BGE 64 II 302
50. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 28. Juni 1938 i. S.
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt «Winterthur» gegen Wick.
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Regeste:
Motorfahrzeuggesetz, Art. 37 Abs. 3. Verschulden des Halters in Konkurrenz mit
Verschulden eines Dritten.
Nach dem Wortlaut von Art. 37 Abs. 3 wäre der Geschädigte schlechter gestellt
als nach gemeinem Recht, was dem Grundgedanken der Motorfahrzeughaftpflicht
widerspricht. Der Hafter kann daher von seiner Haftung nur dann teilweise
befreit werden, wenn sein Verschulden durch dasjenige des Dritten gemindert
erscheint; liegt eine solche Verschuldenskonnexität nicht vor, so haftet der
Halter voll. Erw. 2-6.
Frage des Rückgriffs auf den mitschuldigen Dritten. Erw. 10.
A. - Der Radfahrerverein der Stadt Wil veranstaltete am Sonntag den 22.
September 1935 auf der Zuzwilerstrasse östlich von Wil ein Radrennen. Er hatte
dafür vom Polizeidepartement des Kantons St. Gallen die Bewilligung erhalten
unter der Bedingung, dass er für einen ausreichenden Sicherheits- und
Sanitätsdienst besorgt sei. Ebenso war er ermächtigt worden, den
Strassenverkehr Zuzwil-Wil auf die Fürstenlandstrasse umzuleiten.
Am Morgen des Renntags beauftragte der Präsident Mitglieder des Vereins mit
den Absperrmassnahmen. Das Mitglied Jung wurde angewiesen, die Absperrung der
Zuzwilerstrasse bei ihrer Gabelung mit der Fürstenlandstrasse zu besorgen und
den Strassenverkehr von Zuzwil her auf die Fürstenlandstrasse zu lenken. Jung
spannte bei der Gabelung über die Zuzwilerstrasse ein Feuerwehrseil, das er
auf der einen Seite an einem Wegweiser und auf der andern an einem Lattenhag
befestigte. Er trug
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weder eine Uniform noch sonst ein äusseres Zeichen, ebensowenig war das
Absperrseil irgendwie markiert. Bei Herannahen eines Fahrzeuges trat Jung in
die Strassenmitte, etwa 5 m vor das Seil, und gab mit erhobener Hand ein
Richtungszeichen gegen die Fürstenlandstrasse hin.
Gegen 14 Uhr kam der Kläger zur Absperrstelle, wo sich vorübergehend auch noch
andere Leute aufhielten, um von dort aus dem Rennen zuzuschauen. Nahe am
Lattenhag stehend, an dem das Seil befestigt war, liess sich der Kläger mit
Jung in ein Gespräch ein. Kurz darnach fuhr das Personenautomobil des Käsers
Robert Frei von Zuzwil her in mässiger Geschwindigkeit die vor der
Absperrstelle ziemlich ansteigende Strassenstrecke herauf. Jung stellte sich
wie gewohnt in die Strassenmitte und wies den Automobilisten mit erhobener
Hand in die Fürstenlandstrasse. Frei befolgte jedoch die Weisung nicht,
sondern setzte, indem er Jung zum Ausweichen zwang, die Fahrt mit etwas
verminderter Geschwindigkeit auf der Zuzwiler Strasse fort und fuhr so in das
Absperrseil hinein. Das Seil riss den Lattenhag entzwei; dabei wurde der
Kläger von einem Lattenstück derart getroffen, dass er zu Boden fiel. Er
erlitt eine Quetschung am Rücken und einen schweren Bruch des linken
Ellbogens. Er musste sich einer längern Spitalbehandlung unterziehen und trägt
vom Unfall schwere bleibende Nachteile davon.
B. - Am 18. September 1936 leitete der Kläger gegen die Schweizerische
Versicherungsgesellschaft «Winterthur», bei welcher Frei für seine
Halterhaftpflicht versichert war, vorliegenden Prozess ein und verlangte
Bezahlung von Fr. 15523.36 Schadenersatz und Fr. 3000.- Genugtuung, zuzüglich
5% Zins seit 22. September 1935.
Die Klage wurde vom Bezirksgericht Wil durch Urteil vom 28. Januar 1938 im
Betrage von Fr. 5770.40 und vom Kantonsgericht St. Gallen durch Urteil vom 24.
März 1938 im Betrage von Fr. 14436.- geschützt. Für einen Betrag von Fr.
4812.- öffnete das Kantonsgericht der Beklagten den Regress auf den
Radfahrerverein Wil.
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C. - Gegen das kantonsgerichtliche Urteil hat die Beklagte die Berufung an das
Bundesgericht erklärt mit dem Antrag, die Klage sei als unbegründet
abzuweisen, soweit sie den Betrag von Fr. 5770.40 übersteige. Der Kläger hat
sich der Berufung angeschlossen und beantragt, es seien ihm über den durch das
Kantonsgericht geschützten Forderungsbetrag hinaus noch weitere Fr. 3000.-
zuzusprechen.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- (Passivlegitimation der Beklagten gemäss Art. 49 MFG).
2.- u. 3. - (Unzulänglichkeit der für das Velorennen getroffenen
Absperrmassnahmen. Die Absperrung hätte in einer Weise vorgenommen werden
müssen, dass sie für die Strassenbenützer, insbesondere für die Führer von
Motorfahrzeugen, leicht und rechtzeitig als solche erkennbar gewesen wäre. Es
genügte daher nicht, am Absperrort einen Mann in Zivilkleidung aufzustellen,
der mit einem blossen Handzeichen den Verkehr auf die andere Strasse verwies.
Zum mindesten hätte der Posten mit irgend einem Abzeichen, z. B. einer
Armbinde oder einer Signalfahne, ausgestattet werden sollen. Ebenso mangelhaft
war die eigentliche Absperrung der Strasse vermittelst eines dünnen
Feuerwehrseiles. Jedenfalls wäre eine gut sichtbare Markierung des Seiles
durch einen Wimpel oder dergl. unerlässlich gewesen. Den Radfahrerverein Wil,
der das Rennen durchführte und zu den nötigen Sicherheitsmassnahmen
verpflichtet war, trifft daher ein schweres Verschulden am Unfall.
Erhebliches Mitverschulden des Automobilführers Frei. Wenn auch die
unzulänglichen Absperrmassnahmen die wahre Situation nicht notwendig sofort
erkennen liessen, so hätte Frei aus dem Zeichen Jungs und der kleinen
Menschenansammlung doch schliessen müssen, dass hier etwas Besonderes vorgehe
und dass irgend ein Verkehrshindernis bestehen könnte. Auch war das Seil nach
der Feststellung
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der Vorinstanz immerhin auf eine Entfernung von 70-80 m sichtbar, sodass Frei
bei pflichtgemässer Aufmerksamkeit rechtzeitig genug - die Anhaltestrecke
betrug 15 m - hätte anhalten können.
Schuldlosigkeit des Klägers, der bei seiner Aufstellung am Strassenrand nicht
mit einem derartig ausserordentlichen Unfall rechnen musste und durch seine
Unterhaltung mit Jung nicht etwa dazu Anlass gegeben hat, dass dieser dem
Automobil zu spät entgegengetreten wäre.)
3.- Da ein Verschulden des Fahrzeughalters am Unfall mitgewirkt hat, ist eine
gänzliche Befreiung von der Haftpflicht für ihn und damit auch für die
Beklagte gemäss Art. 37 Abs. 2 MFG ausgeschlossen.
In Betracht kommt lediglich eine Teilbefreiung gemäss Art. 37 Abs. 3. Es liegt
Verschulden des Halters in Konkurrenz mit Verschulden eines Dritten vor. Das
nimmt auch die Vorinstanz an, doch hat sie gleichwohl die Beklagte gegenüber
dem Kläger fürs Ganze haftbar erklärt. Sie verweist auf die Grundsätze des
Obligationenrechts über die unerlaubte Handlung, nach denen bei
konkurrierendem Verschulden die Täter dem. Geschädigten in unechter
Solidarität haften, mit Rückgriffsrecht des einen auf den andern gemäss Art.
51
SR 220 Première partie: Dispositions générales Titre premier: De la formation des obligations Chapitre I: Des obligations résultant d'un contrat CO Art. 51 - 1 Lorsque plusieurs répondent du même dommage en vertu de causes différentes (acte illicite, contrat, loi), les dispositions légales concernant le recours de ceux qui ont causé ensemble un dommage s'appliquent par analogie. |
|
1 | Lorsque plusieurs répondent du même dommage en vertu de causes différentes (acte illicite, contrat, loi), les dispositions légales concernant le recours de ceux qui ont causé ensemble un dommage s'appliquent par analogie. |
2 | Le dommage est, dans la règle, supporté en première ligne par celle des personnes responsables dont l'acte illicite l'a déterminé et, en dernier lieu, par celle qui, sans qu'il y ait faute de sa part ni obligation contractuelle, en est tenue aux termes de la loi. |
konkurrierendem Verschulden des Motorfahrzeughalters und eines Dritten, sei
nicht einzusehen. Da die Haftung grundsätzlich eine kausale sei, dürfe sich
die Verschuldenskonkurrenz nicht zu Lasten des schuldlosen Geschädigten
auswirken. In Übereinstimmung mit dem Kommentar STREBEL, N. 163 zu Art. 37,
müsse angenommen werden, dass Art. 37 Abs. 3 MFG ein sinnstörendes, sachlich
nicht gewolltes Zufallsergebnis der parlamentarischen Gesetzesberatung
darstelle und dass die dort getroffene Regelung auf das schwere Verschulden
eines Dritten beschränkt bleibe, während bei einem leichten Verschulden des
Dritten der Halter dem Geschädigten für den vollen
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Schaden hafte, unter Vorbehalt des Regresses auf den Dritten.
4.- Die Kritik, welche die Vorinstanz an Art. 37 Abs. 3 übt, ist vollauf
berechtigt. Nach der gemeinrechtlichen Ordnung würde der schuldige
Fahrzeughalter mit dem mitschuldigen Dritten in unechter Solidarität dem
Geschädigten für den ganzen Schaden haften und hätte für seine Leistung
lediglich einen Regressanspruch gegenüber dem Dritten nach Massgabe von Art.
51
SR 220 Première partie: Dispositions générales Titre premier: De la formation des obligations Chapitre I: Des obligations résultant d'un contrat CO Art. 51 - 1 Lorsque plusieurs répondent du même dommage en vertu de causes différentes (acte illicite, contrat, loi), les dispositions légales concernant le recours de ceux qui ont causé ensemble un dommage s'appliquent par analogie. |
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1 | Lorsque plusieurs répondent du même dommage en vertu de causes différentes (acte illicite, contrat, loi), les dispositions légales concernant le recours de ceux qui ont causé ensemble un dommage s'appliquent par analogie. |
2 | Le dommage est, dans la règle, supporté en première ligne par celle des personnes responsables dont l'acte illicite l'a déterminé et, en dernier lieu, par celle qui, sans qu'il y ait faute de sa part ni obligation contractuelle, en est tenue aux termes de la loi. |
Verschuldenskonkurrenz vor, dass der Halter von seiner Haftung teilweise
befreit werde. Der Geschädigte wäre also nach MFG schlechter gestellt als nach
OR. Das widerspricht dem gesetzgeberischen Grundgedanken bei der Ausgestaltung
der Motorfahrzeughaftpflicht, der darauf ging, die Stellung des Geschädigten
mit Rücksicht auf die besondere Gefährlichkeit des Motorfahrzeugverkehrs
gegenüber der gemeinrechtlichen Ordnung eher zu verbessern. Eine Umkehrung war
in Wirklichkeit auch bei der Regelung der in Frage stehenden
Verschuldenskonkurrenz nicht gewollt. Der bundesrätliche Entwurf vom 12.
Dezember 1930 hatte in Art. 36 Abs. 3, der dem heutigen Art. 37 Abs. 3
entspricht, bei Verschulden eines Dritten in Konkurrenz mit Verschulden des
Halters oder mit andern von diesem zu vertretenden Umständen eine Beschränkung
der Halterhaftpflicht überhaupt nicht vorgesehen, und auch der neue Vorschlag,
welchen der Bundesrat nachträglich der nationalrätlichen Kommission
unterbreitete, behandelte in Art. 36 Abs. 3 nur die Konkurrenz von
fehlerhafter Beschaffenheit des Fahrzeugs mit «ausschliesslichem» Verschulden
eines Dritten (oder des Geschädigten). Von Verschulden eines Dritten in
Konkurrenz mit Verschulden des Halters war also nicht die Rede. Erst in der
nationalrätlichen Kommission stellte ein Mitglied den Antrag, es sei auch
dieser Konkurrenzfall in Art. 36 Abs. 3 zu regeln. Demgegenüber bemerkte der
Vertreter des Bundesrates zutreffend, dass der Fall in Art. 40 (nunmehr
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Art. 41 Abs. 2) geregelt sei. Der Antrag wurde dann in der Fassung, die heute
als Gesetzestext vorliegt, trotzdem angenommen. Das geschah aber offenbar
nicht im Bewusstsein einer sachlichen Änderung, sondern man wollte, wie sich
aus dem abschliessenden Votum eines Kommissionsmitgliedes ergibt, im Grunde
genommen lediglich die Regelung dieser Verschuldenskonkurrenz in das MFG
selber aufnehmen, anstatt es nach dem Vorschlag des Bundesrates bei der
Verweisung auf das OR bewenden zu lassen. Dabei ist dann freilich doch eine
vom OR abweichende Ordnung herausgekommen, indem man das Verschulden des
Dritten mit dem Verschulden des Geschädigten auf die gleiche Linie stellte und
auf diese Weise die unechte Solidarität zwischen dem Halter und dem Dritten
ausschloss (Protokoll der nationalrätlichen Kommission, Sitzung vom 4./6. Mai
1931, S. 10 f.; STREBEL, Kommentar, N. 163 zu Art. 37; YUNG, in der Semaine
judiciaire 1933, S. 246 ff. und 252; HAYMANN, in der Schweiz. Juristenzeitung
1934/35, S. 197 ff.).
Zu beachten bleibt indessen, dass auch im gemeinen Recht bei unerlaubter
Handlung, die von mehreren Personen gemeinsam, aber ohne bewusstes
Zusammenwirken begangen worden ist, das Prinzip der unechten Solidarität durch
die Rechtsprechung eine Einschränkung erfahren hat, weil die starre Anwendung
in vielen Fällen als unbillig empfunden wurde. Nach der bundesgerichtlichen
Praxis zu Art. 43
SR 220 Première partie: Dispositions générales Titre premier: De la formation des obligations Chapitre I: Des obligations résultant d'un contrat CO Art. 43 - 1 Le juge détermine le mode ainsi que l'étendue de la réparation, d'après les circonstances et la gravité de la faute. |
|
1 | Le juge détermine le mode ainsi que l'étendue de la réparation, d'après les circonstances et la gravité de la faute. |
1bis | Lorsqu'un animal qui vit en milieu domestique et n'est pas gardé dans un but patrimonial ou de gain, est blessé ou tué, le juge peut tenir compte dans une mesure appropriée de la valeur affective de l'animal pour son détenteur ou les proches de celui-ci.26 |
2 | Des dommages-intérêts ne peuvent être alloués sous forme de rente que si le débiteur est en même temps astreint à fournir des sûretés. |
Belangten dann entlastend, wenn sein eigenes Verschulden durch dieses
Drittverschulden gemindert erscheint oder wenn das Drittverschulden den
Kausalzusammenhang zwischen dem Verschulden des Belangten und dem
Schadensereignis unterbricht (BGE 41 II 228, 55 II 88, 59 II 369, 60 II 155).
Von diesen beiden Fällen ist der zweite selbstverständlich, weil bei
Unterbrechung des Kausalzusammenhanges überhaupt keine Haftpflicht besteht.
Als eigentliche Ausnahme von der Solidarhaft kann nur der erste Fall gelten,
weshalb er denn auch in
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einem spätern Urteil, BGE 62 II 310, allein noch als solche genannt ist.
Erscheint das Verschulden des Motorfahrzeughalters durch das Verschulden des
Dritten gemindert, so würde der Halter demnach auch nach gemeinem Recht von
der Haftung teilweise befreit. Damit verliert der Gegensatz zwischen dem
Wortlaut von Art. 37 Abs. 3 MFG und dem gemeinrechtlichen Solidaritätsprinzip
praktisch bereits erheblich an Bedeutung; denn eine solche Konnexität des
Verschuldens kommt besonders im Motorfahrzeugverkehr häufig vor, indem der
Dritte z. B. eine gefährliche Situation schafft und der Motorfahrzeugführer
seinerseits unrichtig darauf reagiert (sogenanntes primäres und sekundäres
Verschulden).
Im übrigen bleibt jedoch die sachlich nicht gerechtfertigte und vom
Gesetzgeber offenbar auch nicht beabsichtigte Unstimmigkeit zwischen dem
Wortlaut von Art. 37 Abs. 3 und der obligationenrechtlichen Regelung bestehen.
Es frägt sich deshalb, wie der Widerspruch zu lösen sei.
5.- Am einfachsten wäre es, mit dem Entwurf des Bundesrates vom 12. Dezember
1930 bei Verschulden des Halters das Mitverschulden des Dritten nicht zu
berücksichtigen und den Halter demgemäss gegenüber dem Geschädigten voll
haften zu lassen. Das ist auch die Regelung in den uns umgebenden Ländern
(Deutschland: § 7 des Gesetzes über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen;
Frankreich: § 1384 Code civil, dazu PLANIOL-RIPERT, Bd. VI, Nr. 541 und 685;
Italien: Art. 122 Codice della strada, dazu PINI, La responsabilità civile
dell'automobilista, S. 195). Allein diese Lösung ist mit unserm Gesetze
schlechthin unvereinbar. Art. 37 Abs. 3 schreibt bei Verschulden eines Dritten
in Konkurrenz mit Verschulden des Halters die Beschränkung der
Halterhaftpflicht nun einmal ausdrücklich vor; und wie die Bestimmung auch
zustandegekommen sein mag, so ist es doch keinesfalls zulässig, sie einfach
als unbeachtlich zu übergeben. Das wäre nicht mehr Auslegung, sondern
Korrektur des Gesetzes. Es kann sich nur darum handeln die Bestimmung
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mit den allgemeinen Haftungsgrundsätzen soweit in Einklang zu bringen, als der
Wortlaut es nicht ausschliesst.
Die Vorinstanz versucht das mit STREBEL, N. 163 zu Art. 37, in der Weise, dass
sie die Befreiung des Halters auf den Fall groben Verschuldens des Dritten
beschränken und bei bloss leichtem Verschulden des Dritten die
Halterhaftpflicht in vollem Umfange bestehen lassen will. Damit wäre Abs. 3
von Art. 37 an Abs. 2 angeglichen, wo ebenfalls zwischen grobem und leichtem
Verschulden des Dritten unterschieden wird. Abs. 3 würde dem Sinne nach
unmittelbar an den ersten Satz von Abs. 2 anschliessen. Allein Abs. 3 spricht
eben im Gegensatz zu Abs. 2 nur vom Verschulden des Dritten schlechtweg, und
gerade dieser Gegensatz lässt es kaum zu, dass die genannte Unterscheidung in
die Bestimmung hineininterpretiert wird. Ausserdem wäre der Geschädigte in
einem Falle immer noch schlechter gestellt als nach gemeinem Recht, nämlich
dann, wenn das Verschulden des Dritten ein grobes ist, ohne indessen das
Verschulden des Halters gemindert erscheinen zu lassen. In diesem Fall würde
der Halter, weil es sich um ein grobes Drittverschulden handelt, nach der von
der Vorinstanz und Strebel befürworteten Lösung teilweise befreit, während er
nach gemeinem Recht mangels Zusammenhangs zwischen dem Verschulden des Halters
und demjenigen des Dritten voll haften würde.
Näher dürfte es daher liegen, den in der gemeinrechtlichen Praxis entwickelten
Gedanken, dass bei einem Schadensereignis, welches von mehreren Personen
gemeinsam, aber ohne bewusstes Zusammenwirken herbeigeführt worden ist, die
Verschuldenskonnexität für die Frage der (unechten) Solidarität von Bedeutung
sei, auch auf dem Anwendungsgebiete des Art. 37 Abs. 3 MFG zur Geltung zu
bringen. Gibt die Verschuldenskonnexität dort Anlass, die unechte Solidarität
einzuschränken, so muss sie hier zur Voraussetzung für die Befreiung gemacht
werden. Das bedeutet, dass der Halter von seiner Haftpflicht gemäss
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Art. 37 Abs. 3 nur dann teilweise zu befreien ist, wenn sein eigenes
Verschulden durch dasjenige des Dritten gemindert erscheint. Diese Lösung
lässt sich vor dem Wortlaut von Art. 37 Abs. 3 am ehesten rechtfertigen und
befriedigt auch sachlich am besten. Es wird damit im Ergebnis völlige
Ubereinstimmung mit der gemeinrechtlichen Regelung hergestellt. Steht das
Verschulden des Halters mit demjenigen des Dritten nicht im Zusammenhange, so
tritt keine Befreiung ein, ebenso wie auch nach OR keine solche eintreten
würde. Hat dagegen das Verschulden des Dritten dasjenige des Halters
beeinflusst, so wird der Halter teilweise befreit, gleich wie er sich in
diesem Falle auch nach der Praxis zu Art. 43
SR 220 Première partie: Dispositions générales Titre premier: De la formation des obligations Chapitre I: Des obligations résultant d'un contrat CO Art. 43 - 1 Le juge détermine le mode ainsi que l'étendue de la réparation, d'après les circonstances et la gravité de la faute. |
|
1 | Le juge détermine le mode ainsi que l'étendue de la réparation, d'après les circonstances et la gravité de la faute. |
1bis | Lorsqu'un animal qui vit en milieu domestique et n'est pas gardé dans un but patrimonial ou de gain, est blessé ou tué, le juge peut tenir compte dans une mesure appropriée de la valeur affective de l'animal pour son détenteur ou les proches de celui-ci.26 |
2 | Des dommages-intérêts ne peuvent être alloués sous forme de rente que si le débiteur est en même temps astreint à fournir des sûretés. |
Mitverschulden des Dritten berufen könnte.
Ob das Verschulden des Dritten ein grobes oder ein leichtes ist, spielt dabei
dem Grundsatze nach für die Befreiung des Halters keine Rolle. Jedoch wird der
Richter die Grösse des Drittverschuldens nach seinem Ermessen als Umstand zu
würdigen haben, der gemäss Art. 37 Abs. 3, Satz 2, die Höhe der Entschädigung
mitbestimmt. Auf diese Weise ist es möglich, der Billigkeit weitgehend
Rechnung zu tragen und z. B. bei einem schweren Verschulden des Halters und
einem, wenn auch konnexen, so doch nur ganz geringen Verschulden des Dritten
die Befreiung auf ein Mindestmass zu beschränken.
6.- Auf den vorliegenden Fall angewendet, führen diese Grundsätze dazu, die
Beklagte von der Haftpflicht teilweise zu befreien. Zwar hat das schuldhafte
Verhalten des Dritten zu demjenigen des Automobilisten nicht eigentlichen
Anlass gegeben. Wäre aber die Absperrung der Strasse in richtiger Weise
durchgeführt worden, so hätte sie der Automobilist auch bei nicht
pflichtgemäss voller Aufmerksamkeit ohne Zweifel als solche erkannt und sich
darnach eingerichtet. In diesem Sinne kann daher gesagt werden, dass das
Verschulden des Automobilisten durch dasjenige des Dritten gemindert
erscheine. Auch die gemeinrechtliche Praxis anerkennt einen derartigen
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Zusammenhang als genügend, um die Haftung zu beschränken (vgl. BGE 59 II 369
/70).
7.-9. - (Bestimmung des Schadenersatzes auf Fr. 11000.-; Abweisung des
Genugtuungsanspruchs).
10.- Die Vorinstanz hat der Beklagten im Urteil für einen Betrag von Fr.
4812.- den Regress auf den am Unfall mitschuldigen Radfahrerverein Wil
geöffnet.
Ob dem Halter, der gemäss Art. 37 Abs. 3 wegen Mitverschuldens eines Dritten
von der Haftpflicht teilweise befreit wird, überhaupt ein Regress auf den
Dritten zusteht, ist umstritten (dafür: BUSSY, Code fédéral de la circulation,
Art. 41 N. 3 lit. b und N. 6: YUNG, a.a.O. S. 254; dagegen: STREBEL, Art. 41
N. 49). Die Frage kann offen bleiben. Der Radfahrerverein Wil ist im
vorliegenden Prozesse nicht Partei, weshalb es keinesfalls angeht, ihn im
Urteil regresspflichtig zu erklären. Das vorinstanzliche Urteil ist in diesem
Punkte aufzuheben.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.- Die Berufung wird teilweise gutgeheissen und der von der Beklagten dem
Kläger zu bezahlende Betrag in Abänderung des Urteils des Kantonsgerichtes St.
Gallen vom 24. März 1938 auf Fr. 11000.- nebst 5% Zins seit 1. Juli 1936
festgesetzt; im übrigen wird die Berufung abgewiesen.
2.- Die Anschlussberufung wird abgewiesen.
3.- Das vorinstanzliche Urteilsdispositiv über die Einräumung des
Regressrechtes an die Beklagte gegenüber dem Radfahrerverein Wil wird
aufgehoben.