S. 143 / Nr. 35 Schuldbetreibungs- und Konkursrecht (d)

BGE 64 III 143

35. Entscheid vom 8. Oktober 1938 i. S. Markwalder und Fundus Treuinstitut.

Regeste:
Gewahrsam im Sinne der Art. 106 ff
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 106 - 1 Wird geltend gemacht, einem Dritten stehe am gepfändeten Gegenstand das Eigentum, ein Pfandrecht oder ein anderes Recht zu, das der Pfändung entgegensteht oder im weitern Verlauf des Vollstreckungsverfahrens zu berücksichtigen ist, so merkt das Betreibungsamt den Anspruch des Dritten in der Pfändungsurkunde vor oder zeigt ihn, falls die Urkunde bereits zugestellt ist, den Parteien besonders an.
1    Wird geltend gemacht, einem Dritten stehe am gepfändeten Gegenstand das Eigentum, ein Pfandrecht oder ein anderes Recht zu, das der Pfändung entgegensteht oder im weitern Verlauf des Vollstreckungsverfahrens zu berücksichtigen ist, so merkt das Betreibungsamt den Anspruch des Dritten in der Pfändungsurkunde vor oder zeigt ihn, falls die Urkunde bereits zugestellt ist, den Parteien besonders an.
2    Dritte können ihre Ansprüche anmelden, solange der Erlös aus der Verwertung des gepfändeten Gegenstandes noch nicht verteilt ist.
3    Nach der Verwertung kann der Dritte die Ansprüche, die ihm nach Zivilrecht bei Diebstahl, Verlust oder sonstigem Abhandenkommen einer beweglichen Sache (Art. 934 und 935 ZGB223) oder bei bösem Glauben des Erwerbers (Art. 936 und 974 Abs. 3 ZGB) zustehen, ausserhalb des Betreibungsverfahrens geltend machen. Als öffentliche Versteigerung im Sinne von Artikel 934 Absatz 2 ZGB gilt dabei auch der Freihandverkauf nach Artikel 130 dieses Gesetzes.
. SchKG setzt nicht voraus, dass sich die
Gegenstände in der zur Zeit benutzten Wohnung befinden. Der Gewahrsam entfällt
nicht, wenn die Sachen anderwärts in eigenen oder gemieteten Räumen
untergebracht sind.
Die nicht getrennt vom Manne lebende Ehefrau hat Mitgewahrsam an allem, was
ihr wie dem Manne oder der Familie überhaupt zu dienen hat und ihnen
tatsächlich zur Verfügung steht, in der ehelichen Wohnung oder anderswo,
gleichgültig auch, ob der Aufbewahrungsraum dem Mann allein gehört oder von
ihm allein gemietet ist.
La possession au sens des art. 106 ss LP ne suppose pas que le débiteur ou le
tiers habite au moment de la saisie la maison ou l'appartement où se trouvent
les objets revendiqués. La possession ne prend pas fin du fait que les objets
sont transportés ailleurs, dans des locaux appartenant au débiteur ou au
tiers, ou loués par eux.
La femme mariée qui n'a pas une demeure séparée a la copossession de tout ce
qui est destiné tant à son usage qu'à celui de son mari ou de la famille, et
dont les époux ont en fait la disposition. Peu importe que les objets se
trouvent au domicile conjugal ou dans d'autres locaux; il n'importe pas
davantage que ces locaux (comme d'ailleurs la demeure commune) soient la
propriété exclusive du mari ou soient pris à bail par lui seul.
Il possesso ai sensi degli art. 106 e seg LEF non presuppone che gli oggetti
si trovino nell'abitazione occupata dal debitore allorchè si procede al
pignoramento. Il possesso sussiste se

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gli oggetti si trovano altrove, in locali appartenenti al debitore o da lui
presi in locazione.
La moglie che non vive separata dal marito ha il compossesso di tutto ciò che
deve servire al marito o alla famiglia e che sta effettivamente a loro
disposizione nell'abitazione coniugale od altrove, poco importa se il locale
ove si trovano gli oggetti appartenga soltanto al marito o da lui solo è preso
in locazione.

Die Eheleute Heinz und Rosa Adolph sind Ende 1937 von Romanshorn, wo sie in
eigenem Hause des Ehemannes wohnten, zu Verwandten nach Mailand gezogen und
leben seither dort. Im Hause zu Romanshorn haben sie eine Anzahl
Mobiliargegenstände zurückgelassen, die nun für Gläubiger des Ehemannes
arrestiert sind, aber von der Ehefrau des Schuldners teilweise als ihr
Eigentum angesprochen werden. Das Betreibungsamt hat den Gläubigern Frist zur
Klage gegen sie nach Art. 109
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 109 - 1 Beim Gericht des Betreibungsortes sind einzureichen:
1    Beim Gericht des Betreibungsortes sind einzureichen:
1  Klagen nach Artikel 107 Absatz 5;
2  Klagen nach Artikel 108 Absatz 1, sofern der Beklagte Wohnsitz im Ausland hat.
2    Richtet sich die Klage nach Artikel 108 Absatz 1 gegen einen Beklagten mit Wohnsitz in der Schweiz, so ist sie an dessen Wohnsitz einzureichen.
3    Bezieht sich der Anspruch auf ein Grundstück, so ist die Klage in jedem Fall beim Gericht des Ortes einzureichen, wo das Grundstück oder sein wertvollster Teil liegt.
4    Das Gericht zeigt dem Betreibungsamt den Eingang und die Erledigung der Klage an. ...227
5    Bis zur Erledigung der Klage bleibt die Betreibung in Bezug auf die streitigen Gegenstände eingestellt, und die Fristen für Verwertungsbegehren (Art. 116) stehen still.
SchKG angesetzt. Gegen diese Verfügung richten
sich die vorliegenden Beschwerden der Gläubiger, die nach Abweisung durch die
kantonalen Instanzen Rekurs an das Bundesgericht einlegen und am Begehren um
Anordnung des Verfahrens nach Art. 106
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 106 - 1 Wird geltend gemacht, einem Dritten stehe am gepfändeten Gegenstand das Eigentum, ein Pfandrecht oder ein anderes Recht zu, das der Pfändung entgegensteht oder im weitern Verlauf des Vollstreckungsverfahrens zu berücksichtigen ist, so merkt das Betreibungsamt den Anspruch des Dritten in der Pfändungsurkunde vor oder zeigt ihn, falls die Urkunde bereits zugestellt ist, den Parteien besonders an.
1    Wird geltend gemacht, einem Dritten stehe am gepfändeten Gegenstand das Eigentum, ein Pfandrecht oder ein anderes Recht zu, das der Pfändung entgegensteht oder im weitern Verlauf des Vollstreckungsverfahrens zu berücksichtigen ist, so merkt das Betreibungsamt den Anspruch des Dritten in der Pfändungsurkunde vor oder zeigt ihn, falls die Urkunde bereits zugestellt ist, den Parteien besonders an.
2    Dritte können ihre Ansprüche anmelden, solange der Erlös aus der Verwertung des gepfändeten Gegenstandes noch nicht verteilt ist.
3    Nach der Verwertung kann der Dritte die Ansprüche, die ihm nach Zivilrecht bei Diebstahl, Verlust oder sonstigem Abhandenkommen einer beweglichen Sache (Art. 934 und 935 ZGB223) oder bei bösem Glauben des Erwerbers (Art. 936 und 974 Abs. 3 ZGB) zustehen, ausserhalb des Betreibungsverfahrens geltend machen. Als öffentliche Versteigerung im Sinne von Artikel 934 Absatz 2 ZGB gilt dabei auch der Freihandverkauf nach Artikel 130 dieses Gesetzes.
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SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 7 - Wird eine Schadenersatzklage mit widerrechtlichem Verhalten der oberen kantonalen Aufsichtsbehörden oder des oberen kantonalen Nachlassgerichts begründet, so ist das Bundesgericht als einzige Instanz zuständig.
SchKG (Zuweisung der Klägerrolle an
die Drittansprecherin) festhalten.
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
Die Ehefrau, die nicht getrennt vom Ehemanne lebt hat nach der neuern
Rechtsprechung unter jedem Güterstande Mitgewahrsam an den Gegenständen des
Hausrates und ebenso an andern Sachen, über die sie tatsächlich auch verfügen
kann (BGE 57 III 179, 58 III 105). Die Rekurrenten meinen, hier fehle es wegen
der schon lange dauernden Abwesenheit des Ehepaars Adolph von Romanshorn an
einer solchen Gewalt. Dem Schuldner selbst sei freilich Gewahrsam an den
arrestierten Sachen zuzuerkennen, da er Eigentümer des Hauses sei, worin sie
sich befinden; aber eben nur ihm allein, weil sich aus seinem Grundeigentum
nichts für einen Mitgewahrsam der Ehefrau herleiten

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lasse. Diese Auffassung wird der Stellung der Ehefrau nicht gerecht. Die
erwähnte Rechtsprechung ist allerdings davon ausgegangen, dass der Ehefrau die
Beklagtenrolle jedenfalls dann zuerkannt werden müsse, wenn sie unter gleichen
tatsächlichen Verhältnissen irgendeinem Dritten zukäme, dass also die Rechte
des Ehemannes aus Ehegüterrecht (bei Güterverbindung wie auch bei
Gütergemeinschaft) nicht geeignet seien, eine tatsächliche Verfügungsgewalt
der Ehefrau aufzuheben. Die beiden angeführten Entscheide bezogen sich auf
Gegenstände, die in Haushalt oder Beruf gemeinsam von den Ehegatten benutzt
wurden. Jener Erwägung kann nun aber nicht ausschliessende Bedeutung
beigemessen werden, in dem Sinne, dass der Mitgewahrsam der Ehefrau entfiele,
wenn sie die in Frage kommenden Gegenstände nicht in einer Weise in ihrer
Gewalt hat, die auch für irgendeinen Dritten, also ohne Berücksichtigung des
ehelichen Verhältnisses, zur Begründung eines Mitgewahrsams genügte. Vielmehr
darf Mitgewahrsam der Ehefrau gerade aus dem ehelichen Verhältnis selbst
abgeleitet werden hinsichtlich irgendwelcher Gegenstände, die ihr wie dem
Manne oder der Familie überhaupt zu dienen haben und ihnen auch tatsächlich
zur Verfügung stehen. Das ist hier der Fall. Es handelt sich um Gegenstände
des früher benützten ehelichen Wohnungsinventars. Zum Hause des Ehemannes hat
auch die Frau Zutritt, zumal nicht davon die Rede ist, dass der Mann ihr den
Zutritt verwehren möchte. Somit hat sie nach dem Gesagten Mitgewahrsam. Mit
Unrecht halten die Rekurrenten dafür, der Gewahrsam des Ehemannes sei ein
ungewöhnlicher, nur auf seinem Grundeigentum beruhender, weshalb er der
Ehefrau nicht zugutekommen könne. In dieser Beziehung verhält es sich nicht
anders, als wenn Heinz Adolph in Romanshorn zu Miete gewohnt und die Miete
bloss zur Aufbewahrung der Möbel fortgesetzt hätte. So wie so besteht ein vom
Ehemanne begründetes Gewaltverhältnis, an dem die mit ihm lebende Ehefrau teil
hat. Sowenig für die Bestimmung

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des Gewahrsams etwas darauf ankommt, ob die tatsächlich zum Wohnen benutzten
Räume einem der Ehegatten oder beiden gehören oder ob sie vom einen Gatten
oder von beiden zusammen gemietet worden sind, sowenig ist es gerechtfertigt,
die Ehefrau als Inhaberin des Gewahrsams an dem in der vorderhand verlassenen
ehelichen Wohnung gelassenen Mobiliar einfach deshalb nicht mehr anzuerkennen,
weil diese Wohnung sich in einem dem Manne allein gehörenden Hause befindet.
Dessen fortdauernder Gewahrsam lässt ohne weiteres auch den Mitgewahrsam der
Ehefrau fortdauern.
Dass etwa die Gewalt des Schuldners selbst über die arrestierten Gegenstände
nicht als Gewahrsam im Sinne der Art. 106 ff
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 106 - 1 Wird geltend gemacht, einem Dritten stehe am gepfändeten Gegenstand das Eigentum, ein Pfandrecht oder ein anderes Recht zu, das der Pfändung entgegensteht oder im weitern Verlauf des Vollstreckungsverfahrens zu berücksichtigen ist, so merkt das Betreibungsamt den Anspruch des Dritten in der Pfändungsurkunde vor oder zeigt ihn, falls die Urkunde bereits zugestellt ist, den Parteien besonders an.
1    Wird geltend gemacht, einem Dritten stehe am gepfändeten Gegenstand das Eigentum, ein Pfandrecht oder ein anderes Recht zu, das der Pfändung entgegensteht oder im weitern Verlauf des Vollstreckungsverfahrens zu berücksichtigen ist, so merkt das Betreibungsamt den Anspruch des Dritten in der Pfändungsurkunde vor oder zeigt ihn, falls die Urkunde bereits zugestellt ist, den Parteien besonders an.
2    Dritte können ihre Ansprüche anmelden, solange der Erlös aus der Verwertung des gepfändeten Gegenstandes noch nicht verteilt ist.
3    Nach der Verwertung kann der Dritte die Ansprüche, die ihm nach Zivilrecht bei Diebstahl, Verlust oder sonstigem Abhandenkommen einer beweglichen Sache (Art. 934 und 935 ZGB223) oder bei bösem Glauben des Erwerbers (Art. 936 und 974 Abs. 3 ZGB) zustehen, ausserhalb des Betreibungsverfahrens geltend machen. Als öffentliche Versteigerung im Sinne von Artikel 934 Absatz 2 ZGB gilt dabei auch der Freihandverkauf nach Artikel 130 dieses Gesetzes.
. SchKG zu gelten hätte, trifft
nicht zu. Kürzere oder längere Abwesenheit ändert nichts am Gewahrsam an den
Gegenständen des Wohnungsinventars. Es ist auch ohne Belang, ob die Eheleute
Adolph den Wohnsitz Romanshorn aufgegeben haben, was übrigens nicht dargetan
erscheint. Der Schuldner und seine Ehefrau haben Gewahrsam auch an Sachen, die
sie, ohne Preisgabe der eigenen Verfügungsgewalt, ständig ausserhalb der
Wohnung in eigenen oder dazu gemieteten Räumen aufbewahren, etwa in einem mehr
oder weniger entfernten Garten-, Wochenend- oder Ferienhäuschen. Wäre darnach
Mitgewahrsam beider Eheleute anzunehmen, selbst wenn Adolph das Haus in
Romanshorn nicht bewohnt, sondern erst auf den Wegzug hin erworben hätte, um
dort die Möbel einzustellen, so umsomehr, da er schon vorher Eigentümer war
und die Sachen eben in der bis zum Wegzuge benutzten ehelichen Wohnung liess.
Endlich hat sich der eine Rekurrent ohne Erfolg auf seinen Besitz der
Wohnungsschlüssel berufen. Nach der Würdigung der Tatumstände durch die
Vorinstanz handelt es sich um einen Besitz ohne Willen des Schuldners, und der
betreffende Gläubiger, der anfänglich, in der Beschwerde an die erste Instanz,
diesen Punkt noch gar nicht aufgegriffen hatte, schreibt sich denn auch im
Rekurs an das

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Bundesgericht keineswegs eigenen Gewahrsam an den arrestierten Gegenständen
zu.
Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:
Die Rekurse werden abgewiesen.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 64 III 143
Date : 01. Januar 1937
Published : 08. Oktober 1938
Source : Bundesgericht
Status : 64 III 143
Subject area : BGE - Schuldbetreibungs- und Konkursrecht
Subject : Gewahrsam im Sinne der Art. 106 ff. SchKG setzt nicht voraus, dass sich die Gegenstände in der zur...


Legislation register
SchKG: 7  106  109
BGE-register
57-III-179 • 58-III-105 • 64-III-143
Keyword index
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cantonal remedies • debt enforcement and bankruptcy law • debtor • decision • drawn • duration • family • federal court • first instance • garden • hamlet • household • household effects • intention • life • lower instance • man • outside • property • property rights • prosecution office • question • real property • spouse • statement of reasons for the adjudication • time limit