S. 53 / Nr. 6 Registersachen (d)

BGE 64 I 53

6. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 2. Februar 1938 i. S.
Palast gegen Regierungsrat des Kantons Bern.

Regeste:
Handelsregister-Strafrecht.
Für die Hinterlassung von Anmeldungen und die Vernachlässigung anderer
registerrechtlicher Verpflichtungen, die juristische Personen betreffen,
können immer die verantwortlichen Organe persönlich bestraft werden.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Die Aktiengesellschaften und Genossenschaften sind jedenfalls auf dem Gebiete
des Verwaltungsstrafrechts straffähig (vgl. BGE 41 I 216 f, sowie LISZT,
Lehrbuch des deutschen Strafrechts, 25. Aufl., S. 153, gegen HAFTER, Lehrbuch
des schweizerischen Strafrechts, Allgemeiner Teil, S. 64 ff.). Wenn deshalb
Art. 864 aOR bestimmte, dass dort, wo das Gesetz die Beteiligten zur
Eintragung in das Handelsregister verpflichte, die Registerbehörde von Amtes
wegen gegen die Fehlbaren mit Ordnungsbussen einzuschreiten habe, so könnten
unter den Beteiligten an sich auch Aktiengesellschaften und Genossenschaften
verstanden sein. Wollte man indessen bei Eintragungen, die
Aktiengesellschaften und Genossenschaften betreffen, annehmen, dass die
juristische Person, und nur sie, straffähig sei, so würden damit nicht alle
hier möglichen Fälle vernachlässigter Anmeldungspflicht erfasst. Man denke
vorab an Art. 711 Abs. 2 aOR, der für den Fall der Auflösung einer
Genossenschaft in anderer Weise als durch

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Konkurs logischerweise ausdrücklich dem Vorstand - und nicht der
Genossenschaft als solcher - die Pflicht zur Eintragung in das Handelsregister
auferlegt. Auch die Pflicht zur Anmeldung der Eintragung der erst im Entstehen
begriffenen juristischen Person kann der Natur der Sache nach nur den
Mitgliedern des Verwaltungsrates, bezw. des Vorstandes, auferlegt werden (so
nun ausdrücklich die Art. 640 Abs. 2
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 640 - Die Gesellschaft ist ins Handelsregister des Ortes einzutragen, an dem sie ihren Sitz hat.
und Art. 835 Abs. 3
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 835 - Die Gesellschaft ist ins Handelsregister des Ortes einzutragen, an dem sie ihren Sitz hat.
rev. OR). Das rev. OR
geht sogar noch weiter, indem es in Art. 943 Abs. 2 bestimmt, die Mitglieder
der Verwaltung einer Aktiengesellschaft, die der Aufforderung zur Auflegung
der Gewinn- und Verlustrechnung und der Bilanz beim Handelsregisteramt nicht
nachkommen, seien in gleicher Weise zu büssen wie die Beteiligten, die der
Pflicht zur Anmeldung einer Eintragung nicht nachkommen.
Es kann nun, weil dafür eine innere Begründung fehlen würde, nicht wohl
angenommen werden, dass das Gesetz bald die juristische Person als solche,
bald deren Organe persönlich für Registeranmeldungen, bezw. die Auflegung von
Gewinn- und Verlustrechnungen sowie Bilanzen beim Handelsregisteramt,
verantwortlich und für den Fall einer Vernachlässigung solcher Pflichten
strafbar erklären wolle. Vielmehr ist vernünftigerweise anzunehmen, dass
grundsätzlich immer die fehlbaren Mitglieder eines Verwaltungsrates belangt
werden können. So hat das Bundesgericht in Übereinstimmung mit der frühern
Praxis des eidg. Justiz- und Polizeidepartements auch schon bisher angenommen,
dass bei Genossenschaften die Vorstandsmitglieder die Eintragungsgebühr zu
bezahlen haben, wenn eine Eintragung von Amtes wegen vorgenommen wird (vgl.
BGE 58 I 329 f). Eine solche Ordnung liegt umso näher, als ja die juristischen
Personen ganz allgemein nur durch ihre Organe handeln können. Dazu kommt, dass
bei der Anmeldepflicht öffentlichrechtliche Interessen im Spiele stehen und
daher der Gesetzgeber auch schon aus diesem Grunde die stärker wirkende
Sanktion der Bestrafung physischer Personen wählen musste (vgl. auch

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LUDWIG, Handelsstrafrecht, Zeitschrift für schweizerisches Recht n. F. 44 S. 7
a und 8 a ).
Die kantonale Aufsichtsbehörde durfte daher, sofern die sachlichen
Voraussetzungen gegeben sind, an sich das Verwaltungsratsmitglied büssen. Ob
sie für die nämliche Busse zugleich auch noch die Aktiengesellschaft als
solche haftbar erklären durfte, kann dahingestellt bleiben. Denn für die
Aktiengesellschaft ist binnen nützlicher Frist nicht Beschwerde geführt
worden.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 64 I 53
Datum : 01. Januar 1937
Publiziert : 02. Februar 1938
Quelle : Bundesgericht
Status : 64 I 53
Sachgebiet : BGE - Verwaltungsrecht und internationales öffentliches Recht
Gegenstand : Handelsregister-Strafrecht.Für die Hinterlassung von Anmeldungen und die Vernachlässigung anderer...


Gesetzesregister
OR: 640 
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 640 - Die Gesellschaft ist ins Handelsregister des Ortes einzutragen, an dem sie ihren Sitz hat.
835
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 835 - Die Gesellschaft ist ins Handelsregister des Ortes einzutragen, an dem sie ihren Sitz hat.
BGE Register
41-I-212 • 58-I-326 • 64-I-53
Stichwortregister
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