S. 211 / Nr. 39 REGISTERSACHEN (d)

BGE 64 I 211

39. Urteil der I. Zivilabteilung vom 20. September 1938 i. S. Solothurner
Handelsbank A-G. gegen Obergericht des Kantons Solothurn.

Regeste:
Handelsregister. Statutenbestimmungen einer Aktiengesellschaft, die gegen Art.
648 rev. OR verstossen; Verweigerung der Eintragung.

A. - In der Generalversammlung der Aktiengesellschaft Solothurner Handelsbank
mit Sitz in Solothurn vom

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26. Februar 1938 wurde eine Statutenrevision vorgenommen. Art. 16 erhielt
dabei folgende Fassung:
«Beschlüsse über die Statuten und deren Abänderung und Ergänzung, sowie über
Änderung des Gesellschaftszweckes, die Auflösung oder die Fusion der
Gesellschaft können nur mit einer Mehrheit von wenigstens zwei Dritteilen der
abgegebenen Stimmen gefasst werden. Überdies müssen bei Änderung des
Gesellschaftszweckes. Auflösung oder Fusion die zustimmenden Aktien zusammen
wenigstens zwei Dritteile des Grundkapitals darstellen.
Wenn infolge Beschlussunfähigkeit der ersten Versammlung eine zweite
Generalversammlung stattfinden muss, so ist dieselbe unverzüglich auf einen
mindestens dreissig Tage spätern Termin einzuberufen und es ist für die
Abstimmung über die Statuten die einfache und für diejenige über die Auflösung
oder die Fusion die Zweidrittelmehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich.
In diesen beiden Fällen muss überdies wenigstens ein Drittel sämtlicher Aktien
vertreten sein.»
B. - Der Handelsregisterführer der Stadt Solothurn verweigerte die Eintragung
dieser Statutenbestimmung in das Register, mit der Begründung, sie verstosse
gegen zwingende Bestimmungen des rev. OR. Auf Beschwerde der Solothurner
Handelstank hin stellte sich das Obergericht des Kantons Solothurn als
Aufsichtsbehörde über die Führung des Handelsregisters auf den Boden des
Registerführers. Gegen diesen vom 6. Juli 1938 datierten, am 15. Juli 1938
zugestellten Entscheid führt die Solothurner Handelsbank durch Eingabe vom 12.
August 1938 beim Bundesgericht verwaltungsgerichtliche Beschwerde mit dem
Begehren, der Handelsregisterführer der Stadt Solothurn sei anzuweisen, die
Statutenänderung vom 26. Februar 1938 im Handelsregister einzutragen.

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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Sollen der Zweck einer Aktiengesellschaft umgewandelt oder
Statutenbestimmungen über die Erschwerung der Beschlussfassung in der
Generalversammlung beseitigt oder endlich Stimmrechtsaktien eingeführt werden,
so muss der Beschluss mindestens die Stimmen von zwei Dritteilen des gesamten
Grundkapitals auf sich vereinigen (Art. 648 Abs. 1 OR). Dieser
Gesetzesbestimmung widerspricht § 16 der revidierten Statuten der
Beschwerdeführerin zunächst insoweit nicht, als nach Abs. 1 i. f. für die
Änderung des Gesellschaftszweckes, die Auflösung und die Fusion die
zustimmenden Aktien zusammen mindestens zwei Dritteile des Grundkapitals
darstellen müssen. Dagegen wird dann für die Änderung der Statuten in diesen
ein derartiges qualifiziertes Mehr nicht verlangt, sondern lediglich bestimmt,
es müssten dafür zwei Dritteile der abgegebenen Stimmen vorliegen. Gerade
diese Ordnung stellt aber eine «Statutenbestimmung über die Erschwerung der
Beschlussfassung in der Generalversammlung» dar, indem sie ein vom Gesetz
nicht verlangtes qualifiziertes Mehr fordert. Un da Art. 648 Abs. 1 OR für die
Beseitigung von Statutenbestimmungen über die Erschwerung der Beschlussfassung
in der Generalversammlung ausdrücklich mindestens zwei Dritteile des gesamten
Grundkapitals verlangt, die Statuten in § 16 Abs. 1 aber Statutenänderungen
schlechthin schon bei einer Mehrheit von zwei Dritteilen der abgegebenen
Stimmen zulassen, ergibt sich insoweit entgegen der Auffassung der
Registerbehörden schon auf Grund des ersten Absatzes von § 16 der Statuten ein
Widerspruch zwischen ihnen und dem Gesetz.
2.- Die Bestimmung des Art. 648 Abs. 1 OR, wonach ein Beschluss über die
Beseitigung einer Statutenbestimmung betreffend die Erschwerung der
Beschlussfassung in der Generalversammlung mindestens die Stimmen von zwei
Dritteilen des gesamten Grundkapitals auf sich vereinigen muss, gilt nicht nur
für eine erste, sondern auch

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für eine allfällige weitere, wegen ungenügender Beteiligung der frühern
einberufene Generalversammlung. Die Ausnahmebestimmung des Art. 649 OR, die
sich ausdrücklich nur auf Beschlüsse über eine Erweiterung des
Geschäftsbereiches im Rahmen des Gesellschaftszweckes durch Aufnahme
verwandter Gegenstände, eine Erschwerung, eine Fusion, die Fortsetzung der
Gesellschaft über die in den Statuten bestimmte Zeit hinaus, die Abänderung
der Firma oder die Verlegung des Sitzes der Gesellschaft oder die Auflösung
vor dem in den Statuten festgesetzten Termin bezieht, findet hier keine
Anwendung. Die Statuten der Beschwerdeführerin sind mithin auch insoweit
gesetzwidrig, als sie auf Grund von § 16 Abs. 2 in einer zweiten
Generalversammlung die Beseitigung einer Statutenbestimmung über die
Erschwerung der Beschlussfassung in der Generalversammlung schon dann
zulassen, wenn bei Anwesenheit des dritten Teils aller Aktionäre ein einfaches
Mehr hiefür zustande kommt, während nach Art. 648 Abs. 1 OR auch in einer
zweiten Generalversammlung die Stimmen von zwei Dritteilen des gesamten
Grundkapitals notwendig sind.
3.- Das Obergericht hat eine Gesetzwidrigkeit lediglich nach den folgenden
beiden Richtungen hin angenommen.
a) Aus dem Text des § 16 der Statuten könne herausgelesen werden, dass an der
zweiten Generalversammlung auch für die Abstimmung über die Änderung des
Gesellschaftszweckes nur eine Zweidrittelsmehrheit der abgegebenen Stimmen
verlangt werde; und
b) der unklare Text lasse auch die Schlussfolgerung zu, dass an einer
eventuellen zweiten Generalversammlung ein Beschluss über die Umwandlung des
Gesellschaftszweckes schon dann möglich wäre, wenn nur ein Drittel sämtlicher
Aktien vertreten sei.
Es erscheint fraglich, ob bei Anwendung der zumutbaren Aufmerksamkeit § 16 der
Statuten in diesem Sinne ausgelegt werden kann. Die Frage braucht indessen
nicht endgültig entschieden zu werden, weil sich schon auf

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Grund der Ausführungen unter Ziff. 1 und 2 hiervor für § 16 Abs. 1 und 2 der
Statuten die Notwendigkeit der Aufnahme eines ausdrücklichen und
unmissverständlichen Vorbehalts des Art. 648 OR ergibt.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 64 I 211
Datum : 01. Januar 1937
Publiziert : 20. September 1938
Quelle : Bundesgericht
Status : 64 I 211
Sachgebiet : BGE - Verwaltungsrecht und internationales öffentliches Recht
Gegenstand : Handelsregister. Statutenbestimmungen einer Aktiengesellschaft, die gegen Art. 648 rev. OR...


Gesetzesregister
OR: 648  649
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64-I-211
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