unter elterlicher Sorge26 gilt der Wohnsitz der Eltern oder, wenn die Eltern keinen gemeinsamen Wohnsitz haben, der Wohnsitz des Elternteils, unter dessen Obhut das Kind steht; in den übrigen Fällen gilt sein Aufenthaltsort als Wohnsitz.
1    Als Wohnsitz des Kindes unter elterlicher Sorge26 gilt der Wohnsitz der Eltern oder, wenn die Eltern keinen gemeinsamen Wohnsitz haben, der Wohnsitz des Elternteils, unter dessen Obhut das Kind steht; in den übrigen Fällen gilt sein Aufenthaltsort als Wohnsitz.
2    Bevormundete Kinder haben ihren Wohnsitz am Sitz der Kindesschutzbehörde.27
ZGB), weshalb die Vormundschaftsbehörde Basel gar nicht zuständig
wäre, sich des Kindes anzunehmen.

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Auch abgesehen davon geht es nicht an, die Elternrechte anders als gemäss den
jetzt und auf absehbare Zukunft gegebenen Verhältnissen zu gestalten,
lediglich weil sich die Dinge früher oder später so entwickeln können, dass
dann die Zuweisung der Elterngewalt an die Mutter gerechtfertigt sein mag.
Vielmehr ist auf die gegenwärtigen Verhältnisse abzustellen, was zur Zuweisung
des Kindes an den Vater führen muss. Sollte später eine Änderung eintreten,
wie die Mutter sie in Aussicht stellen zu können glaubt, so steht ihr die
Änderungsklage nach Art. 157
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 25 - 1 Als Wohnsitz des Kindes unter elterlicher Sorge26 gilt der Wohnsitz der Eltern oder, wenn die Eltern keinen gemeinsamen Wohnsitz haben, der Wohnsitz des Elternteils, unter dessen Obhut das Kind steht; in den übrigen Fällen gilt sein Aufenthaltsort als Wohnsitz.
1    Als Wohnsitz des Kindes unter elterlicher Sorge26 gilt der Wohnsitz der Eltern oder, wenn die Eltern keinen gemeinsamen Wohnsitz haben, der Wohnsitz des Elternteils, unter dessen Obhut das Kind steht; in den übrigen Fällen gilt sein Aufenthaltsort als Wohnsitz.
2    Bevormundete Kinder haben ihren Wohnsitz am Sitz der Kindesschutzbehörde.27
ZGB offen. In diesem Sinne ist der heutige
Entscheid ohnehin ein vorläufiger, der die Zuweisung des Kindes nicht ein- für
allemal bis zur Mündigkeit festlegt. Daher liegt keine Veranlassung vor, zum
vornherein auf eine Zukunftserwartung abzustellen, über deren Verwirklichung
Ungewissheit herrscht. Freilich hat die Vorinstanz dem Kläger das Recht
vorbehalten, seinerseits auf Änderung, im Sinne der Zuweisung an ihn, zu
klagen, wenn die Mutter während des laufenden und eines folgenden Schuljahres
jene Bedingungen nicht zu erfüllen vermöchte. Allein es kann nicht gebilligt
werden, einen Änderungsprozess gerade für den Fall vorzusehen, dass die
Verhältnisse gleich bleiben, statt die Elterngewalt der heutigen Sachlage
entsprechend zu ordnen, wobei es dann bleiben kann, sofern und solange keine
oder keine so wesentliche Änderung eintritt, dass sich eine Neugestaltung der
Elternrechte im Interesse des Kindes wirklich empfiehlt.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird gutgeheissen, das Urteil des Appellationsgerichts des
Kantons Basel-Stadt vom 7. Juli 1939 aufgehoben und das Urteil des
Zivilgerichts vom 7. März 1939 wiederhergestellt.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 65 II 129
Datum : 01. Januar 1938
Publiziert : 19. Oktober 1939
Quelle : Bundesgericht
Status : 65 II 129
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Ehescheidung, Gestaltung der Elternrechte (Art. 156 ZGB):Sind beide Eltern zur Erziehung der Kinder...


Gesetzesregister
ZGB: 25 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 25 - 1 Als Wohnsitz des Kindes unter elterlicher Sorge26 gilt der Wohnsitz der Eltern oder, wenn die Eltern keinen gemeinsamen Wohnsitz haben, der Wohnsitz des Elternteils, unter dessen Obhut das Kind steht; in den übrigen Fällen gilt sein Aufenthaltsort als Wohnsitz.
1    Als Wohnsitz des Kindes unter elterlicher Sorge26 gilt der Wohnsitz der Eltern oder, wenn die Eltern keinen gemeinsamen Wohnsitz haben, der Wohnsitz des Elternteils, unter dessen Obhut das Kind steht; in den übrigen Fällen gilt sein Aufenthaltsort als Wohnsitz.
2    Bevormundete Kinder haben ihren Wohnsitz am Sitz der Kindesschutzbehörde.27
156  157
BGE Register
65-II-129
Stichwortregister
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